Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die fachkundigen Laienrichter Dr. Helwig Aubauer und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth S*****, vertreten durch Dr. Maximilian Hofmanninger, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, Geschäftsstelle Salzburg, 5020 Salzburg, Bergstraße 12, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen 1.144 EUR sA an Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Februar 2011, GZ 11 Rs 6/11y-10, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. September 2010, GZ 19 Cgs 161/10g-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Klägerin hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die bei der späteren Gemeinschuldnerin als Verkäuferin beschäftigte Klägerin wurde am 2. 7. 2008 von ihrem Vorgesetzten damit konfrontiert, dass während ihrer Dienstzeit aus der Handkassa 700 EUR entwendet wurden. Obwohl die Klägerin diesen Betrag nicht selbst aus der Handkassa genommen hatte, ersetzte sie über Aufforderung ihrer Arbeitgeberin diesen Betrag. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhob sie eine Klage auf Rückforderung des Ersatzbetrags, der auch mit Zahlungsbefehl rechtskräftig stattgegeben wurde. In weiterer Folge wurde über die Arbeitgeberin das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete neben den rückgezahlten 700 EUR noch 444 EUR an Zinsen, Gebühren und Kosten an.
Die Beklagte lehnte den auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld in dieser Höhe gestellten Antrag der Klägerin ab.
Die Klägerin begehrt nunmehr die Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld in der genannten Höhe und macht geltend, dass sie vom Arbeitgeber ungerechtfertigt zur Ersatzleistung aufgefordert worden sei. Die Rückforderung gegen die insolvente Arbeitgeberin sei daher gesichert.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass die Klägerin eine Nichtschuld beglichen habe, woraus aber keine Ansprüche auf Insolvenz-Entgelt abgeleitet werden könnten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Forderung der Klägerin sei nicht gemäß § 1 Abs 2 Z 3 IESG gesichert. Nach dieser Gesetzesstelle seien nur Ansprüche gesichert, die mit den ein Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Haupt- und Nebenverpflichtungen in einem Sachzusammenhang stehen. Die Klägerin habe, obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen sei, den Fehlbetrag ersetzt; ihr daraus abgeleiteter Rückforderungsanspruch sei nicht durch das IESG gesichert.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin Folge und änderte es im klagsstattgebenden Sinne ab. Die Forderung der Klägerin sei vom Auffangtatbestand des § 1 Abs 2 Z 3 IESG erfasst. Dabei gehe es um „sonstige Ansprüche gegen den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis“. Dies seien nicht nur solche Ansprüche, die ihren unmittelbaren Rechtsgrund im Arbeitsvertrag hätten, sondern auch solche, die ihren Rechtsgrund zwar in selbständigen Rechtsgeschäften hätten, aber mit den ein Arbeitsverhältnis kennzeichnenden typischen wechselseitigen Haupt- und Nebenverbindlichkeiten in einem solchen Sachzusammenhang stünden, dass der Entstehungsgrund letztlich im Arbeitsverhältnis liege. Selbst die Risikohaftung des Arbeitgebers nach § 1014 ABGB sei, ebenso wie echte Aufwandsentschädigungen, davon erfasst. Hier sei die Klägerin durch das Arbeitsverhältnis zur Zahlung der 700 EUR veranlasst worden. In wirtschaftlicher Sicht stelle sich die Situation der Klägerin nicht anders dar als jene, in der der Arbeitgeber die von ihm beanspruchte Mankohaftung durch Einbehalt des Entgelts durchsetze. Im Ergebnis sei daher davon auszugehen, dass der Entstehungsgrund im Arbeitsverhältnis liege und somit eine Absicherung nach § 1 Abs 2 Z 3 IESG gegeben sei.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, weil zur Frage, ob eine derartige Forderung eines Dienstnehmers einen „sonstigen gesicherten Anspruch“ gegen den Arbeitgeber iSd § 1 Abs 2 Z 3 IESG darstelle, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aufgefunden werden konnte.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist zulässig und auch berechtigt.
Zutreffend sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, dass für die allfällige Absicherung der Ansprüche der Klägerin gegen ihren Arbeitgeber durch das IESG nur dessen § 1 Abs 2 Z 3 in Betracht kommt. Nach dieser Bestimmung sind „sonstige Ansprüche gegen den Arbeitgeber“ gesichert.
Die Z 3 des § 1 Abs 2 IESG stellt im weiteren Sinne einen Auffangtatbestand dar, soweit es sich nicht um Entgelt- (§ 1 Abs 2 Z 2 IESG) oder Schadenersatzansprüche (§ 1 Abs 2 Z 2 IESG) handelt. Es muss sich aber um Ansprüche handeln, deren Entstehungsgrund letztlich im Arbeitsverhältnis liegt, weil sie mit den wechselseitigen Haupt- und Nebenverpflichtungen in einem unmittelbaren Sachzusammenhang stehen (vgl auch Liebeg, Insolvenzentgeltsicherung3 § 1 Rz 119 f; Holzner/Reisner/Schwarz, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 154 f).
Entscheidend für die IESG-rechtliche Beurteilung ist stets der tatsächlich dahinter stehende Anspruch und dessen Einordenbarkeit in die Anspruchstatbestände des IESG (8 ObS 6/11g).
Hier hat der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadenersatz geltend gemacht. In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof stets ausgesprochen, dass die Abwehr von derartigen Ansprüchen IESG-rechtlich nicht gesichert ist, und zwar selbst dann nicht, wenn die abzuwehrenden Ansprüche in einer Widerklage geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0076657; insb 8 ObS 12/09m). Derartige Ansprüche des Arbeitgebers und die Abwehr dieser Ansprüche werden nicht durch das IESG gesichert (8 ObS 8/08x). Wenn aber die Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer und die damit im Zusammenhang stehenden Streitigkeiten nicht gesichert sind, so muss dies auch für die Rückforderung der darauf erbrachten Leistungen gelten, in dessen Hintergrund ja weiterhin die Frage des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs des Arbeitgebers steht.
Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die Ansprüche auf Rückforderung vom Arbeitgeber zu Unrecht begehrter Leistungen auf Schadenersatz nicht durch das IESG gesichert sind, weil insgesamt das IESG auf die Absicherung der Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber ausgerichtet ist, nicht aber auch umgekehrt, und im Ergebnis ein derartiger „umgekehrter Anspruch“ dem Rückforderungsanspruch zugrundeliegt.
Dementsprechend war der Revision der Beklagten Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG.
Schlagworte
ArbeitsrechtTextnummer
E97922European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:008OBS00008.11A.0629.000Im RIS seit
17.08.2011Zuletzt aktualisiert am
05.08.2013