Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helwig Aubauer und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat ***** der Flughafen ***** AG, *****, vertreten durch Dr. Clemens Gärner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Flughafen ***** AG, *****, vertreten durch Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati, Partnerschaft von Rechtsanwälten in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. April 2011, GZ 8 Ra 125/10a-34, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. April 2010, GZ 7 Cga 17/09x-29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.490,30 EUR (darin enthalten 337,05 EUR USt und 2.468 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Seit 1. 6. 2005 existiert zwischen dem klagenden Betriebsrat und der Beklagten eine Betriebsvereinbarung iSd § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG, die Bestimmungen über eine formelle Ermahnung, eine mündliche Verwarnung, eine schriftliche Verwarnung sowie über die Verjährung (Tilgung) mündlicher und schriftlicher Verwarnungen enthält.
Der von der Kündigung durch die Beklagte betroffene Arbeitnehmer war ab 15. 4. 2004 bei der Beklagten als Busfahrer beschäftigt. Am 22. 1. 2009 erfolgte der Ausspruch der Kündigung. Zuvor wurde der Kläger über die Kündigungsabsicht informiert; dagegen wurde Widerspruch erhoben. Die Aussichten des gekündigten Arbeitnehmers, einen adäquaten neuen Arbeitsplatz zu finden, sind als ungünstig zu beurteilen; er hat mit einer längeren Arbeitslosigkeit und einer zumindest vorübergehenden Gehaltseinbuße von 20 % bis 25 % zu rechnen.
Der gekündigte Arbeitnehmer führte zunächst Passagiertransporte zwischen Gate und Flugzeug durch. Ab dem 1. 9. 2007 wurde er über seine Bewerbung hin in das Visitair-Center versetzt. Dabei hatte er unter anderem Rundfahrten und Führungen am Flughafen durchzuführen. Zu den persönlichen Anforderungen der Stellenausschreibung zählten charmantes und kommunikatives Auftreten sowie ausgezeichnete Umgangsformen. Aufgrund der ungebührlichen und unverträglichen Verhaltensweisen des gekündigten Arbeitnehmers gab es an der neuen Arbeitsstelle zwischen ihm und den Mitarbeiterinnen sowie seiner Vorgesetzten laufend Probleme. Trotz mehrfacher Vorhalte und Appelle änderte der gekündigte Arbeitnehmer sein Verhalten nicht. Am 26. 6. 2008 wurde er im Sinne der Disziplinarordnung formell ermahnt und am 15. 12. 2008 mündlich verwarnt.
Der Kläger begehrte, die gegenüber dem gekündigten Arbeitnehmer ausgesprochene Kündigung wegen Sozialwidrigkeit für unwirksam zu erklären. In der Betriebsvereinbarung gemäß § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG sei ein vor Ausspruch einer Kündigung zwingend einzuhaltendes dreistufiges Ermahnungs- und Verwarnungssystem vorgesehen. Mangels schriftlicher Verwarnung sei die Kündigung rechtsungültig. Diese sei auch sozialwidrig, weil sie wesentliche Interessen des gekündigten Arbeitnehmers beeinträchtige.
Die Beklagte entgegnete, dass in der Betriebsvereinbarung eine schriftliche Verwarnung vor Ausspruch einer Kündigung nicht vorgeschrieben sei. Mit Beginn der Tätigkeit des gekündigten Arbeitnehmers im Visitair-Center sei sein Verhalten gegenüber seiner Vorgesetzten und seinen Mitarbeiterinnen herablassend und überheblich gewesen. Trotz Ermahnungen habe er sein ungebührliches Verhalten auch vor Gästen fortgesetzt. Die als letzter Ausweg erfolgte Kündigung sei nicht sozialwidrig. Aufgrund des unerträglichen und unbelehrbaren Verhaltens sei ihr eine Weiterbeschäftigung nicht weiter zumutbar gewesen.
