TE OGH 2011/5/31 10Ob27/11k

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Veröffentlicht am 31.05.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. O*****, 2. A*****, beide *****, beide vertreten durch Mag. Anna-Maria Freiberger, Rechtsanwältin in Wien, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Parteien ***** R*****, vertreten durch Dr. Helmut Steiner und andere Rechtsanwälte in Baden, gegen die beklagte Partei E*****, vertreten durch Mag. Alexander Kowarsch, Rechtsanwalt in Wies, wegen Feststellung des Bestands und Einverleibung einer Dienstbarkeit (Streitwert 5.800 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 29. Juli 2010, GZ 18 R 217/10f-62, womit das Urteil des Bezirksgerichts Gloggnitz vom 30. September 2009, GZ 3 C 1141/02z-51, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht änderte seinen Ausspruch nachträglich dahingehend ab, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde, weil die Rechtsfrage, ob Verträgen, wie sie zwischen dem F***** L***** und der k***** bzw der S***** GmbH geschlossen wurden, welche unter anderem die Errichtung von Straßen zur Erschließung der Semmering-Region zum Inhalt hatten, entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts Einfluss auf Art und Umfang einer „ungemessenen“ Dienstbarkeit (Verbindungsweg) zukomme, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung einer unzulässigen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Das Ausmaß einer Dienstbarkeit und der Umfang der dem Inhaber zustehenden Befugnisse richten sich nach dem Inhalt des Titels, bei dessen Auslegung insbesondere der Zweck der Dienstbarkeit zu beachten ist (RIS-Justiz RS0011720). Beim Erwerb von Dienstbarkeiten durch Ersitzung kann von der Natur und dem Zweck der „Bestellung“ im wörtlichen Sinn nicht gesprochen werden. Bei ersessenen Dienstbarkeiten kommt es daher darauf an, zu welchem Zweck das dienende Gut während der Ersitzungszeit verwendet wurde, was also der Eigentümer des herrschenden Guts während dieser Zeit benötigte. Es ist somit bei ersessenen Dienstbarkeiten wesentlich, zu welchem Zweck das dienstbare Gut während der Ersitzungzeit verwendet wurde. Die Grenzen der Rechtsausübung sind bei ersessenen Dienstbarkeiten besonders genau zu beachten (RIS-Justiz RS0011664 [T2, T8 und T9]).

Bei sogenannten „ungemessenen“ Dienstbarkeiten - wie im vorliegenden Fall - sind Ausmaß und Umfang der dem Berechtigten zustehenden Befugnisse im Titel nicht eindeutig umschrieben (RIS-Justiz RS0011752 [T2]). Der Umfang einer Wegeservitut richtet sich nach der Kulturgattung und Bewirtschaftungsart des herrschenden Guts im Zeitpunkt der Bestellung oder zu Beginn der Ersitzungszeit der Dienstbarkeit. Nach allgemeinen servitutsrechtlichen Grundsätzen orientiert sich der Inhalt einer ungemessenen Servitut zwar am jeweiligen Bedürfnis des herrschenden Guts, doch findet ein solches Recht seine Grenzen in dessen ursprünglichen Bestand und der ursprünglichen Bewirtschaftungsart (7 Ob 12/07a mwN; RIS-Justiz RS0011691). Eine Servitutsausübung über diesen Rahmen hinaus ist jedenfalls dann unzulässig, wenn sie eine nicht völlig unerhebliche Mehrbelastung des dienenden Grundstücks mit sich bringt (vgl RIS-Justiz RS0016370). Eine (auch einseitige) Abänderung der Benützungsart, etwa zur Anpassung an die fortschreitende technische Entwicklung ist insofern möglich, als es sich um keine Erweiterung der Servitut handelt und weder die dienende Sache noch deren Eigentümer dadurch erheblich beeinträchtigt werden (vgl RIS-Justiz RS0097856). Eine Mehrbelastung infolge einer Kultur- oder Widmungsänderung ist durch § 484 ABGB ausgeschlossen.

