TE OGH 2011/6/7 12Os51/11h

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Veröffentlicht am 07.06.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Varga als Schriftführer in der Strafsache gegen Hector C***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Yasar M***** sowie über die Berufung des Kemo S***** gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 28. Dezember 2010, GZ 9 Hv 108/10f-86, und über die Beschwerde des Kemo S***** gegen den Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen wegen der Aussprüche über die Strafe sowie über die Beschwerde werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Einziehung der „sichergestellten Suchtgiftutensilien“ aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.

Dem Angeklagten Yasar M***** fallen auch die auf sein Rechtsmittel entfallenden Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche nach dem Suchtmittelgesetz betreffend Hector C***** und Kemo S***** sowie eine entgegen § 443 Abs 1 StPO (auch idF BGBl I Nr 93/2007) in Beschlussform anstatt im Strafurteil angeordnete Abschöpfung der Bereicherung und ein Einziehungserkenntnis enthält, wurde Yasar M***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./A./2./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./B./) schuldig erkannt.

Danach haben Hector C*****, Yasar M***** und Kemo S***** in St. Pölten und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Cannabiskraut von zumindest durchschnittlichem Wirkstoffgehalt („Straßenqualität“),

I./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge

A./ anderen überlassen bzw zu überlassen versucht, wobei sie die Straftat in Bezug auf Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Gesamtmenge begingen, und zwar

...

2./ Hector C***** und Yasar M***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter im Zeitraum zwischen März 2009 bis Juli 2010 durch Verkauf von im Einzelnen nicht exakt feststellbaren Teilmengen an Schero A*****, Juan Ce*****, Donald W*****, Dominik B*****, Monir Sü*****, Michael Z***** und andere unbekannt gebliebene Abnehmer in wiederholten Angriffen eine Gesamtmenge von zumindest 22.000 Gramm brutto (= 1.100 Gramm Reinsubstanz THC);

...

II./ ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen, und zwar

...

B./ Yasar M***** in einem Angriff zu einem nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2009;

...

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte Yasar M***** rechtzeitig Nichtigkeitsbeschwerde an, die er nicht ausführte. Da auch bei deren Anmeldung keiner der in § 281 Abs 1 Z 1 bis 11 StPO oder in § 281a StPO angegebenen Nichtigkeitsgründe bestimmt und deutlich bezeichnet wurde, war die nicht ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO).

Die ausgeführte Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war ebenfalls zurückzuweisen, weil dieses Rechtsmittel gegen kollegialgerichtliche Urteile nicht vorgesehen ist (§§ 280, 283 Abs 1 StPO).

Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Yasar M***** wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie über die Berufung wegen Strafe und die implizite Beschwerde gegen den Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) des Angeklagten Kemo S***** (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugt, dass das - entgegen § 443 Abs 1 StPO (auch idF BGBl I Nr 93/2007) in Beschlussform anstatt im Strafurteil ergangene - Einziehungserkenntnis, das sich mangels Einschränkung auf alle vom Strafurteil betroffenen Angeklagten bezieht, in Ansehung nicht näher bezeichneter „Suchtgiftutensilien“ zum Nachteil des Angeklagten Yasar M*****, aber auch der Mitangeklagten Hector C***** und Kemo S***** mit Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO behaftet ist (Ratz in WK2 § 26 Rz 18).

Einziehung setzt nach § 26 Abs 1 StGB voraus, dass die vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an (Ratz in WK² § 26 Rz 6), die in Ansehung von im Urteil nicht näher individualisierten und konkretisierten „sichergestellten Suchtgiftutensilien“ (vgl Lendl, WK-StPO § 260 Rz 35; Tipold, WK-StPO § 443 Rz 19) derzeit überhaupt nicht beurteilt werden kann (RIS-Justiz RS0121298, RS0090389; 14 Os 135/02). Selbst im Fall einer bestehenden Deliktstauglichkeit wäre dem Berechtigten vor einer Einziehung im Sinn des § 26 Abs 2 StGB angemessene Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit zu beseitigen (Ratz in WK2 § 26 Rz 15). Feststellungen zur Begehung welcher strafbarer Handlungen welche „Suchtgiftutensilien“ verwendet wurden bzw bestimmt waren sowie zu deren besonderen Beschaffenheit und Möglichkeiten der Beseitigung einer allenfalls gegebenen besonderen Deliktstauglichkeit enthält das Urteil nicht.

Diese Nichtigkeit war vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen zu Gunsten aller drei Angeklagter aufzugreifen (§§ 285e erster Fall, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten Yasar M***** gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Kosten für das amtswegige Einschreiten des Obersten Gerichtshofs fallen ihm nicht zur Last (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E97562

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00051.11H.0607.000

Im RIS seit

28.06.2011

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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