Kopf
Das Landesgericht Leoben hat als Berufungsgericht durch die Richter Hofrat Dr. Gustav Krempl (Vorsitz), Dr. Alfred Weixelbaumer und Mag. Georg Schober in der Rechtssache der klagenden Partei H***** H*****, Kraftfahrer, Im Tal 21, 4656 Kirchham, vertreten durch Dr. Gerhard Götschhofer, Rechtsanwalt in 4655 Vorchdorf, wider die beklagte Partei J***** R*****, Arbeiter und Nebenerwerbslandwirt, 8783 Gaishorn am See Nr. 2, vertreten durch Dr. Hans-Moritz Pott, Rechtsanwalt in 8940 Liezen, wegen EUR 2.650,-- sA, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Liezen vom 21.3.2011, 2 C 1873/10w-19, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird k e i n e Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 311,86 (darin EUR 51,98 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist Halter des sechs Jahre alten "Apo", eines rund 40 kg schweren Deutschlanghaar-Rüden mit einem Stockmaß von ca. 50 cm, der sich seit seiner Geburt am Hof der vom Beklagten betriebenen Landwirtschaft Gaishorn am See Nr. 82 aufhält. Am Hof selbst lebt seit Jahren nur mehr M***** R*****, die Großmutter des Beklagten, die auch die Hauptbezugsperson für Apo ist. M***** R***** hatte die letzten 60 Jahren immer einen Hund am Hof, sodass sie im Umgang mit Hunden als sehr erfahren anzusehen ist und grundsätzlich keiner besonderen Anweisungen bedarf, wie mit Hunden umzugehen ist.
Von seinem Wesen her ist Apo ein ruhiger und freundlicher Hund, der in der Vergangenheit weder gegenüber den Familienmitgliedern noch gegenüber Dritten aggressives Verhalten gezeigt hat. Apo ist sehr folgsam, gut erzogen und darf sich aufgrund seiner friedlichen Wesensart im unmittelbaren Hofgelände frei bewegen. Dabei ist er meist im Blick- und/oder Rufbereich von M***** R*****, die sich entweder im Hofgelände oder in der Küche im Erdgeschoss des Wohnhauses aufhält, von wo sie das Hofgelände und die Zufahrt einsehen kann. Da es sich beim Zufahrtsweg um eine reine Hofzufahrt handelt und kein Fußweg durch den Hof führt, kommen nur selten fremde Personen in das Hofgelände. Kommt dies dennoch vor, zeigt sich Apo stets interessiert, läuft zu diesen hin, bellt manchmal und schnuppert. Ein aggressives Verhalten wie Knurren oder gar Beißen hat Apo noch nie gezeigt, weshalb er auch in der Nachbarschaft als ruhiger und friedfertiger Hofhund bekannt ist. Das Hofgelände hat er aus freien Stücken noch nie verlassen.
Der Hof des Beklagten befindet sich im Freiland rund 60 bis 70 m bergwärts einer Gemeindestraße, die nach Gaishorn am See führt; die nächsten Häuser sind mehrere hundert Meter entfernt. Der Hof ist über einen rund 3 m breiten Schotterweg erreichbar, der direkt im Hofgelände endet, was trotz fehlender Hinweisschilder auch für Ortsunkundige klar erkennbar ist. Von der Gemeindestraße kommend durchquert man in Annäherung an den Hof nach ca. 10 m eine erste Zaunreihe; ungefähr 60 m von der Gemeindestraße entfernt beginnt das Hofgelände, welches von einem „Rundlingzaun“ umgrenzt ist; die unmittelbare Hoffläche erreicht man durch ein Einfahrtstor, das die meiste Zeit geöffnet ist. Von der Gemeindestraße kommend ist spätestens bei der ersten Zaunreihe Apos Hundezwinger gut erkennbar.
