Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Werner Hofmann und die Richterin Mag. Martina Elhenicky in der Firmenbuchsache der C***** Ges.m.b.H., *****Wien, ***** wegen Offenlegung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009, über den Rekurs der Geschäftsführerin G***** K***** gegen den Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 4.5.2011, 74 Fr 6358/11m-4, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.
Text
Begründung:
Im Firmenbuch des Handelsgerichtes Wien ist zu FN ***** die C***** Ges.m.b.H. mit dem Sitz in Wien eingetragen. Alleinige Geschäftsführerin ist seit 5.5.2010 G***** K*****. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31. Dezember.
Mit Zwangsstrafverfügungen vom 24.3.2011 verhängte das Handelsgericht Wien über die Gesellschaft (ON 1) und die Geschäftsführerin (ON 2) jeweils die gemäß § 283 Abs 2 UGB vorgesehene Zwangsstrafe von EUR 700,-- wegen nicht rechtzeitiger Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.12.2009.
In ihrem dagegen – erkennbar auch im Namen der Gesellschaft – erhobenen Einspruch (ON 3) brachte die Geschäftsführerin vor, dass sie laut einem beiliegenden ERV-Protokoll vom 24.2.2011 die „gegenständliche Bilanz“ sehr wohl eingereicht habe. Aus dem beigelegten Sendeprotokoll geht hervor, dass am 24.2.2011 um 9.09 Uhr vier offenbar zum Jahresabschluss 2009 der Gesellschaft gehörige pdf-Dokumente als Beilagen zu einem Antrag gesendet wurden.
Mit dem angefochtenen Beschluss verhängte das Handelsgericht Wien im ordentlichen Verfahren über die Geschäftsführerin – offenbar irrtümlich davon ausgehend, dass nur diese einen Einspruch erhoben habe – neuerlich eine Zwangsstrafe von EUR 700,--. In seiner Begründung führte es aus, dass nicht der Tag der Absendung des Jahresabschlusses, sondern dessen Einlangen bei Gericht relevant sei. Nach ständiger Rechtsprechung sei die Anzeige des Absendens eines Jahresabschlusses im Wege des ERV kein Einreichungsnachweis. Die Weiterleitung an das Gericht erfolge in einem zweiten Schritt. Die Übernahme durch das Gericht werde durch Übermittlung eines entsprechenden Dokuments in die Databox des Versenders bestätigt. Tatsache sei, dass der Jahresabschluss zum 31.12.2009 zum Zeitpunkt des Erlasses der Zwangsstrafverfügung noch nicht beim Firmenbuch eingelangt gewesen sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Geschäftsführerin mit dem Antrag auf „Stornierung der Zwangsstrafe“ (gemeint: Einstellung des Strafverfahrens).
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Offenlegungspflicht:
Die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften (und gemäß § 283 Abs 7 UGB seit 1.1.2011 auch die Gesellschaften selbst) haben den Jahresabschluss und Lagebericht sowie gegebenenfalls den Corporate Governance-Bericht spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag mit dem Bestätigungsvermerk oder dem Vermerk über dessen Versagung oder Einschränkung beim Firmenbuchgericht des Sitzes der Gesellschaft einzureichen (offen zu legen) haben. Diese Offenlegungspflicht, die in Umsetzung einschlägiger EU-Richtlinien, insbesondere der Richtlinie des Rates 68/151/EWG vom 9.3.1968 („Publizitätsrichtlinie“) geschaffen wurde, wird von der Rekurswerberin nicht grundsätzlich infrage gestellt. Sie beruft sich vielmehr darauf, dass sie den ausständigen Jahresabschluss ohnehin bereits eingereicht habe; für Verarbeitungsfehler im Bereich des „Bundesrechenamtes“ (gemeint: der Bundesrechenzentrum GmbH) sei sie nicht verantwortlich.
2. Durchsetzung der Offenlegungspflicht:
Das Verfahren zur Durchsetzung der Offenlegungspflicht wurde mit Wirkung ab 1.3.2011 grundlegend reformiert. Gemäß § 283 Abs 1 UGB in seiner am 1.1.2011 in Kraft getretenen Fassung hat nun das Gericht insbesondere die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und gemäß § 283 Abs 7 UGB auch die Gesellschaft selbst zur zeitgerechten Befolgung der Offenlegungspflicht durch Zwangsstrafen von EUR 700,- bis zu EUR 3.600,- anzuhalten. Die Zwangsstrafe ist sofort nach Ablauf der Offenlegungsfrist zu verhängen. Dabei ist nach § 283 Abs 2 UGB so vorzugehen, dass ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung eine Zwangsstrafe von EUR 700,- verhängt wird, wenn die Offenlegung nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgt und auch nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist.
Von einer Zwangsstrafverfügung kann nur abgesehen werden, wenn der Geschäftsführer offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann – soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist – mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegen stand, zugewartet werden.
