Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 9. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in den Strafsachen gegen Amin K***** wegen § 27 Abs 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 8 U 96/09m, 8 U 131/10k sowie 8 U 67/10y jeweils des Bezirksgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen die in diesen Verfahren ergangenen Urteile vom 9. April 2009, 2. Juni 2010 und 21. Oktober 2010 sowie gegen mehrere Beschlüsse und Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Fürnkranz zu Recht erkannt:
Spruch
Es verletzen folgende Entscheidungen und Vorgänge des Bezirksgerichts Innsbruck das Gesetz:
1./ im Verfahren AZ 8 U 96/09m
a./ das Protokoll über die Hauptverhandlung am 9. April 2009 in § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO und § 447 StPO;
b./ das Urteil vom 9. April 2009 (ON 12)
aa./ durch die Unterlassung der Bezeichnung von das Vorliegen der Tatprivilegierung nach § 27 Abs 2 SMG ausschließenden Tatumständen zu den Schuldsprüchen I.1./, I.2./ und III./ in § 458 Abs 3 StPO idF BGBl I 2007/93 iVm § 270 Abs 2 Z 4 StPO und § 260 Abs 1 Z 1 StPO;
bb./ durch die rechtliche Unterstellung der Taten unter § 27 Abs 1 SMG aF sowie die Unterlassung der Bezeichnung von das Vorliegen der Tatprivilegierung nach § 27 Abs 2 SMG (idgF) ausschließenden Tatumständen zum Schuldspruch II./ in § 27 Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall SMG iVm § 48 SMG und § 61 StGB sowie in § 458 Abs 3 StPO idF BGBl I 2007/93 iVm § 270 Abs 2 Z 4 StPO und § 260 Abs 1 Z 1 StPO;
c./ der Beschluss vom 14. Juli 2009 (ON 20) auf Einziehung des beim Angeklagten sichergestellten Suchtgifts in § 443 Abs 1 und Abs 2 letzter Halbsatz StPO iVm § 447 StPO;
2./ im Verfahren AZ 8 U 131/10k
a./ das Protokoll über die Hauptverhandlung am 2. Juni 2010 in § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO und § 447 StPO;
b./ das Urteil vom 2. Juni 2010 (ON 14)
aa./ durch das Unterbleiben der Anführung aller den Strafsatz bestimmenden Merkmale im Urteilsspruch der gekürzten Urteilsausfertigung in § 260 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 270 Abs 2 Z 4 StPO und § 270 Abs 4 Z 1 iVm § 447 StPO;
bb./ im Strafausspruch in § 5 Z 4 JGG;
cc./ durch die Unterlassung von das Vorliegen diversioneller Voraussetzungen ausschließenden Feststellungen in der gekürzten Urteilsausfertigung in § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 447 StPO;
c./ der Beschluss vom 9. Juni 2010 (ON 13) auf Einziehung des beim Angeklagten sichergestellten Suchtgifts in § 443 Abs 1 und Abs 2 letzter Halbsatz StPO iVm § 447 StPO;
3./ im Verfahren AZ 8 U 67/10y
a./ das Protokoll über die Hauptverhandlung am 21. Oktober 2010 in § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO und § 447 StPO;
b./ das Urteil vom 21. Oktober 2010 (ON 27) im Strafausspruch in § 5 Z 4 JGG.