Am 10.8.2010 war Apo vor dem Haus; M***** R***** hielt sich bei geöffneten Fenstern in der Küche im Wohnhaus auf. Der Kläger kam in seiner Funktion als privater Zusteller in die Region, um bei einem ihm nicht bekannten Nachbarn des Gehöftes R***** eine Zustellung durchzuführen. Da er nach dem Weg fragen wollte, stellte er seinen Wagen auf der Gemeindestraße ab und ging zu Fuß über die für ihn als solche erkennbare Privatstraße zum Gehöft R*****. Er betrat das Hofgelände durch das geöffnete Einfahrtstor, ohne zuvor durch Rufen oder ähnliches auf sich aufmerksam zu machen; den gut erkennbaren Hundezwinger nahm er nicht wahr.
Nachdem Apo den Kläger bemerkt hatte, bewegte er sich bellend auf diesen zu, wobei er aber weder fletschte, knurrte oder und sonst ein aggressives Verhalten zeigte. Rund 5 bis 10 m nach dem Einfahrtstor erreichte Apo den Kläger, der deshalb stehen blieb. Obwohl Apo dem Kläger nicht aggressiv gegenüber trat, rief er nicht nach jemandem am Hof, sondern machte eine wohl unbedachte, rasche Drehbewegung von Apo weg. Dadurch erschreckte sich Apo und biss den Kläger in dessen linke Gesäßhälfte. Zeitgleich mit dem Aufschrei des Klägers ließ Apo sofort wieder vom Kläger ab und lief zum Hauseingang. Abgesehen vom Biss zeigte Apo weder davor noch danach irgendein aggressives Verhalten.
Mit seiner am 2.12.2010 beim Erstgericht eingebrachten Mahnklage begehrte der Kläger vom Beklagten EUR 2.650,-- sA (Schmerzengeld: EUR 2.000,--; Sachschäden: EUR 100,--; unfallkausale Spesen: EUR 50,--). Am 10.8.2010 habe ihn Apo in die linke Gesäßhälfte gebissen, wofür der Beklagte als Halter des Hundes infolge nicht ordnungsgemäßer Verwahrung einzustehen habe.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Er habe seine Pflichten als Hundehalter nicht verletzt, weil es im ländlichen Raum grundsätzlich üblich sei, ungefährliche und gutmütige Hunde innerhalb von Hofgeländen ohne Maulkorb frei laufen zu lassen. Da Apo vor dem Zwischenfall mit dem Kläger noch nie aggressives Verhalten gezeigt habe und sein Gehöft in einer große Entfernung zum öffentlichen Straßennetz liege, sei ihm kein Verstoß gegen § 1320 ABGB anzulasten.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab und verpflichtete den Kläger zum Prozesskostenersatz an den Beklagten. Den in den Urteilsseiten 4 bis 8 festgestellten, eingangs im Wesentlichen bereits wiedergegebenen Sachverhalt, auf den im Übrigen verwiesen wird, beurteilte das Erstgericht rechtlich dahingehend, dass der Beklagte seine Pflichten zur erforderlichen Verwahrung von Apo nicht verletzt habe. Zwar sei das Hofgelände für Hunde nicht "ausbruchsicher" eingezäunt und grundsätzlich auch für Dritte erreichbar. Bei Apo habe es sich aber um einen bisher unauffälligen Hund gehandelt, der keiner besonderen Verwahrung bedurft habe. Gerade bei landwirtschaftlich genutzten Gehöften würde es eine Überspannung der Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflichten darstellen, wenn Hunde ständig an der Leine oder bei Fuß geführt werden müssten. Vorfälle wie hier wären daher nur durch Wegsperren, Anketten oder Unterlassen der Hundehaltung gänzlich zu verhindern, was aber weder gesellschaftlich gewünscht sei, noch den geltenden Tierschutzbestimmungen entspreche. Außerdem habe der Beklagte auch nicht damit rechnen müssen, dass Fremde so wie der Kläger ohne Vorankündigung das Hofgelände betreten und auch nicht auf sich aufmerksam machen. Anderes könnte nur bei stark frequentierten Gehöften gelten, was im Anlassfall aber nicht vorliege. Unter Abwägung aller Argumente habe der Beklagte Apo daher ordnungsgemäß verwahrt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerecht aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Berufung des Klägers mit dem Antrag, dem Klagebegehren zur Gänze statt zu geben. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Das Erstgericht übersehe, dass eine ordnungsgemäß Verwahrung und Beaufsichtigung die konkrete Möglichkeit voraussetzte, auf das Verhalten des Tieres einzuwirken. Da sich M***** R***** aber im Haus aufgehalten habe, Apo hingegen unbeaufsichtigt im Freien gewesen sei, habe sie diese Möglichkeit nicht gehabt. Selbst wenn Apo daher als gutmütiger Hund anzusehen sei, entbinde dies den Beklagten nicht, für eine entsprechende Verwahrung und Beaufsichtigung Sorge zu tragen. Auch gutmütige Hunde stellten nämlich schon aufgrund ihres Spieltriebs eine Gefahr für Menschen dar, sodass sie nicht vollkommen unbeaufsichtigt gelassen werden dürften. Hätte sich eine Aufsichtsperson im Blickkontakt mit Apo befunden, hätte Apo während des Zulaufens auf den Kläger durch Zurufen beeinflusst und der Unfall verhindert werden können. Schließlich sei für den Beklagten auch vorhersehbar gewesen, dass zumindest fallweise fremde Personen das Hofgelände betreten, weil das Einfahrtstor - so wie am Unfalltag - die meiste Zeit offen stehe. Aufgrund des offenen Tors habe er hingegen nicht mit einem freilaufenden Hund rechnen müssen.
Der Beklagte tritt in der von ihm erstatteten Berufungsbeantwortung dem geltend gemachten Anfechtungsgrund entgegen und beantragt, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Der Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Berufung entschieden werden kann, kommt keine Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Voranzustellen ist, dass das Rechtsmittelgericht die materiellrechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen hin zu prüfen hat, wenn es überhaupt in der Rechtsfrage angerufen ist (RIS-Justiz RS0043352; Klauser/Kodek, JN-ZPO16, E 16 zu § 462 ZPO und E 172 zu § 503 ZPO; zuletzt LG Leoben 1 R 331/10h, 1 R 274/10a und 1 R 26/10f je mwN; Kodek in Rechberger, ZPO3, Rz 9 zu § 471; Pimmer in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze2, Rz 44 zu § 467 ZPO; Zechner in Fasching/Konecny, aaO, Rz 189 zu § 503 ZPO uva), wobei der festgestellte Sachverhalt selbst dann auf alle in Betracht kom- menden Rechtsfragen hin zu prüfen ist, wenn sie im bisherigen Verfahren nicht aufgerollt wurden (RIS-Justiz RS0043326 und RS0043352 [T7] und [T21]).
Nun war nach den Feststellungen des Erstgerichtes im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls M***** R***** mit der Beaufsichtigung von Apo betraut. Die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB ist aber grundsätzlich Verschuldens- und nicht Erfolgshaftung (RIS-Justiz RS003029), sodass der Halter des Tieres nach dieser Bestimmung nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er dessen Beaufsichtigung einer an sich verlässlichen Person anvertraut hat. Für deren allfälliges Verschulden haftet er nicht nach § 1313a ABGB, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB (RIS-Justiz RS0028797; zuletzt LG Leoben, 1 R 149/11m mwN). Dass M***** R***** für die Beaufsichtigung von Apo nicht geeignet oder unzuverlässig gewesen sei, hat der Kläger aber weder behauptet, noch gibt es dafür Anhaltspunkte.
