Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tomecek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Denisa B***** und einen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Sven Bä***** sowie die Berufung der Angeklagten Denisa B***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 23. Februar 2011, GZ 29 Hv 4/11f-58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen der Angeklagten Denisa B***** und Sven Bä***** wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (C), demzufolge auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung), sowie im Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten Sven Bä***** fallen auch die auf die Zurückweisung seiner Nichtigkeitsbeschwerde bezogenen Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B) sowie jeweils mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (C), Sven Bä***** überdies mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (D) sowie des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (E) schuldig erkannt.
Danach haben sie vom Juli 2008 bis zum 2. Dezember 2010 in Innsbruck, Wien und an anderen Orten
(A) vorschriftswidrig Kokain mit einem Reinheitsgrad von durchschnittlich 35 % in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich Denisa B***** 1,8 kg (630 Gramm Reinsubstanz) und Sven Bä***** 2,15 kg (752,5 Gramm Reinsubstanz) im Zuge mehrerer Fahrten aus Österreich ausgeführt und über Deutschland wieder eingeführt, wobei Sven Bä***** zum Teil als Bestimmungstäter (§ 12 zweiter Fall StGB) handelte,
(B) vorschriftswidrig Kokain mit einem Reinheitsgrad von durchschnittlich 35 % in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich Denisa B***** 1,8 kg (630 Gramm Reinsubstanz) und Sven Bä***** 2,3 kg (805 Gramm Reinsubstanz) in zahlreichen Angriffen anderen verkauft,
(C/1) Sven Bä***** „wiederholt von einem unbekannten Lieferanten namens 'Big' vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich zumindest oben angeführte Mengen Kokain, zum Zwecke des Weiterverkaufs erworben und besessen“ sowie
(C/2) Denisa B***** „wiederholt von Sven Bä***** vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich zumindest oben angeführte Mengen Kokain, zum Zwecke des Weiterverkaufs erworben und besessen“,
Sven Bä***** überdies
(D) mehrfach vorschriftswidrig Kokain und Cannabisprodukte zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen sowie
(E) , wenn auch nur fahrlässig, unbefugt eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, nämlich einen Revolver (§ 19 Abs 1 WaffG), besessen.
Das Erstgericht verhängte hiefür über beide Angeklagten Freiheitsstrafen und traf zudem folgenden Ausspruch:
„Gemäß § 20 StGB werden der Geldbetrag über insgesamt EUR 6.265,-- (dieser Betrag entspricht der bei den Suchtgiftaktivitäten der Angeklagten eingetretenen unrechtmäßigen Bereicherung) sowie die sichergestellten Waffen und Munition (lt. StBl. 261/11 des Landesgerichtes Innsbruck) für verfallen erklärt.“
Die gegen das Urteil aus Z 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Sven Bä***** geht fehl.
Rechtliche Beurteilung
Indem die Mängelrüge (Z 5) die Urteilsannahme anspricht, der Beschwerdeführer habe die ihm angelasteten Verbrechen gewerbsmäßig und aus Gewinnsucht begangen (US 15, vgl auch US 4), bezieht sie sich nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände.
Der Einwand der Sanktionsrüge (Z 11), die Berücksichtigung des gewinnorientierten und gewerbsmäßigen Handelns im Rahmen der Strafzumessung (US 15) verstoße bei „gewerbsmäßig begangenen Delikten“ gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), ist unverständlich, weil ein Schuldspruch wegen gewerbsmäßiger Begehung (§ 28a Abs 2 Z 1 SMG) gar nicht erfolgt ist (US 6).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass zum Nachteil beider Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Nach ständiger Judikatur und herrschender Lehre wird das Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel (§ 28 Abs 1 SMG) vom Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG verdrängt, sobald Letzteres wenigstens ins Versuchsstadium (§ 15 StGB) tritt (RIS-Justiz RS0113820; Schwaighofer in WK² § 28 SMG Rz 29; Litzka/Matzka/Zeder, SMG² § 28 Rz 12; zur Relation zwischen § 28 Abs 1 SMG aF und § 28 Abs 2 vierter Fall SMG aF: Kirchbacher/Schroll, Zur Rechtsprechung des OGH betreffend das SMG und die Einbringung der Ergebnisse verdeckter Ermittlungen in die Hauptverhandlung [Teil 1], RZ 2005, 116 [121]). Da § 28 Abs 1 SMG im Verhältnis zur Suchtgiftüberlassung (§ 28a Abs 1 fünfter Fall SMG) ein Vorbereitungsdelikt im technischen Sinn darstellt, die eine Tat sich also in der Vorbereitung der anderen erschöpft (Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 44), ist insoweit vom Scheinkonkurrenztypus der stillschweigenden Subsidiarität auszugehen (11 Os 21/07h, EvBl 2007/129, 924; 12 Os 39/10t; zur alten Rechtslage: 15 Os 58/00; zum Begriff der stillschweigenden Subsidiarität: Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 36, 37 und 40 bis 56).
