Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen C***** K*****, vertreten durch den Sachwalter Mag. J***** K*****, über den Revisionsrekurs des Vereins gemäß § 13 UbG, VertretungsNetz-Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Patientenanwalt Dr. M***** P. L*****, 6020 Innsbruck, Anisstraße 35), vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 31. Jänner 2011, GZ 51 R 122/10f-137, womit der Rekurs des Vereins gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 4. November 2010, GZ 5 P 111/08f-132, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht aufgetragen, über den Rekurs des Vereins unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden.
Text
Begründung:
Mit Beschluss vom 14. 1. 2003 wurde für die Betroffene für die Wirkungskreise der finanziellen Angelegenheiten sowie der Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten ihr Bruder zum Sachwalter bestellt. Mit Beschluss vom 2. 6. 2008 wurde der Kreis der vom Sachwalter zu besorgenden Angelegenheiten um „medizinische Behandlungen“ ausgedehnt. Am 16. 1. 2009 beantragte der Sachwalter die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Verabreichung einer Depotmedikation, weil die Betroffene auf Grund eines akuten Gefährdungszustands in eine geschlossene Anstalt der Psychiatrie eingewiesen und die Unterbringung bis zum 29. 1. 2009 fortgesetzt werde. Sowohl die behandelnden Ärzte als auch die Sachverständige im Unterbringungsverfahren würden diese Art der Medikation empfehlen. Der Sachwalter habe den behandelnden Ärzten gegenüber seine Zustimmung erteilt, die Ärzte bestünden jedoch auf einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung der Behandlung. Das Erstgericht genehmigte antragsgemäß die Behandlung für die Dauer eines Jahres. Die Verabreichung hochdosierter Neuroleptika und Depotbehandlungen stelle zwar eine schwerwiegende Behandlung nach §§ 282 Abs 1 iVm 146c Abs 2 ABGB dar, die Betroffene sei aber weder urteils- noch einsichtsfähig, sodass es sich um eine notwendige Maßnahme zu ihrem Wohl handle.
Am 2. 11. 2010 beantragte der Sachwalter neuerlich, die Verabreichung der Depotmedikation der Betroffenen pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen. Die Betroffene sei am 24./25. 10. 2010 auf Grund eines akuten Gefährdungszustands, nachdem sie am Innsbrucker Flughafen Passanten attackiert habe, in eine geschlossene Anstalt der Psychiatrie eingewiesen worden. Ihre Unterbringung sei vorerst bis zum 5. 11. 2010 angeordnet worden. Trotz Medikamentengabe seit dem Vorfall habe sich ihr Gesundheitszustand nicht verbessert. Obwohl die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Depotmedikation für ein Jahr erteilt worden sei, habe die Betroffene die Medikamente im letzten Jahr nicht mehr eingenommen, sodass ihre gesundheitliche Situation wieder am Nullpunkt sei. Die behandelnden Ärzte würden neuerlich eine Depotmedikation, insbesondere zur Hintanhaltung von aggressiven Übergriffen, empfehlen. Die Betroffene sei derzeit in keiner Weise „vereinbarungsfähig“. Der Sachwalter habe seine Zustimmung zur Medikation erteilt. Die Klinik bestehe auf einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung der Behandlung.
Das Erstgericht sprach aus, dass „die medizinische Behandlung“ der Betroffenen „in Form der Verabreichung von Depotmedikation im 2-Wochenintervall für die Dauer von einem Jahr“ pflegschaftsgerichtlich genehmigt werde. Bei der Behandlung handle es sich um eine notwendige Maßnahme zum Wohl der Betroffenen.
