TE OGH 2011/7/6 3Ob43/11m

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinrich H*****, vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Sabine H*****, vertreten durch Dr. Hannes Lederer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Einwendungen gegen den Unterhaltsanspruch gemäß § 35 EO, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. September 2010, GZ 3 R 98/10y-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. Jänner 2010, GZ 20 C 251/09h-13, in der Hauptsache abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil in der Hauptsache wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.100,94 EUR bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (hierin enthalten 683,49 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.554,06 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 259,01 EUR an USt) und die mit 1.119,24 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 186,54 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Gemäß § 70 Satz 2 ZPO wird ausgesprochen, dass die klagende Partei zum Ersatz der Pauschalgebühr für die Revision der beklagten Partei verpflichtet ist.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile lernten einander im Jahr 1986 kennen und schlossen am 2. September 2000 die Ehe, der die Söhne T*****, geboren am 1. Oktober 1991 und der minderjährige D*****, geboren am 28. Juli 1993 entstammen. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Streitteile war in I*****.

              Am 17. März 2005 beantragte die nunmehrige Beklagte als Klägerin beim Erstgericht, den nunmehrigen Kläger und dortigen Beklagten zu verpflichten, beginnend mit April 2005 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 700 EUR zu bezahlen. Mit dieser Klage verband sie auch einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhalts, ihr ab dem Tag der Antragstellung und in der Folge jeweils bis zum Ersten eines jeden Monats im Vorhinein einen Unterhaltsbeitrag von 700 EUR zu leisten. Am 11. April 2005 schlossen die Parteien in diesem Verfahren einen Vergleich, mit dem sich der Kläger verpflichtete, ab Mai 2005 bis längstens zum 10. eines jeden Monats im Vorhinein 500 EUR an vorläufigem Ehegattenunterhalt zu bezahlen.

Mit ihrer am 2. Oktober 2006 eingebrachten Ehescheidungsklage begehrte die nunmehrige Beklagte die Ehescheidung aus dem alleinigen Verschulden des nunmehrigen Klägers. Dieser erhob am 21. Februar 2007 Widerklage mit dem Antrag auf Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Mit Urteil des Erstgerichts vom 26. Februar 2010 sprach es in den verbundenen Verfahren die Scheidung aus dem überwiegenden Verschulden des nunmehrigen Klägers aus. Nur gegen den Verschuldensausspruch des Erstgerichts erhoben beide Parteien Berufung, sodass die Scheidung dem Bande nach (nach Schluss der Verhandlung im vorliegenden Oppositionsverfahren am 13. Jänner 2010) in Rechtskraft erwachsen ist.

Mit Juli (gemeint: Juni) 2009 stellte der Kläger die Unterhaltszahlungen aus dem Vergleich vom 11. April 2005 gegenüber der Beklagten ein.

Am 16. Juli 2009 bewilligte das Erstgericht der Beklagten zu 23 E 2509/09w zur Hereinbringung des rückständigen Unterhalts in der Höhe von 500 EUR für Juni 2009 die beantragte Fahrnisexekution sowie zur Sicherung des künftigen Unterhalts ab 1. Juli 2009 die Fahrnisexekution (bis zur Pfändung), die zwangsweise Pfandrechtsbegründung sowie die Vormerkung eines Zwangspfandrechts auf den dem Kläger gehörenden Liegenschaftsanteilen. Dem in Verbindung mit der vorliegenden Oppositionsklage gestellten Antrag des Klägers auf Aufschiebung der Exekution gab das Erstgericht mit Beschluss vom 27. August 2009 nur zur Hereinbringung des rückständigen Unterhalts bewilligten Fahrnisexekution (ohne Auferlegung einer Sicherheitsleistung), nicht aber zur zur Sicherung des künftigen Unterhalts ab 1. Juli 2009 bewilligten Fahrnisexekution (bis zur Pfändung), der zwangsweisen Pfandrechtsbegründung sowie der Vormerkung eines Zwangspfandrechts statt. Dieses Exekutionsverfahren wurde mit Beschluss vom 23. März 2010 gemäß § 39 Abs 1 Z 6 EO „infolge der vollständigen Bezahlung der offenen Forderung“ eingestellt (also ebenfalls nach Schluss der Verhandlung im vorliegenden Oppositionsverfahren am 13. Jänner 2010).

