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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
StGG Art2Leitsatz
Keine Bedenken gegen die Widmung "Bauland - gemischtes Baugebiet" in einem Flächenwidmungsplan; Verletzung im Gleichheitsrecht mangels Eingehen der belangten Behörde auf die vom Beschwerdeführer als Anrainer und Inhaber einer gewerblichen Betriebsanlage erhobenen Einwendungen gegen eine heranrückende WohnbebauungSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Kärnten ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid vom 8. März 1995 erteilte der Bürgermeister der Gemeinde Maria Rain der "K" Gemeinnützige Kleinsiedlungs- und Wohnungsgenossenschaft für Kärnten die Baubewilligung zur Errichtung einer Wohnanlage mit 72 Wohnungen mit Garage und Autoabstellplätzen auf der als Bauland-gemischtes Baugebiet gewidmeten Parzelle Nr. 354/2, KG Tschedram. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer als Nachbarn Berufung - im wesentlichen mit der Begründung, sie betrieben seit langer Zeit auf dem benachbarten Grundstück ein Sägewerk, dessen Maschinen und Geräte hohe Schallemissionen aufweisen. Sie wiesen darauf hin, daß der Betrieb des Unternehmens in Hinkunft dadurch gefährdet wäre, daß Wohnungseigentümer der zu errichtenden Anlage in einem Betriebsanlagengenehmigungsverfahren die bestehende Anlage bekämpfen bzw. wirtschaftlich notwendige neue Investitionen verhindern würden.
Mit Bescheid vom 29. April 1996 wies der Gemeindevorstand der Gemeinde Maria Rain die Berufung ab.
2. Die dagegen erhobene Vorstellung wurde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen. In der Begründung des Bescheides wird einerseits darauf hingewiesen, daß gemäß §21 Abs4 der Kärntner Bauordnung 1992 die Möglichkeit, Einwendungen betreffend die Immissionslage zu erheben, nur jenen Parteien zustehe, die durch das Bauvorhaben in ihren Rechten verletzt werden, nicht aber jenen Parteien, von deren Anlagen und Betrieben Emissionen auf das Bauvorhaben ausgingen.
Andererseits wird unter Bezugnahme auf §2 Abs6 des Gemeindeplanungsgesetzes 1982 die Zulässigkeit von Wohngebäuden im gemischten Baugebiet bejaht.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gegründete Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Zur behaupteten Gleichheitsverletzung verweist die Beschwerde auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Problem der "heranrückenden Wohnbebauung" und bringt vor, §21 der Kärntner Bauordnung müsse verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, daß er auch dem Inhaber eines emissionsträchtigen Betriebes die Möglichkeit einräume, Einwendungen gegen die Errichtung eines benachbarten Wohngebäudes zu erheben.
Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplanes führt die Beschwerde unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 10703/1985 aus, die Widmung der Parzelle 354/2 als "Bauland - gemischtes Baugebiet" stehe im Widerspruch zu §2 Abs2 Z5 sowie §2 Abs1 Z7 und 8 des Kärntner Raumordnungsgesetzes. Den erläuternden Bemerkungen zum Flächenwidmungsplan sei zu entnehmen, daß die als gemischtes Baugebiet gewidmeten Flächen für die Errichtung industriell/ gewerblicher Betriebe vorgesehen waren.
4. Die Kärntner Landesregierung legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie auf der Rechtsansicht beharrte, nach §21 Abs4 der Kärntner BauO 1992 könnten Nachbarrechte nur dann verletzt werden, wenn durch den Bestand oder die konsensgemäße Benützung des geplanten Bauwerkes mit Einwirkungen auf die Nachbarschaft zu rechnen ist. Sie verweist auf die nunmehr geltende Regelung des §23 Abs1 (richtig wohl Abs2) litb der Kärntner Bauordnung 1996, die den Inhabern von Anlagen die Möglichkeit einräumt, Einwendungen gestützt auf die Bestimmungen über die widmungsgemäße Verwendung des Baugrundstückes zu erheben. Daher sei es bisher nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen, den Inhabern von Betrieben die von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Rechtsstellung einzuräumen.
Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit der Flächenwidmung führt die Kärntner Landesregierung aus, es möge zutreffen, daß nach den einleitenden Bemerkungen zum Flächenwidmungsplan im Bereich des Bahnhofsgeländes von Maria Rain im Anschluß an das dortige Sägewerk eine ausreichend große und hiefür geeignete Fläche als gemischtes Baugebiet festgelegt worden sei, um in der Gemeinde die wünschenswerte Etablierung industriell/gewerblicher Betriebe standortmäßig vorzubereiten. Dies bedeute aber nicht, daß von der dieser Widmung zugrundeliegenden Absicht nicht abgegangen werden könnte. Schließlich stammten diese Erläuterungen aus dem Jahre 1968 und es liege in der Natur der Sache, daß sich über einen so langen Zeitraum die Verhältnisse in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder ökologischer Hinsicht ändern, was sich im vorliegenden Fall im vermehrten Bedarf an Wohnungen äußere, weshalb der Errichtung von Wohngebäuden gegenüber gewerblichen Betrieben der Vorzug gegeben worden sei. Da die Errichtung von Wohngebäuden mit der Widmung gemischtes Baugebiet vereinbar sei, könne der Auffassung der Beschwerdeführer nicht beigetreten werden, daß die in Rede stehende Widmung gesetzwidrig wäre.
5. Die Gemeinde Maria Rain legte eine Kopie des Flächenwidmungsplanes vor, aus dem ersichtlich ist, daß die Parzelle 354/2 - ebenso wie der angrenzende Sägewerksbetrieb - als Bauland - gemischtes Baugebiet gewidmet ist und verwies in ihrer Äußerung ua. auf das vom Gemeinderat am 16. September 1993 beschlossene Ortsentwicklungskonzept.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1.1. Mit dem vom Gemeinderat der Gemeinde Maria Rain am 24. November 1967 beschlossenen Flächenwidmungsplan, genehmigt mit Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 11. März 1968, Kundmachung der Genehmigung in der Kärntner Landeszeitung Nr. 11 vom 15. März 1968, wurden ua. die Grundstücke 354/2 und 354/7, auf dem sich derzeit das geplante Wohnobjekt und der Sägewerksbetrieb der Beschwerdeführer befinden, als "Bauland - gemischtes Baugebiet" gewidmet.
1.2. Dieser Flächenwidmungsplan wurde auf Grund des Gesetzes vom 10. Juli 1959 über die Landesplanung, LGBl. 47, erlassen.
1.3. Gemäß §6 Abs7 des Landesplanungsgesetzes LGBl. 47/1959 waren als gemischte Baugebiete jene Flächen vorzusehen, die vornehmlich für Gebäude gewerblicher Klein- und Mittelbetriebe (ohne Rücksicht auf deren Emissionslage), im übrigen aber für Wohngebäude und für Gebäude bestimmt sind, die den kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung dienen, wie Kinos, Vergnügungsstätten.
1.4. Erst durch die Novelle zum Gemeindeplanungsgesetz 1970, LGBl. 78/1979, wurde der dem früheren §6 Abs7 Landesplanungsgesetz entsprechende §2 Abs6 dahingehend geändert, daß im gemischten Baugebiet Betriebe nur mehr dann zulässig waren, wenn sie "unter Bedachtnahme auf die örtlichen Gegebenheiten und den Charakter als gemischtes Baugebiet keine örtlich unzumutbare Umweltbelastung mit sich bringen". Diese Novelle enthält zur Änderung des §2 Abs6 leg. cit. keine Übergangsbestimmungen, insbesondere auch keine Verpflichtung der Gemeinde, bestehende Flächenwidmungspläne der geänderten Rechtslage anzupassen.
1.5. Durch die am 31. Dezember 1994 in Kraft getretene Novelle zum Gemeindeplanungsgesetz 1982, LGBl. 105/1994, wurde §2 dieses Gesetzes derart geändert, daß nunmehr die Widmungs- und Nutzungsart "Bauland - gemischtes Baugebiet" nicht mehr vorgesehen ist.
Gemäß der Übergangsbestimmung des ArtII Abs6 dieser Novelle dürfen jedoch Gebiete, die in bestehenden Flächenwidmungsplänen als "gemischte Baugebiete" festgelegt sind, als solche bestehen bleiben, wenn sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes teilweise oder zur Gänze widmungsgemäß bebaut sind. Ist ihre Bebauung bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt, ist für solche Gebiete innerhalb von drei Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes - das ist bis 31. Dezember 1997 - eine der durch dieses Gesetz geänderten Rechtslage entsprechende Widmung festzulegen.
1.6. Gegen die Aufrechterhaltung der Widmung "Bauland - gemischtes Baugebiet" im Flächenwidmungsplan der Gemeinde Maria Rain bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bestehen daher keine Bedenken. Im Hinblick auf die oben dargestellte Rechtslage, die sich von jener dem Erkenntnis VfSlg. 10703/1985 zugrundeliegender Rechtslage wesentlich unterscheidet, gehen daher die Bedenken der Beschwerde gegen den Flächenwidmungsplan der Gemeinde Maria Rain ins Leere.
2. Im Ergebnis erweist sich die Beschwerde aber als gerechtfertigt, weil der belangten Behörde ein in die Verfassungssphäre reichender Vollzugsfehler unterlaufen ist.