Es werden das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 9. April 2009, GZ 8 U 96/09m-12, das im Einziehungserkenntnis unberührt bleibt, im Schuldspruch und im Strafausspruch, demzufolge auch der Beschluss über den Widerruf der zu AZ 35 BE 1/08z des Landesgerichts Innsbruck gewährten bedingten Entlassung, das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 2. Juni 2010, GZ 8 U 131/10k-14, zur Gänze und das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 21. Oktober 2010, GZ 8 U 67/10y-27, im Strafausspruch aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Innsbruck jeweils im Umfang der Aufhebung die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
1./ Zu AZ 8 U 96/09m des Bezirksgerichts Innsbruck:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck trat im Verfahren AZ 66 BAZ 9/08b - nach Einholung einer Auskunft gemäß § 35 Abs 3 Z 1 SMG und einer Stellungnahme iSd § 35 Abs 3 Z 2 SMG sowie nach Zustimmung des am 11. Februar 1992 geborenen Angezeigten zu einer ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustands - im März 2008 zunächst für eine Probezeit von 2 Jahren vorläufig von der Verfolgung des Amin K***** wegen § 27 Abs 1 erster, zweiter und achter Fall SMG zurück, wobei sie das (diversionelle) Vorgehen von einer gesundheitsbezogenen Maßnahme iSd § 11 Abs 2 Z 1 SMG abhängig machte (ON 1 S 2 und ON 5 jeweils im einbezogenen Akt ON 8).
Wegen eines Suchtgiftaufgriffs vom 16. Oktober 2008 veranlasste die Staatsanwaltschaft Innsbruck im Verfahren AZ 66 BAZ 474/08k neuerlich Erhebungen gemäß § 35 Abs 3 SMG gegen Amin K*****, welche den weiteren Bedarf einer ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustands (ON 4) ergaben und die zuvor erwähnte Anzeigenzurücklegung zu Tag brachten (ON 5).
Mit Strafantrag vom 11. Februar 2009 legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck Amin K***** zur Last, 1./ am 16. Oktober 2008 14,5 Gramm Cannabisharz besessen und 2./ seit einem unbekannten Zeitpunkt bis ca Oktober 2008 regelmäßig (täglich) nicht mehr feststellbare Mengen „Cannabis“ erworben und besessen zu haben (ON 7).
Das Verfahren AZ 66 BAZ 9/08b setzte die Staatsanwaltschaft Innsbruck gemäß § 38 Abs 1 Z 1 SMG fort und legte Amin K***** mit Strafantrag vom 11. Februar 2009 zur Last, in einem nicht mehr nachvollziehbaren Zeitraum bis Dezember 2007 regelmäßig unbekannte Mengen „Cannabisprodukte“ sowie auch Kokain erworben, besessen und zum Teil auch weitergegeben zu haben (ON 1 S 2 und ON 6 jeweils in ON 8).
Dieses Verfahren wurde daraufhin ebenso in das Verfahren AZ 8 U 96/09m des Bezirksgerichts Innsbruck einbezogen (ON 1) wie jenes zu AZ 56 BAZ 162/09f der Staatsanwaltschaft Innsbruck, in dem die Staatsanwaltschaft Amin K***** mit Strafantrag vom 4. März 2009 zur Last legte, am 12. Februar 2009 0,4 Gramm Cannabisharz erworben und besessen zu haben (ON 1; ON 3 im einbezogenen Akt ON 9). Über den Antrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 4. März 2009 (ON 1 im einbezogenen Akt ON 9) auf Beschlagnahme des beim Angeklagten am 12. Februar 2009 sichergestellten Suchtgifts (0,4 Gramm Cannabisharz; ON 2 S 5 und S 21 im einbezogenen Akt ON 9) traf der Bezirksrichter - entgegen der aus § 115 Abs 2 StPO abzuleitenden Verpflichtung, über eine beantragte Beschlagnahme (vor Inkrafttreten des § 113 Abs 4 StPO idF BGBl I 2009/52 auch von Gegenständen, deren Besitz allgemein verboten ist [§ 110 Abs 3 Z 2 StPO]) unverzüglich abzusprechen - keine Entscheidung.
In der in Anwesenheit des jugendlichen Amin K***** sowie eines Vertreters der Jugendwohlfahrtsbehörde als gesetzlicher Vertreter durchgeführten Hauptverhandlung am 9. April 2009 dehnte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft nach Einbeziehung einer weiteren Anzeige vom 2. April 2009 (Anzeige ON 9 nach dem einbezogenen Akt ON 9) den Strafantrag vom 4. März 2009 auf den Vorwurf des Erwerbs und Besitzes von 0,9 Gramm Cannabisharz am 22. März 2009 aus (ON 10 S 3). An diesem Tag hatte die Polizei 0,9 Gramm Cannabisharz in einem dem Angeklagten zugeordneten Versteck sichergestellt und im Abschlussbericht die Übermittlung als Deposit angekündigt (Anzeige ON 9 S 3 f).