Mit seiner am 20. August 2009 eingebrachten Oppositionsklage begehrt der Kläger, den Anspruch aus dem Vergleich vom 11. August (richtig: April) 2005, zu dessen Hereinbringung der Beklagten mit Beschluss des Erstgerichts vom 16. Juli 2009 die Exekution bewilligt worden sei, für erloschen zu erklären. Im zwischen den Streitteilen anhängigen Scheidungsverfahren habe der Zeuge S***** in der Streitverhandlung vom 26. Mai 2009 zugegeben, seit dem Frühjahr 2007 zumindest bis Mitte/Ende 2007 eine geschlechtliche Beziehung zur Beklagten unterhalten zu haben. Es sei aber davon auszugehen, dass die Beklagte diese ehebrecherische Beziehung spätestens seit Dezember 2006 unterhalten habe. Durch die lang andauernde sexuelle Beziehung habe die Beklagte den Unterhalt verwirkt. Trotz seiner gesonderten Wohnsitznahme habe er an der Ehe festgehalten und sei zum Zeitpunkt des Ehebruchs der Beklagten noch im festen Glauben gewesen, die Ehe könne gerettet werden.

Die Beklagte wendete ein, nicht sie, sondern der Kläger habe bereits vor Auflösung des gemeinsamen Haushalts durch sein Verhalten die Ehe der Streitteile schuldhaft so tief zerrüttet, dass die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden hätte können. Insbesondere sei er als Gastwirt regelmäßig erst in den frühen Morgenstunden betrunken nach Hause gekommen und habe die Beklagte vor den Kindern und auch diese beschimpft. Sowohl gegenüber der Beklagten als auch gegenüber den beiden Kindern sei er mehrfach gewalttätig geworden und hätte ihnen Gegenstände wie Schlüsselbund oder Aschenbecher nachgeworfen. Am 3. August (richtig: September) 2006 sei der Kläger gegenüber dem älteren Sohn handgreiflich geworden und hätte diesen verletzt, worauf seitens der Polizei die Wegweisung des Klägers aus der Ehewohnung ausgesprochen worden sei. Seither sei er nicht mehr in die Ehewohnung zurückgekehrt, sodass die eheliche Lebensgemeinschaft aufgelöst und die Ehe spätestens seit August 2006 unheilbar zerrüttet gewesen sei. Die Beziehung der Beklagten zu S***** habe erst im Frühjahr 2007 begonnen und sei Mitte/Ende 2007 beendet gewesen, eine Lebensgemeinschaft habe nicht bestanden.

In der vorbereitenden Verhandlung vom 26. November 2009 brachte der Kläger weiter vor, die Beklagte habe auch schon vor dem Auszug des Klägers aus der ehelichen Wohnung am 3. Juni (gemeint: September) 2006 die Ehe mehrfach gebrochen und mit B***** bereits im Frühjahr 2006 ein ca 2 Monate dauerndes Liebesverhältnis unterhalten. Davon habe er erst anlässlich dessen Zeugenaussage im Scheidungsverfahren am 20. November 2009 Kenntnis erlangt.

