TE OGH 2011/7/14 13Os61/11m

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Veröffentlicht am 14.07.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tomecek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jasmin F***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall StGB, AZ 34 Hv 107/10p des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 28. Oktober 2010 (ON 15) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 34 Hv 107/10p des Landesgerichts Innsbruck verletzt das Urteil dieses Gerichts vom 28. Oktober 2010 (ON 15) § 146 StGB und § 148 zweiter Fall StGB.

Es werden dieses Urteil und demzufolge auch der unter einem gefasste Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht sowie einer bedingten Entlassung aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und die Angeklagte, Letztere auch mit ihrer Beschwerde, auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. Oktober 2010 (ON 15) wurde Jasmin F***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Nach dem Referat der Entscheidungsgründe im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat sie

„in der Zeit vom 17. 04. 2009 bis 11. 05. 2010 in Innsbruck und an anderen Orten Verfügungsberechtigte der ÖBB-Personenverkehr AG mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung falscher oder verfälschter Daten, nämlich durch die Verwendung verschiedener Aliasdatensätze, falscher Adressen und fremder Kontonummern, zur Ausfolgung von insgesamt 441 Online-Zugtickets, somit zu Handlungen verleitet, wodurch die ÖBB-Personenverkehr AG um den Betrag von 10.609,80 Euro an ihrem Vermögen geschädigt wurde.“

In den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) traf das Schöffengericht folgende Feststellungen:

Bei der ÖBB besteht die Möglichkeit, über deren Homepage Fahrausweise - sogenannte Online-Tickets - direkt von zu Hause aus zu buchen und auszudrucken. Die Online-Tickets werden in der Online-Ticket-Eingabemaske aufgrund der Reisedestination generiert. Vor dem Ausdruck der Online-Tickets werden die Daten an die ÖBB-Personenverkehr AG zur Überprüfung gesendet. Die Buchung der Online-Tickets erfolgt über den Vertriebskanal „Elektronisches Lastschriftverfahren“ (ELV), wobei der Zahlungsvorgang zwischen dem Kunden und der ÖBB-Personenverkehr AG durch die Firma H***** abgewickelt wird. Nach der Überprüfung der Kontodaten durch die Firma H*****, bei der allerdings keine Identitätsfeststellung zur kontoführenden Person erfolgt, erhält der Kunde auf seinen Computer das fertige Ticket zugestellt.

Am 17. 04. 2009 beantragte die Angeklagte Jasmin F***** eine ÖBB-Vorteilscard. Dabei wurde ihre Identität anhand des Reisepasses festgestellt. Im Rahmen der Antragstellung gab die Angeklagte die E-Mail-Adresse (c*****) als Kontaktadresse bekannt. Diese E-Mail-Adresse verwendete sie in der Folge auch bei einem Teil der Ticketbestellungen.

Im Zeitraum vom 17. 04. 2009 bis zuletzt am 11. 05. 2010 bestellte Jasmin F***** in insgesamt 441 Fällen Zugfahrkarten online über die Internetplattform der ÖBB, wobei sie als Empfänger überwiegend den Namen F***** verwendete. Dabei wandelte sie auch ihren Namen ab, indem sie beispielsweise den Vornamen auf „Jasmien“ oder den Nachnamen auf „F*****“ änderte. Die Bestellungen erfolgten großteils unter Angabe falscher Adressen, veränderter Personendaten und fremder Kontonummern vorzugsweise von deutschen Firmen, welche die Angeklagte vor dem Eingabevorgang aus dem Internet herausgesucht hatte. Die von Jasmin F***** verwendeten E-Mail-Adressen sind durchwegs sogenannte Free-Mail-Adressen, bei denen eine Registrierung ohne jegliche Identitätsprüfung möglich ist.

Hauptsächlich buchte die Angeklagte die Routen Buchs-Innsbruck, Völs-Innsbruck, Innsbruck-Zürs und Sargans-Feldkirch. Die Angeklagte ist mit 14. 12. 2009 von I***** nach V***** gezogen. Ab diesem Zeitpunkt buchte sie mehrfach die Strecke Innsbruck-Völs bzw. Völs-Innsbruck.

Aufgrund der Vielzahl der online-Ticketbestellungen erging eine interne Warnmitteilung der ÖBB-Personenverkehr AG an sämtliche Zugbegleiter. So wurde die Angeklagte in Begleitung ihres Freundes Aulon D***** und ihrer Mutter Sabine F***** am 12. 05. 2010 im Zug von Feldkirch nach Innsbruck kontrolliert. Alle drei Personen wiesen von der Angeklagten bestellte Online-Tickets vor. Die Tickets wurden vom Zugbegleiter eingezogen und die Angeklagte samt ihren Begleitern in Landeck aus dem Zug verwiesen.

Seit dem 12. 05. 2010 tätigte die Angeklagte keine weiteren Ticketbestellungen mehr; die letzten Bestellungen erfolgten am 11. 05. 2010.

Der ÖBB-Personenverkehr AG entstand durch das Handeln der Angeklagten ein Schaden in Höhe von EUR 10.609,80.