Der Angeklagte bekannte sich in der Hauptverhandlung zu den (Urteils-)Fakten I./2./ und II./ sowie zum Faktum vom 12. Februar 2009 (Schuldspruch III./) schuldig und verwies dazu auf seinen regelmäßigen Cannabiskonsum im relevanten Tatzeitraum. Die weiteren Vorwürfe bestritt er im Wesentlichen mit der Begründung, das jeweils inkriminierte Suchtgift sei nicht unmittelbar an seinem Körper bzw seiner Kleidung sichergestellt worden und habe sich nicht in seinem Besitz befunden (ON 10 S 3 ff).
Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil vom 9. April 2009 (ON 12) wurde Amin K***** der Vergehen nach „§ 27 Abs 1 Z 1 SMG“ (I./1./ und I./2./), nach „§ 27 Abs 1 SMG aF“ (II./) und nach „§ 27 Abs 1 Z 1 SMG“ (III./) schuldig erkannt und unter Anwendung des „§ 5 JGG“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.
Das Protokoll über die Hauptverhandlung am 9. April 2009 (ON 10) enthält zum Inhalt des den Angeklagten schuldig erkennenden Strafurteils folgende Angaben: „Der Richter verkündet sodann das Urteil samt den wesentlichen Entscheidungsgründen (§ 27 Abs 1 Z 1 SMG, 5 JGG Freiheitsstrafe 1 Monat, § 389 StPO unbedingt plus Widerruf und Einziehung)“.
Nach dem aus der gekürzten Urteilsausfertigung ersichtlichen Schuldspruch hat Amin K***** in Innsbruck
I./
1./ am 16. Oktober 2008 14,5 Gramm Cannabisharz besessen;
2./ nach seiner Einreise nach Österreich vor ca 2 Jahren und 4 Monaten in einem unbekannten Zeitpunkt bis ca Oktober 2008 regelmäßig (täglich) nicht mehr feststellbare Mengen „Cannabis“ erworben und besessen;
II./ nach seiner Einreise nach Österreich vor ca 2 Jahren und 4 Monaten in einem nicht mehr nachvollziehbaren Zeitraum bis ca Dezember 2007 regelmäßig unbekannte Mengen „Cannabisprodukte“ und Kokain erworben, besessen und zum Teil auch weitergegeben;
III./ am 12. Februar 2009 und am 22. März 2009 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich ca 0,4 und ca 0,9 Gramm Cannabisharz erworben und besessen.
Gleichzeitig mit dem Urteil wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO mit Beschluss die zu AZ 35 BE 1/08z des Landesgerichts Innsbruck gewährte bedingte Entlassung (zum Verfahren 36 Hv 43/07m des Landesgerichts Innsbruck) - innerhalb der Frist nach § 56 StGB - widerrufen.
Nicht im Strafurteil (§ 443 Abs 1 StPO), sondern mit getrennt ausgefertigtem Beschluss wurde „gemäß §§ 34 SMG/26 StGB iVm § 445a StPO die zu Standblatt Nr. 60/09 der Verwahrungsstelle des Landesgerichtes Innsbruck erliegende Menge Suchtgift, nämlich 14,5 Gramm Cannabisharz“ eingezogen.
Der Angeklagte erklärte sich im Anschluss an die Hauptverhandlung „zu einer gesundheitsbezogenen Maßnahme im Sinn des § 39 Abs 1 Z 1 SMG“ bereit (ON 10 S 5).