Die Beklagte wendete dagegen ein, die eheliche Gemeinschaft zwischen den Streitteilen sei seit zumindest Herbst 2003 aus dem Verschulden des Klägers derartig tiefgreifend zerrüttet gewesen, dass eine Wiederherstellung einer ehelichen Gemeinschaft nicht mehr zu erwarten gewesen sei. Im Herbst 2003 sei sie völlig überraschend mit der Diagnose Gebärmutterhalskrebs konfrontiert worden und hätte sich kurzfristig einer schweren Operation unterziehen müssen. Der Kläger sei der Beklagten trotz der damit verbundenen hohen psychischen Belastung in keiner Weise beigestanden, sondern habe es abgelehnt, während des Zeitraums des Krankenhausaufenthalts die gemeinsamen Kinder zu betreuen und habe die Beklagte im Krankenhaus auch nicht besucht. Vielmehr habe er ihr erklärt, aufgrund der Operation sei sie nunmehr keine vollwertige Frau mehr. Deshalb seien die Streitteile ab diesem Zeitpunkt eigene Wege gegangen und hätten in der Wohnung in gesonderten Zimmern genächtigt. Eine allfällige Beziehung der Beklagten zu B***** und S***** habe keine (weitere) Zerrüttung der Ehe verursachen können, weshalb kein Verwirkungstatbestand vorliege. Der Kläger habe bereits 2006 Kenntnis von der Beziehung zu B***** gehabt, weshalb diese Einwendung gegen die Eventualmaxime des § 35 Abs 3 EO verstoße.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und verpflichtete den Kläger zum Kostenersatz von 4.481,46 EUR. Es ging dabei - über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus - von folgenden chronologisch geordneten (und zu unstrittigen Tatfragen zum Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Krebsdiagnose für die Beklagte im Jahr 2003 sowie zum Zeitraum und zur Dauer der sexuellen Beziehung der Beklagten im Jahr 2006 ergänzten) Feststellungen aus:

Der Kläger ist Gastronom und betreibt eine Pizzeria. Die Beklagte machte für das Restaurant die Wäsche und half gelegentlich im Gastronomiebetrieb aus, kümmerte sich jedoch hauptsächlich um den gemeinsamen Haushalt und die Kinder.

Nach der Eheschließung funktionierte die Beziehung der Streitteile zunächst noch gut. Ende 2001 gab es aber schon häufig Streitereien, da die Beklagte aufgrund der Kinderbetreuung nicht mehr regelmäßig in der Pizzeria mitarbeiten konnte. In der darauf folgenden Zeit lebten sich die Streitteile zunehmend auseinander. Die eheliche Gesinnung war beiderseits erheblich gestört.

Im Winter 2002 wollte der Kläger ein Haus erwerben. Die Beklagte leistete die dafür notwendigen Unterschriften auf Bestreben des Klägers. Bereits kurze Zeit nach dem Erwerb des Hauses waren mehrere Verfahren gegen die Beklagte anhängig, bei denen der Kläger sie im Stich ließ.

Im Herbst 2003 erhielt die Beklagte die Diagnose Unterleibskrebs und musste sich einer Operation unterziehen. Der Kläger unterstützte die Beklagte in dieser Zeit nicht, ließ keinerlei Mitgefühl für die Ehegattin in dieser Situation erkennen und kümmerte sich auch nicht um die gemeinsamen Kinder. Erst nachdem die Beklagte bereits zwei Tage in der Klinik war, erkundigte sich der Kläger telefonisch nach ihrem Verbleib. Ab diesem Zeitpunkt war für die Beklagte von einer eheliche Gemeinschaft der Streitteile keine Rede mehr; sie nutzen seither getrennte Schlafzimmer.

Im Oktober 2005 verreiste der Kläger spontan dreieinhalb Wochen nach Brasilien. In dieser Zeit hatte die Beklagte kein Geld für sich und ihre Kinder zur Verfügung, weshalb sie ihre Verwandten um finanzielle Unterstützung bitten musste.

Im Frühjahr 2006 unterhielt die Beklagte eine lockere freundschaftlich Beziehung zu B***** für ca zwei Monate, in deren Rahmen es drei bis vier Mal auch zu geschlechtlichem Kontakt kam.

Am 2. September 2006 gab es zwischen dem Kläger und dem älteren Sohn eine Auseinandersetzung, in deren Folge eine Wegweisung gegenüber dem Kläger ausgesprochen wurde. Ab diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen den Streitteilen so schlecht, dass eine Versöhnung und ein weiteres eheliches Zusammenleben nicht mehr möglich waren. Da der Kläger aus der ehelichen Wohnung auszog, haben die Streitteile seither getrennte Wohnsitze.

