Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. R***** P*****, 2. M***** P*****, 3. Mag. S***** P*****, alle vertreten durch Doschek Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. A***** B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen Dr. Johannes Hock jun Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 128.279,70 EUR sA und Räumung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16. November 2010, GZ 41 R 192/09b-37, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 18. Juni 2009, GZ 43 C 357/04a-34, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die klagenden Parteien sind Mehrheitseigentümer einer Liegenschaft. Die beklagte Partei ist Mieterin von Büroräumen, einer Verkaufsfläche und von zwei Ausstellungsplätzen im Ausmaß von 560 m² und 420 m². Ein weiterer 27/168-Anteil steht im Eigentum von I***** P*****.
Die beklagte Partei bezahlt monatlich 785 EUR Mietzins. Die Kläger begehren unter Berufung auf eine Rechtsnachfolge auf Mieterseite angemessenen Mietzins in Höhe von 128.279,70 EUR sowie Räumung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mangels Aktivlegitimation der Kläger ab, weil nicht sämtliche Miteigentümer der Liegenschaft als Kläger auftraten.
Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Erstgericht habe die Aktivlegitimation zur Geltendmachung des Räumungsanspruchs zu Unrecht verneint. Dieser könne auch vom Mehrheitseigentümer geltend gemacht werden. Hingegen könne Mietzins von mehreren Eigentümern grundsätzlich nur gemeinsam gefordert werden. Hätten die Kläger tatsächlich die Liegenschaft verwaltet, so sei deren Aktivlegitimation zu bejahen. Diesbezüglich seien jedoch nähere Feststellungen erforderlich.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil keine oberstgerichtliche Judikatur zur Frage vorliege, ob ein verwaltender Mehrheitseigentümer zur Geltendmachung des Mietzinses gegenüber dem Mieter derart berechtigt sei, dass er die Zahlung an sich begehre und der Mieter durch diese Zahlung seine Schuld „an die ganze Gemeinschaft oder an jenen, der sie ordentlich vorstellt“ (§ 848 ABGB), abtrage.
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Nach § 848 Satz 3 ABGB müssen Schulden, die gegenüber einer Gemeinschaft bestehen, an die ganze Gemeinschaft oder an jenen abgetragen werden, der sie ordentlich vorstellt. Forderungen einer Gemeinschaft sind daher Gesamthandforderungen iSd § 890 ABGB (RIS-Justiz RS0013874).
1.2. Mangels einer gegenteiligen Vereinbarung kann bei Gesamthandforderungen die Leistung nur an alle begehrt werden (RIS-Justiz RS0017321). Bei Gesamthandforderungen ist der Schuldner zur Leistung an einzelne Mitgläubiger - auch wenn diese die Mehrheit darstellen - nur „gegen Sicherstellung“ verpflichtet. Diese Sicherstellung besteht nach herrschender Auffassung im Nachweis der Übereinkunft aller Gläubiger oder im Begehren auf Hinterlegung zugunsten aller Gläubiger (JBl 1980, 318; 8 Ob 527/90 ecolex 1991, 534; Gamerith in Rummel, ABGB3 § 890 Rz 4; Sailer in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB³ § 848 Rz 2; Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 890 Rz 3 ff). Wenn der einzelne Miteigentümer die Zustimmung der übrigen Miteigentümer nachweist, kann die Mietzinsforderung auch von einem einzelnen Miteigentümer an sich selbst begehrt werden (Perner aaO Rz 4 ff mwN).
2. Die Bestimmung des § 848 ABGB ist jedoch dispositiv; die Teilhaber können einzelne von ihnen zur Empfangnahme bevollmächtigen bzw kann einer die Forderung (intern) auf seinen Anteil übernehmen, wodurch er die Gemeinschaft „ordentlich vorstellt“ iSd § 848 S 3 ABGB (1 Ob 1585, 1586/95; JBl 2000, 511; Klang in Klang² III 1142; Sailer in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3 § 848 Rz 2; Gamerith in Rummel, ABGB3 § 848 Rz 5a und 6).