Den dagegen erhobenen Rekurs des Vereins als Vertreter der Betroffenen nach § 13 UbG wies das Rekursgericht zurück. Nach § 127 AußStrG stehe der Rekurs im Bestellungsverfahren nur dem Betroffenen, seinem Vertreter, dem Verfahrenssachwalter, der Person, die zum Sachwalter bestellt werden solle und den nächsten Angehörigen, deren Vertretungsbefugnis im ÖZVV registriert sei, zu. Anderen Personen käme weder im Bestellungsverfahren noch in anderen Bereichen der Sachwalterschaftsangelegenheiten Rechtsmittellegitimation zu, sodass Dritte - wie der Patientenanwalt (gemeint: Verein) - kein Rekursrecht hätten. Nach § 36 Abs 2 UbG bedürfe die „besondere“ Heilbehandlung des nicht einsichtsfähigen Untergebrachten, dem - wie hier - ein Sachwalter auch für den Kreis der medizinischen Behandlung bestellt worden sei, der schriftlichen Zustimmung des Sachwalters. Gesetzlicher Vertreter des Betroffenen sei der Sachwalter und nicht der „Patientenanwalt“. Letzterer könne keine Zustimmung zur Behandlung erteilen. Damit seien die Vertretungsbefugnis des „Patientenanwalts“ und seine Rekurslegitimation im pflegschaftsgerichtlichen Genehmigungsverfahren zu verneinen und sein Rechtsmittel zurückzuweisen.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage der Rekurslegitimation des „Patientenanwalts“ im Sachwalterschaftsverfahren oberstgerichtliche Judikatur fehle.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vereins mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss antragsabweisend abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Der Kranke wird von dem für die Namhaftmachung von Patientenanwälten nach der Lage der psychiatrischen Abteilung örtlich zuständigen Verein im Sinn des § 1 VSPBG vertreten (§ 13 Abs 1 UbG idF BGBl 2010/18). Diese Bestimmung trat am 1. 7. 2010 in Kraft. Mit diesem Zeitpunkt tritt der jeweils örtlich zuständige Verein im Sinn des § 13 Abs 1 UbG als Vertreter eines Kranken an die Stelle des diesen bis dahin vertretenden Patientenanwalts (§ 42 Abs 3 UbG). Der Verein wird mit der Aufnahme eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken kraft Gesetzes dessen Vertreter für das in diesem Bundesgesetz vorgesehene gerichtliche Verfahren und zur Wahrnehmung der insbesondere in den §§ 33 bis 39 UbG verankerten Rechte. Dadurch werden die Geschäftsfähigkeit des Kranken und die Vertretungsbefugnis eines sonstigen Vertreters nicht beschränkt (§ 14 Abs 1 UbG). Soweit der Kranke einsichts- und urteilsfähig ist, darf er nicht gegen seinen Willen behandelt werden; eine medizinische Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist (besondere Heilbehandlung), darf nur mit seiner schriftlichen Zustimmung durchgeführt werden (§ 36 Abs 1 UbG). Ist der Kranke nicht einsichts- und urteilsfähig, so darf er, wenn ihm ein Sachwalter bestellt ist, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur Behandlungen des Kranken umfasst, nicht gegen den Willen des Sachwalters behandelt werden; eine besondere Heilbehandlung darf nur mit schriftlicher Zustimmung des Sachwalters durchgeführt werden (§ 36 Abs 2 UbG). Einer medizinischen Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, kann der Sachwalter nur zustimmen, wenn ein vom behandelnden Arzt unabhängiger Arzt in einem ärztlichen Zeugnis bestätigt, dass die behinderte Person nicht über die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt und die Vornahme der Behandlung zur Wahrung ihres Wohles erforderlich ist. Wenn ein solches Zeugnis nicht vorliegt oder die behinderte Person zu erkennen gibt, dass sie die Behandlung ablehnt, bedarf die Zustimmung der Genehmigung des Gerichts. Erteilt der Sachwalter die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung nicht und wird dadurch das Wohl der behinderten Person gefährdet, so kann das Gericht die Zustimmung des Sachwalters ersetzen oder die Sachwalterschaft einer anderen Person übertragen (§ 283 Abs 2 ABGB).
Der Oberste Gerichtshof hat (noch zu der alten Rechtslage) in der Entscheidung 9 ObA 284/99a ausgesprochen, dass der Patientenanwalt (nunmehr Verein) bei der Unterbringung ohne Verlangen nicht auf die Wahrnehmung der Rechte nach den §§ 33 bis 39 UbG beschränkt ist, sondern seine Vertretungsbefugnis auch andere subjektive Rechte, die dem Kranken nach sonstigen Bestimmungen zustehen (zB Grundrechte), umfasst. Die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts (nunmehr Vereins) ist aber auf die Wahrnehmung solcher Rechte zu beschränken, die mit der Unterbringung in einem unmittelbaren und typischen Zusammenhang stehen. Sie bezieht sich daher nicht auf Angelegenheiten, die mit der Unterbringung in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, sei es, dass sie mit der Unterbringung überhaupt nichts zu tun haben (zB Pensionsstreitigkeiten, Eheschließungen udgl), sei es, dass das Vertretungsbedürfnis nur zufällig durch die Unterbringung ausgelöst wurde, zum Beispiel bei Miet-, Wohnungs- und Arbeitsangelegenheiten (RIS-Justiz RS0112841; vgl auch Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts², Rz 481). Der Patientenanwalt (nunmehr Verein) ist ein Vertreter des Untergebrachten kraft Gesetzes mit einem durch das UbG umschriebenen Wirkungskreis. Rechtsmittel „des Patientenanwaltes“ (nunmehr Verein) können immer nur Rechtsmittel des von ihm Vertretenen sein, auch wenn sein Recht, den Rekurs zu erheben, vom Willen des Kranken unabhängig ist (6 Ob 169/08h mwN, RIS-Justiz RS0075886). Der Patientenanwalt (nunmehr Verein) soll - bloß - die Stellung eines Bevollmächtigten haben (AB 464 XVII. GP abgedruckt in Thanner/Vogel, UbG, 86). Auf Antrag des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht nachträglich über die Zulässigkeit der Unterbringung, der Beschränkung der Bewegungsfreiheit, der Einschränkung des Verkehrs mit der Außenwelt, der Beschränkung eines sonstigen Rechts oder der ärztlichen Behandlung zu entscheiden, wenn die Unterbringung bereits vor der Entscheidung des Gerichts nach § 20 UbG aufgehoben oder die Beschränkung, Einschränkung oder Behandlung bereits beendet wurde (§ 38a Abs 1 UbG). Das Rechtsmittelinteresse dauert daher auch noch nach Beendigung der Unterbringung und Behandlung fort (3 Ob 142/10v; RIS-Justiz RS0074575, RS0071267; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts² Rz 470).