Selbst wenn man die Ansicht vertreten wollte, den Halter des Tieres treffe eine verschärfte Gehilfenhaftung, so hat er nur für ein grobes Verschulden des Gehilfen einzustehen (RIS-Justiz RS00288255 und RS0030564, zuletzt 9 Ob 29/06i). Im Anlassfall kann davon aber keine Rede sein; M***** R***** hat nicht einmal leichte Fahrlässigkeit zu verantworten:
Das Erstgericht geht zunächst völlig zutreffend davon aus, dass der Maßstab für die erforderlichen Vorkehrungen des Tierhalters nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist (3 Ob 110/07h mwN; RIS-Justiz RS0030550, RS0105089 ua). Die Haftung tritt jedoch nicht schon dann ein, wenn nicht jede Möglichkeit einer Beschädigung durch das Tier ausgeschlossen ist, sondern erst, wenn die nach den konkreten Umständen gebotene Verwahrung oder Beaufsichtigung unterlassen wurde (RIS-Justiz RS0030024; Reischauer in Rummel, ABGB3, Rz 12 zu § 1320 mwN; Harrer in Schwimann, ABGB3, Rz 10 zu § 1320; Danzl in KBB3, Rz 4 zu § 1320 ABGB). Dabei spielen nach der Judikatur insbesondere folgende Momente eine Rolle: a) Die Gefährlichkeit des Tieres nach seiner Art und Individualität: Je größer die Gefährlichkeit, desto größere Sorgfalt ist aufzuwenden. b) Die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten: Je größer die Schadensmöglichkeit, um so strengere Anforderungen müssen gestellt werden. Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, in welchen besonderen Verhältnissen sich das Tier befindet, insbesondere etwa, ob es mit vielen Menschen in Kontakt kommt oder kommen kann und ob sich darunter auch Kinder befinden, die durch ihre eigene Unberechenbarkeit und mangelnde Einsicht in die von einem Tier ausgehende typische Gefahr diese noch zusätzlich vergrößern. c) Abwägung der Interessen: Stellt ein Tier eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, dem anerkannt höchsten Gut, dar, so muss die geforderte Verwahrung des Tieres durch Einzäunen, Anketten, Anlegen eines Maulkorbes oder Führen an der Leine als eine durchaus zumutbare und keine gravierenden Interessen beeinträchtigende Maßnahme anerkannt werden, die jedenfalls in keinem Verhältnis zu der andernfalls bestehenden Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen steht (RIS-Justiz RS0030081; 2 Ob 40/03a; zuletzt LG Leoben, 1 R 32/09m und 1 R 361/08t je mwN; Danzl, aaO, Rz 5 Rz § 1320 ABGB).
Wie das Erstgericht vollkommen richtig erkannt hat, hängt es stets von den Umständen des Einzelfalles ab, welche Verwahrung und Beaufsichtigung konkret erforderlich ist. Dabei dürfen nur solche Maßnahmen verlangt werden, die nach der Verkehrsauffassung (orts-)üblich und auch zumutbar sind (RIS-Justiz RS0030365, RS0030058, RS0030157 uva). Es ist auch anerkannt, dass die Anforderungen an die Verwahrung und Beaufsichtigung nicht so weit überspannt werden dürfen, dass das Halten von an sich ungefährlichen Haustieren unmöglich gemacht wird (6 Ob 79/08y; RIS-Justiz RS0027811 uva). Von besonderer Relevanz ist bei der in dieser Hinsicht vorzunehmenden Prüfung vor allem das bisherige Verhalten bzw die bekannten oder erkennbaren Eigenschaften des Tieres; mit einer gewissen Sorglosigkeit Dritter ist allerdings zu rechnen (RIS-Justiz RS0030081 [T10]; RS0029999 und RS0030554; Reischauer, aaO, Rz 12 zu § 1320). Das Höchstgericht hat auch schon mehrfach ausgesprochen, dass die verbreitete Ansicht, Hunde dürften in ländlicher Umgebung stets frei herumlaufen, nicht zutrifft (RIS-Justiz RS0030567). Dennoch wird vom OGH bei Spaziergängen im freien Gelände eine Verkehrsübung anerkannt, dass die Hundehalter ihre nicht bösartigen, folgsamen Hunde frei umherlaufen lassen. Eine Haftung des Tierhalters kommt dann nur bei Erkennbarkeit einer Gefährdung von Personen in Frage (RIS-Justiz RS0030287, RS0023101 und RS0030391, zuletzt 6 Ob 79/08y mwN; Danzl, aaO, Rz 7 zu § 1320 ABGB uva). Ein gutmütiger und harmloser Hund bedarf daher insofern keiner besonderen Verwahrung (RIS-Justiz RS0030034).