Das Erstgericht wies das Rechtsgestaltungsbegehren ab. Die Disziplinarordnung sehe jedenfalls dann keine zwingende Einhaltung des Verwarnungssystems vor, wenn eine gravierende Verfehlung des Arbeitnehmers vorliege und eine Verhaltensänderung von vornherein aussichtslos erscheine. Kündigungen und Entlassungen seien durch das Verwarnungssystem nicht eingeschränkt gewesen. Die Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers beeinträchtige zwar dessen wesentliche Interessen. Aufgrund der personenbezogenen Gründe sei die Kündigung aber als begründet zu beurteilen, zumal die Zusammenarbeit mit ihm unzumutbar gewesen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und stellte fest, dass die durch die Beklagte ausgesprochene Kündigung des in Rede stehenden Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam sei. Bei den Bestimmungen des normativen Teils einer Betriebsvereinbarung handle es sich um einseitig zwingende Regelungen. Die Einhaltung der Bestimmungen der vorliegenden Betriebsvereinbarung iSd § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG sei daher grundsätzlich Voraussetzung für die Wirksamkeit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses. Die Betriebsvereinbarung enthalte ein zweistufiges Verwarnungssystem, das auch nach seinem objektiven Zweck für die Gültigkeit des Ausspruchs einer Kündigung durch den Arbeitgeber zwingend einzuhalten sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage der Auslegung einer Betriebsvereinbarung eine größere Anzahl von Mitarbeitern betreffe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt.
Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil sich die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend auch berechtigt.
1. Der klagende Betriebsrat hat (zutreffend) eine Rechtsgestaltungsklage auf Anfechtung der Kündigung nach § 105 ArbVG erhoben. Das Wirksamwerden des Kündigungsschutzes nach dieser Bestimmung setzt eine rechtswirksame Kündigung voraus (9 ObA 244/98t). Ist die Kündigung, wie das Berufungsgericht meint, hingegen rechtsunwirksam, so müsste eine Feststellungsklage (auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses) erhoben werden (RIS-Justiz RS0039015). Eine solche Klage könnte der Betriebsrat, der nicht der (gesetzliche) Vertreter der Belegschaft oder einzelner Arbeitnehmer in Bezug auf deren privatrechtlichen Ansprüche ist (RIS-Justiz RS0035156), aber nur im Rahmen seines Klagerechts nach § 54 Abs 1 ASGG erheben. Da der Gesetzgeber die dem Betriebsrat nach der genannten Bestimmung eingeräumte Klagemöglichkeit als ausreichendes Instrumentarium angesehen hat, Individualansprüche von Arbeitnehmern gerichtlich geltend zu machen, kommt eine darüber hinausgehende Ausdehnung des Schutzes der Arbeitnehmer vor einer Kündigung nicht in Betracht.
Bei der vorliegenden Klage, die sich gegen die Kündigung eines einzelnen Arbeitnehmers wendet, handelt es sich um keine Feststellungsklage iSd § 54 Abs 1 ASGG. Damit ist der klagende Betriebsrat zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung des gekündigten Arbeitnehmers nicht legitimiert. Das - vom Berufungsgericht ohne Begründung umformulierte - Begehren auf (richtig) Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses ist somit nicht berechtigt. Dem von der Beklagten im Zusammenhang mit der Umformulierung geltend gemachten Verfahrensmangel kommt keine Bedeutung zu.
2. Auf das Verhältnis einer aus Gründen des Betriebsverfassungsrechts möglicherweise (teil-)unwirksamen Disziplinarordnung zum Kündigungs- bzw Entlassungsrecht des Arbeitgebers (vgl 8 ObA 12/04d; 9 ObA 50/05a) und die Frage, ob durch eine Betriebsvereinbarung iSd § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG eine Entlassung oder Kündigung (aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht) an ein disziplinarrechtliches Vorverfahren gebunden werden kann, kommt es im vorliegenden Fall ebenso wenig an wie auf die Frage der Vertretbarkeit des vom Berufungsgericht erzielten Auslegungsergebnisses zur Bedeutung des in der zugrunde liegenden Disziplinarordnung vorgesehenen Verwarnungssystems für die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber.
3.1 Inhaltlich verbleibt damit die Prüfung des vom Kläger erhobenen Rechtsgestaltungsbegehrens auf Anfechtung der Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG.
Bei einer Kündigungsanfechtung ist im ersten Schritt zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen (RIS-Justiz RS0051727 [T11]; RS0051746 [T7]; 8 ObA 59/10z mwN). Die Beurteilung der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist in der Regel maßgeblich von den Arbeitsmarktchancen des gekündigten Arbeitnehmers abhängig.
Im vorliegenden Fall ist das Erstgericht - das Berufungsgericht hat in dieser Hinsicht keine Prüfung vorgenommen - zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger der Nachweis einer relevanten Interessenbeeinträchtigung des gekündigten Arbeitnehmers gelungen ist.
