TE OGH 2011/7/18 6Ob160/11i

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Veröffentlicht am 18.07.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen S*****, geboren am 7. Jänner 2001, und L*****, geboren am 24. Mai 2003, M*****, beide *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Mag. A***** D*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. Mai 2011, GZ 42 R 558/10k-S196, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Sorgerechtsstreit mit Beschluss vom 8. 5. 2008 unter Berufung auf Art 3 des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (BGBl 1975/446; Haager Minderjährigenschutz-übereinkommen; MSA) klargestellt, dass sich die Frage, welchem Elternteil die Obsorge für die beiden Kinder beziehungsweise ob den Eltern diese Obsorge gemeinsam zukommt, nach dem Recht der kanadischen Provinz Saskatchewan richtet (6 Ob 30/08t). Die Vorinstanzen sind nunmehr davon ausgegangen, dass aufgrund der Bestimmungen des „The Children's Law Act, 1997“ den Eltern die Obsorge für S***** gemeinsam, die Obsorge für L***** hingegen der Mutter zukommt, weil die Eltern zwar vor deren Geburt, nicht mehr jedoch danach zusammengelebt haben (Cohabitation). Die Vorinstanzen haben die Obsorge nunmehr der Mutter allein übertragen (S*****) beziehungsweise die Obsorge bei der Mutter belassen (L*****).

Der Vater setzt sich in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs weitwendig mit der Spruchpraxis kanadischer Gerichte zum „The Children's Law Act, 1997“ auseinander. Er übersieht dabei aber den vom Rekursgericht besonders hervorgehobenen Umstand, dass die Kinder infolge des Konflikts der Eltern über ganz wesentliche Fragen der Ausübung der Obsorge belastet sind und daher die Betrauung der bereits bisher überwiegend betreuenden Mutter mit der alleinigen Obsorge zur Klarstellung der Pflege- und Erziehungssituation dem Wohl und dem Interesse beider Kinder entspricht. Mit diesen Feststellungen setzt sich der Vater in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht auseinander, sondern verweist nahezu ausschließlich darauf, dass es der Mutter nunmehr rechtlich möglich sei, mit den Kindern nach Kanada zu übersiedeln, wodurch deren Wohl gefährdet wäre. Allerdings haben die Vorinstanzen das Vorliegen einer diesbezüglichen Absicht der Mutter verneint; auch der Oberste Gerichtshof vermag keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen.

2. Am 1. 4. 2011 ist für Österreich das Haager Übereinkommen vom 19. 10. 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (BGBl 49/2011; Haager Kinderschutzübereinkommen; KSÜ) in Kraft getreten. Nach dessen Art 5, 15 Abs 1 haben die Behörden jenes Vertragsstaats, in welchem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes nach ihrem eigenen Recht zu treffen; nach Art 3 lit a handelt es sich bei der Zuweisung, der Ausübung und der vollständigen oder teilweisen Entziehung der elterlichen Verantwortung sowie deren Übertragung um eine derartige Maßnahme.

Der Vater strebt in diesem Sorgerechtsstreit die alleinige Obsorge, in eventu die gemeinsame Obsorge für beide Kinder an. Im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder in Österreich käme somit nunmehr österreichisches Recht zur Anwendung. Nach Art 53 Abs 1 ist das KSÜ nur auf Maßnahmen anzuwenden, die in einem Staat getroffen werden, nachdem das Übereinkommen für diesen Staat in Kraft getreten ist. Damit kann zwar das auf Maßnahmen anwendbare Recht mit Inkrafttreten des KSÜ auch während eines Verfahrens „umschlagen“ (Traar, Das Haager Kinderschutzübereinkommen, iFamZ 2011, 44; Nademleinsky, Haager Kinderschutzübereinkommen in Kraft, EF-Z 2011, 85). Ob dies tatsächlich „in jedem Stadium“ zu erfolgen hat, wie Nademleinsky meint, also auch dann, wenn der Oberste Gerichtshof lediglich die Zulässigkeit eines außerordentlichen Rechtsmittels prüft und dabei an sich an die Sach- und Rechtslage bei Beschlussfassung erster Instanz gebunden ist, kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Würde sich die Obsorgefrage nämlich nach österreichischem Recht richten, wäre die Mutter gemäß § 166 ABGB ohnehin allein obsorgeberechtigt; Gründe für eine Obsorgeentziehung nach § 176 ABGB lägen aber nicht vor. Auch die Anordnung einer gemeinsamen Obsorge ist nach derzeitiger Rechtslage in Österreich nicht möglich (stRsp, siehe 1 Ob 118/02p EFSlg 100.340).

Schlagworte

Familienrecht

Textnummer

E98043

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00160.11I.0718.000

Im RIS seit

30.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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