In gleicher Weise dürfen aufgrund ihres bisherigen Verhaltens als gutmütig angesehene Hunde grundsätzlich in Haus und Hof frei und ohne Maulkorb herumlaufen (RIS-Justiz RS0030116; Reischauer, aaO, Rz 18 mwN; Danzl, aaO, Rz 7 zu § 1320 ABGB uva).
Nun ist dem Kläger zwar zuzugestehen, dass die Judikatur regelmäßig betont, dass auch von gutmütigen Hunden schon allein durch ihren Spieltrieb Gefahren für Menschen ausgehen können, insbesondere wenn es sich noch um junge, aber schon kräftige, schwere und mangels entsprechender Abrichtung noch verspielte Tiere handelt (6 Ob 227/05h mwN; RIS-Justiz RS0030199). Von entscheidender Bedeutung sind aber auch dabei stets die Umstände, in denen sich das Tier befindet. Insbesondere ist auf die oben unter b) erwähnten Komponenten Bedacht zu nehmen, also ob es mit vielen Menschen in Kontakt kommt oder kommen kann und ob sich darunter auch Kinder befinden, die durch ihre eigene Unberechenbarkeit und mangelnde Einsicht in die von einem Tier ausgehende typische Gefahr diese noch zusätzlich vergrößern (2 Ob 308/03p mwN). Wie dargestellt richtet sich daher die Frage, wie ein Tier konkret zu verwahren oder zu beaufsichtigen ist, immer nach den Umständen des Einzelfalls. Der Schutzzweck des § 1320 ABGB umfasst nämlich die Vermeidung aller Schäden an Personen und Sachen, die aus dem nicht vernunft-, sondern instinktgelenkten gefährlichen Verhalten von Tieren drohen. Der Hundehalter haftet daher bei objektiver Vernachlässigung der im Einzelfall gebotenen Verwahrung auch für Schäden, die bei gehöriger Verwahrung unterblieben wären, selbst wenn kein geradezu atypischer, wohl aber ein objektiv vorhersehbares Verhalten des Tieres vorliegt (RIS-Justiz RS0027560). Der Tierhalter hat daher all das vorzukehren, was von ihm unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Tieres billigerweise erwartet werden kann (RIS-Justiz RS0030326; LG Leoben, 1 R 32/09m mwN).
Aus diesen Grundsätzen folgt für den vorliegenden Fall, dass in der Ansicht des Erstgerichtes, Apo habe keiner besonderen Verwahrung bedurft, ein Rechtsirrtum nicht zu erblicken ist. Das Erstgericht verweist nämlich berechtig darauf, dass Apo bislang stets unauffällig und gutmütig war. Die Verhältnisse in denen sich Apo befunden hat (frei stehende landwirtschaftliche Liegenschaft; kein Fuß- oder Wanderweg durch das Gehöft; von weitem erkennbarer Zwinger), haben den Beklagten auch zu keinen besonderen Maßnahmen verpflichtet. Auch die vom Kläger ins Treffen geführten Judikate (8 Ob 564/87 und 7 Ob 61/99t) stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. In beiden Entscheidungen wird nämlich betont, dass gutmütige Hunde innerhalb eines Anwesens bzw in Haus und Garten frei gehalten werden können. Die Haftung der Hundehalter wurde dort (nur) deswegen bejaht, weil die Hunde unbeaufsichtigt mit Kleinkindern gespielt haben und es dabei zu Bissattacken kam.
Eine Haftung des Beklagten scheidet in diesem Zusammenhang daher unabhängig davon aus, ob ihn gegenüber M***** R***** eine verschärfte Gehilfenhaftung trifft oder nicht. Im Rahmen der umfassenden Überprüfung der rechtlichen Beurteilung der Vorinstanz ist aber noch die in erster Instanz nicht aufgeworfene Frage des gesetzlichen Maulkorb- bzw Leinenzwangs zu behandeln.