Der Angeklagten war bewusst, dass sie die von ihr bestellten Online-Tickets niemals bezahlen können wird. Als sie die Tickets per Internet bestellte, nahm sie billigend in Kauf, dass sie über ihre tatsächlich nicht gegebene Zahlungsfähigkeit und -willigkeit täuscht, sich selbst dadurch unrechtmäßig bereichert und die ÖBB-Personenverkehr AG so an ihrem Vermögen schädigt, dies insgesamt in einem EUR 3.000,-- übersteigendem Ausmaß. Sie handelte in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrügereien eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gegen das Urteil gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, tragen diese Konstatierungen die vorgenommene Subsumtion nicht.

Der Tatbestand des Betrugs (§ 146 StGB) setzt zunächst eine Täuschungshandlung, also ein Täterverhalten voraus, das in der Abgabe einer unwahren Erklärung gegenüber einem anderen besteht. Dieses Täuschungsverhalten muss bei dem anderen (abgesehen vom hier nicht interessierenden Fall des § 2 StGB) einen Irrtum hervorrufen oder einen schon bestehenden Irrtum bestärken. Im dargelegten Sinn getäuscht können nur natürliche Personen werden, womit Einwirkungen auf Geräte oder technische Vorrichtungen nicht geeignet sind, den Tatbestand des Betrugs zu verwirklichen. Der täuschungsbedingte Irrtum hat sodann zumindest mitursächlich dafür zu sein, dass der Getäuschte eine Vermögensverfügung vornimmt, die schließlich zu einem Vermögensschaden führen muss (zum Ganzen: Kirchbacher in WK² § 146 Rz 16, 17, 43, 47, 52, 57).

Indem die bekämpfte Entscheidung nicht erkennen lässt, wer durch welche Erklärungen der Angeklagten zu welchem Verhalten verleitet worden ist und wodurch letztlich der konstatierte Vermögensschaden entstanden ist, schafft sie keine taugliche Subsumtionsbasis für einen Schuldspruch wegen des (Grund-)Tatbestands des Betrugs.

Gewerbsmäßiger schwerer Betrug (§ 148 zweiter Fall StGB) verlangt die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung von jeweils schon für sich gesehen schwerem Betrug (§ 147 StGB) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (13 Os 1/07g verst Senat, EvBl 2007/114, 614; Kirchbacher in WK² § 148 Rz 6).

Die Feststellung, die Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, sich durch die wiederkehrende Begehung „von Betrügereien“ eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (US 5), drückt diese qualifizierte Intention nicht aus.

Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen geeignet sind, zum Nachteil der Verurteilten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Im zweiten Rechtsgang wird zunächst zu klären sein, ob bereits durch die (mittels EDV vorgenommene) Zustellung der Online Tickets ein Vermögensschaden eingetreten ist. Dies wird nur dann zu bejahen sein, wenn die Tickets selbständige Wertträger sind (Kirchbacher in WK² § 146 Rz 63; vgl auch Bertel in WK² § 127 Rz 7). Zu verneinen wäre die Wertträgereigenschaft (und damit der Eintritt eines Vermögensschadens durch die Ticketausgabe), wenn die Online Tickets nicht übertragbar wären (SSt 56/25, SSt 60/42; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 127 Rz 33). In diese Richtung weist Punkt 4.5 der Anlage 2 der - seit 3. Dezember 2009 in Geltung stehenden - „Tarifbestimmungen Online Tickets“ der ÖBB, wonach das Online Ticket „als persönliche Fahrkarte ausgestellt“ wird, „nicht übertragbar“ ist und „nur in Verbindung mit einem amtlichen Lichtbildausweis oder einer ÖBB-VORTEILScard mit Lichtbild“ gilt. Zudem findet sich auf nach dem 3. Dezember 2009 ausgestellten Online Tickets der Vermerk „dieses Ticket ist nicht übertragbar“. Wenngleich vor dem 3. Dezember 2009 ausgestellte Online Tickets einen solchen Vermerk nicht tragen, spricht der auf diese Tickets gedruckte Hinweis, „ihr Internet-Ausdruck gilt nur in Verbindung mit einem Lichtbildausweis als Fahrausweis“, ebenfalls für fehlende Übertragbarkeit. Zur verlässlichen Abklärung der Frage der Übertragbarkeit der Online Tickets werden hinsichtlich des gesamten Tatzeitraums die jeweils gültigen Tarifbestimmungen der ÖBB beizuschaffen sein.

Soweit das Gericht - allenfalls auch nur für einen Teil des Tatzeitraums - die Wertträgereigenschaft der Online Tickets feststellt (wofür die angeführten - über die ÖBB-Homepage abrufbaren - Informationen nicht sprechen), werden - in Bezug auf die Ticket-Bestellung - Konstatierungen zur Abgrenzung zwischen den Tatbeständen des Betrugs (§ 146 StGB) und des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs (§ 148a StGB) zu treffen sein:

Wie bereits dargelegt, verlangt § 146 StGB die Täuschung einer natürlichen Person. Auch die Einwirkung auf (edv-)technische Geräte ist somit nur dann dem Tatbestand des Betrugs zu unterstellen, wenn eine natürliche Person durch diese Einwirkung getäuscht wird und aufgrund dieser Täuschung die schädigende Verfügung trifft (15 Os 25/90, EvBl 1990/133, 606; 13 Os 2/07d, EvBl 2007/78, 423; Kirchbacher in WK² § 146 Rz 149; Lewisch BT I², 242; Triffterer, SbgK § 148a Rz 35).

