TE OGH 2011/8/9 4Ob11/11p

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Veröffentlicht am 09.08.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E***** J*****, und 2. V***** J*****, beide vertreten durch Dr. Eva-Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. R***** J*****, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen Übergabe von Liegenschaftsanteilen und Einwilligung in die Eigentumseinverleibung ob diesen Anteilen (Streitwert 200.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. Dezember 2010, GZ 11 R 108/10y-20, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. April 2010, GZ 4 Cg 173/09d-16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 2.643,68 EUR (darin enthalten 440,61 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Parteien sind Geschwister und zu gleichen Teilen Erben nach ihrer 2008 verstorbenen Tante. Diese hatte dem Beklagten 2001 einen Anteil an einer Liegenschaft in Wien geschenkt.

              Die Kläger begehren vom Beklagten, ihnen jeweils zu einem Drittel das Eigentum an diesem Liegenschaftsanteil zu übertragen. Sie hätten als Erben der Tante die Schenkung wegen groben Undanks widerrufen. Der Beklagte habe die Erblasserin nämlich bis zu ihrem Tod im falschen Glauben gelassen, Miteigentümerin einer Eigentumswohnung in Budapest zu sein und sie jahrelang anteilig Liegenschafts- und Wohnungskosten zahlen lassen. Die Zuständigkeit des Erstgerichts gründeten die Kläger nach Aufhebung der vom Erstgericht zunächst a limine ausgesprochenen Klagezurückweisung auf die Gerichtsstände der Art 5 Z 1 lit a und Art 6 Z 4 EuGVVO.

              Der Beklagte wendete die Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Er habe seinen Wohnsitz in der Slowakei. Gemäß Art 2 EuGVVO sei er daher vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen. Ein Fall des Art 5 Z 1 lit a EuGVVO und des Art 6 Z 4 EuGVVO liege nicht vor.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Die einzige Hauptpflicht des Schenkungsvertrags zwischen der Tante und dem Beklagten sei die Verschaffung des Eigentums an der geschenkten Sache gewesen. Der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Rückübertragung des Eigentums trete nicht an die Stelle der Hauptleistungspflicht. Der Schenkungsvertrag könne daher nicht zuständigkeitsbegründend sein. Klagen aus Verträgen auf Übergabe einer unbeweglichen Sache oder auf Einwilligung in eine grundbücherliche Einverleibung seien schuldrechtlicher Natur und könnten daher auch keine Zuständigkeit nach Art 6 Z 4 EuGVVO oder Art 22 Z 1 EuGVVO begründen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Frage der Anwendbarkeit des Art 5 Z 1 lit a EuGVVO auf Klagen auf Rückabwicklung (aufgelöster) unentgeltlicher Rechtsgeschäfte (widerrufener Schenkungen) über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts werde an jenem Ort begründet, an dem die Verpflichtung erfüllt worden sei oder zu erfüllen wäre. Unter der zu erfüllenden Verpflichtung sei jene zu verstehen, die den Gegenstand der Klage bilde. Dies sei nicht die für den Vertrag charakteristische