1.1 Eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit stellen nach der Rechtsprechung beispielsweise folgende Änderungen der Benützungsart dar: die Eröffnung eines Gewerbebetriebs für Karosseriebau und einer Autolackiererei anstelle einer Kleinwirtschaft und Schuhmacherwerkstätte (SZ 41/48), die Errichtung einer Jausenstation anstelle der Verwendung als Wohnhaus (MietSlg 29.064) sowie die Ausdehnung eines für landwirtschaftliche Zwecke eingeräumten Fahrtrechts auf gewerbliche Zwecke des herrschenden Guts (SZ 42/10). Bei der „ungemessenen“ Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts zugunsten eines Einfamilienwohnhauses stellt die Fremdenzimmervermietung als rein gewerbliche Tätigkeit eine teilweise Änderung der Widmungsart des herrschenden Guts dar, die eine Änderung des Inhalts der Dienstbarkeit nur dann nicht bewirkt, wenn keine erhebliche Mehrbelastung des dienenden Grundstücks entsteht (MietSlg 32.033). Eine unzulässige erhebliche Mehrbelastung ist nach der Rechtsprechung auch dann gegeben, wenn der Eigentümer des herrschenden Guts ausbaut und vier Zimmer an Sommergäste vermietet, die mehrmals am Tag mit ihren Kraftfahrzeugen ab- und zufahren, während früher über den Fahrweg nur Wirtschaftsfuhren und gelegentlich Fahrten des Arztes oder der Rettung unternommen wurden (MietSlg 22.037).

1.2 In der einen mit dem gegenständlichen Fall vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung 5 Ob 667/82 (= SZ 56/46) hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass die „seinerzeit nur für die Benützung des auf dem herrschenden Gut stehenden Hauses eingeräumte Dienstbarkeit des Geh- und Fahrwegs keine Ausweitung durch die seit dem 1. 7. 1978 erfolgte Ausübung des Taxi-Gewerbes durch den Beklagten erfahren dürfe. Gewiss könne ihm (dem Beklagten) auch weiter die Zufahrt und Abfahrt mit seinen Fahrzeugen nicht verwehrt werden. Es sei ihm nur zu untersagen, das dienende Gut in Ausübung seines Taxigewerbes zu befahren, weil die seinerzeit begründete Dienstbarkeit nicht auf gewerbliche Bedürfnisse erweitert werden dürfe, auch wenn die Grundstücke des Klägers nicht stärker in Anspruch genommen würden. Benütze der Beklagte dieselben Fahrzeuge für private Zwecke und für gewerbliche Fahrten werde zwar die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs auf Schwierigkeiten stoßen. Dennoch dürfe es dem Kläger nicht verwehrt werden, einer Ausweitung der Dienstbarkeit für Zwecke der gewerblichen Nutzung des herrschenden Guts rechtzeitig entgegenzutreten, ohne dass deshalb der Vorwurf schikanöser Rechtsausübung berechtigt wäre. …“ (SZ 56/46).

1.3 Auch in der erst in jüngerer Zeit ergangenen Entscheidung 4 Ob 65/08z wurde ausdrücklich auf die zitierte Entscheidung SZ 56/46, in der die Ausübung des Gewerbes eines Taxiunternehmers als unzulässige Erweiterung einer Dienstbarkeit der Zu- und Abfahrt mit Fahrzeugen beurteilt wurde, Bezug genommen, jedoch darauf hingewiesen, dass der in der Entscheidung 4 Ob 65/08z zu beurteilende bloß gelegentliche (nach den Feststellungen fünf bis sieben Mal jährlich) stattfindende Transport von Jagdgästen über das Grundstück des damaligen Klägers mit einer Beanspruchung des dienenden Grundstücks durch ein gewerbliches Taxiunternehmen nicht vergleichbar sei. Auch in weiteren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs wurde eine Änderung von einer bisher privaten auf eine gewerbliche Nutzung des Grundstücks als unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit beurteilt (vgl 4 Ob 58/93 = RdW 1994, 102; SZ 25/304; SZ 5/216).

Ganz allgemein ist darauf hinzuweisen, dass die Frage des Ausmaßes bzw Umfangs einer Dienstbarkeit und die Frage der Grenzen der zulässigen Erweiterung grundsätzlich einzelfallbezogen zu beurteilen sind und daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darstellen (7 Ob 12/07a mwN ua).