Das Höchstgericht hat nämlich schon wiederholt zur Haftung des Hundehaltes bei Vorliegen eines gesetzlichen Leinenzwangs Stellung genommen. Dabei haftet der Hundehalter zwar nicht ohne weiteres für jede Schädigung durch das Tier, doch kommt es immer dann zur Haftung, wenn zwischen der Übertretung und dem Schaden ein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht (RIS-Justiz RS0107781 und RS0027811; 3 Ob 133/08t; Tades/Hopf/Kathrein/Stabentheiner, ABGB37, E 67 zu § 1320; Reischauer, aaO, Rz 18 zu § 1320; Harrer, aaO, Rz 11 zu 1320; Danzl, aaO, Rz 7 zu § 1320 ABGB uva). Der OGH hat zum (vormals relevanten) § 6a Steiermärkisches Tierschutz- und Tierhaltegesetzes (idF LGBl 1993/45) auch ausgesprochen, dass der Schutzzweck der Norm darin liegt, dass an öffentlichen Orten alle Personen von den potentiell von jedem, auch einem gutmütigen Hund ausgehenden Gefahren geschützt sein sollen, die sich nicht freiwillig dieser Gefahr stellen (8 Ob 125/03w). Generell beurteilt nämlich der Gesetz- oder Verordnungsgeber selbst die abstrakten Gefährdungsmöglichkeiten, wenn er für bestimmte Gebiete Maulkorb- oder Leinenzwang vorsieht. Wird daher ein Maulkorb- oder Leinenzwang an allen öffentlichen Wegen und Plätzen angeordnet, spricht dies für einen umfassenden, unbeschränkten Schutzzweck. Der Leinenzwang soll dann allen von frei umherlaufenden Hunden ausgehenden Gefahren, die auf die grundsätzliche Unberechenbarkeit der Tiere zurückzuführen sind, begegnen, sodass alle Personen und Sachen geschützt sind, die voraussehbar mit Hunden in Kontakt kommen könnten (6 Ob 104/04v).
Betrachtet man nun die § 6a Steiermärkisches Tierschutz- und Tierhaltegesetzes nachfolgende, derzeit in Geltung stehende Bestimmung des § 3b Steiermärkisches Landes-Sicherheitsgesetz (StLSG), so lautet diese auszugsweise wie folgt:
(1) Die Halterinnen/Halter oder Verwahrerinnen/Verwahrer von Tieren haben diese in einer Weise zu beaufsichtigen oder zu verwahren, dass dritte Personen weder gefährdet noch unzumutbar belästigt werden.
(3) Hunde sind an öffentlich zugänglichen Orten, wie auf öffentlichen Straßen oder Plätzen, Gaststätten, Geschäftslokalen und dergleichen, entweder mit einem um den Fang geschlossenen Maulkorb zu versehen oder so an der Leine zu führen, dass eine jederzeitige Beherrschung des Tieres gewährleistet ist.
(4) In öffentlichen Parkanlagen sind Hunde jedenfalls an der Leine zu führen. Ausgenommen sind Flächen, die als Hundewiesen gekennzeichnet und eingezäunt sind.
Damit unterscheidet sich diese Bestimmung von ihrer Vorgängerin allein darin, dass der räumliche Geltungsbereich in Abs 3 leg.cit. von „öffentlichen Orten“ auf „öffentlich zugängliche Orte“ geändert wurde. Das Berufungsgericht hat dazu auch schon ausgesprochen, dass es für die Qualifikation als „öffentlich zugänglicher Ort“ nicht auf die Eigentumsverhältnisse, sondern allein die faktischen Gegebenheiten, respektive die Nutzung durch jedermann unter den gleichen Bedingungen, ankommen kann (1 R 32/09m mwN). Betrachtet man nun § 3b Abs 3 StLSG näher, wird trotz der vordergründig weit gefassten Formulierung klar, dass der Landesgesetzgeber mitnichten einen umfassenden Maulkorb- bzw Leinenzwang an allen "öffentlich zugänglichen Orten" anordnen wollte. Wäre dies der Fall gewesen, hätte es nämlich der demonstrativen Aufzählung (öffentlichen Straßen oder Plätze, Gaststätten, Geschäftslokalen) nicht bedurft:
Zunächst kann nach der dargestellten Definition des Begriffs "öffentlich zugänglicher Ort" nicht zweifelhaft sein, dass davon Gaststätten und Geschäftslokale erfasst werden. Ob dies auch auf öffentliche Straßen und Plätzen zutrifft, bedarf hingegen einer eingehenderen Untersuchung.
