Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Werner Hofmann und die Richterin Mag. Martina Elhenicky in der Firmenbuchsache der T*****-G.m.b.H., *****M*****, wegen Erzwingung der Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.03.2010, über die Rekurse der Gesellschaft und des Geschäftsführers M***** P***** gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Korneuburg vom 04.04.2011, 28 Fr 1466/11i-5 und 6, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.
Text
Begründung:
Im Firmenbuch des Landesgerichtes Korneuburg ist zu FN 182150 v die T*****-G.m.b.H. mit dem Sitz in K***** eingetragen. Alleiniger Geschäftsführer ist seit 07.05.1999 M***** P*****. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31.03.
Mit Zwangsstrafverfügungen vom 15.03.2011 verhängte das Landesgericht Korneuburg über die Gesellschaft (ON 1) und den Geschäftsführer (ON 2) jeweils die gemäß § 283 Abs 2 UGB vorgesehene Zwangsstrafe von EUR 700,- wegen nicht rechtzeitiger Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.03.2010.
In ihren dagegen erhobenen, rechtzeitigen und gleich lautenden Einsprüchen brachten die Gesellschaft (ON 3) und der Geschäftsführer (ON 4) Folgendes vor:
„Wir haben in der Vergangenheit massive Probleme in der Buchhaltung erkannt und daher nicht fristgerecht die Bilanz legen können. Die Buchhaltung ist bereinigt und die Abschlussarbeiten des Steuerberaters sind im Finale. Bilanz wird bis 15.04.2011 eingereicht. Personalwechsel war erforderlich.“
Zum Beweis für dieses Vorbringen beriefen sie sich auf die Einvernahme des Zeugen Mag. K***** von der Steuerberatungskanzlei K***** & Partner in ***** S*****.
Mit den angefochtenen Beschlüssen verhängte das Landesgericht Korneuburg im ordentlichen Verfahren neuerlich Zwangsstrafen von je EUR 700,- über die Gesellschaft (ON 5) und den Geschäftsführer (ON 6). In seinen gleichlautenden Begründungen verwies es auf die in §§ 277 - 279 UGB verankerte Pflicht zur Einreichung des Jahresabschlusses spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag und vertrat die Ansicht, „nicht näher präzisierte, in der Vergangenheit liegende massive Probleme in der Buchhaltung (könnten) nicht dazu führen, dass der Offenlegungspflicht nicht mehr, eingeschränkt oder verspätet nachgekommen werden dürfte.“ Die Frist zur Offenlegung nach §§ 277 ff UGB sei eine fixe gesetzliche Frist, die nicht der Disposition des Gerichtes unterliege. Ein Nachweis, dass der Geschäftsführer alles unternommen habe, um die rechtzeitige Erfüllung seiner gesetzlichen Offenlegungspflicht zu gewährleisten, sei nicht erbracht worden.
Gegen diese Beschlüsse richten sich die Rekurse des Geschäftsführers (ON 7) und der Gesellschaft (ON 8) jeweils mit dem Antrag, das Strafverfahren einzustellen.
Die Rekurse sind nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Offenlegungspflicht:
Schon das Erstgericht hat darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften (und gemäß § 283 Abs 7 UGB seit 1.1.2011 auch die Gesellschaften selbst) den Jahresabschluss und Lagebericht sowie gegebenenfalls den Corporate Governance-Bericht spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag mit dem Bestätigungsvermerk oder dem Vermerk über dessen Versagung oder Einschränkung beim Firmenbuchgericht des Sitzes der Gesellschaft einzureichen (offen zu legen) haben. Diese Offenlegungspflicht wurde in Umsetzung einschlägiger EU-Richtlinien (insbesondere der „Publizitätsrichtlinie“ des Rates 68/151/EWG vom 9.3.1968) geschaffen und wird von den Rekurswerbern nicht infrage gestellt. Demnach hätte der hier ausständige Jahresabschluss zum 31.3.2010 spätestens am 31.12.2010 eingereicht werden müssen.
2. Durchsetzung der Offenlegungspflicht:
Das Verfahren zur Durchsetzung der Offenlegungspflicht wurde mit Wirkung ab 1.3.2011 grundlegend reformiert. Gemäß § 283 Abs 1 UGB in seiner am 1.1.2011 in Kraft getretenen Fassung hat nun das Gericht insbesondere die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und gemäß § 283 Abs 7 UGB auch die Gesellschaft selbst zur zeitgerechten Befolgung der Offenlegungspflicht durch Zwangsstrafen von EUR 700,- bis zu EUR 3.600,- anzuhalten. Die Zwangsstrafe ist sofort nach Ablauf der Offenlegungsfrist zu verhängen. Dabei ist nach § 283 Abs 2 UGB so vorzugehen, dass ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung eine Zwangsstrafe von EUR 700,- verhängt wird, wenn die Offenlegung nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgt und auch nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist.