2. Im vorliegenden Fall ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig, dass im Umfang der privaten bzw land- bzw forstwirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks der Beklagten für die im Urteilsspruch näher bezeichneten Liegenschaften der Kläger eine ersessene Dienstbarkeit vorliegt. Strittig ist lediglich die Frage, ob die Benutzung des Weges für das seit 1978 am Standort P***** etablierte Taxigewerbe eine unzulässige Erweiterung dieser Wegeservitut darstellt. Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, bei einer ersessenen Wegeservitut, die nur der Benützung zu privaten bzw land- und forstwirtschaftlichen Zwecken der herrschenden Liegenschaften gedient habe, liege eine unzulässige Ausweitung der Servitut und Änderung der ursprünglichen Benützungsart vor, wenn der Weg nunmehr auch für gewerbliche Fahrten in Ausübung des Taxigewerbes in Anspruch genommen wird, hält sich im Rahmen der dargelegten Judikatur und des eingeräumten Ermessensspielraums. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kommt es durch die gewerbliche Nutzung naturgemäß zu einer wesentlich erhöhten Anzahl von Autofahrten auf dem Servitutsweg und damit zu einer ins Gewicht fallenden Mehrbelastung des dienenden Grundstücks. Diese mit dem Betrieb eines Taxiunternehmens verbundene Erhöhung der Nutzungsfrequenz stellt eine offenkundige Mehrbelastung des dienenden Grundstücks dar und musste daher nicht gesondert festgestellt werden. Daran vermag auch der Umstand, dass der Servitutsweg auch von anderen Dienstbarkeitsberechtigten benützt wird und der Winterdienst regelmäßig durch die Gemeinde vorgenommen wird, nichts zu ändern.

2.1 Auch in der weiteren Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Verträge zwischen dem F***** L***** und der k***** vom 20. 1. 1910 bzw mit der S***** GmbH vom 2. 10. 1914, welche unter anderem die Errichtung von Straßen zur Erschließung der Semmering-Region für den Fremdenverkehr zum Inhalt hatten, könnten nicht die Begründung einer Wegeservitut für die gewerbliche Benutzung durch ein Taxiunternehmen rechtfertigen, kann keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden, da sie die gegenständliche Beziehung zwischen den Streitteilen nur mittelbar betreffen und ihnen überdies völlig andere technische Gegebenheiten (sehr geringe Anzahl von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr) zugrunde lagen.

2.2 Soweit die Revisionswerber schließlich unter Bezugnahme auf die Entscheidung 1 Ob 43/10w auf die Bestimmung des § 16 Abs 1 NÖ ROG verweisen, wonach auch in Wohngebäuden die Errichtung von Betrieben zulässig sei, welche in das Ortsbild einer Wohnsiedlung eingeordnet werden könnten, räumen sie selbst ein, dass es zum Zeitpunkt des Beginns der Ersitzungszeit noch kein NÖ ROG gegeben hat. Im Übrigen behandelt die Entscheidung 1 Ob 43/10w die Frage einer vertretbaren Auslegung eines konkreten Dienstbarkeitsvertrags, während im gegenständlichen Fall Ausmaß und Umfang einer ersessenen Dienstbarkeit zu beurteilen ist. Die Grenzen der Rechtsausübung sind aber bei ersessenen Dienstbarkeiten besonders genau zu beachten (7 Ob 12/07a mwN).

2.3 Zusammenfassend stellt daher die Frage, ob die Umstände des Einzelfalls die Annahme der Ersitzung eines Wegerechts zu einem Wohnhaus auch im Umfang des Befahrens dieses Weges in Ausübung des Taxigewerbes rechtfertigen, keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (vgl 2 Ob 194/00v ua).

3. Soweit in der Revision schließlich noch geltend gemacht wird, die Beklagte habe sich erstmals im gegenständlichen Verfahren im Jahr 2008 gegen eine gewerbliche Nutzung des Servitutsweges durch die Kläger ausgesprochen, ist auf die Feststellungen der Tatsacheninstanzen zu verweisen, wonach sich die Beklagte bereits im Jahr 1997 gegen die Nutzung des Weges durch die Kläger wehrte und sie im Jahr 1999 bei einer Verhandlung vor der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen ausdrücklich das Bestehen jeglicher Wegeservitut über ihr Grundstück bestritt. In der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das grundsätzliche Wiedersetzen der Beklagten gegen die Nutzung des Weges durch die Kläger habe auch die gewerbliche Nutzung umfasst und die Kläger könnten sich daher nicht mit Erfolg auf eine ersessene Dienstbarkeit einer gewerblichen Nutzung des Grundstücks der Beklagten berufen, kann ebenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden.

Es werden somit im Rechtsmittel insgesamt keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Eine Kostenentscheidung hatte zu unterbleiben, weil sich die Beklagte am Revisionsverfahren nicht beteiligt hat.

Textnummer

E97471

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0100OB00027.11K.0531.000

Im RIS seit

16.06.2011

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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