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
2.1. Die belangte Behörde hat - gestützt auf §21 Abs4 der Kärntner Bauordnung 1992 - die Möglichkeit verneint, daß der Inhaber eines Gewerbebetriebes sich gegen eine "heranrückende Wohnbebauung" zur Wehr setzen kann.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof kommt hingegen - wie die folgenden Überlegungen zeigen - zu dem Ergebnis, daß die Absätze 4 und 5 des §21 der Kärntner Bauordnung 1992 nicht nur Emissionswirkungen des Bauvorhabens zum Gegenstand haben, sondern auch Immissionen auf das Projekt, die von einem in der Nachbarschaft bestehenden Betrieb ausgehen.
2.3. Gemäß §21 Abs4 leg. cit. können die Anrainer gegen die Erteilung der Baubewilligung mit der Begründung Einwendungen erheben, daß sie durch das Bauvorhaben in subjektiven Rechten verletzt werden, die im öffentlichen Recht (öffentlich-rechtliche Einwendungen) begründet sind.
Öffentlich-rechtliche Einwendungen der Parteien sind gemäß §21 Abs5 leg. cit. im Baubewilligungsverfahren nur zu berücksichtigen, wenn sie sich auf die Bestimmungen des Baurechts oder der Bebauungspläne stützen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen. Hiezu gehören insbesondere jene Bestimmungen, die dem Schutz der Nachbarschaft in gesundheitlichen Belangen, im Interesse der Brandsicherheit oder gegen Immissionen dienen.
2.4. Gemäß §11 Abs1 des Gemeindeplanungsgesetzes 1982 sind im Landesgesetz vorgesehene Bewilligungen für raumbeeinflussende Maßnahmen nur zulässig, wenn sie dem Flächenwidmungsplan nicht widersprechen.
2.5. Die Baubehörde hat bei der Vorprüfung eines Bauvorhabens gemäß §11 Abs2 Kärntner Bauordnung 1992 festzustellen, ob dem Vorhaben ua. der Flächenwidmungsplan entgegensteht. Steht dem Vorhaben einer der Gründe des §11 Abs2 leg. cit. entgegen, hat die Baubehörde den Antrag gemäß §13 Abs1 leg. cit. abzuweisen.
2.6. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem richtungsweisenden Erkenntnis VfSlg. 12468/1990 zu §6 Abs8 der Wiener Bauordnung erkannt hat, ist einer Vorschrift, die die Errichtung von Betrieben in Wohngebieten beschränkt, ein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, der insbesondere die Qualität der Wohnverhältnisse sicherstellen will. Erfaßt man die Regelung nach dem evidenten Zweck, so fehlte es an einer sachlichen Rechtfertigung für die Annahme, daß eine vom Gesetz verpönte schwerwiegende Beeinträchtigung ausschließlich dann zu unterbinden ist, wenn die Quelle der Emissionen geschaffen werden soll, nicht hingegen in dem bloß durch die zeitliche Abfolge verschiedenen Fall, daß sie bereits besteht und erst durch die Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten kann. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Aussagen in den Erkenntnissen VfSlg. 13210/1992 (zu §23 Abs2 OÖ Bauordnung) und B737/96-13 vom 3. Oktober 1997 (zu §134 Abs3 und §134a der Wiener Bauordnung) wiederholt.
2.7. Überträgt man die in den genannten Vorerkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs vertretene Rechtsansicht auf die Regelung des §21 Abs2 der Kärntner Bauordnung 1992, so kommt man zum Ergebnis, daß der Wortfolge "die dem Schutz der Nachbarschaft ... dienen" auch der Fall des Inhabers einer gewerblichen Betriebsanlage zu unterstellen ist, dessen rechtliche Interessen durch die Bewilligung einer Wohnbebauung auf dem Nachbargrundstück deshalb berührt werden, weil er beispielsweise mit Auflagen der Gewerbebehörde zum Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen rechnen muß.
3. Da die belangte Behörde von einem - wie oben dargelegt - sachlich nicht begründbaren und daher auch gleichheitswidrigen Verständnis der zitierten Gesetzesstelle ausgegangen und im angefochtenen Bescheid auf die Einwendungen der Beschwerdeführer gegen die heranrückende Wohnbebauung in der Sache nicht eingegangen ist, hat sie die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbeitrag sind S 3.000,- an Umsatzsteuer enthalten. Die beantragten Barauslagen werden nicht zugesprochen, da diese bereits im Pauschalbetrag enthalten sind.
5. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.
Schlagworte
Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Übergangsbestimmung, NachbarrechteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B2896.1996Dokumentnummer
JFT_10019384_96B02896_00