Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Albert Koblizek und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat B*****, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 21.800 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Mai 2010, GZ 13 Ra 17/10p-18, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. November 2009, GZ 46 Cga 87/08g-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Für Streitigkeiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen gelten gemäß § 502 Abs 5 Z 4 ZPO die Abs 2 und 3 des § 502 ZPO nicht. Auf die Überlegungen der Revisionswerberin zum Wert des Entscheidungsgegenstands des Berufungsgerichts kommt es daher nicht an.
Die Revisionswerberin leitet aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 ObA 606/92 und der Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz zu 11 Ra 78/09h ab, dass ihre außerordentliche Revision „jedenfalls zulässig“ sei. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Damit erweisen sich jene Überlegungen der Revisionswerberin, die auf (behauptete) Widersprüche in der Rechtsprechung der Berufungsgerichte abstellen, als ungeeignet, um die Zulässigkeit des Rechtsmittels iSd § 502 Abs 1 ZPO darzutun. Im Übrigen musste sich das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht in 11 Ra 78/09h - entgegen der Auffassung der Revisionswerberin - auch nicht „implizit“ mit der hier relevanten Rechtsfrage auseinandersetzen. Dort konnten sich die (von den streitgegenständlichen Parteien verschiedenen) Parteien auf eine aufrechte Betriebsvereinbarung stützen.
Was die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 9 ObA 606/92 betrifft, behauptet die Revisionswerberin weder, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in der gegenständlichen Frage widersprüchlich sei, noch macht sie geltend, dass das Berufungsgericht von 9 ObA 606/92 abgewichen sei. Sie meint nur, dass in dieser Vorentscheidung ein anderer Fall als der vorliegende behandelt worden sei. Dies ist richtig, geht aber am Problem vorbei. Bei Zitierung der Entscheidung 9 ObA 606/92 (DRdA 1994/3 [Jabornegg]) ging es dem Berufungsgericht vor allem um die Klarstellung, dass die Ordnung der Betriebsverfassung, wozu auch die Mitwirkungsrechte der Belegschaft gehören, im ArbVG abschließend und absolut zwingend geregelt ist. Durch Kollektivvertrag kann diese Ordnung grundsätzlich nicht abgeändert werden; insbesondere können auch keine weiteren Mitwirkungsrechte des Betriebsrats geschaffen werden. In einem Kollektivvertrag geschaffene Mitwirkungsrechte, die durch die den Kollektivvertragsparteien erteilte Normsetzungsbefugnis nicht gedeckt sind, verstoßen gegen absolut zwingende Normen des ArbVG und sind daher nichtig (9 ObA 606/92; RIS-Justiz RS0050863 ua).
Die Revisionswerberin widerspricht der vorstehenden Rechtsprechung nicht. Sie unterstreicht ihre Zustimmung auch durch die Behauptung, dass mit der „wie immer zu lesenden KollV-Anordnung“ in § 4 Z 1 des Kollektivvertrags zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ***** (KollV), wonach im Zusammenwirken mit den Bestimmungen des ArbVG die für einen Betrieb oder für bestimmte Betriebsteile geltende Lage der Normalarbeitszeit sowie die Festsetzung von Beginn und Ende der täglichen Normalarbeitszeit zu vereinbaren ist, „keine Änderung der Arbeitsverfassung“ verbunden werde. Tatsächlich verlässt sie jedoch in ihrer weiteren Argumentation wieder die von ihr vorgegebene Linie und kehrt zu ihrem Standpunkt zurück, dass § 4 Z 1 KollV eine erzwingbare Betriebsvereinbarung iSd § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG „anordne“. Bezüglich der gegen diese Auslegung der KollV-Bestimmung sprechenden Aspekte kann auf die Ausführungen des Berufungsgerichts in der Berufungsentscheidung verwiesen werden. Diese können allerdings im Stadium der Prüfung der Zulässigkeit der vorliegenden außerordentlichen Revision dahingestellt bleiben. Wie schon ausgeführt, begründet die Revisionswerberin die Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision mit den beiden einleitend genannten Entscheidungen. Mit diesen wird aber keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Auch aus ihrer Überlegung, dass ihr Feststellungsbegehren („..., dass die Beklagte nicht berechtigt sei, die … Lage der Normalarbeitszeit … ohne in Form des Arbeitsverfassungsrechts herbeigeführtes Zusammenwirken mit den zuständigen Organen der Arbeitnehmerschaft … festzusetzen“) auf die „Anordnung“ des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung iSd § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG in einem Kollektivvertrag gestützt werden könne, ist keine erhebliche Rechtsfrage zu gewinnen.
