TE OGH 2011/6/21 4R261/11y

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Veröffentlicht am 21.06.2011
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Werner Hofmann und die Richterin Mag. Martina Elhenicky in der Firmenbuchsache der C***** *****Gesellschaft mbH, 1190 Wien, Grinzinger Straße 87, wegen Offenlegung des Jahresabschlusses zum 31.12.2002, über den Rekurs der Gesellschaft und der Geschäftsführerin ***** gegen die Beschlüsse des Handelsgerichtes Wien vom 29.4.2011, 75 Fr 4676/11x-3 und 4, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss so abgeändert, dass er zu lauten hat:

Das Zwangsstrafverfahren gegen die Gesellschaft und die Geschäftsführerin ***** wegen Offenlegung des Jahresabschlusses zum 31.12.2002 wird eingestellt.

Text

Begründung:

Im Firmenbuch des Handelsgerichtes Wien ist zu FN 138278a die C***** *****Gesellschaft mbH mit dem Sitz in Wien eingetragen. Alleinige Geschäftsführerin ist seit 18.10.1995 *****. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31. Dezember.

Mit Zwangsstrafverfügungen vom 18.3.2011 verhängte das Handelsgericht Wien über die Gesellschaft (ON 1) und die Geschäftsführerin (ON 2) jeweils die gemäß § 283 Abs 2 UGB vorgesehene Zwangsstrafe von EUR 700,-- wegen nicht rechtzeitiger Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.12.2002. Sämtliche später fälligen Jahresabschlüsse waren bereits eingereicht. Die Strafverfügungen wurden am 22.3.2011 zugestellt.

In ihren dagegen erhobenen, rechtzeitigen Einsprüchen (ON 2a und 2b) beriefen sich die Gesellschaft und die Geschäftsführerin übereinstimmend auf ein beigelegtes Schreiben ihres Steuerberaters. Daraus geht hervor, dass die Steuerberatungskanzlei C***** seit 1997 regelmäßig und fristgerecht die Jahresabschlüsse der Gesellschaft dem Firmenbuch gemeldet habe. Das Fehlen der Bilanz 2002 sei mangels früherer Mahnung oder Strafandrohung durch das Firmenbuchgericht erst nach Erhalt der Strafverfügungen aufgefallen. Die – infolge Ablaufs der 7jährigen Aufbewahrungsfrist schwierigen – Recherchen des Steuerberaters hätten ergeben, dass die Bilanzunterlagen zum 31.12.2002 samt Beilagen am 19.9.2003 per Post an das Firmenbuch gesandt worden seien. Zum Beleg dafür wurden Kopien des Postausgangsbuchs und der Firmenbuch-Überwachungsliste der Steuerberatungskanzlei vorgelegt.

Am 4.4.2011 wurde der ausständige Jahresabschluss zum 31.12.2002 nachgereicht.

Mit den angefochtenen Beschlüssen verhängte das Handelsgericht Wien im ordentlichen Verfahren trotzdem neuerlich Zwangsstrafen von EUR 700,-- über die Geschäftsführerin (ON 3) und die Gesellschaft (ON 4). In den gleich lautenden Begründungen führte es aus, dass die Organe der Kapitalgesellschaft alles in ihrer Macht stehende tun müssten, um ihrer Offenlegungspflicht nachzukommen. Das Abschicken des Jahresabschlusses mit der Post sei nicht ausreichend; sie müssten sich auch davon überzeugen, dass er tatsächlich bei Gericht eingelangt sei.

Gegen diese Beschlüsse richtet sich der Rekurs der Gesellschaft und der Geschäftsführerin mit dem Antrag, das Verfahren einzustellen.