Im Jahr 2006 lernte die Beklagte auch S***** kennen. Die beiden unterhielten zunächst eine rein freundschaftliche Beziehung. Ab dem Frühjahr 2007 hatten sie geschlechtlichen Kontakt. Diese Beziehung dauerte bis zum Herbst 2007.

Die Klägerin erhielt vom Beklagten keinen Dienstlohn und auch keinen Unterhalt. Sie erhielt für die häuslichen Einkäufe und Besorgungen für die Kinder knapp bemessenes Wirtschaftsgeld vom Kläger, dies allerdings nur nach mehrmaligem Auffordern und Betteln. Die Beklagte hatte keine sonstigen Einkünfte.

Da der Kläger die Beklagte insbesondere während der Zeit ihrer Erkrankung, während anhängiger Rechtsverfahren gegen sie und während seines mehrwöchigen Auslandsaufenthalts im Stich gelassen und sich auch im Übrigen meist äußerst lieblos verhielt, verlor die Beklagte ihren Ehewillen endgültig. Die Geschlechtsgemeinschaft der Streitteile ist bereits seit Herbst 2003, die Wohngemeinschaft seit September 2006 aufgehoben, weshalb die Ehe der Streitteile subjektiv und objektiv schon zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses jedenfalls maßgeblich aufgrund des Verhaltens des Klägers zerrüttet war. Der Kläger bemühte sich seither „auch nicht wirklich“ um eine Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft. Daher ist der beiderseitige Ehewille der Streitteile endgültig verloren, zumal der Kläger selbst eine neue Lebenspartnerschaft hat.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, zur Trennung zwischen den Ehegatten sei es ausschließlich auf Initiative des Klägers gekommen, der, ohne einen rechtfertigenden Grund seine eheliche Beistandspflicht verletzt habe, indem er die Beklagte in der Zeit ihrer Unterleibsoperation im Stich gelassen und während eines mehrwöchigen Brasilienaufenthalts die Beklagte und seine beiden Söhne finanziell nicht unterstützt habe. Die Aufnahme von geschlechtlichen Beziehungen nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe und im Bewusstsein, dass der Kläger sich an die Ehe nicht mehr gebunden fühle, stelle keinen derart schweren Verstoß dar, der eine Unterhaltsverwirkung rechtfertige.

Diese Entscheidung bekämpfte der Kläger in der Hauptsache und im Kostenpunkt. Das Berufungsgericht gab seiner Berufung in der Hauptsache Folge und gab der Klage statt; mit seiner Berufung im Kostenpunkt verwies es den Kläger auf diese Entscheidung.

Es verwarf zwar die Mängel- und Beweisrügen des Klägers, folgte aber seiner Ansicht, das Erstgericht habe unbeachtliche überschießende Feststellungen getroffen. Dies betreffe insbesondere jene zum Erwerb des Hauses, zu den damit verbundenen gerichtlichen Auseinandersetzungen und zum Umstand, dass der Kläger die Beklagte dabei im Stich gelassen habe. Auch hinsichtlich der Brasilienreise und der dem Kläger in diesem Zusammenhang vorgeworfenen Verletzungen der Unterhaltspflicht fehle jegliches Vorbringen der Beklagten.