Die Vertretungsbefugnis des Vereins bezieht sich gemäß § 14 Abs 1 UbG auf die Vertretung des Kranken im Unterbringungsverfahren und auf die Wahrnehmung der insbesondere in den §§ 33 bis 39 UbG verankerten Rechte. Durch das Wort „insbesondere“ ist eindeutig klar gestellt, dass sich die Vertretungsbefugnis des Vereins auch noch auf andere als die in §§ 33 bis 39 UbG verankerten Rechte beziehen muss (vgl auch Kopetzki aaO Rz 480).
Das Sachwalterschaftsverfahren, soweit es sich auf die Genehmigung der Zustimmung des Sachwalters zu einer während der Unterbringung durchzuführenden Heilbehandlung bezieht, steht ohne jeden Zweifel in einem unmittelbaren und typischen Zusammenhang mit der Unterbringung. Da das Gesetz den Tätigkeitsbereich des Vereins nicht auf bestimmte Verfahrensarten einschränkt, erstreckt sich daher die Vertretungsbefugnis des Vereins im Hinblick auf den Zusammenhang mit der Unterbringung auch auf das Sachwalterschaftsverfahren, in dem der Verein die „sonstigen Rechte“ des Kranken nach § 14 UbG wahrnimmt (vgl Kopetzki aaO Rz 482).
Auch wenn der Beschluss des Erstgerichts nach seinem Wortlaut die medizinische Behandlung selbst genehmigt, kann damit - weil der Sachwalter den Antrag auf Genehmigung seiner Zustimmung zur Behandlung gestellt hat und ein Ersetzen der Genehmigung nach § 283 Abs 2 ABGB damit nicht in Betracht kommt - nur gemeint sein, dass damit die Zustimmung des Sachwalters genehmigt wurde. Dem Pflegschaftsgericht käme nämlich nicht die Kompetenz zu, die Behandlung selbst anzuordnen (vgl 7 Ob 355/97z). In diesem Genehmigungsverfahren ist der Verein, wie sich aus diesen Grundsätzen ergibt, vertretungsbefugt und daher auch im Namen der Betroffenen rechtsmittellegitimert. Das Rekursgericht wird im fortzusetzenden Verfahren über den Rekurs des Vereins unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden haben.
Der Vollständigkeit halber sei schon jetzt zur Frage der Beschwer des Vereins Folgendes ausgeführt:
Unklar ist im vorliegenden Fall zur Zeit, ob die Depotmedikation während der nun beendeten Unterbringung durchgeführt wurde oder nicht. Wurde die Maßnahme, über die eine gerichtliche Entscheidung angestrebt wird, nicht gesetzt, fehlt das Rechtsschutzinteresse zur Abklärung, ob sie hätte gesetzt werden dürfen (3 Ob 142/10v = RIS-Justiz RS0126250). Im vorliegenden Fall kann aber dahin gestellt bleiben, ob die Medikation vorgenommen wurde oder nicht, weil der erstinstanzliche Beschluss während der Unterbringung gefasst wurde und die Dauer von einem Jahr abdeckt, also über die (bereits beendete) Unterbringung hinaus wirksam ist und daher auch für allfällig künftige Unterbringungen in diesem Zeitraum Wirkung entfaltet. Die Rechtskraft des Genehmigungsbeschlusses hätte nämlich zur Folge, dass bei künftigen Unterbringungen innerhalb dieses Jahres die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Depotmedikation sofort bestünden, ohne dass der Verein die Interessen der Kranken vertreten könnte. Die Entscheidung über das Rechtsmittel ist damit nicht rein theoretischer Natur, sondern notwendig, um die Rechtmäßigkeit der Behandlung zu überprüfen. Die Beschwer ist daher insoweit jedenfalls zu bejahen.
Schlagworte
Gruppe: Zivilrechtsfragen - Menschenrechte,GrundfreiheitenTextnummer
E98153European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00105.11H.0629.000Im RIS seit
10.09.2011Zuletzt aktualisiert am
26.02.2014