Die Rekurse sind berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Offenlegungspflicht:

Gemäß § 283 Abs 7 UGB haben die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften (und seit 1.1.2011 auch diese Gesellschaften selbst) den Jahresabschluss und Lagebericht sowie gegebenenfalls den Corporate Governance-Bericht spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag mit dem Bestätigungsvermerk oder dem Vermerk über dessen Versagung oder Einschränkung beim Firmenbuchgericht des Sitzes der Gesellschaft einzureichen (offen zu legen). Diese Offenlegungspflicht, die in Umsetzung einschlägiger EU-Richtlinien (insbesondere der „Publizitätsrichtlinie“ des Rates 68/151/EWG vom 9.3.1968) geschaffen wurde, wird von den Rekurswerbern nicht infrage gestellt; sie berufen sich vielmehr darauf, den Jahresabschluss 2002 ohnehin rechtzeitig offen gelegt zu haben.

2. Durchsetzung der Offenlegungspflicht:

Das Verfahren zur Durchsetzung der Offenlegungspflicht wurde mit Wirkung ab 1.3.2011 grundlegend reformiert. Gemäß § 283 Abs 1 UGB in seiner am 1.1.2011 in Kraft getretenen Fassung hat nun das Gericht insbesondere die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und gemäß § 283 Abs 7 UGB auch die Gesellschaft selbst zur zeitgerechten Befolgung der Offenlegungspflicht durch Zwangsstrafen von EUR 700,- bis zu EUR 3.600,- anzuhalten. Die Zwangsstrafe ist sofort nach Ablauf der Offenlegungsfrist zu verhängen. Dabei ist nach § 283 Abs 2 UGB so vorzugehen, dass ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung eine Zwangsstrafe von EUR 700,- verhängt wird, wenn die Offenlegung nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgt und auch nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist.

Von einer Zwangsstrafverfügung kann nur abgesehen werden, wenn der Geschäftsführer offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann – soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist – mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegen stand, zugewartet werden.

Gegen die Zwangsstrafverfügung können der Geschäftsführer und die Gesellschaft binnen 14 Tagen Einspruch erheben. Darin sind die Gründe für die Nichtbefolgung der Offenlegungspflicht anzuführen. Mit der rechtzeitigen Erhebung des begründeten Einspruchs tritt die Zwangsstrafverfügung außer Kraft. Über die Verhängung der Zwangsstrafe ist dann im ordentlichen Verfahren mit Beschluss zu entscheiden. Ist nicht mit Einstellung des Zwangsstrafverfahrens vorzugehen, so kann – ohne vorherige Androhung – wieder eine Zwangsstrafe von EUR 700,- bis EUR 3.600,- verhängt werden.

3. Unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis:               Welche Einspruchsgründe zur Einstellung des Zwangsstrafverfahrens nach Durchführung des ordentlichen Verfahrens führen können, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber nahe, dass es sich dabei – abgesehen von den Fällen der ohnehin rechtzeitigen Offenlegung, des Nichtbestehens einer Offenlegungsverpflichtung oder der dauerhaften Unmöglichkeit der Offenlegung – wieder nur um unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse im Sinn des § 283 Abs 2 UGB handeln kann, die hier zwar nicht offenkundig sein, aber jedenfalls die Organe an der fristgerechten Offenlegung gehindert haben müssen.

Zur Beantwortung der Frage, was unter einem „unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis“ zu verstehen ist, kann auf die reichhaltige Lehre und Rechtsprechung zu § 146 ZPO (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zurückgegriffen werden, wo der selbe Begriff verwendet wird. Auch die Gesetzesmaterialien (981 dB XXIV GP, zu Art 34) verweisen darauf:

Unter Ereignis ist demnach in der Regel jedes Geschehen oder jede Tatsache zu verstehen (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² II/2 § 146 ZPO Rz 4). Unvorhergesehen ist es dann, wenn es die Partei tatsächlich nicht mit einberechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr bzw. ihrem Vertreter persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (subjektiver Maßstab); die Partei muss aber alle ihr zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Prozesshandlung fristgerecht vornehmen zu können. Der Begriff „unvorhergesehen“ ist somit durch den Begriff „unverschuldet“ zu ergänzen (Deixler-Hübner aaO, Rz 6). Mangels einer dem § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO vergleichbaren Bestimmung reicht im Zwangsstrafverfahren – wie bisher (RIS-Justiz RS0123571) - schon ein minderer Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) aus, um die Unvorhersehbarkeit zu beseitigen. Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn sein Eintritt durch die Partei nicht verhindert werden konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (objektives Kriterium; Deixler-Hübner aaO Rz 7).