Nach entsprechenden Ersuchen der Verwahrungsstelle Innsbruck (ON 15 und 16) um Verfügung über die weiteren in dieser Strafsache - zu den Standblättern Nr 566/09 und Nr 649/09 - übernommenen Suchtmittel (vgl ON 1 und ON 2 S 21 im einbezogenen Akt ON 9 sowie Anzeige ON 9 S 3 f) fasste der Bezirksrichter am 14. Juli 2009 den Beschluss (ON 20) auf Einziehung „gemäß §§ 34 SMG/26 StGB iVm 445a StPO“ der zu diesen Standblättern erliegenden Suchtmittel. Zur Begründung führte er aus, Gegenstände, die der Täter zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung verwendet hat oder die von ihm dazu bestimmt worden waren, sind einzuziehen, wenn dies nach der besonderen Beschaffenheit der Gegenstände geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen entgegenzuwirken. Im gegebenen Fall handle es sich um „Beweismittel“, welche zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung verwendet wurden, sodass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Einziehung gegeben seien. Nach Rechtskraft dieses Beschlusses erteilte der Bezirksrichter mit Beschluss vom 24. August 2009 (ON 21) den Auftrag zur kommissionellen Vernichtung des eingezogenen Suchtgifts (§ 408 Abs 2 dritter Satz StPO).
Nach erfolglosen Versuchen zur Vorladung des Verurteilten zum Amtsarzt zur Klärung des Bedarfs einer gesundheitsbezogenen Maßnahme (ON 22 und 23) wies das Bezirksgericht Innsbruck mit Beschluss vom 4. Februar 2010 (ON 24) die Anträge des Amin K***** in der Hauptverhandlung am 9. April 2009 und des gesetzlichen Vertreters laut Schriftsatz vom 15. April 2009 (ON 13) auf Gewährung eines Strafaufschubs gemäß § 39 Abs 1 SMG ab, weil K***** der (auch zu einem weiteren Verfahren erfolgten) Ladung zum Amtsarzt nicht Folge geleistet hatte.
Aus dem gleichen Grund wies das Bezirksgericht Innsbruck mit Beschluss vom 31. Mai 2010 (ON 28) den in der Hauptverhandlung am 9. April 2009 gestellten Antrag des Amin K***** auf Gewährung eines Strafaufschubs nach § 39 SMG auch hinsichtlich des zufolge des Widerrufs der bedingten Entlassung zu AZ 35 BE 1/08z des Landesgerichts Innsbruck zu vollziehenden Strafrests von einem Monat und 16 Tagen ab.
Am 2. Juni 2010 verfügte der Bezirksrichter die Rückholung der Strafvollzugsanordnung vom 5. Februar 2010 betreffend die aus der Verurteilung zu AZ 8 U 96/09m zu vollziehende Freiheitsstrafe (Anordnungs- und Bewilligungsbogen). Eine Strafvollzugsanordnung hinsichtlich des widerrufenen Strafrests aus der bedingten Entlassung wurde nicht mehr verfügt, sondern der Akt in Bezug auf eine zum Verfahren AZ 8 U 131/10k des Bezirksgerichts Innsbruck erfolgte Bestellung eines Sachverständigen kalendiert.
Mit Beschluss vom 21. Juni 2010 (ON 29) wurde gemäß § 7 Abs 3 StVG der Vollzug der mit Urteil vom 9. April 2009 verhängten Freiheitsstrafe sowie des Strafrests aus der gleichzeitig mit diesem Urteil widerrufenen bedingten Entlassung bis zur Entscheidung über den zum Verfahren AZ 8 U 131/10k des Bezirksgerichts Innsbruck gestellten Antrag des Amin K***** vom 2. Juni 2010 auf Aufschub des Strafvollzugs auch der zum Verfahren AZ 8 U 96/09m verhängten bzw widerrufenen Strafen vorläufig gehemmt.