Vom Vorbringen gedeckt seien nur die Feststellungen über die Verfehlungen des Klägers im Zusammenhang mit der Operation der Beklagten im Herbst 2003 und der Einbringung der Klage auf vorläufigen Unterhalt. Aus den verbleibenden Feststellungen (wonach es zwar schon ab Ende 2001 häufig Streitereien zwischen den Parteien gab, sich die Streitteile in der darauffolgenden Zeit zunehmend auseinanderlebten und die eheliche Gesinnung bereits erheblich gestört war, die Parteien nach der Unterleibsoperation der Beklagten in getrennten Schlafzimmern nächtigten, der Kläger die Beklagte vor Einbringung der Klage auf vorläufigen Unterhalt finanziell knapp hielt) lasse sich aber nicht ableiten, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Ehebruchs der Beklagten mit B***** im Jahr 2006 seinen ernstlichen Willen, die Ehe ihrem Wesen gemäß fortzusetzen, aufgegeben und die durch die Beklagte zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führende schwere Pflichtverletzung gebilligt, veranlasst oder gefördert habe. Es sei auch der Schluss unzulässig, die Ehe der Streitteile sei subjektiv schon zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses am 11. April 2005 maßgeblich aufgrund des Verhaltens des Klägers zerrüttet und damals auch objektiv unheilbar zerrüttet gewesen. Nachdem die Beklagte keine Umstände dafür vorgebracht habe, dass der Ehebruch 2006 nur die begreifliche Reaktion auf die Ehezerstörung durch den Kläger darstellte, sei von der Verwirkung ihres Unterhaltsanspruchs auszugehen.

Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht vorerst für nicht zulässig, änderte diesen Ausspruch über Zulassungsvorstellung der Beklagten jedoch ab. Die ordentliche Revision sei zur Frage zuzulassen, ob der Ehebruch der Beklagten zur Ehezerrüttung beigetragen habe und inwieweit die Ergebnisse des nicht rechtskräftigen Ehescheidungsverfahrens im Oppositionsverfahren zu berücksichtigen seien.

Die Beklagte macht in ihrer Revision Mängel des Berufungsverfahrens (Berücksichtigung des gegen die Eventualmaxime verstoßenden Vorbringens des Klägers; unzulässiges Übergehen überschießender Feststellungen) und unrichtige rechtliche Beurteilung (Widerspruch des Ergebnisses im Oppositionsstreit zum nunmehr rechtskräftigen Ausspruch des überwiegendes Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung; unrichtige Annahme der Unterhaltsverwirkung auch auf Basis der vom Berufungsgericht berücksichtigten Feststellungen) geltend. Sie strebt die Wiederherstellung des Ersturteils an, hilfsweise die Aufhebung des Berufungsurteils.

Der Kläger macht in seiner Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision geltend und tritt den Argumenten auch inhaltlich entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe durch das Eingehen der außerehelichen sexuellen Beziehung im Frühjahr 2006 ihren Unterhaltsanspruch verwirkt, angesichts der maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalls - auch auf eingeschränkter Sachverhaltsebene - eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung darstellt.

1. Zunächst ist klarzustellen, dass der Beklagten die Beschwer für ihre Revision ungeachtet der jeweils nach Schluss der Verhandlung erster Instanz erfolgten Einstellung der Exekution nach § 39 Abs 1 Z 6 EO (wegen Vollzahlung) und des Eintritts der Teilrechtskraft mangels Anfechtung des Scheidungsausspruchs (die dem Exekutionstitel die rechtliche Basis des aufrechten Bestands der Ehe nahm), nicht abzusprechen ist. Ein Weiterbestand der die Unterhaltsverwirkung bejahenden Berufungsentscheidung würde nämlich dem Kläger die Möglichkeit der Rückforderung von (mangels Aufschiebung der Exekution für den laufenden Unterhalt) bereits exekutiv hereingebrachten Beträgen eröffnen (vgl 3 Ob 44/10g; 3 Ob 150/03k).

2.1. Gemäß § 94 Abs 2 ABGB hat der den gemeinsamen Haushalt führende Ehegatte gegen den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Dies gilt nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zu Gunsten des bisher Unterhaltsberechtigen weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Dass die Beklagte hier die Anspruchsvoraussetzungen nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB erfüllte, ist unstrittig. Daher traf den nach dieser Gesetzesstelle unterhaltspflichtigen Ehegatten, hier also den Kläger, die Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich jener besonderen Umstände, die ein solches Unterhaltsbegehren als Rechtsmissbrauch erscheinen lassen (RIS-Justiz RS0009772). Das entspricht auch der allgemeinen Behauptungs- und Beweislast des Klägers im Oppositionsprozess, an die hohe Anforderungen zu stellen sind, weil ein rechtskräftiger Exekutionstitel beseitigt werden soll. Jede Unklarheit und jedes Beweisdefizit geht daher zu Lasten des Klägers (RIS-Justiz RS0048064).