Von einer Zwangsstrafverfügung kann nur abgesehen werden, wenn der Geschäftsführer offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann – soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist – mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegen stand, zugewartet werden.
Gegen die Zwangsstrafverfügung können der Geschäftsführer und die Gesellschaft binnen 14 Tagen Einspruch erheben. Darin sind die Gründe für die Nichtbefolgung der Offenlegungspflicht anzuführen. Mit der rechtzeitigen Erhebung des begründeten Einspruchs tritt die Zwangsstrafverfügung außer Kraft. Über die Verhängung der Zwangsstrafe ist dann im ordentlichen Verfahren mit Beschluss zu entscheiden. Ist nicht mit Einstellung des Zwangsstrafverfahrens vorzugehen, so kann – ohne vorherige Androhung – wieder eine Zwangsstrafe von EUR 700,- bis EUR 3.600,- verhängt werden.
3. Unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis: Welche Einspruchsgründe zur Einstellung des Zwangsstrafverfahrens nach Durchführung des ordentlichen Verfahrens führen können, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber nahe, dass es sich dabei – abgesehen von den hier nicht vorliegenden Fällen der ohnehin rechtzeitigen Offenlegung, des Nichtbestehens einer Offenlegungsverpflichtung oder der dauerhaften Unmöglichkeit der Offenlegung – ebenfalls nur um unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse im Sinn des § 283 Abs 2 UGB handeln kann, die hier zwar nicht offenkundig sein, aber jedenfalls die Organe an der fristgerechten Offenlegung gehindert haben müssen.
Zur Beantwortung der Frage, was unter einem „unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis“ zu verstehen ist, kann auf die reichhaltige Lehre und Rechtsprechung zu § 146 ZPO (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zurückgegriffen werden, wo der selbe Begriff verwendet wird. Auch die Gesetzesmaterialien (981 d.B. XXIV. GP, zu Art 34) verweisen darauf:
Unter Ereignis ist demnach in der Regel jedes Geschehen oder jede Tatsache zu verstehen (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² II/2 § 146 ZPO Rz 4). Unvorhergesehen ist es dann, wenn es die Partei tatsächlich nicht mit einberechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr bzw. ihrem Vertreter persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (subjektiver Maßstab); die Partei muss aber alle ihr zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Prozesshandlung fristgerecht vornehmen zu können. Der Begriff „unvorhergesehen“ ist somit durch den Begriff „unverschuldet“ zu ergänzen (Deixler-Hübner aaO, Rz 6). Mangels einer dem § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO vergleichbaren Bestimmung reicht im Zwangsstrafverfahren – wie bisher (RIS-Justiz RS0123571) - schon ein minderer Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) aus, um die Unvorhersehbarkeit zu beseitigen. Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn sein Eintritt durch die Partei nicht verhindert werden konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (objektives Kriterium; Deixler-Hübner aaO Rz 7).
Das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis muss für die konkrete Versäumung auch kausal sein. Nur wenn die Versäumung ausschließlich auf dieses Ereignis zurückzuführen ist, kann dies einen tauglichen Einspruchsgrund darstellen. Das Organ ist daher verpflichtet, alles zu tun, um trotz des eingetretenen Ereignisses den Jahresabschluss rechtzeitig einzureichen bzw. (durch Hilfsorgane) einreichen zu lassen. Es muss von ihm erwartet werden, dass es dabei alles unternimmt, was ihm persönlich zugemutet werden kann, um die rechtzeitige Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten, wenn auch dabei der Bogen der Zumutbarkeit nicht überspannt werden darf (vgl. zum Wiedereinsetzungsverfahren Deixler-Hübner aaO, RZ 8 mwN; in diesem Sinne, wenn auch mit etwas anderer Begründung, schon die Rechtsprechung zur alten Fassung des § 283 UGB, vgl. wiederum RIS-Justiz RS0123571).