Leistung, sondern die (Hauptleistungs-)Verpflichtung des Beklagten. Vertragliche Sekundär- und Nebenpflichten würden nicht selbstständig angeknüpft, sondern zuständigkeitsrechtlich der Hauptleistung zugeordnet. Bei einem Schenkungsvertrag treffe den Beschenkten keine Hauptleistungspflicht. Der geltend gemachte Rückerstattungsanspruch resultiere aus dem erklärten Widerruf der Schenkung wegen groben Undanks. Soweit im undankbaren Verhalten überhaupt die Verletzung einer vertraglichen Pflicht zu sehen sei, könne es sich nur um eine vertragliche Nebenpflicht handeln, die nicht selbstständig einklagbar sei. Sie könne daher keiner Hauptleistungspflicht zugeordnet werden. Damit biete der Schenkungsvertrag auch nach Ansicht des Rekursgerichts keinen Anknüpfungspunkt für den Gerichtsstand des Erfüllungsorts. Es komme nicht darauf an, wo die Schenkungsverpflichtung durch die Rechtsvorgängerin der Kläger erfüllt worden sei. Auch ein Fall des Art 6 Z 4 EuGVVO liege nicht vor. Diese Bestimmung setze voraus, dass die Klage in Ausübung eines dinglichen Rechts erhoben werde. Klagen aus ungerechtfertigter Bereicherung seien aber ebenso wenig dingliche Klagen in diesem Sinn wie Klagen aus Verträgen auf Übergabe einer unbeweglichen Sache oder auf Einwilligung in eine grundbücherliche Einverleibung und Klagen auf Aufhebung eines Vertrags über eine unbewegliche Sache. Die Kläger stützten ihr Begehren auf (Rück-)Übertragung der geschenkten Liegenschaftsanteile nicht auf ihr Eigentum oder ein anderes dingliches Recht an diesen, sondern auf eine ungerechtfertigte Bereicherung des Beklagten infolge Wegfalls des Erwerbstitels (Schenkungswiderrufs). Eine dingliche Klage liege daher nicht vor, sodass auch der Gerichtsstand des Art 22 Z 1 EuGVVO nicht greifen könne. Das Erstgericht habe daher zu Recht seine örtliche und seine internationale Zuständigkeit verneint.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Kläger mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens unter Abstandnahme „von der Einrede der Unzuständigkeit“ aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Kläger machen geltend, dass der gegenständliche Anspruch auf Rückabwicklung aufgrund des Widerrufs der Schenkung unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinn des Art 5 Z 1 lit a EuGVVO falle. Es handle sich hier um die Rückübertragung einer im Grundbuch im Inland eingetragenen Liegenschaft (die diesbezüglich fehlende Feststellung wird als Feststellungsmangel gerügt). Der Erfüllungsort sei daher sowohl für den Schenkungsvertrag, als auch für dessen Rückabwicklung der Ort der gelegenen Sache. Der Anspruch aus dem Vertrag sei keine von der Zuständigkeitsvorschrift des Art 5 Z 1 lit a EuGVVO nicht erfasste Nebenleistung, sondern eine Hauptleistung, die vom Beklagten im Inland zu erfüllen sei. Der Rückerstattungsanspruch sei ein „Anspruch aus einem Vertrag“, weil er seine Grundlage in der Verletzung von Verpflichtungen des Geschenknehmers gegen den Geschenkgeber habe, die - auch wenn sie sich aus dem Gesetz ergäben - als Vertragsverletzung zu qualifizieren sei.