Demgegenüber liegt betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch (§ 148a StGB) vor, wenn der Vermögensschaden als unmittelbare Folge der (durch die Einwirkung auf ein edv-technisches Gerät bewirkten) Beeinflussung des Ergebnisses einer automationsunterstützten Datenverarbeitung eintritt (15 Os 25/90, EvBl 1990/133, 606; Kirchbacher/Presslauer in WK² § 148a Rz 6; Lewisch BT I², 242; Triffterer, SbgK § 148a Rz 5). Dies ist auch dann der Fall, wenn eine natürliche Person den - selbsttätig zum Schadenseintritt führenden - automationsunterstützten Geschehensablauf kontrolliert, in diesen aber (wenn auch aufgrund der Einwirkung) nicht eingreift (13 Os 2/07d, EvBl 2007/78, 423; Kirchbacher/Presslauer in WK² § 148a Rz 32).

Geht man davon aus, dass die Online Tickets Wertträger sind, der Vermögensschaden also bereits durch deren (im EDV-Weg erfolgte) Zustellung eingetreten ist, kommt eine Bestrafung wegen der darauffolgenden Inanspruchnahme der Beförderungsleistung mangels eines dadurch bewirkten (zusätzlichen) Vermögensschadens nicht in Betracht. Die insoweit potenziell relevanten Tatbestände des § 146 StGB und des § 149 StGB verlangen nämlich eine schädigende Vermögensverfügung des Getäuschten (Kirchbacher in WK² § 146 Rz 57; Kirchbacher/Presslauer in WK² § 149 Rz 6).

Wird die Wertträgereigenschaft der Online Tickets verneint (wofür die dargelegten, aus der ÖBB-Homepage ersichtlichen Informationen sprechen), ist - Anklage auf den Gebrauch des Fahrscheins vorausgesetzt -
zu prüfen, ob durch die Inanspruchnahme der Beförderungsleistung der (Grund-)Tatbestand des Betrugs (§ 146 StGB) oder jener der Erschleichung einer Leistung (§ 149 Abs 1 erster Fall StGB) erfüllt worden ist.

In beiden Fällen müsste - wie zu § 146 StGB bereits ausgeführt - eine natürliche Person (beispielsweise ein Zugbegleiter) getäuscht und dadurch zum Gewähren der Beförderung verleitet worden sein (zu § 149 Abs 1 erster Fall StGB Kirchbacher/Presslauer in WK² § 149 Rz 6).

Zur Abgrenzung zwischen diesen Tatbeständen wäre die Höhe des Entgelts für die einzelnen Beförderungsleistungen festzustellen. Bis zu einem Betrag von etwa 100 Euro wäre dieses als „gering“ anzusehen (Kirchbacher/Presslauer in WK² § 149 Rz 10; vgl auch RIS-Justiz RS0120079), wobei opferbezogene Faktoren (RIS-Justiz RS0094478) hier mit Blick auf das Opfer (ÖBB-Personenverkehr AG) nicht zu einer Reduktion führen würden. Fahrten für ein solcherart „geringes“ Entgelt wären dem Tatbestand des § 149 Abs 1 erster Fall StGB zu unterstellen, wobei keine Zusammenrechnung mit Beträgen aus allfälligen Betrugs- oder anderen Erschleichungsfakten stattfände, weil § 29 StGB nur strafbare Handlungen mit ziffernmäßig bestimmten Wert- oder Schadensgrenzen betrifft (Kirchbacher/Presslauer in WK² § 149 Rz 10).

Nur in Bezug auf Beförderungsleistungen, für die ein „nicht geringes“ Entgelt zu entrichten gewesen wäre, käme die Subsumtion nach § 146 StGB in Betracht. Bei diesbezüglicher Faktenmehrheit wäre zusammenzurechnen (§ 29 StGB), darüber hinaus wäre das Vorliegen der Voraussetzungen der Qualifikationstatbestände des § 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall StGB, des § 147 Abs 2 StGB und des § 148 StGB zu prüfen.

Aus prozessualer Sicht bleibt festzuhalten, dass sich die Geschädigte, die ÖBB-Personenverkehr AG, nach der Aktenlage im Zuge der Erstattung der Anzeige dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen hat (ON 2 S 409), womit die für eine allfällige Verurteilung wegen Vergehen der Erschleichung einer Leistung erforderliche Ermächtigung (§ 149 Abs 4 StGB) vorliegt (§ 92 Abs 2 letzter Satz StPO).

Durch die Aufhebung des Urteils und des unter einem gefassten Widerrufsbeschlusses sind die Berufungen und die Beschwerde gegenstandslos.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E98088

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0130OS00061.11M.0714.000

Im RIS seit

01.10.2011

Zuletzt aktualisiert am

08.04.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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