Nach § 97 ArbVG können in den im Abs 1 genannten Angelegenheiten, zu denen gemäß Z 2 auch die generelle Festsetzung des Beginns und Endes der täglichen Arbeitszeit, der Dauer und Lage der Arbeitspausen und der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage zählt, Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden. Auf eine Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG kann das Feststellungsbegehren des Betriebsrats jedoch nicht gestützt werden, weil es bei Klageerhebung keine aufrechte Betriebsvereinbarung der Parteien mit diesem Inhalt gab. Von den Parteien war auch nicht der Weg einer entsprechenden Antragstellung bei der Schlichtungsstelle nach § 97 Abs 2 ArbVG beschritten worden, der im Fall des § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG offensteht, wenn zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung keine Einigung zustandekommt.
Die Auffassung der Revisionswerberin, zwischen der (von ihr angenommenen) „Anordnung“ einer Betriebsvereinbarung iSd § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG in § 4 Z 1 KollV und den gesetzlichen Vorgaben des § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG, die eine erzwingbare Betriebsvereinbarung vorsehen, bestehe ohnehin kein Unterschied, ist verfehlt. § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG sieht nach einhelliger Auffassung keine notwendige, sondern nur eine erzwingbare Betriebsvereinbarung vor, lässt also auch die (hier vorliegende) Situation zu, dass mangels Abschlusses und mangels Erzwingung einer Betriebsvereinbarung (über die Schlichtungsstelle) eine anderweitige Regelung zu treffen ist (vgl Cerny in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, ArbVG Bd 34 § 97 Erl 2; Reissner in ZellKomm § 97 ArbVG Rz 5 ff ua). In einem derartigen Fall käme für die Festsetzung der Lage der Arbeitszeit und ihre Änderung vor allem § 19c AZG zum Tragen (vgl Mosler in ZellKomm § 19c AZG Rz 23; Felten in Grillberger, AZG³ § 19c Rz 11 ua). Nach § 19c Abs 1 AZG ist die Lage der Normalarbeitszeit und ihre Änderung zu vereinbaren, soweit sie nicht durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgesetzt wird. Unter den in § 19c Abs 2 AZG geregelten Voraussetzungen kann die Lage der Normalarbeitszeit vom Arbeitgeber auch einseitig geändert werden. Der Standpunkt der Revisionswerberin, die Beklagte könne - in einer Situation, in der eine Betriebsvereinbarung weder abgeschlossen noch im Wege der Schlichtungsstelle erzwungen wurde - die Lage der Arbeitszeit nur unter Mitwirkung der Klägerin als Belegschaftsvertretung (durch Betriebsvereinbarung) festlegen, geht daher an § 19c AZG vorbei, vor allem aber über § 97 ArbVG hinaus. § 97 Abs 2 ArbVG sieht die „Erzwingung“ einer Betriebsvereinbarung nicht durch Kollektivvertrag, sondern durch Antragstellung bei der Schlichtungsstelle vor. Folgt man der Vorgabe der Revisionswerberin, auf „keine Änderung der Arbeitsverfassung“ abzuzielen, dann missversteht sie entweder § 97 ArbVG oder meint (trotz gegenteiliger Beteuerungen), es wäre zulässig, über § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG hinaus Mitwirkungsrechte der Belegschaftsvertretung durch Kollektivvertrag zu begründen. Im zweiten Fall kann aber wieder nur auf die bereits vorstehend erwähnte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs verwiesen werden, wonach die Mitwirkungsrechte der Belegschaft im ArbVG abschließend und absolut zwingend geregelt sind. Durch Kollektivvertrag können daher keine weiteren Mitwirkungsrechte des Betriebsrats geschaffen werden (9 ObA 606/92; RIS-Justiz RS0050863 ua).
Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Schlagworte
11 Arbeitsrechtssachen,Textnummer
E97639European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:009OBA00069.10B.0526.000Im RIS seit
07.07.2011Zuletzt aktualisiert am
29.02.2012