3.1. Diese Grundsätze gelten auch für Mietzinsforderungen (Egglmeier/Gruber/Sprohar in Schwimann, ABGB3 § 848 Rz 3; vgl auch H. Böhm in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON § 833 Rz 41). Mehrere Miteigentümer können den Mietzins daher grundsätzlich nur gemeinsam einfordern (RIS-Justiz RS0013874 [T4, T6, T10]). Nur dann, wenn von einem Miteigentümer die Liegenschaftsverwaltung geführt wird, ist der Mietzins an ihn abzuführen. Er handelt bei Einforderung des Mietzinses als Machthaber der Teilgenossen (7 Ob 600/56 = RIS-Justiz RS0015784).
3.2. Die klagsweise Geltendmachung eines Mietzinsrückstands stellt eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung dar (Gamerith in Rummel, ABGB3 § 833 Rz 5; Egglmeier/Gruber/Sprohar in Schwimann, ABGB³ § 833 Rz 21; vgl SZ 17/49), zu deren Vornahme der Mehrheitseigentümer berechtigt ist (9 Ob 91/06g). Daran ändert nach der Rechtsprechung auch die Bestellung eines Hausverwalters nichts (5 Ob 321/99p wobl 2000/41 [Prader]; 7 Ob 198/00s MietSlg 52.576/22).
4.1. Davon zu trennen ist die Frage, an wen die Leistung begehrt werden kann. Die Aktivlegitimation betrifft lediglich die Frage, wer überhaupt zur klagsweisen Geltendmachung berechtigt ist, sagt aber noch nichts darüber aus, an wen der beklagte Mieter zur Leistung zu verpflichten ist (Perner aaO Rz 4, Egglmeier/Gruber/Sprohar in Schwimann, ABGB3 § 848 Rz 3).
4.2. Nach ständiger Rechtsprechung können einzelne Miteigentümer (Mitgläubiger) die Zahlung von Mietzinsforderungen an sich selbst grundsätzlich nur dann verlangen, wenn sie die Zustimmung der übrigen nachweisen; sonst besteht nur ein Anspruch auf Hinterlegung zugunsten aller Gläubiger (8 Ob 551/87 = MietSlg 39.064; 8 Ob 527/90 = ecolex 1991, 534; LGZ Wien in MietSlg 41.050 und 41.161 [bestätigt in 2 Ob 540/90]; 10 Ob 2445/96y).
In der Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien MietSlg 55.073 wurde der dort klagende Mehrheitseigentümer für berechtigt erachtet, die Zahlung des ausständigen Mietzinses an die Hausverwaltung auf deren Hausverwalter-Konto zu begehren.
4.3. Die klagenden Parteien berufen sich darauf, sie seien „verwaltende“ Miteigentümer, sodass die von ihnen begehrte Leistung auch sämtlichen Miteigentümern zukomme. Die Richtigkeit dieser Behauptung wurde jedoch vom Erstgericht aufgrund seiner unrichtigen Rechtsansicht bisher nicht überprüft. Zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO) erblickte das Berufungsgericht im Fehlen diesbezüglicher Feststellungen eine (sekundäre) Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die zur Aufhebung des Urteils führt.
4.4. Der Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichts, das Erstgericht habe Feststellungen dahin zu treffen, wer - und aufgrund welcher Vereinbarungen - konkret die Verwaltung der Liegenschaft führe, ist daher aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Dabei ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass - wie die klagenden Parteien behaupten - I***** P***** ihren Anteil an die klagenden Parteien übertragen hat, noch nichts über die Stellung der klagenden Parteien als verwaltende Miteigentümer in der Vergangenheit aussagt.
Die weitwendigen Rekursausführungen betreffen in Wahrheit nicht die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, sondern die Frage, ob den Klägern in tatsächlicher Hinsicht Verwalterstellung zukommt und durch ihr Einschreiten eine Gefahr für die nicht als Klägerin auftretende seinerzeitige Minderheitseigentümerin besteht. Auf diese Ausführungen einzugehen, ist dem Obersten Gerichtshof, der nur Rechts-, nicht auch Tatsacheninstanz ist, jedoch verwehrt.
