Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. DI Dr. T***** P*****, 2. Mag. E***** P*****, beide vertreten durch Dr. Gerhard Deinhofer, Dr. Friedrich Petri und Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Wiedenbauer Mutz Winkler Pramberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen jeweils 11.691,17 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2011, GZ 2 R 266/10t-19, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 7. Oktober 2010, GZ 49 Cg 58/10m-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind zu gleichen Teilen schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.539,83 EUR (darin 256,64 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Kläger verfügen jeweils über ein Wertpapierdepot samt dazugehörigem Verrechnungskonto bei der beklagten Partei. Im Dezember 2006 erwarben sie über Vermittlung der Repräsentantin einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft je 10.000 Stück des Wertpapiers „D*****“ mit einer Laufzeit vom 5. Dezember 2006 bis 5. Dezember 2010, die ihrem jeweiligen Depot angereiht wurden. Bei diesem Wertpapier handelte es sich um eine als Zertifikat mit Kapitalgarantie konstruierte Schuldverschreibung der L***** B.V., einer Gesellschaft nach niederländischem Recht mit Sitz in Amsterdam. Der rückzahlbare Betrag hing von der Entwicklung der Wechselkurse von fünf asiatischen Währungen ab. In der von der Beklagten herausgegebenen Informationsbroschüre wird eine 100%ige Kapitalgarantie für das eingesetzte Kapital versprochen und erläutert, dass es dadurch für den Anleger auch bei ungünstiger Entwicklung des Währungskorbs kein Verlustrisiko gebe. Wer als Garantiegeberin fungiert, ist aus der Informationsbroschüre nicht ersichtlich. Nach dem Kapitalmarktprospekt, den die Kläger nicht eingesehen haben, handelte es sich bei der Garantin um die L***** Holdings Inc., eine Gesellschaft der L*****-Gruppe mit Sitz in New York. Die Bonität der L*****-Gruppe wurde zum Zeitpunkt des Kaufs der Wertpapiere durch die Kläger allgemein als gut bewertet, seit 2008 ist die L*****-Gruppe jedoch insolvent und der Handel mit den gegenständlichen Zertifikaten ausgesetzt.
Das Erstgericht gab dem jeweils auf Aufhebung der Wertpapierkaufverträge und Rückabwicklung gerichteten Begehren der beiden Kläger statt.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab. Die den Klägern verkauften Wertpapiere seien in der Informationsbroschüre richtig dargestellt worden, es liege kein relevanter Beratungsfehler vor. Der Verlust der Kläger sei nur aufgrund der Insolvenz der L*****-Gruppe entstanden. Auch die Voraussetzungen für ein Rücktrittsrecht nach § 5 KMG oder einen Schadenersatzanspruch nach § 11 KMG verneinte das Berufungsgericht. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei einer Veranlagung wie der gegenständlichen eine Aufklärung über das allgemeine, theoretisch immer bestehende Insolvenzrisiko notwendig ist.
Die von der Beklagten beantwortete Revision der Kläger ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Revision maßgeblich (RIS-Justiz RS0112921; RS0112769). Der Oberste Gerichtshof hat die vom Berufungsgericht bezeichnete Rechtsfrage mittlerweile bereits in einer Reihe von Entscheidungen, die gleichartige Ansprüche von Anlegern gegen dieselbe Beklagte auf Grundlage der auch hier gegenständlichen Werbebroschüre betrafen, erschöpfend beantwortet (ua 4 Ob 20/11m; 8 Ob 148/10p; 7 Ob 29/11g; 8 Ob 38/11g). Die Revision zeigt keine über den Einzelfall hinaus wesentlichen neuen Aspekte auf, die ihre Zulässigkeit begründen könnten.
Da eine allgemeine Pflicht zur Aufklärung über die theoretische Möglichkeit der Insolvenz einer Emittentin oder Garantin, für deren Eintritt keinerlei aktuelle Anhaltspunkte vorliegen, zu verneinen ist, kommt es auf die in der Revision angesprochene Frage der Kausalität der Unterlassung einer solchen Aufklärung für den Kaufentschluss der Kläger nicht an. Ebensowenig bedarf es der Behandlung der Fragen, inwieweit die Zwischenschaltung eines Vermittlers den Verkäufer eines Anlageprodukts von eigenen Aufklärungspflichten entbinden kann und unter welchen Umständen der depotführenden Bank ein Fehlverhalten des Vermittlers zurechenbar wäre, weil nach dem vorliegenden Sachverhalt keine relevanten Aufklärungspflichten verletzt wurden.
Zur Frage eines von der Beklagten veranlassten Irrtums der Kläger über die Person des Garanten und über den Umfang der in der Informationsbroschüre beworbenen Kapitalgarantie hat das Berufungsgericht umfassend Stellung genommen; die Auslegung der Erklärungen der Beklagten betrifft grundsätzlich nur die Umstände des Einzelfalls. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts jedenfalls vertretbar. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO liegen daher nicht vor.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
Textnummer
E97528European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0080OB00047.11M.0525.000Im RIS seit
22.06.2011Zuletzt aktualisiert am
16.09.2011