Gegen die Zwangsstrafverfügung können der Geschäftsführer und die Gesellschaft binnen 14 Tagen Einspruch erheben. Darin sind die Gründe für die Nichtbefolgung der Offenlegungspflicht anzuführen. Mit der rechtzeitigen Erhebung des begründeten Einspruchs tritt die Zwangsstrafverfügung außer Kraft. Über die Verhängung der Zwangsstrafe ist dann im ordentlichen Verfahren mit Beschluss zu entscheiden. Ist nicht mit Einstellung des Zwangsstrafverfahrens vorzugehen, so kann – ohne vorherige Androhung – wieder eine Zwangsstrafe von EUR 700,- bis EUR 3.600,- verhängt werden.
3. Unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis: Welche Einspruchsgründe zur Einstellung des Zwangsstrafverfahrens nach Durchführung des ordentlichen Verfahrens führen können, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber nahe, dass es sich dabei – abgesehen von den hier nicht vorliegenden Fällen der ohnehin rechtzeitigen Offenlegung, des Nichtbestehens einer Offenlegungsverpflichtung oder der dauerhaften Unmöglichkeit der Offenlegung – ebenfalls nur um unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse im Sinn des § 283 Abs 2 UGB handeln kann, die hier zwar nicht offenkundig sein, aber jedenfalls die Organe an der fristgerechten Offenlegung gehindert haben müssen.
Zur Beantwortung der Frage, was unter einem „unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis“ zu verstehen ist, kann auf die reichhaltige Lehre und Rechtsprechung zu § 146 ZPO (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zurückgegriffen werden, wo der selbe Begriff verwendet wird. Auch die Gesetzesmaterialien (981 d.B. XXIV. GP, zu Art 34) verweisen darauf:
Unter Ereignis ist demnach in der Regel jedes Geschehen oder jede Tatsache zu verstehen (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² II/2 § 146 ZPO Rz 4). Unvorhergesehen ist es dann, wenn es die Partei tatsächlich nicht mit einberechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr bzw. ihrem Vertreter persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (subjektiver Maßstab); die Partei muss aber alle ihr zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Prozesshandlung fristgerecht vornehmen zu können. Der Begriff „unvorhergesehen“ ist somit durch den Begriff „unverschuldet“ zu ergänzen (Deixler-Hübner aaO, Rz 6). Mangels einer dem § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO vergleichbaren Bestimmung reicht im Zwangsstrafverfahren – wie bisher (RIS-Justiz RS0123571) - schon ein minderer Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) aus, um die Unvorhersehbarkeit zu beseitigen. Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn sein Eintritt durch die Partei nicht verhindert werden konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (objektives Kriterium; Deixler-Hübner aaO Rz 7).
Das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis muss für die konkrete Versäumung auch kausal sein. Nur wenn die Versäumung ausschließlich auf dieses Ereignis zurückzuführen ist, kann dies einen tauglichen Einspruchsgrund darstellen. Die Gesellschaftsorgane sind daher verpflichtet, alles zu tun, um trotz des eingetretenen Ereignisses den Jahresabschluss rechtzeitig einzureichen. Es muss von ihnen erwartet werden, dass sie dabei alles unternehmen, was ihnen persönlich zugemutet werden kann, um die rechtzeitige Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten, wenn auch dabei der Bogen der Zumutbarkeit nicht überspannt werden darf (vgl. zum Wiedereinsetzungsverfahren Deixler-Hübner aaO, RZ 8 mwN; in diesem Sinne, wenn auch mit etwas anderer Begründung, schon die Rechtsprechung zur alten Fassung des § 283 UGB, vgl. wiederum RIS-Justiz RS0123571).
Gelingt es den Organen oder ihren Hilfspersonen aber trotz aller zumutbarer Bemühungen nicht, den Jahresabschluss rechtzeitig (also 9 Monate nach dem Stichtag) einzureichen, so ist von ihnen wenigstens zu erwarten, dass sie das Versäumte unverzüglich nachholen, sobald das Hindernis in Form des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses weggefallen ist. Aus der Bestimmung des § 283 Abs 2 3. Satz UGB, wonach mit der Verhängung einer Zwangsstrafverfügung bis zu vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zugewartet werden kann, ist zu schließen, dass die Offenlegungspflicht nach Wegfall des Hindernisses wieder „auflebt“ (Dokalik/Birnbauer, Das neue Verfahren zur Erzwingung der Offenlegung nach den §§ 277 ff UGB, GesRZ 2011, 24) und binnen vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu erfüllen ist. Offenbar geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine Nachfrist von vier Wochen grundsätzlich ausreicht, um einen ausständigen Jahresabschluss (fertig) zu erstellen und nachzureichen. Auch die Nichteinhaltung der vierwöchigen Nachfrist ab Wegfall des Hindernisses führt also zur Strafverhängung, sofern nicht erneut ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eintritt, welches das Organ auch an der Einhaltung dieser Frist hindert. Die Einstellung des Verfahrens kann nur erfolgen, wenn der Gesellschaft, ihren Organen und ihren Hilfspersonen zum Zeitpunkt der Entscheidung keinerlei Säumnis vorgeworfen werden kann.