Das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis muss für die konkrete Versäumung auch kausal sein. Nur wenn die Versäumung ausschließlich auf dieses Ereignis zurückzuführen ist, kann dies einen tauglichen Einspruchsgrund darstellen. Das Organ ist daher verpflichtet, alles zu tun, um trotz des eingetretenen Ereignisses den Jahresabschluss rechtzeitig einzureichen bzw. (durch Hilfsorgane) einreichen zu lassen. Es muss von ihm erwartet werden, dass es dabei alles unternimmt, was ihm persönlich zugemutet werden kann, um die rechtzeitige Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten, wenn auch dabei der Bogen der Zumutbarkeit nicht überspannt werden darf (vgl. zum Wiedereinsetzungsverfahren Deixler-Hübner aaO, RZ 8 mwN; in diesem Sinne, wenn auch mit etwas anderer Begründung, schon die Rechtsprechung zur alten Fassung des § 283 UGB, vgl. wiederum RIS-Justiz RS0123571).

Gelingt es dem Organ trotz aller zumutbarer Bemühungen nicht, den Jahresabschluss rechtzeitig (also 9 Monate nach dem Stichtag) einzureichen bzw. einreichen zu lassen, so ist von ihm wenigstens zu erwarten, dass es das Versäumte unverzüglich nachholt, sobald das Hindernis in Form des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses weggefallen ist. Aus der Bestimmung des § 283 Abs 2 3. Satz UGB, wonach mit der Verhängung einer Zwangsstrafverfügung bis zu vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zugewartet werden kann, ist zu schließen, dass die Offenlegungspflicht nach Wegfall des Hindernisses wieder „auflebt“ (Dokalik/Birnbauer, Das neue Verfahren zur Erzwingung der Offenlegung nach den §§ 277 ff UGB, GesRZ 2011, 24), sodass auch eine Säumnis nach Wegfall des Hindernisses zur Strafverhängung führt. Das Verfahren kann nur eingestellt werden, wenn der Gesellschaft und ihren Organen zum Zeitpunkt der Entscheidung keinerlei Säumnis vorgeworfen werden kann; dies setzt voraus, dass ein ausständiger Jahresabschluss innerhalb der vierwöchigen Nachfrist nach Wegfall des Hindernisses nachgereicht wird.

4. Vorliegender Fall:

Die Rekurswerber haben schon in ihren Einsprüchen dargelegt und auch in ihrem Rekurs ausgeführt, dass der Jahresabschluss 2002 fristgerecht am 19.3.2003 per Post an das Handelsgericht Wien gesandt worden sei. In der Folge seien sie – anders als in allen anderen Verspätungsfällen - nicht vom Gericht gemahnt worden, den fehlenden Jahresabschluss nachzureichen, weshalb sie darauf vertrauen können hätten, dass die Unterlagen bei Gericht eingelangt seien.

