Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stefan P***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB, AZ 17 Hv 67/07i des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des Stefan P***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Antrag wird stattgegeben, die Urteile des Landesgerichts Klagenfurt vom 4. Juni 2008, GZ 17 Hv 67/07i-15, und des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. Juni 2010, AZ 11 Bs 42/10z, werden aufgehoben und es wird die Sache zur Durchführung des erneuerten Verfahrens an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.
Text
Gründe:
In der Strafsache des Privatanklägers Helmut M***** gegen Stefan P*****, AZ 17 Hv 67/07i des Landesgerichts Klagenfurt, wurde Stefan P***** mit Urteil jenes Gerichts vom 4. Juni 2008 (ON 15) des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Danach hat er als geschäftsführender Obmann der „F*****“ am 26. März 2007 in Klagenfurt den Privatankläger (in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise) einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung geziehen oder ihn eines unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und herabzusetzen, indem er in einer Pressekonferenz zum Zweck der Veröffentlichung in den Medien (somit auf eine Weise, womit die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird) behauptete, der Privatankläger sei ein Teil der roten Mietenmafia, wobei diese Aussage in der Zeitung „O*****“ vom 27. März 2007 veröffentlicht wurde.
Mit Urteil vom 30. Juni 2010, AZ 11 Bs 42/10z (ON 29), gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht der vom Angeklagten dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld nicht Folge; in Stattgebung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wurde die Anzahl der Tagessätze herabgesetzt.
Rechtliche Beurteilung
Dem vom Angeklagten beim Obersten Gerichtshof eingebrachten Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO kommt Berechtigung zu.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung des Art 10 MRK wird vom EGMR als Grundpfeiler jeder demokratischen Gesellschaft angesehen und nicht nur auf Informationen und Ideen bezogen, die allgemein als zustimmend aufgenommen oder als unschädlich oder unwichtig angesehen werden, sondern auch auf solche, die den Staat oder irgendeinen Teil der Bevölkerung kränken, schockieren oder beunruhigen können (siehe hiezu etwa EGMR 1. Juli 1997, Oberschlick gegen Österreich, Nr 47/1996/666/852, Z 29, NJW 1999, 1321; Frowein/Peukert, EMRK3 Art 10 Rz 1; Grabenwarter, EMRK4 § 23 Rz 25). Insofern beinhaltet das Recht auf freie Meinungsäußerung auch das Recht auf verletzende und beleidigende Äußerungen (Steiner in Karl/Berka, Medienfreiheit 48), jedoch ist dieses nicht uferlos: Art 10 Abs 2 MRK normiert - unter Hinweis auf die mit der Meinungsfreiheit einhergehenden Pflichten - die Schranken, innerhalb welcher ein Eingriff in dieses Recht möglich ist. Ein solcher ist gemäß Art 10 Abs 2 MRK nur dann zulässig, wenn er gesetzlich vorgesehen ist, einem der im Katalog des Art 10 Abs 2 MRK abschließend aufgezählten Ziele dient und verhältnismäßig, also zur Erreichung des Ziels in einer demokratischen Gesellschaft notwendig (vgl den maßgeblichen englischen und französischen Text [Probst, Art 10 EMRK - Bedeutung für den Rundfunk in Europa 21]; im deutschen Text: unentbehrlich) ist (Grabenwarter, EMRK4 § 23 Rz 20 - 30). Hinsichtlich der einzelnen Aspekte der Prüfung der „Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft“ stellt der EGMR darauf ab, ob der Eingriff einem „dringenden sozialen Bedürfnis“ entsprach, ob er „verhältnismäßig gegenüber dem verfolgten berechtigten Ziel war“ und „ob die Gründe, die von den innerstaatlichen Behörden zu seiner Rechtfertigung angegeben wurden, maßgeblich und ausreichend sind“ (EGMR 27. Februar 2001, Jerusalem gegen Österreich, Nr 26958/95, Z 33, ÖJZ 2001, 693 [694]).
