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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §69 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des EK in V, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 10. Oktober 2000, Zl. uvs- 1998/15/066-11, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens i. A. Übertretung der GewO 1994, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis vom 16. März 1998 hat die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck den Beschwerdeführer einer Übertretung gemäß § 366 Abs. 1 GewO 1994 schuldig erkannt.
Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde vom unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol mit Bescheid vom 21. April 1998 als verspätet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der erstinstanzliche Bescheid sei dem Beschwerdeführer am 17. März 1998 durch Hinterlegung beim zuständigen (näher bezeichneten) Postamt zugestellt worden. Damit habe die Berufungsfrist zu laufen begonnen. Der erste Zustellversuch habe am 16. März 1998 stattgefunden. Der Beschwerdeführer habe nach seinen eigenen Angaben (erst) am 17. März 1998 einen Termin in Wien zu wahren gehabt. Er habe somit vom ersten Zustellversuch Kenntnis erlangen können. Ausgehend von der Hinterlegung am 17. März 1998 habe die Berufungsfrist am 31. März 1998 geendet, weshalb die am 1. April 1998 zur Post gegebene Berufung verspätet sei.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 2. Juni 1999, Zl. 98/04/0111, als unbegründet abgewiesen.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 2 AVG als verspätet zurückgewiesen.
In der Begründung dieses Bescheides heißt es, der Beschwerdeführer habe durch seinen ausgewiesenen Vertreter bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck am 21. Juli 1999 eine Strafanzeige gegen unbekannt wegen des Verdachtes des Vergehens der falschen Beurkundung und Beglaubigung im Amt erstattet. Der ausgewiesene Vertreter habe bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck Akteneinsicht genommen. Anschließend daran sei mit Schriftsatz vom 10. November 1999 der Antrag auf Wiederaufnahme eingebracht und vorgebracht worden, dass die Strafsache beim Landesgericht Innsbruck anhängig und der angeklagte Zusteller, JK, bezüglich der äußeren Tatseite geständig sei. Die Behörde hätte bei Kenntnis dieser neuen Tatsachen und Beweismittel die Berufung nicht als verspätet zurückgewiesen. Mit Urteil vom 21. März 2000 des Landesgerichtes Innsbruck sei JK wegen des Verbrechens des Missbrauches der Amtsgewalt für schuldig erkannt worden.
In ihrer rechtlichen Würdigung vertritt die belangte Behörde die Auffassung, dass bereits in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vom 18. Juni 1998 der Beschwerdeführer ausgeführt habe, dass die Ankündigung des zweiten Zustellversuches gänzlich unterblieben sei und dass somit die gegenständliche Zustellung rechtsungültig sei. Dieser Sachverhalt sei dem Vertreter des Beschwerdeführers daher bereits am 18. Juni 1998 bekannt gewesen. Spätestens mit diesem Termin habe daher der Lauf der Wiederaufnahmsfrist von zwei Wochen begonnen. Der erst am 11. November 1999 eingebracht Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei daher verspätet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 69 Abs. 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
Der Beschwerdeführer bringt u.a. vor, dem Beschwerdeführer sei nachträglich durch die einen Bestandteil der Strafanzeige des Gendarmeriepostens Wattens bildende Niederschrift über die Einvernahme des Zustellorgans, worin dieser zugestehe, auf dem Rückschein des RSa-Briefes wissentlich falsch den 16. März 1998 als ersten Zustellversuchstermin angeführt und tatsächlich nur einen Zustellversuch unternommen zu haben, ein bis dahin in dieser Form nicht bekannter Sachverhalt bekannt geworden. Es sei unrichtig, dass der Beschwerdeführer bereits im Zeitpunkt der Verfassung der Bescheidbeschwerde Kenntnis von diesem Sachverhalt gehabt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei dem Beschwerdeführer lediglich der im Akt der belangten Behörde befindliche Rückschein vorgelegen. Diesen habe die belangte Behörde bereits in ihrem Berufungserkenntnis gewürdigt. Aus den auf dem Rückschein angebrachten Poststempeln habe der Beschwerdeführer lediglich gefolgert, dass zeitlich die Durchführung von zwei Zustellversuchen nicht erklärbar sei. Dieser Rückschein sei auch der belangten Behörde vorgelegen. Es handle sich somit um keine neuen Tatsachen und Beweise. Vielmehr habe der Beschwerdeführer den der belangten Behörde bereits vorliegenden Rückschein in bestimmter Art und Weise gewürdigt. Vom Bekanntwerden neuer Tatsachen und Beweise könne in diesem Zusammenhang schon aus dem Grund keine Rede sein, weil die vom Beschwerdeführer vorgenommene Würdigung vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof sei nämlich zur Ansicht gelangt, dass es auf Grund der geringen Entfernung zwischen Innsbruck und Volders durchaus denkbar sei, dass ein erster Zustellversuch bereits am Tag der Postaufgabe erfolgt sei.
Der Beschwerdeführer ist schon mit diesem Vorbringen im Ergebnis im Recht.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben genannten Erkenntnis vom 2. Juni 1999, Zl. 98/04/0111, ausgeführt hat, handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei dem die Zustellversuche beurkundenden Postrückschein um eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG i.V.m. § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof weiters in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich eines zu führenden Gegenbeweises dargelegt hat, genügt es nicht, bloß zu behaupten, es lägen Zustellmängel vor; diese Behauptung ist vielmehr auch entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen (vgl. u.v. das Erkenntnis vom 5. November 1991, Zl. 91/04/0134, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Es kann dem Beschwerdeführer nicht entgegengetreten werden, wenn er vorbringt, er habe anlässlich seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (im Verfahren zur Zl. 98/04/0111) lediglich aus dem im Akt erliegenden Rückschein geschlossen, dass zeitlich die Durchführung von zwei Zustellversuchen nicht erklärbar sei und daher ein zweiter Zustellversuch unterblieben und die gegenständliche Zustellung rechtsungültig sei. Diese (bloß) aus dem Rückschein gezogene Schlussfolgerung wurde aus den im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juni 1999, Zl. 98/04/0111, dargelegten Gründen nicht geteilt.
Um einen nach der oben dargestellten hg. Rechtsprechung geeigneten Gegenbeweis führen zu können und damit auch dem Tatbestandselement entsprechen zu können, dass die Wiederaufnahme nur dann in Betracht kommt, wenn der Wiederaufnahmegrund allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruchs anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Juni 1993, Zl. 91/10/0107), bedurfte es im vorliegenden Fall eines zusätzlichen Vorbringens. Gerade ein solches, über eine bloße Schlussfolgerung aus dem Postrückschein (als die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich habende öffentliche Urkunde) hinausgehendes Vorbringen wurde im Wiederaufnahmeantrag aber erstattet.
Da die belangte Behörde dies verkannte war der angefochtene Bescheid schon daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. Februar 2001
Schlagworte
Andere rechtliche Beurteilung Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova productaEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000040195.X00Im RIS seit
26.04.2001