Erwirbt und besitzt der Täter - wie hier vom Schuldspruch C umfasst - Suchtgift in nicht nach § 28 Abs 1 SMG qualifizierter Weise zum Zweck des Weiterverkaufs, werden aufgrund prinzipiell identer Sachlage Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG durch sodann in Bezug auf dieselbe Suchtgiftmenge verwirklichte Verbrechen nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG ebenso als stillschweigend subsidiär verdrängt (vgl 12 Os 39/10t).
Fallbezogen lassen die Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht erkennen, auf welche Suchtgiftquanten sich der Schuldspruch C bezieht (US 9 bis 12; siehe insbesondere US 9 letzter Absatz, vgl auch die [nicht nur insoweit] wortidente Begründung der Anklage ON 38 S 5 letzter Absatz/S 6 erster Absatz). Nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) umfasst der Schuldspruch C „zumindest“ die sodann verkauften Kokainmengen.
Da somit die tatrichterlichen Konstatierungen (selbst im Zusammenhalt mit dem Urteilstenor) den Schuldspruch C mit Blick auf die dargelegte Scheinkonkurrenz-Problematik nicht tragen, war dieser schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Im zweiten Rechtsgang wird durch eindeutige Feststellungen zu klären sein, ob sich der Vorwurf des Erwerbens und Besitzens zum Zweck des Weiterverkaufs ausschließlich oder nur zum Teil auf das in der Folge verkaufte Suchtgift bezieht, und dem entsprechend mit einem gänzlichen oder teilweisen Freispruch vorzugehen sein.
Die Teilkassation der Schuldsprüche hat auch die Aufhebung der Strafaussprüche zur Folge.
Die Anordnung des „Verfalls“ (US 7) war zu beheben, weil dem angefochtenen Urteil insoweit die Entscheidungsgrundlagen nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sind.
Zum für verfallen erklärten Geldbetrag von 6.265 Euro wird im Tatsächlichen nicht klar, wie sich dieser errechnet (US 16).
Weiters ist zu berücksichtigen, dass die Verfallsbestimmungen des StGB durch das strafrechtliche Kompetenzpaket BGBl I 2010/108 grundlegend geändert worden sind. Da dieses Gesetz mit 1. Jänner 2011, sohin zwar vor dem Urteilszeitpunkt (ON 57 S 1), aber nach Vollendung der gegenständlichen Taten (US 5), in Kraft getreten ist (Art 5 BGBl I 2010/108), dürfen die Angeklagten durch die Anwendung der Neufassung nicht schlechter gestellt werden als nach der zur Tatzeit geltenden Rechtslage (§ 1 Abs 2 StGB). Diese sah als vergleichbare vermögensrechtliche Anordnung die Abschöpfung der Bereicherung vor (§ 20 StGB aF), von der abzusehen war, soweit die Zahlung des Geldbetrags das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschweren oder ihn unbillig hart treffen würde, insbesondere weil die Bereicherung im Zeitpunkt der Anordnung nicht mehr vorhanden ist, wobei aus einer Verurteilung erwachsende andere nachteilige Folgen zu berücksichtigen waren (§ 20a Abs 2 Z 3 StGB aF). Diesbezügliche Erwägungen sind der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.
Unklar bleibt auch die Grundlage für den Ausspruch des „Verfalls“ von Waffen und Munition. Dieser ist weder durch § 20 StGB idF BGBl I 2010/108 noch durch § 20b StGB aF gedeckt.
Da auch § 19a StGB idF BGBl I 2010/108 erst mit 1. Jänner 2011 in Kraft trat, kommt insoweit nur ein Einziehungserkenntnis (§ 26 Abs 1 StGB) in Betracht.
Dazu aber beschreibt das angefochtene Urteil die für „verfallen“ erklärten Gegenstände nicht hinreichend konkret, indem es ohne Anführen der diesbezüglichen Fundstelle in den Akten auf eine Standblatt-Nummer (261/11) verweist, die dort nicht aufscheint.
Im Fall der Einziehung der zur Standblatt-Nummer 216/11 erliegenden Gegenstände (ON 52) im zweiten Rechtsgang werden tragfähige Feststellungen zu den Voraussetzungen dieser vorbeugenden Maßnahme zu treffen sein (Ratz in WK² § 26 Rz 4, 13).
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf die Kassation der Sanktionsaussprüche zu verweisen.
Die Kostenentscheidung, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E98010European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0130OS00045.11H.0714.000Im RIS seit
29.08.2011Zuletzt aktualisiert am
29.08.2011