Der Eingriff muss einem dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis dienen (Ratz, Schutz der freien Meinungsäußerung und Schutz vor ihr im Straf- und Medienrecht durch den OGH, ÖJZ 2007, 948 [949]; Rami in WK2 Präambel zum MedienG Rz 5 mwN der Jud des EGMR), wobei den Mitgliedstaaten in diesem Punkt zwar ein bestimmter Beurteilungsspielraum zugestanden wird (Frowein/Peukert, EMRK3 Art 10 Rz 27). Für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses billigt der EGMR den Vertragsstaaten jedoch nur einen sehr engen Beurteilungsspielraum zu (RIS-Justiz RS0123667).
Von entscheidender Bedeutung bei Beantwortung der Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist die Einordnung der fraglichen Äußerung in die Kategorie der Tatsachenmitteilungen oder der Werturteile. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR bedürfen nur Tatsachenbehauptungen eines Wahrheitsbeweises, während Werturteile einem solchen Beweis nicht zugänglich sind (Grabenwarter, EMRK4 § 23 Rz 26 mwN).
Im Rahmen von Werturteilen sind provozierende, ja bisweilen verletzende Ausdrücke bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen, wobei der EGMR differenziert, gegen wen sich die Äußerung richtet und wer deren Autor ist. So gilt ganz allgemein, dass die Grenzen akzeptabler Kritik an Politikern und anderen Personen des öffentlichen Lebens - sofern die Äußerung einen Bezug zu ihrer politischen Tätigkeit oder ihrem öffentlichen Wirken aufweist - weiter gezogen sind als bei Privatpersonen (siehe grundlegend Berka, „Public Figures“ and „Public Interest“ - Die ehrenschutzrechtliche Abwägungsentscheidung im Lichte der jüngeren Judikatur zu Art 10 EMRK, in Akyürek et al, Staat und Recht in europäischer Perspektive - FS Heinz Schäffer [2006] 91 [93 ff]; Berka, Aktuelle Probleme des Persönlichkeitsschutzes im Medienbereich, JRP 1996, 232 [242]; Grabenwarter, EMRK4 § 23 Rz 27; EGMR 29. August 1997, Worm gegen Österreich, Nr 22714/93, NL 1997, 221), begeben sie sich doch freiwillig aufgrund ihrer Berufswahl bzw Stellung in der Gesellschaft in eine exponierte Lage. Außerdem wäre es dem politischen Diskurs in einer demokratischen Gesellschaft abträglich, würde im Rahmen desselben eine, manchmal wohl überspitzte Diskussion durch die Rechtsordnung sogleich unterbunden werden. Nach der Rechtsprechung des EGMR genießen insbesondere Journalisten und auch Politiker im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit auch als mögliche Täter prinzipiell eine stärker ausgeprägte Meinungsäußerungsfreiheit (Grabenwarter, EMRK4 § 23 Rz 27).
Nach gesicherter Rechtsprechung des EGMR gewährt Art 10 MRK dem kritischen Werturteil somit - zumal in der politischen Auseinandersetzung - eine sehr weitreichende verfassungsrechtliche Privilegierung, räumt aber keineswegs eine schrankenlose Meinungs- und Kritikfreiheit ein (vgl Art 10 Abs 2 erster Halbsatz MRK). Denn auch gegenüber Politikern sind (Un-)Werturteile ohne (einzelfallbezogen) hinreichendes Tatsachensubstrat oder Wertungsexzesse vom Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit nicht gedeckt (Grabenwarter, EMRK³ § 23 Rz 26 f; statt mehrerer: EGMR 2. November 2006, Standard Verlags GmbH und Krawagna-Pfeifer gegen Österreich, Nr 19710/02, Newsletter Menschenrechte 2006/6, 291; EGMR 12. Juli 2001, Feldek gegen Slowakei, Nr 29032/95, ÖJZ 2002/34 [MRK]; EGMR 22. Oktober 2007, Lindon ua gegen Frankreich, Nr 21279/02 und 36448/02, MR 2007, 419 [422]). Solcherart ist der Persönlichkeitsschutz von Politikern zwar insofern eingeschränkt, als die Grenzen der zulässigen Kritik bei ihnen weiter gezogen sind als bei Privatpersonen (für viele: EGMR 1. Juli 1997 Oberschlick gegen Österreich [Nr 2], Nr 20834/92, ÖJZ 1997/29 [MRK], 956; Grabenwarter, EMRK³ § 23 Rz 27 mwN zur Judikatur des EGMR), die Grenze aber dort zu ziehen ist, wo unabhängig von der politischen Debatte ein persönlich unehrenhaftes Verhalten vorgeworfen wird und bei Abwägung der Interessen ein nicht mehr vertretbarer Wertungsexzess vorliegt (RIS-Justiz RS0082182; 15 Os 171/08y).