2./ Zu AZ 8 U 131/10k des Bezirksgerichts Innsbruck:
Die aufgrund einer weiteren Anzeige gegen Amin K***** wegen des Verdachts des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 SMG (ON 2) durch die Staatsanwaltschaft Innsbruck zu AZ 54 BAZ 47/10f eingeholte Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit (ON 3) wies auf zahlreiche Vormerkungen von Anzeigen gegen Amin K***** nach dem Suchtmittelgesetz hin. Die zunächst gemäß § 35 Abs 3 Z 2 SMG angeforderte Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde (ON 1 S 1) unterblieb, weil der Angeklagte Ladungen zur amtsärztlichen Untersuchung iSd § 35 Abs 5 SMG nicht Folge leistete (ON 4).
Mit Strafantrag vom 1. April 2010 legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck Amin K***** zur Last, am 15. Jänner 2010 in Innsbruck vorschriftswidrig ca 2,4 Gramm Cannabisharz erworben und besessen zu haben (ON 1 S 3 und 4, ON 6).
In der Hauptverhandlung am 2. Juni 2010 gab der Angeklagte an, er habe eine Ladung des Stadtmagistrats erhalten, diese aber verloren und sei deshalb nicht zur Untersuchung gegangen. Er bekannte sich schuldig, erklärte sich bereit, sich (nicht näher bezeichneten) gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen und beantragte vorweg die Gewährung eines Strafaufschubs iSd § 39 SMG (ON 11 S 3). Einvernehmlich wurde vom Richter der Akteninhalt vorgetragen (ON 11 S 3), demnach auch die Verantwortung des Angeklagten vor der Polizei, er konsumiere täglich Suchtgift und habe das bei ihm sichergestellte Suchtgift (erkennbar: für seinen eigenen Gebrauch) gekauft (ON 2 S 21f). Die Gewinnung eines Vorteils aus der Tat war weder nach dieser Aussage noch sonst nach dem Inhalt der betreffenden Anzeige indiziert.
Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil vom 2. Juni 2010 (ON 14) wurde der im Zeitpunkt der Verhandlung und Urteilsfällung bereits volljährige Amin K***** des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 (erster und zweiter Fall) und Abs 2 SMG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt.
Nach dem Urteilsspruch hat er am 15. Jänner 2010 in Innsbruck vorschriftswidrig von einem Unbekannten ca 2,4 Gramm Cannabisharz erworben und dieses besessen.
Das Protokoll über die Hauptverhandlung am 2. Juni 2010 (ON 11) enthält zum Inhalt des den Angeklagten schuldig erkennenden Strafurteils folgende Angaben: „Der Richter verkündet das Urteil samt den wesentlichen Entscheidungsgründen und erteilt Rechtsmittelbelehrung (§ 27 Abs 1 Z 1 und Abs 2 SMG Freiheitsstrafe 6 Wochen, § 389 unbedingt)“.
Obwohl die Staatsanwaltschaft die Einziehung des beim Angeklagten sichergestellten Suchtgifts noch in der Hauptverhandlung beantragt hatte (ON 11 S 4), entschied der Bezirksrichter nicht sofort im Strafurteil darüber, sondern zog das Suchtgift mit gesondertem Beschluss vom 9. Juni 2010 (ON 13) „gemäß §§ 34 SMG iVm 26 StGB und 445a StPO“ nachträglich ein. Zur Begründung führte er wieder aus, im gegebenen Fall handle es sich um „Beweismittel“, welche zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung verwendet wurden, sodass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Einziehung gegeben seien. Nach Rechtskraft dieses Beschlusses erteilte der Bezirksrichter mit Beschluss vom 17. Jänner 2011 (ON 29) den Auftrag zur kommissionellen Vernichtung des eingezogenen Suchtgifts.
Über den Antrag des Verurteilten auf Aufschub der verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 39 SMG (ON 11 S 3) wurde bislang noch nicht entschieden. Der Strafvollzug wurde mit Beschluss vom 21. Juni 2010 (ON 17) bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag vorläufig gehemmt.