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet aber nicht jede schwere Eheverfehlung schon die Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens. Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche erlöschen vielmehr nur in besonders krassen Fällen, in denen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erschiene (RIS-Justiz RS0009766; RS0009759; RS0005529).

Der Ehebruch in Verbindung mit einem „fortgesetzten sexuellen Liebesverhältnis“ stellt zwar ungeachtet eines bereits anhängigen Scheidungsverfahrens grundsätzlich eine derart schwerwiegende Verletzung der ehelichen Verhaltenspflichten dar, dass der Unterhaltsanspruch des ehebrecherischen Ehegatten als verwirkt angesehen werden muss (RIS-Justiz RS0014288 [T1]).

2.3. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofs sieht dazu allerdings Einschränkungen vor:

Von dieser Regel kann nämlich dann eine Ausnahme gerechtfertigt sein, wenn der andere Ehegatte ausdrücklich oder wenigstens unzweifelhaft schlüssig zu erkennen gegeben hat, dass er seinen ernstlichen Willen, die Ehe ihrem Wesen gemäß fortzusetzen, aufgegeben und dadurch die andernfalls zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führende schwere Pflichtverletzung seines Ehepartners gebilligt, veranlasst oder gefördert hat (RIS-Justiz RS0014288 [T1]). Bei der Beurteilung der Frage des Gewichts der einem Ehegatten zur Last gelegten Eheverfehlungen und ihrer Eignung, ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs bei aufrechtem Bestand der Ehe herbeizuführen, darf also auch das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden; immer ist auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0047080).

Schon nach der Rechtsprechung vor dem EheRÄG 1999 ließ ein in weiter Vergangenheit liegender Ehebruch der Unterhaltsklägerin ihr Unterhaltsbegehren dann nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen, wenn der Unterhaltsbeklagte nicht behauptet und beweist, dass das ehebrecherische Verhältnis noch aufrecht ist, vor kurzem erst beendet worden ist bzw Anlass für die Auflösung des gemeinsamen Haushalts war (RIS-Justiz RS0014288).

Zerrüttet ein Eheteil schuldhaft die Ehe, so ist eine erst nach Zerrüttung vom anderen Teil aufgenommene sexuelle Beziehung keine derart krasse Eheverfehlung, die ihren Unterhaltsanspruch als rechtsmissbräuchlich verwirkte (RIS-Justiz RS0107416).

2.4. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

Selbst wenn man mit dem Berufungsgericht den Eintritt der unheilbaren Zerrüttung (erst) mit der Wegweisung des Klägers und der damit einhergehenden Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft annimmt, so war die Ehe der Streitteile auch schon zu Beginn des Jahres 2006 jedenfalls weitgehend zerrüttet (nach der Diktion des Klägers in der Revisionsbeantwortung S 6 „noch nicht gänzlich zerrüttet“). Es steht nämlich - im Rahmen des Parteienvorbringens und daher beachtlich - fest, dass die Geschlechtsgemeinschaft der Streitteile bereits seit Herbst 2003 (nach dem Desinteresse des Klägers im offenkundigen Zusammenhang mit der Krebsoperation der Beklagten) beendet war, der Kläger meist ein äußerst liebloses Verhalten gegenüber der Beklagten zeigte und sich um eine Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft gar nicht bemühte. Dem gegenüber werden im Vorbringen des Klägers (über die ehewidrigen Beziehungen hinaus) keine weiteren Eheverfehlungen der Beklagten geltend gemacht und stehen solche demnach auch nicht fest. Das grob ehewidrige Verhalten des Klägers vor Aufnahme der außerehelichen Sexualbeziehung durch die Beklagte (Verletzung der ehelichen Beistandspflicht anlässlich der Krebserkrankung der Beklagten) steht der Beurteilung der Eheverfehlung der Beklagten als besonders krass entgegen. Ihr außereheliches Verhältnis bestand nur ca zwei Monate und in einer Zeit bereits eingetretener, weitgehenden Zerrüttung der Ehe.