In Fällen diffamierender Kritik bedarf es also des Vorliegens einer politischen oder zumindest einer im allgemeinen Interesse liegenden Debatte, damit eine - wenngleich beleidigende - Äußerung gegenüber einem Politiker noch von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sein kann; ist kein derartiger Konnex auszumachen (vgl Steiner in Karl/Berka, Medienfreiheit 58, 59), sondern bezieht sich die Äußerung nur auf die Privatsphäre des Politikers, so muss sich dieser auch nicht mehr gefallen lassen als jeder andere Bürger. Hinsichtlich des Kriteriums des Konnexes prüft der EGMR, ob es sich um ein Thema handelt, welches geeignet ist, bei einem größeren Teil der Bevölkerung Interesse hervorzurufen (Steiner in Karl/Berka, Medienfreiheit 59). Liegt nun eine Frage von öffentlichem Interesse vor, so ist bei politischen Äußerungen einschließlich von Kritik an Politikern nur ein sehr begrenzter Spielraum für Einschränkungen vorhanden. Dies gilt auch für polemische und provokative Formulierungen, insbesondere, wenn für sie Anlass vorhanden ist (Frowein/Peukert, EMRK3 Art 10 Rz 27, 31). Eine bewusst ehrverletzende Äußerung, bei welcher nicht die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, wird durch die Meinungsfreiheit jedoch nicht geschützt und tritt hinter den Achtungsanspruch des Betroffenen zurück (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, Strafprozessordnung25 Art 10 EMRK Rz 21c FN 195).
Nach dem sowohl im Ersturteil festgestellten als auch der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde gelegten Bedeutungsinhalt wurde dem Privatankläger mit der inkriminierten Aussage vorgeworfen, Angehöriger einer (konkret im Mieten- und Wohnungsbereich tätigen) „hochkriminellen“ bzw „stark kriminell ausgeprägten Organisation“ zu sein, „die verbrecherische Methoden anwendet“ (Ersturteil S 16; Berufungsurteil S 8 und S 10). Fallbezogen beurteilte das Berufungsgericht die inkriminierte Äußerung (zugunsten des Angeklagten und im Übrigen - dem Antragsvorbringen zuwider - ausreichend erkennbar) als Werturteil (Berufungsurteil S 8).
Eine vom Antragsteller unter Berufung auf jüngere Judikate (11 Os 124/07f, 125/07b, MR 2008, 140; 15 Os 6/08h, 7/08f, MR 2008, 180) dagegen ins Treffen geführte Beweisregel, wonach bei der Feststellung des Bedeutungsinhalts jedenfalls von der für ihn (als Angeklagten) günstigsten denkmöglichen Auslegungsvariante auszugehen sei, ist dem Gesetz zwar fremd (vgl RIS-Justiz RS0123503 [T5]; ebenso Lendl, WK-StPO § 258 Rz 38), sein Vorbringen hiezu zeigt jedoch der Sache nach zutreffend auf, dass die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung erheblichen Bedenken gegen deren Richtigkeit begegnen (zur Relevanz eines Vorbringens im Sinne einer Tatsachenrüge [Z 5a] im Rahmen eines Antrags auf Erneuerung vgl 15 Os 28/10x, 15 Os 98/10s). Die im Bereich der Mediengerichtsbarkeit aus einer an der MRK orientierten, somit verfassungskonformen Interpretation innerstaatlicher Verfahrensbestimmungen abzuleitende Einschränkung des Beweiswürdigungsermessens hat zur Folge, dass eine aus Sicht des Obersten Gerichtshofs nicht sachgerechte Lösung der Tatfrage durch die Tatrichter viel eher als erheblich bedenklich zu qualifizieren ist, sodass die Erheblichkeitsschwelle bei der Kontrolle medienrechtlicher Entscheidungen in tatsächlicher Hinsicht niedriger anzusetzen ist als in anderen Fällen (vgl 11 Os 124/07f mwN zu § 362 Abs 1 StPO).