5.1. Entgegen der Rechtsansicht der beklagten Partei hat das Berufungsgericht zu Recht bereits jetzt zur Aktivlegitimation auch in Ansehung des Räumungsbegehrens Stellung genommen. Wenngleich bei Geltendmachung eines Mietzinsrückstands und eines Räumungsbegehrens vor einer Stattgebung des Räumungsbegehrens grundsätzlich erst ein Teilurteil über den Mietzinsrückstand gefällt werden muss (vgl RIS-Justiz RS0111942), hat das Erstgericht im vorliegenden Fall das Zahlungs- und das Räumungsbegehren abgewiesen, sodass das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss auf die Frage der Aktivlegitimation für beide Begehren einzugehen hatte.
5.2. Die Räumung gehört nach herrschender Ansicht als Sonderfall des § 890 Satz 2 ABGB zu den „Leistungen, die ihrer Natur nach alle Mitgläubiger befriedigen“ (Gschnitzer in Klang² IV/1 289; Gamerith in Rummel, ABGB3 § 890 Rz 5; G. Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON § 890 Rz 11; Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang, ABGB3 § 890 Rz 11; ausdrücklich zum Räumungsbegehren auch EvBl 1961/19). Die Leistung des Schuldners stellt notwendigerweise zugleich eine Leistung an alle dar. Wird ein Objekt, auf dessen Räumung mehrere Gläubiger einen Anspruch haben, tatsächlich geräumt, so wird eben an alle geleistet. Daher gibt es in einem derartigen Fall niemals das Erfordernis der Sicherstellung (Gamerith in Rummel, ABGB3 § 848 Rz 5b; Apathy/Riedler in Schwimann, ABGB³ § 890 Rz 14; Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang, ABGB3 § 890 Rz 11 mwN; Parapatits in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON § 848 Rz 7 mwN). Dies entspricht der gefestigten Judikatur (RIS-Justiz RS0013441 [T6]), an der der Oberste Gerichtshof auch in neuerer Zeit ausdrücklich festgehalten hat (9 Ob 67/09g).
5.3. Dies ändert freilich nichts daran, dass die Berechtigung des Räumungsbegehrens im vorliegenden Fall das Bestehen eines Mietzinsrückstands voraussetzt. Sollte sich daher im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass die Kläger mangels Verwalterstellung nicht zur Geltendmachung von Mietzins berechtigt sind, wäre - anders als bei einer Räumungsklage wegen titelloser Benützung (vgl zB MietSlg 42.056) - auch dem Räumungsbegehren die Grundlage entzogen (vgl 10 Ob 2445/96y).
6. Weil bei Mietzinsforderungen die Geltendmachung ohnedies stets zumindest durch die Mehrheit der Eigentümer erfolgen muss, stellt sich im vorliegenden Zusammenhang nicht das Problem, dass die Annahme einer weitgehenden „Einzelklagebefugnis“ von Miteigentümern den Beklagten dem Risiko einer mehrfachen Inanspruchnahme durch mehrere Miteigentümer aussetzen würde, was unter dem Aspekt der prozessualen Waffengleichheit (vgl dazu Fasching in Fasching/Konecny² II/1 Einl Rz 64) bedenklich wäre (dazu G. Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON § 890 Rz 14).
7. Damit erweist sich die Entscheidung des Berufungsgerichts als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.
8. Für einen von der beklagten Partei weiters angestrebten Auftrag an das Erstgericht im Zusammenhang mit einem nach dem Vorbringen der Revisionswerberin noch nicht entschiedenen Parallelverfahren besteht im vorliegenden Verfahren kein Raum, ist Entscheidungsgegenstand des Rekursverfahrens nach § 519 Abs 2 ZPO doch lediglich die Überprüfung des angefochtenen Aufhebungsbeschlusses des Berufungsgerichts.
9. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Schlagworte
Streitiges WohnrechtTextnummer
E97907European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00032.11S.0616.000Im RIS seit
12.08.2011Zuletzt aktualisiert am
13.02.2013