Gelingt es dem Organ trotz aller zumutbarer Bemühungen nicht, den Jahresabschluss rechtzeitig (also 9 Monate nach dem Stichtag) einzureichen bzw. einreichen zu lassen, so ist von ihm wenigstens zu erwarten, dass es das Versäumte unverzüglich nachholt, sobald das Hindernis in Form des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses weggefallen ist. Aus der Bestimmung des § 283 Abs 2 3. Satz UGB, wonach mit der Verhängung einer Zwangsstrafverfügung bis zu vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zugewartet werden kann, ist zu schließen, dass die Offenlegungspflicht nach Wegfall des Hindernisses wieder „auflebt“ (Dokalik/Birnbauer, Das neue Verfahren zur Erzwingung der Offenlegung nach den §§ 277 ff UGB, GesRZ 2011, 24) und binnen vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu erfüllen ist. Offenbar geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine Nachfrist von vier Wochen grundsätzlich ausreicht, um einen ausständigen Jahresabschluss (fertig) zu erstellen und nachzureichen. Auch die Nichteinhaltung der vierwöchigen Nachfrist ab Wegfall des Hindernisses führt also zur Strafverhängung, sofern nicht erneut ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eintritt, welches das Organ auch an der Einhaltung dieser Frist hindert.
4. Vorliegender Fall:
Der Geschäftsführer und die Gesellschaft haben sich in ihren Einsprüchen darauf berufen, dass sie „in der Vergangenheit massive Probleme in der Buchhaltung erkannt und daher nicht fristgerecht die Bilanz legen können“ hätten. Erst in ihrem Rekurs haben sie klargestellt, dass diese „Probleme“ nicht den Jahresabschluss zum 31.3.2010, sondern den vorangehenden Abschluss zum 31.3.2009 betrafen, der am 9.2.2011 eingereicht wurde. Der Geschäftsführer sei bei der Erstellung der Bilanz zum 31.03.2009 auf fehlende und falsche Buchungen gestoßen, die eine genaue Überarbeitung aller Details erforderlich gemacht hätten, was nicht durch die „die Fehler verursachende Kraft“ habe bereinigt werden können. In der Folge habe er eine neue Kraft gesucht, gefunden und mit erheblichem Mehraufwand die Aufarbeitung zur Bilanzreife durchgeführt. Unmittelbar nach der Einreichung des Jahresabschlusses zum 31.03.2009 sei – technisch und fachlich früher nicht möglich – die Aufarbeitung für die gegenständliche Bilanz zum 31.03.2010 durchgeführt worden, die letztlich am 12.4.2011 eingereicht wurde.
Es mag nun sein, dass die – auch im Rekurs nicht weiter konkretisierten - „massiven Probleme in der Buchhaltung“ für den Geschäftsführer und die Gesellschaft ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dargestellt haben, das sie ohne ihr Verschulden daran hinderte, den Jahresabschluss zum 31.3.2009 rechtzeitig einzureichen. Ob die Probleme tatsächlich so gravierend waren, dass sie eine Verzögerung von mehr als einem Jahr rechtfertigen (der Jahresabschluss zum 31.3.2009 hätte spätestens am 31.12.2009 eingereicht werden müssen!), kann hier aber dahingestellt bleiben, weil sich die Zwangsstrafen, gegen die sich die vorliegenden Rekurse richten, nicht auf diesen Jahresabschluss beziehen.
Grund für die Strafverhängung ist vielmehr die verspätete Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.3.2010. Auch wenn man dem Rekurs folgend davon ausgeht, dass mit dessen Erstellung erst nach Einreichung des vorangegangenen Abschlusses am 9.2.2011 begonnen werden konnte, hätte die oben erörterte vierwöchige Nachfrist bereits am 9.3.2011 geendet und war daher bereits zum Zeitpunkt der Verhängung der Strafverfügungen am 15.3.2011 abgelaufen. Auf ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das sie an der Einhaltung dieser Nachfrist gehindert hätte, haben sich die Gesellschaft und der Geschäftsführer weder im Einspruch noch im Rekurs berufen. Das Erstgericht hat daher zu Recht Zwangsstrafen über sie verhängt.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nach §§ 15 FBG, 62 Abs 1 AußStrG zulässig, weil die Verhängung einer Zwangsstrafe nach herrschender Ansicht keine rein vermögensrechtliche Angelegenheit im Sinne des § 62 Abs 4 AußStrG ist (vgl. G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 15 Rz 224) und zur Neufassung des § 283 UGB, insbesondere zur aus dessen Abs 2 ableitbaren vierwöchigen Nachfrist nach Wegfall des Hindernisses, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt.
Textnummer
EW0000516European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0009:2011:00400R00143.11W.0607.000Im RIS seit
23.09.2011Zuletzt aktualisiert am
23.09.2011