Die Feststellung des Bedeutungsinhalts des Wortgefüges „Teil der roten Mietenmafia“ als Mitgliedschaft an einer „hochkriminellen“ bzw „stark kriminell ausgeprägten Organisation“, „die verbrecherische Methoden anwendet“, begegnet erheblichen Bedenken im Sinne des dargestellten Prüfungsmaßstabs. Denn die Gerichte haben im vorliegenden Fall - worauf der Antragsteller im Ergebnis zutreffend hinweist - folgenden Aspekten nicht den gebotenen Stellenwert beigemessen:
Gegenstand der vom Angeklagten in seiner Eigenschaft als geschäftsführender Landesparteiobmann der Freiheitlichen in Kärnten abgehaltenen Pressekonferenz war laut aktenkonformen Urteilsannahmen die im Rahmen einer bereits zuvor eingeleiteten Kampagne, auf einen Prüfbericht des Österreichischen Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen - Revisionsverband Wien für das Jahr 2005 gestützte Kritik an der Gebarung der Wohn- und Siedlungsgenossenschaft „H*****“ im Wesentlichen wegen einer überhöhten Abfertigung, einer (wenngleich vom Privatankläger nicht zu verantwortenden und überdies noch im Prüfungszeitraum korrigierten) „Bilanzmanipulation“, einer defizitären Tochtergesellschaft sowie wegen unwirtschaftlicher Grundstücksankäufe (siehe Ersturteil S 5 ff sowie Berufungsurteil S 11). Dies ungeachtet der in den Prüfberichten für die Jahre 2004 und 2005 enthaltenen Bestätigung, der Vorstand der Genossenschaft (dem auch der Privatankläger angehörte) wäre den ihm nach Gesetz, Gesellschaftsvertrag und Geschäftsanweisung obliegenden Verpflichtungen nachgekommen, die Wirtschaftlichkeit des Geschäftsbetriebs in den Bereichen der Bau- und der Verwaltungstätigkeit wäre gegeben und die Vermögens- und Kapitalslage zum 31. Dezember 2004 bzw 2005 wäre geordnet und gesichert gewesen (Ersturteil S 12 unter Hinweis auf [ON 10] Beilagen I./ und ./J). Nach den im Artikel in „O*****“ wiedergegebenen Äußerungen des Angeklagten spiele M***** eine Doppelrolle, weil er einerseits als Obmann und Vorstand der Genossenschaft auftrete und andererseits als Bürgermeister von V***** die erste Instanz in baubehördlichen Fragen sei. Somit erteile er sich selbst die Genehmigungen (Ersturteil S 4).
Außerdem verfasste das Büro des Landesrats für Wohnbau bereits am 9. Jänner 2007 eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft, wonach die „H*****“ erst am 3. Dezember 2003 unter Vorlage einer im Namen des Bürgermeisters ausgestellten Amtsbestätigung, Baubeginn sei der 10. Jänner 2004, bei der Abteilung Wohnbauförderung um grundsätzliche Förderungsbereitschaft einer Wohnhausanlage angesucht habe, obwohl mit dem Bau zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen worden war. Medial habe der Privatankläger mehrfach zu Gunsten des in diesem Zusammenhang angeklagten und schließlich rechtskräftig wegen Urkundenfälschung verurteilten Vizebürgermeisters von V***** Stellung bezogen (Ersturteil S 8 f).
Auch angesichts der zuletzt angeführten, bereits vor der inkriminierten Äußerung in der Öffentlichkeit diskutierten Vorfälle (eine Bezugnahme darauf ist daher im Zusammenhang mit der in Rede stehenden Pressekonferenz nicht unbedingt erforderlich; vgl 11 Os 124/07f, 15 Os 172/08w), bestand somit eine Tatsachengrundlage, die den Angeklagten als Politiker auch zu polemischer und provokativer Kritik an der Wohnbaugenossenschaft und dem Privatankläger als einem ihrer Vorstandsmitglieder, einer Funktion, die in engem Konnex mit seiner politischen Tätigkeit stand (vgl EGMR 13. November 2003, Scharsach und News Verlagsgesellschaft gegen Österreich, Nr 39394/98, ÖJZ 2004, 512 Z 29 und 37), berechtigte, und darüber hinaus geeignet war, das Interesse der Öffentlichkeit an Informationen rund um diese Bauvereinigung zu erregen.