3./ Zu AZ 8 U 67/10y des Bezirksgerichts Innsbruck:
Mit rechtskräftigem Urteil vom 21. Oktober 2010 (ON 27) wurde Amin K***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 127 StGB unter Bedachtnahme auf das vorerwähnte Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 2. Juni 2010, GZ 8 U 131/10k-14, gemäß §§ 31, 40 StGB zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von zwei Wochen verurteilt.
Nach dem Schuldspruch hat er am 27. Dezember 2009 in Innsbruck im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit namentlich genannten Mittätern Gewahrsamsträgern einer O***** eine Flasche Whisky im Wert von 17,99 Euro mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen.
Das Protokoll über die Hauptverhandlung am 21. Oktober 2010 (ON 26) hält das den Angeklagten schuldig erkennende Strafurteil mit folgenden Worten fest: „Der Richter verkündet das Urteil samt den wesentlichen Entscheidungsgründen und erteilt Rechtsmittelbelehrung (§ 127 StGB, 31, 40 zu 8 U 131/10k, Freiheitsstrafe 2 Wochen, § 389 StPO unbedingte Strafverhängung)“.
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen folgende Vorgänge und Entscheidungen des Bezirksgerichts Innsbruck mit dem Gesetz nicht in Einklang:
1./ Zum Verfahren AZ 8 U 96/09m:
a./ Das Protokoll über die Hauptverhandlung am 9. April 2009 gibt § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 447 StPO zuwider den Spruch des Urteils nicht mit allen in § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO bezeichneten Mindestangaben wieder. Weder ist ein Referat der für die rechtliche Subsumtion entscheidenden Tatsachen angeführt (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), noch - in Worten - die gesetzliche Bezeichnung jener strafbaren Handlung, welcher der Angeklagte für schuldig befunden wurde, und dass diese ein Vergehen darstellt (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO).
b./ Dem Urteil vom 9. April 2009 (ON 12) haften mehrere Fehler an:
aa./ Einerseits nahm das Bezirksgericht zu den Schuldsprüchen I./1./, I./2./ und III./ ausschließlich Tathandlungen des Erwerbs und Besitzes (§ 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG) an, traf jedoch - trotz der in diese Richtung weisenden Aussage des Angeklagten - keine Feststellungen darüber, ob der Angeklagte diese Taten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch (§ 27 Abs 2 SMG) begangen hatte.
Wird ein Urteil in gekürzter Form ausgefertigt, so hat diese Ausfertigung auch gemäß der (damals geltenden) Bestimmung des § 458 Abs 3 StPO idF BGBl I 2007/93 die im § 270 Abs 2 StPO erwähnten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe zu enthalten. In einem solchen Fall ersetzt der Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiellrechtliche Beurteilung (RIS-Justiz RS0125032). Aus der gekürzten Urteilsausfertigung müssen daher die einen bestimmten Strafsatz bedingenden und gegebenenfalls auch die eine scheinbar bestehende Privilegierung ausschließenden Tatumstände ausdrücklich hervorgehen (RIS-Justiz RS0101786; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 6).
Das Bezirksgericht hätte somit hinsichtlich der den Schuldsprüchen I./1./, I./2./ und III./ zugrunde liegenden Taten die privilegierende Bestimmung des § 27 Abs 2 SMG anwenden oder aber gemäß § 458 Abs 3 Z 1 StPO idF BGBl I 2007/93 iVm § 270 Abs 2 Z 4 StPO und § 260 Abs 1 Z 1 StPO in der gekürzten Urteilsausfertigung die den - gegenüber § 27 Abs 2 iVm § 27 Abs 1 SMG - höheren Strafsatz nach § 27 Abs 1 SMG idF BGBl I 2007/110 rechtfertigenden Tatumstände anführen müssen (14 Os 112/10t; 15 Os 152/10g).