Nach den getroffenen Feststellungen besteht kein Anlass für die Annahme, der Kläger hätte das Verhältnis der Beklagten im Frühjahr 2006 bei damaliger Kenntnis als (weiter) ehezerrüttend oder als Anlass für ein (freiwilliges) Verlassen der Wohnung empfunden.

Die sexuelle Beziehung der Beklagten mit (im Zweifel) nur drei geschlechtlichen Kontakten im Frühjahr 2006 kann eine Unterhaltsverwirkung nicht bewirken, weil angesichts des vorausgehenden Verhaltens des Klägers die Aufrechterhaltung seiner Unterhaltspflicht weder als grob unbillig noch als rechtsmissbräuchlich erscheint (vgl 2 Ob 141/10i).

Es bildet im Revisionsverfahren zu Recht keinen Streitpunkt mehr, dass die von der Beklagten mit S***** 2007 eingegangene Beziehung keinen Verwirkungstatbestand erfüllt, weil dies nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe geschah, den auch der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung mit der Wegweisung im September 2006 annimmt.

2.5. Dieses Ergebnis stimmt auch mit der Ansicht der jüngeren Lehre überein, die weder im einmaligen Ehebruch noch in einer kurzen sexuellen Beziehung für sich allein seit dem EheRÄG 1999 - wegen der damit erfolgten Beseitigung des Ehebruchs als absoluten Scheidungsgrund (vgl RIS-Justiz RS0056900 [T3] = RS0056496 [T3]; RS0056559 [T8]) - einen Verwirkungstatbestand erblickt (Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2011] § 94 ABGB Rz 320 mwN).

3. Die Verneinung einer Unterhaltsverwirkung auf Basis sowohl des ergänzenden Vorbringens des Klägers als auch des eingeschränkten Sachverhalts erübrigt eine Auseinandersetzung mit den Verfahrensrügen der Beklagten, weil diesen keine Präjudizialität mehr zukommt. Auch zur Frage des allfälligen Einflusses der Ergebnisse des Scheidungsverfahrens im Oppositionsstreit braucht nicht mehr Stellung genommen werden.

Somit war das Ersturteil in der Hauptsache wiederherzustellen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO sowie auf § 70 ZPO.

Hat das Berufungsgericht einer Berufung stattgegeben und das erstgerichtliche Urteil abgeändert, wodurch ein gegen dieses Urteil erhobener Kostenrekurs oder eine Berufung im Kostenpunkt gegenstandslos wurde, und stellt der Oberste Gerichtshof das erstinstanzliche Urteil wieder her, so hat hierauf das Revisionsgericht über die Verfahrenskosten zu entscheiden. Der Schriftsatz der Beklagten vom 28. Dezember 2009, ON 11, war - abgesehen von der Frage seiner Zulässigkeit - schon deshalb nicht zu entlohnen, weil dieses Vorbringen auch in der folgenden Streitverhandlung erstattet hätte werden können (§ 41 ZPO). Gesonderte Kosten für die erfolgreiche Berufung im Kostenpunkt stehen schon mangels Verzeichnisses nicht zu.

Die von der Beklagten verzeichneten Kosten für ihre Rechtsmittelschriftsätze bedürfen (auch) einer Korrektur. Für die Berufungsbeantwortung hat sie erneut zu Unrecht Barauslagen für „Teilnehmer-Direktzustellung“ von 1,80 EUR verzeichnet. Der Einheitssatz für die Revision beträgt nur 50 %.

Da die Beklagte Verfahrenshilfe genießt, hatte der Ausspruch nach § 70 Satz 2 ZPO zu erfolgen.

Schlagworte

Exekutionsrecht

Textnummer

E97917

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00043.11M.0706.000

Im RIS seit

17.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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