Schließlich ist die politische Auseinandersetzung sehr häufig von Übertreibungen, Provokationen, Zuspitzungen und mehr oder minder gelungenen „Wortschöpfungen“ geprägt, ja sie bedient sich solcher bewusst, um die Bevölkerung für bestimmte Themen zu sensibilisieren. So gesehen legt die Verwendung des Ausdrucks „Mietenmafia“ schon angesichts der Kombination mit dem weiteren Begriff „rote“ als parteipolitische Zuordnung und der in der politischen Rhetorik durchaus gebräuchlichen Verwendung des Begriffs „Mafia“ für kritikwürdige Institutionen nahe, dass am Privatankläger im Zusammenhang mit die Wohnbaugenossenschaft „H*****“ betreffenden aufklärungsbedürftigen Vorfällen wenngleich herbe, im Rahmen eines Werturteils aber noch zulässige politische Kritik geübt, ihm aber nicht die vorsätzliche Begehung von Verbrechen im Rahmen einer kriminellen Organisation vorgeworfen werden sollte.
In Stattgebung des Antrags auf Erneuerung waren die im Spruch bezeichneten Urteile daher aufzuheben. Im erneuerten Verfahren wird den angesprochenen Umständen das erforderliche Augenmerk zu widmen sein.
Eine weiters behauptete Verletzung im Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK) liegt hingegen nicht vor:
Die weder in der Berufung wegen Nichtigkeit (ON 17; vertikale Rechtswegausschöpfung, vgl RIS-Justiz RS0122737, insbesondere 13 Os 16/09s) noch im Erneuerungsantrag konkretisierte Behauptung einer „Verletzung von Art 6 EMRK“ infolge Unterlassung der Verbindung der beim Landesgericht Klagenfurt anhängigen Verfahren AZ 17 Hv 67/07i, 17 Hv 69/07h und 17 Hv 68/07m zur gemeinsamen Verhandlung gemäß (richtig bloß:) § 37 Abs 3 StPO wurde seitens des Antragstellers nicht ausreichend substantiiert, weil nicht schlüssig vorgetragen wurde, in welchem bestimmten Konventionsrecht er sich verletzt erachtet, obgleich in einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag - zur Beurteilung seiner Opfereigenschaft nach Art 34 MRK (vgl Grabenwarter, EMRK4 § 13 Rz 13) - deutlich und bestimmt darzulegen ist, worin eine (vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken wäre (RIS-Justiz RS0124359, RS0122737 [T17]).
Ein Erneuerungsantrag, der unter Hinweis auf den Verstoß gegen ein - im Übrigen keineswegs ausnahmslos verpflichtendes (vgl die Möglichkeit einer gegebenenfalls auch sofortigen [Wieder-]Ausscheidung des Verfahrens gemäß § 36 Abs 4 StPO; Fabrizy StPO10 § 37 Rz 4 f; siehe auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 380 sowie Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 12 ff) - gesetzliches Gebot eine „Verletzung von Art 6 EMRK“ bloß pauschal behauptet, wird diesem Erfordernis nicht gerecht.
Der erstmals im Erneuerungsantrag erhobene Einwand der Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) scheitert an der Voraussetzung der Erschöpfung des Rechtswegs (vgl Art 35 Abs 1 MRK), die einerseits die - hier vorliegende - Befassung sämtlicher nach der Rechtsordnung vorgesehenen Instanzen (vertikale Erschöpfung), andererseits aber auch die - im Anlassfall nicht erfolgte (vgl die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, ON 17) - Geltendmachung der Konventionsver-letzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften vor diesen Instanzen (horizontale Erschöpfung) verlangt (RIS-Justiz RS0122737, insbesondere 13 Os 16/09s).
Mit der rein spekulativen Behauptung, bei getrennter Verfahrensführung und Entscheidung bestünde „die Gefahr, dass bei Ausspruch von Zusatzstrafen letztendlich dennoch insgesamt eine höhere Gesamtstrafe zum Tragen käme, als bei gemeinsamer Verurteilung“, wird eine Konventionsverletzung nicht aufgezeigt.
Schlagworte
Teil der roten Mietenmafia,StrafrechtTextnummer
E98091European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0150OS00081.11T.0629.000Im RIS seit
03.09.2011Zuletzt aktualisiert am
08.04.2013