bb./ Die vom Bezirksgericht vorgenommene Unterstellung der vom Schuldspruch II./ erfassten Straftaten unter § 27 Abs 1 (erster, zweiter und sechster Fall) SMG aF (idF BGBl I 2002/134) entspricht gleichfalls nicht dem Gesetz. Denn angesichts der in § 27 Abs 2 SMG vorgesehenen (mit § 27 Abs 1 SMG aF identen) Strafdrohung im Zusammenhalt mit der nunmehr gegenüber der Rechtslage vor Inkrafttreten der SMG-Novelle 2007 wesentlich weitergehenden Diversionsmöglichkeit nach § 35 Abs 1 und Abs 2 SMG ist nach § 48 SMG iVm § 61 StGB die für den Angeklagten günstigere Bestimmung des § 27 Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall SMG anzuwenden oder sind gleichfalls den Ausnahmesatz des § 27 Abs 2 SMG ausschließende Tatumstände anzuführen (RIS-Justiz RS0124177).
c./ Gemäß § 443 Abs 1 StPO ist über die Einziehung grundsätzlich im Strafurteil zu entscheiden. Reichen die Ergebnisse des Strafverfahrens weder an sich noch nach Durchführung von Beweisaufnahmen aus, um über die im Abs 1 des § 443 StPO angeführten vermögensrechtlichen Anordnungen verlässlich urteilen zu können, kann gemäß Abs 2 leg cit ihr Ausspruch durch Beschluss einer gesonderten Entscheidung (§§ 445, 445a StPO) vorbehalten bleiben, außer welchem Fall eine solche Anordnung nicht mehr zulässig ist. Die ohne Urteilsvorbehalt und nachträglich mit gesondertem Beschluss vom 14. Juli 2009 (ON 20) erfolgte Einziehung von Suchtgift widerspricht § 443 Abs 1 und 2 letzter Halbsatz StPO. Das Suchtgift wäre auch nicht wegen seiner Eigenschaft als Beweismittel, das zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung verwendet wurde (vgl § 115 Abs 1 Z 1 StPO), einzuziehen gewesen, sondern aufgrund der Anordnung in § 34 SMG, wonach ein Suchtmittel, das den Gegenstand einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem Suchtmittelgesetz bildet, nach Maßgabe des § 26 StGB zwingend einzuziehen ist.
2./ Zum Verfahren AZ 8 U 131/10k:
a./ Auch das Protokoll über die Hauptverhandlung am 2. Juni 2010 gibt § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 447 StPO zuwider den Spruch des Urteils nicht mit allen in § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO bezeichneten Mindestangaben wieder. Weder ist ein Referat der für die rechtliche Subsumtion entscheidenden Tatsachen angeführt (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), noch - in Worten - die gesetzliche Bezeichnung jener strafbaren Handlung, welcher der Angeklagte für schuldig befunden wurde, und dass diese ein Vergehen darstellt (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO).
b./ Dem Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 2. Juni 2010 (ON 14) haften mehrere Fehler an:
aa./ Gemäß § 270 Abs 4 Z 1 StPO iVm § 270 Abs 2 Z 4 StPO und § 260 Abs 1 Z 1 StPO sowie § 447 StPO hat im Fall einer Verurteilung auch der Urteilsspruch einer gekürzten Urteilsausfertigung die Tat (den historischen Sachverhalt) zu bezeichnen, welcher der Angeklagte für schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bestimmenden Umstände. Der Schuldspruch erging nach § 27 Abs 1 und 2 SMG, obwohl der Urteilsspruch das privilegierende Merkmal der Begehung der Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch nicht bezeichnet (vgl 12 Os 24/10m).
bb./ Im Strafausspruch unterblieb die Anwendung des § 5 Z 4 JGG, obwohl Amin K***** zur Tatzeit am 15. Jänner 2010 noch Jugendlicher war. Für die Ahndung von Jugendstraftaten (§ 1 Z 2 und 3 JGG) enthält § 5 JGG Sonderregelungen. Gemäß § 5 Z 4 JGG ist das Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe auf die Hälfte herabgesetzt. Die zum Nachteil des Angeklagten gereichende Nichtanwendung dieser Bestimmung bewirkt unabhängig davon, ob die jeweils verhängte Strafe die Grenzen der gesetzlichen Strafbefugnis tangiert, eine Gesetzesverletzung und sogar Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO (RIS-Justiz RS0086949).