3.2 Werden durch eine Kündigung wesentliche Interessen des gekündigten Arbeitnehmers beeinträchtigt, so kann die Kündigung nur dann nicht sozialwidrig sein, wenn der Arbeitgeber nunmehr in einem zweiten Schritt den Nachweis des Vorliegens eines Ausnahmetatbestands im Sinne der Betriebsbedingtheit der Kündigung oder des Vorliegens von Gründen in der Person des gekündigten Arbeitnehmers für die Kündigung erbringt. Gelingt ihm dies, treten die beiderseitigen Interessen in eine Wechselwirkung. Dann sind in einem dritten Schritt die Interessen des Arbeitgebers an der Kündigung und jene des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes einander gegenüber zu stellen und gegeneinander abzuwägen (RIS-Justiz RS0051818). Je nach dem Überwiegen der Interessen ist die Kündigung dann gerechtfertigt oder sozial ungerechtfertigt (vgl RIS-Justiz RS0052004). Für eine Rechtfertigung reicht es aus, dass die in der Person des Arbeitnehmers gelegenen Umstände die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen. Werden die betrieblichen Interessen in erheblichem Maß berührt, so überwiegen sie das wesentliche Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (RIS-Justiz RS0051888). Diese Umstände müssen nicht so gravierend sein, dass sie die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über den Kündigungstermin hinaus unzumutbar machen (9 ObA 143/03z).
3.3 Ausgehend von den Feststellungen ist das Verhalten des gekündigten Arbeitnehmers gegenüber seiner Vorgesetzten sowie den anderen Mitarbeiterinnen als herablassend und anmaßend, beleidigend und respektlos, teils aggressiv und provokant sowie eigensinnig und für das Betriebsklima abträglich zu qualifizieren. Die unangemessenen und ungebührlichen Verhaltensweisen setzte der Arbeitnehmer auch vor Teilnehmern an den Visitair-Touren. Aufgrund seines teamschädlichen Verhaltens traten bei seinen Mitarbeiterinnen sogar schon gesundheitliche Probleme auf. Er versuchte auch, die Mitarbeiterinnen durch entsprechende Sticheleien gegeneinander auszuspielen. Hinzu kommt, dass er uneinsichtig war und trotz mehrfacher Vorhalte und Appelle sein Verhalten nicht änderte.
Das inkriminierte Verhalten des betroffenen Arbeitnehmers ist als grobe Unverträglichkeit zu werten, die sowohl die Zusammenarbeit als auch die betriebliche Ordnung in gravierender Weise nachteilig beeinflusste und das Betriebsklima störte. Die Beurteilung des Erstgerichts, dass der Beklagten aufgrund des ungebührlichen Verhaltens des betroffenen Arbeitnehmers eine Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar gewesen sei, ist daher nicht zu beanstanden. Aus diesem Grund überwiegen im vorliegenden Fall die betrieblichen Interessen der Beklagten jene des gekündigten Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes. Die Kündigung erweist sich damit als sozial gerechtfertigt.
4. Auch die weiteren Einwände des Klägers, wonach die Kündigung nicht unverzüglich ausgesprochen worden sei und der betroffene Arbeitnehmer an seinen ursprünglichen Arbeitsplatz hätte zurückversetzt werden müssen, sind nicht berechtigt. Nach den Feststellungen machte der betroffene Arbeitnehmer gegenüber der Beklagten sowohl durch Taten als auch durch seine Erklärungen deutlich, dass er nicht gewillt sei, sein Verhalten zu ändern. Da hinsichtlich des unleidlichen und abträglichen Verhaltens somit von einem Dauerzustand auszugehen ist (vgl Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungs-recht III4 § 105 Erl 41), kann sich der Kläger nicht etwa auf eine Verwirkung der Geltendmachung der personenbezogenen Gründe berufen.
5. Zusammenfassend ergibt sich: Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung behauptet, so ist ein Begehren auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses zu erheben. Mit einer solchen Feststellungsklage wird ein Individualanspruch des Arbeitnehmers geltend gemacht. Der Betriebsrat kann eine solche Klage nur im Rahmen seines Klagerechts nach § 54 Abs 1 ASGG erheben.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof damit nicht stand. In Stattgebung der Revision war das angefochtene Urteil daher im Sinn der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzuändern.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 58 Abs 1 ASGG.
Textnummer
E97921European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:008OBA00045.11T.0629.000Im RIS seit
17.08.2011Zuletzt aktualisiert am
07.02.2020