Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Anwesenheit der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Erkan O***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 30. Dezember 2010, GZ 18 Hv 2/10x-101, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Erkan O***** schuldig erkannt, „die“ Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1./) und die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (2./) begangen zu haben.
Danach hat er im Zeitraum Sommer 2009 bis einschließlich Juni 2010 in Graz vorschriftswidrig Suchtgift
1./ in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er zumindest 942,7 Gramm Kokain (mindestens 377,16 Gramm in Reinsubstanz) an Thomas H*****, Nina F*****, Bianca Fr*****, Manuel Ho*****, Kevin Fa*****, Emin Y*****, Vladimira S*****, Andrea K*****, Labinot P*****, einen verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres sowie bislang nicht näher bekannte Personen mit Gewinnaufschlag verkaufte,
2./ mit Ausnahme der zu 1./ angeführten Mengen erworben und besessen, indem er nicht näher bekannte Mengen Marihuana und Kokain konsumierte.
Rechtliche Beurteilung
Inhaltlich nur gegen Punkt 1./ des Schuldspruchs richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie verfehlt ihr Ziel.
Die Dauer des Tatzeitraums betrifft im vorliegenden Fall keinen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage relevanten Umstand, sodass die insoweit behauptete offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) keine entscheidende Tatsache anspricht.
Die Tatrichter haben die zum Teil von ihren Angaben vor der Kriminalpolizei abweichenden Aussagen der Zeugen Labinot P*****, Emin Y***** und Bianca Fr***** in der Hauptverhandlung eingehend gewürdigt und dargelegt, aus welchen Gründen sie den den Angeklagten entlastenden Depositionen keinen Glauben schenkten, und dabei insbesondere die von den Zeugen Werner G***** und P***** bekundete Einflussnahme von Angehörigen und Bekannten des Angeklagten auf letzteren sowie auf Y***** berücksichtigt (US 5 bis 8).
Da das Erstgericht der Aussage der Zeugin Fr***** in der Hauptverhandlung nicht folgte, war es nicht verhalten, ihre Behauptung über Vorhalt einer möglichen Beeinflussung, die Angehörigen des Angeklagten nicht zu kennen (S 4 in ON 96), gesondert zu erörtern. Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) der Erwägung der Tatrichter, auch die Zeugin Fr***** sei von der Familie des Angeklagten bedrängt worden und habe Repressalien befürchtet (US 8), verkennt das Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes, der nur dann vorliegt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467).
Die Erwägung des Schöffengerichts, die Angaben der Zeugen P***** und Andrea K***** divergierten deshalb, weil die Genannte bei den Suchtgiftankäufen nur selten dabei war (US 9), ist dem Vorwurf der Beschwerde (Z 5 vierter Fall) zuwider unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.
Im Ergebnis unternimmt die Mängelrüge mit eigenständigen Beweiswerterwägungen den Versuch, aus den für den Angeklagten günstigeren Depositionen der Zeugen P*****, Y***** und Fr***** seine Verantwortung stützende Schlussfolgerungen zu ziehen. Solcherart rügt sie aber nach Art einer Schuldberufung - im kollegialgerichtlichen Verfahren jedoch unzulässig - die tatrichterliche Beweiswürdigung.
Die prozessordnungskonforme Darstellung einer Tatsachenrüge (Z 5a) verlangt, aus dem in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismaterial (§ 258 Abs 1 StPO) unter konkreter Bezugnahme auf solches anhand einer Gesamtbetrachtung der tatrichterlichen Beweiswürdigung erhebliche Bedenken gegen die Urteilsfeststellungen zu entscheidenden Tatsachen abzuleiten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481, 487). Diesen Kriterien wird die Beschwerde nicht gerecht, indem sie sich darauf beschränkt, den Überlegungen des Erstgerichts eigene Erwägungen insbesondere zur Glaubwürdigkeit vernommener Zeugen entgegenzusetzen, um solcherart der Verantwortung des Angeklagten, lediglich wesentlich geringere Suchtgiftquanten anderen überlassen zu haben, zum Durchbruch zu verhelfen.
Zu Schuldspruchpunkt 2./ enthält die Beschwerde trotz des das gesamte Urteil umfassenden Aufhebungsantrags kein Vorbringen (siehe aber § 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Anzumerken bleibt, dass die rechtlich verfehlte Annahme mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (vgl RIS-Justiz RS0117464) für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO keinen Anlass bietet. Stellt nämlich einerseits dieser Subsumtionsfehler per se keinen Nachteil im Sinne der genannten Bestimmung dar (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 23), so ist andererseits dem durch die - von diesem ausgelöste - aggravierende Wertung des Zusammentreffens „mehrerer Verbrechen“ mit mehreren Vergehen (US 11) hergestellten Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO im Rahmen der Berufungsentscheidung Rechnung zu tragen (WK-StPO § 290 Rz 29; zum Ganzen 13 Os 64/07x, 11 Os 34/06v; RIS-Justiz RS0090885). Dabei besteht keine dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende Bindung des Oberlandesgerichts an den verfehlten Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS-Justiz RS0118870).
Aufgrund der Feststellungen, dass der dem Angeklagten zu Schuldspruch 2./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG angelastete Erwerb und Besitz von Suchtgiftprodukten lediglich dem Eigenkonsum diente (US 2 und 4), wäre infolge der ausschließlich zum eigenen persönlichen Gebrauch erfolgten Tatbegehung die vom Erstgericht nicht angenommene Privilegierung des § 27 Abs 2 SMG zum Tragen gekommen. Da dieser Umstand angesichts der Strafbemessung nach § 28 Abs 4 Z 3 SMG ohne nachteilige Wirkung für den Angeklagten war, bedurfte es auch in diesem Umfang keines Vorgehens nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.
Insoweit besteht bei der Entscheidung über die Berufung ebenfalls keine (dem Berufungswerber nachteilige) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E97704European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0150OS00047.11T.0629.000Im RIS seit
14.07.2011Zuletzt aktualisiert am
14.07.2011