cc./ Nach § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG hat das Gericht nach Einbringung der Anklage unter den in Abs 3 bis 7 des § 35 SMG genannten Voraussetzungen und Bedingungen das Verfahren wegen einer Straftat nach § 27 Abs 1 und 2 SMG, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Angeklagte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem bis zu zwei Jahren vorläufig einzustellen. Im vorliegenden Fall hat das Gericht trotz der jedenfalls in der Hauptverhandlung deklarierten Bereitschaft des Angeklagten zu einer allenfalls erforderlichen gesundheitsbezogenen Maßnahme einen Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1 (erster und zweiter Fall) und Abs 2 SMG gefällt, obwohl nach der in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verantwortung des Angeklagten vor der Polizei eine Tatbegehung für den eigenen persönlichen Gebrauch ohne Vorteilsziehung indiziert war. Damit lagen zu berücksichtigende Verahrensergebnisse vor, welche die Prüfung der Voraussetzungen für ein Vorgehen des Gerichts nach § 37 SMG iVm § 35 Abs 1 SMG geboten hätten. Weil das Bezirksgericht dessen ungeachtet im Urteilsvermerk keine ein solches diversionelles Vorgehen ausschließenden Tatsachen anführte, haftet dem Urteil ein den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO begründender Feststellungsmangel an (RIS-Justiz RS0119091; 15 Os 181/10x).
c./ Die ohne Urteilsvorbehalt und nachträglich mit gesondertem Beschluss vom 9. Juni 2010 (ON 13) erfolgte Einziehung der 2,4 Gramm Cannabisharz widerspricht § 443 Abs 1 und 2 StPO. Das Suchtgift wäre auch nicht wegen seiner Eigenschaft als Beweismittel, das zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung verwendet wurde, einzuziehen gewesen, sondern aufgrund der Anordnung in § 34 SMG, wonach ein Suchtmittel, das den Gegenstand einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem Suchtmittelgesetz bildet, nach Maßgabe des § 26 StGB zwingend einzuziehen ist (12 Os 24/10m).
3./ Zum Verfahren AZ 8 U 67/10y:
a./ Das Protokoll über die Hauptverhandlung am 21. Oktober 2010 gibt § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 447 StPO zuwider ebenfalls den Spruch des Urteils nicht mit allen in § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO bezeichneten Mindestangaben wieder. Weder ist ein Referat der für die rechtliche Subsumtion entscheidenden Tatsachen angeführt (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), noch - in Worten - die gesetzliche Bezeichnung jener strafbaren Handlung, welcher der Angeklagte für schuldig befunden wurde, und dass diese ein Vergehen darstellt (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO).
b./ Das Urteil vom 21. Oktober 2010 (ON 27) erging im Strafausspruch gleichfalls ohne Anwendung des § 5 Z 4 JGG, obwohl der Angeklagte zur Tatzeit am 27. Dezember 2009 noch Jugendlicher war. Die - dem Verurteilten zum Nachteil gereichende - Nichtanwendung dieser Bestimmung bewirkt unabhängig davon, ob die jeweils verhängte Strafe die Grenzen der gesetzlichen Strafbefugnis tangiert, eine Gesetzesverletzung und sogar Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO (RIS-Justiz RS0086949).
Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, die Urteile des Bezirksgerichts Innsbruck aufzuheben und diesem jeweils im Umfang der Aufhebung die neuerliche Verhandlung und Entscheidung (§ 37 Abs 3 StPO) aufzutragen.
Die von den kassierten Urteilen rechtslogisch abhängigen Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichermaßen als beseitigt (RIS-Justiz RS0100444).
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E98403European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00082.11T.0809.000Im RIS seit
07.10.2011Zuletzt aktualisiert am
07.10.2011