Der Senat hat dazu wie folgt erwogen:

1. Dass die gegenständliche Liegenschaft im Inland im Grundbuch eingetragen ist, ist unstrittig und bedurfte daher keiner Feststellung, sodass insoweit kein Feststellungsmangel besteht.

2. Wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, kann gemäß Art 5 Abs 1 lit a EuGVVO eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Orts, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, verklagt werden.

3. Die Begriffe „Vertrag“ und „Ansprüche aus einem Vertrag“ sind nach der Rechtsprechung des EuGH gemeinschaftsrechtlich autonom auszulegen, um die einheitliche Anwendung der Verordnung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die Begriffe sind weit auszulegen. Danach ist unter Vertrag jede von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung zu verstehen. Dies betrifft auch den Fall, dass die vertraglichen Beziehungen aufgrund einer Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge erworben wurden (Simotta in Fasching/Konecny2 V/1 Art 5 EuGVVO Rz 38 ff mwN; Stadler in Musielak, dZPO8 Art 5 VO [EG] 44/2001 Rz 2; Dörner in Saenger, dZPO4, Art 5 EuGVVO Rz 5 ff).

4. Zu den Verpflichtungen aus einem Vertrag gehören nicht nur die unmittelbaren vertraglichen Pflichten, etwa Leistungs-, Zahlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten, sondern auch die Verpflichtungen, die an die Stelle einer nicht erfüllten vertraglichen Verbindlichkeit treten (sogenannte Sekundärverpflichtungen), also vor allem Schadenersatz- und Rückerstattungsansprüche, und zwar auch dann, wenn sie (erst) aus dem Gesetz folgen (Simotta aaO Rz 44 mwN). Diese Sekundäransprüche fallen aber nur dann in den Anwendungsbereich des Art 5 Z 1 lit a EuGVVO, wenn sie ihren Ursprung in der Verletzung einer sich aus dem Vertrag ergebenden Pflicht haben (vgl EuGH Rs 9/87 Rn 13; 4 Ob 116/02s; Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht2, Art 5 Brüssel I-VO Rz 30), mag der Anspruch dem Kläger auch bloß aufgrund einer Legalzession übertragen worden sein (vgl 9 Ob 104/04s). Erfasst sind weiters nur solche Pflichten, die selbstständig gerichtlich eingeklagt werden können (Schmaranzer in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht [2009] Art 5 EuGVO Rz 25).

5. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist bei der Bestimmung des Erfüllungsorts nicht auf den Erfüllungsort des - regelmäßig auf das Gesetz gestützten - Rückforderungsanspruchs, sondern auf den jener Vertragspflicht abzustellen, aus deren Verletzung der Rückforderungsanspruch abgeleitet wird. Werden daher sekundäre vertragliche Ansprüche geltend gemacht wie Schadenersatz oder Rückerstattung, so kommt es auf den Erfüllungsort jener vertraglichen „primären“ Verpflichtung an, deren Nichterfüllung zur Begründung des Anspruchs behauptet wird (RIS-Justiz RS0116420 [T2]; Schmaranzer aaO Art 5 EuGVO Rz 32 mwN).

6. Die Bestimmung des Erfüllungsorts hat in den Fällen des Art 5 Z 1 lit a EuGVVO nach der (materiellen) lex causae zu erfolgen. Der Schuldner soll dort, wo er nach materiellem Recht leisten muss, auch gerichtlich zu belangen sein (Rauscher, EuZPR/EuIPR [2011] Art 5 Brüssel I-VO Rz 33; Gottwald, MüKo dZPO3 EuGVO Art 5 Rz 36).

Der widerrufene Schenkungsvertrag wurde im März 2001 abgeschlossen. Nach dem damals anzuwendenden EVÜ (Art 4 Abs 3) ist auf ihn österreichisches Recht anzuwenden.

Gemäß §§ 938 ff ABGB ist die Schenkung ein zweiseitiges Rechtsgeschäft ohne synallagmatisch, konditional oder kausal verknüpfter Gegenleistung (Löcker in ABGB-ON 1.00 § 938 Rz 10). Der Beschenkte ist keinen unmittelbaren Leistungspflichten unterworfen.

Die Rechtsmittelwerber verweisen auf eine (zur Vermeidung des Widerrufs der Schenkung bestehende) Verpflichtung des Geschenknehmers, Verhalten, das als grober Undank im Sinn von § 948 ABGB zu qualifizieren wäre, zu unterlassen.

Wollte man eine derartige Verpflichtung annehmen, würde sie geografisch unbegrenzt gelten; sie könnte daher keinen zuständigkeitsrechtlich relevanten Erfüllungsort (in Österreich) begründen. Der EuGH hat bereits in seiner Entscheidung vom 19. 2. 2001, C-256/00 ausgesprochen, dass eine geografisch unbegrenzt geltende Unterlassungspflicht, die ihrem Wesen nach weder an einem bestimmten Ort lokalisiert noch einem bestimmten Gericht zugeordnet werden könne, das zur Entscheidung eines Rechtsstreits über diese Verpflichtung besonders geeignet wäre. Eine derartige Verpflichtung, etwas überall zu unterlassen, weise definitionsgemäß keine besonders enge Verknüpfung mit einem bestimmten Gericht auf. Art 5 Z 1 lit a EuGVVO sei in einem solchen Fall überhaupt nicht anzuwenden (vgl auch Gottwald in MüKo dZPO, EuGVO Art 5 Rz 33).

Folgt man diesen Grundsätzen so haben die Vorinstanzen die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zutreffend verneint.

Weitere Zuständigkeitsbehauptungen hielten die Kläger in ihrem Revisionsrekurs nicht mehr aufrecht.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 50, 41 ZPO.

Schlagworte

Europarecht

Textnummer

E98177

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0040OB00011.11P.0809.000

Im RIS seit

09.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

29.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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