Auch ein unverschuldeter Irrtum kann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen (RIS-Justiz RS0036742). Ein solcher Irrtum ist den Rekurswerbern hier zu Gute zu halten. Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass der fehlende Jahresabschluss offenbar tatsächlich am 19.3.2003 zur Post gegeben wurde; warum er dann nie zum Firmenbuchakt gelangte, ist ungeklärt, lag aber offenbar nicht im Verantwortungsbereich der Gesellschaft, der Geschäftsführerin oder des Steuerberaters. Da die Geschäftsführerin in den folgenden Jahren – entgegen den damaligen Gepflogenheiten der Firmenbuchgerichte - niemals aufgefordert wurde, die fehlende Bilanz nachzureichen, hatte sie auch keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass der Jahresabschluss zum 31.12.2002 eingereicht worden war. Dies umso mehr, als ein Jahr später der Jahresabschluss zum 31.12.2003 anstandslos eingetragen wurde, was gemäß § 223 Abs 2 UGB eigentlich das Vorliegen und die Offenlegung des vorangehenden Jahresabschlusses voraussetzte, schreibt doch diese Bestimmung die zwingende Angabe von Vorjahreszahlen im Jahresabschluss vor. Ohne Aufforderung des Gerichts - die nach der bis 31.12.2010 geltenden Rechtslage auch unbedingte Voraussetzung für die Verhängung einer Zwangsstrafe gewesen wäre - hatte die Geschäftsführerin folglich auch keine Veranlassung, durch eine (per Internet grundsätzlich jederzeit mögliche, aber kostenpflichtige) Nachschau im elektronischen Firmenbuch zu überprüfen, ob der Jahresabschluss 2002 tatsächlich eingereicht worden war.

Mit Inkrafttreten der Neufassung des § 283 Abs 1 UGB am 1.1.2011 fiel zwar das Erfordernis einer Aufforderung weg, doch musste die Geschäftsführerin mangels irgendwelcher Anhaltspunkte auch weiterhin nicht damit rechnen, dass ein Jahresabschluss zu einem derart weit zurück liegenden Stichtag noch ausständig sein könnte. Zu diesem Zeitpunkt war sie ja nicht einmal mehr verpflichtet, den betreffenden Jahresabschluss samt Belegen aufzubewahren, dauert doch die Aufbewahrungsfrist gemäß § 212 UGB nur sieben Jahre ab dem Schluss des Kalenderjahres, für das der Jahresabschluss festgestellt worden ist, und endete folglich im vorliegenden Fall am 31.12.2009. Hätten die Geschäftsführerin oder der Steuerberater nach diesem Datum die Unterlagen zulässiger Weise vernichtet, wäre schon wegen dauerhafter Unmöglichkeit der Vorlage keine Strafe zu verhängen gewesen. Auch so durften alle Beteiligten aber weiterhin davon ausgehen, dass sämtliche fälligen Jahresabschlüsse eingereicht waren.

Dieser als unvorhersehbares Ereignis zu qualifizierende Irrtum fiel erst mit Zustellung der Zwangsstrafverfügungen am 22.3.2011 weg. Schon am 4.4.2011 und somit deutlich innerhalb der aus § 283 Abs 2 UGB abzuleitenden vierwöchigen Nachfrist legten sie den ausständigen Jahresabschluss vor. Da ihnen somit keine Säumnis vorzuwerfen ist, wurden die Zwangsstrafen zu Unrecht verhängt.

In Stattgebung des Rekurses ist daher das Zwangsstrafverfahren einzustellen. Im Übrigen ist das Rekursgericht der Ansicht, dass in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden, wo nur ein einziger, mehr als 7 Jahre zurück liegender Jahresabschluss ausständig ist, der niemals eingemahnt wurde, schon aus grundsätzlichen Erwägungen keine Zwangsstrafe verhängt werden darf. An der Offenlegung von Jahresabschlüssen, die nach § 212 UGB nicht einmal mehr aufbewahrt werden müssen, kann auch aus Sicht der Publizitätsrichtlinie nur noch ein stark vermindertes oder überhaupt kein Interesse mehr bestehen. Unter diesen Umständen wird aber der in der Verhängung einer Zwangsstrafe gelegene Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum unverhältnismäßig und verstößt folglich gegen Art 1 Abs 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Art 5 des Staatsgrundgesetzes von 1867. In verfassungskonformer Interpretation des § 283 UGB bzw. der Übergangsbestimmung des § 906 Abs 23 UGB ist daher in Fällen wie diesem von der Verhängung von Strafen abzusehen.

Textnummer

EW0000511

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2011:00400R00261.11Y.0621.000

Im RIS seit

11.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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