4.) Vorliegender Fall:
Die Geschäftsführerin hat sich in ihrem Einspruch darauf berufen, den ausständigen Jahresabschluss ohnehin im Wege des ERV, also elektronisch, eingereicht zu haben. Die nähere Vorgangsweise bei der elektronischen Übermittlung von Eingaben, Beilagen und Erledigungen ist gemäß § 89b Abs 2 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG) durch Verordnung des Bundesministers für Justiz zu regeln. In der Regelung kann vorgeschrieben werden, dass sich der Einbringer einer Übermittlungsstelle zu bedienen hat. Tatsächlich schreibt § 3 Abs 1 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2006, kurz: ERV) vor, dass sich der Einbringer einer elektronischen Eingabe einer Übermittlungsstelle zu bedienen hat.
Gemäß § 89d Abs 1 GOG gelten elektronische Eingaben als bei Gericht angebracht, wenn ihre Daten zur Gänze bei der Bundesrechenzentrum GmbH eingelangt sind. Ist vorgesehen, dass die Eingaben über eine Übermittlungsstelle zu leiten sind, und sind sie auf diesem Weg bei der Bundesrechenzentrum GmbH tatsächlich zur Gänze eingelangt, so gelten sie als bei Gericht mit demjenigen Zeitpunkt angebracht, an dem die Übermittlungsstelle dem Einbringer rückgemeldet hatte, dass sie die Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH übernommen hat. Hat die Übermittlungsstelle die Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH übernommen, so hat sie dies gemäß § 4 Abs 1 ERV dem Einbringer sofort mitzuteilen und den Zeitpunkt (Tag und Uhrzeit) dieser Rückmeldung zu protokollieren. Im Zusammenhalt mit § 89d Abs 1 GOG bildet diese Rückmeldung für den Einbringer somit den Nachweis der ordnungsgemäßen Einbringung.
Ob die mit dem Einspruch vorgelegten Ausdrucke mit dem Vermerk „Antrag gesendet“ eine solche Rückmeldung im Sinn des § 4 Abs 1 ERV darstellen, entzieht sich der Kenntnis des Rekursgerichtes, muss aber nach Lage des Falles auch nicht weiter überprüft werden. Fest steht nämlich, dass der Jahresabschluss zum 31.12.2009 bis zur Fassung des angefochtenen Beschlusses am 4.5.2011 noch nicht beim Firmenbuch eingelangt war und, wie das Rekursgericht erhoben hat, bis dato nicht eingelangt ist. Selbst wenn man daher der Geschäftsführerin zugute halten wollte, dass sie gutgläubig davon ausgegangen ist, eine Rückmeldung nach § 4 Abs 1 ERV in Händen zu halten, und daher annehmen durfte, den Jahresabschluss schon eingereicht zu haben, wurde dieser Irrtum jedenfalls spätestens durch die Zustellung der Zwangsstrafverfügung vom 24.3.2011 aufgeklärt. Spätestens dann wäre also das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, welches ein unverschuldeter Irrtum grundsätzlich darstellen kann (RIS-Justiz RS0036742), weggefallen und die aus § 283 Abs 2 3. Satz UGB abzuleitende vierwöchige Nachfrist in Gang gesetzt worden. Wenn der Jahresabschluss 2009, wie die Geschäftsführerin behauptet, tatsächlich schon vorliegt, wäre es ihr in dieser Frist leicht möglich und zumutbar gewesen, ihn erneut einzureichen. Da sie dies bisher nicht getan hat - mittlerweile sind seit der Zwangsstrafverfügung fast drei Monate vergangen –, ist sie jetzt mit der Einreichung des Jahresabschlusses 2009 jedenfalls säumig (und war es auch schon zum Zeitpunkt der Fassung des angefochtenen Beschlusses), ohne dass sie irgend einen Hinderungsgrund behauptet hätte.
Die Zwangsstrafe ist daher zu Recht über sie verhängt worden; ihrem unberechtigten Rekurs war ein Erfolg zu versagen.
Das Erstgericht wird nun noch über den Einspruch der Gesellschaft zu entscheiden haben.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Neufassung des § 283 UGB, insbesondere der darin geregelten vierwöchigen „Nachfrist“, besteht.
Textnummer
EW0000518European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0009:2011:00400R00233.11F.0622.000Im RIS seit
26.09.2011Zuletzt aktualisiert am
26.09.2011