Nach der ständigen Judikatur ist jede "öffentliche Straße" (vgl § 2 Abs 1 Stmk-LStVG) eine "Straße mit öffentlichem Verkehr" (RIS-Justiz RS0073080; 10 Ob 28/06z; ZVR 1983/89; Pürstl, StVO12, Anm 3 und E 25 zu § 1 uva). Eine Straße mit öffentlichem Verkehr liegt wiederum dann vor, wenn der Verfügungsberechtigte (Straßenerhalter) auf ihr den allgemeinen, wenn auch auf bestimmte Personengruppen beschränkten, Fahrzeug- oder Fußgängerverkehr zulässt (Pürstl, aaO, Anm 3 zu § 1). Solange eine Straße daher weder abgeschrankt noch als Privatstraße gekennzeichnet ist, noch irgendwelche auf die Beschränkung des öffentlichen Verkehrs hinweisende Tafeln aufgestellt werden, ist sie eine Straße mit öffentlichem Verkehr (RIS-Justiz RS0073102, RS0073094, RS0073072 und RS0073058; 5 Ob 262/08b mwN; vgl auch VwGH EvBl 1973/294, 446). Daraus ergibt sich nun, dass es so wie bei der Definition der "öffentlich zugänglichen Orte" wiederum auf die Nutzung durch jedermann unter den gleichen Bedingungen ankommt. Aus dieser gleichlautenden Definition folgt aber zwingend, dass "öffentliche Straßen" - weil stets auch "Straßen mit öffentlichem Verkehr" - immer auch "öffentlich zugängliche Orte" sind; nichts anderes gilt für "öffentliche Plätze".
Zusammenfassend sind daher sämtliche demonstrativ aufgezählten Orte (öffentliche Straßen oder Plätze, Gaststätten, Geschäftslokale) schon vom Wortlaut "öffentlich zugängliche Orte" erfasst. Wenn der Landesgesetzgeber daher tatsächlich an allen öffentlich zugänglichen Orten einen Maulkorb- bzw Leinenzwang anordnen wollte, wäre die Aufzählung überflüssig; er hätte dies durch schlichtes Weglassen der Aufzählung viel einfacher erreichen können. Geht man nun davon aus, dass der Landesgesetzgeber die genannten Orte bewusst und nicht sinnlos angeführt hat, folgt deutlich, dass er durch die Aufzählung sein Verständnis des Begriffs "öffentlich zugänglicher Ort" näher umschreiben und damit den räumlichen Geltungsbereich des Maulkorb- bzw Leinenzwangs festlegen wollte.
Betrachtet man aber die aufgezählten Orte (öffentliche Straßen oder Plätze, Gaststätten, Geschäftslokale) unter dem Blickwinkel des in § 3b Abs 1 StLSG zum Ausdruck gebrachten Telos der Bestimmung, nämlich die Sicherheit von Menschen (so auch die EB, XIV. GP, 1547/5 und 2058/2), dann besteht nach Ansicht des erkennenden Senats deren Gemeinsamkeit darin, dass an diesen Orten jedenfalls mit dem Kontakt des Tieres mit einer größeren Zahl von Menschen zu rechnen ist. Außerhalb der explizit aufgezählten Orte (öffentliche Straßen oder Plätze, Gaststätten, Geschäftslokale) muss daher neben dem Erfordernis der "öffentlichen Zugänglichkeit" noch dieses Kriterium erfüllt sein, um den Maulkorb- bzw Leinenzwang das § 3b Abs 3 StLSG auszulösen.
Im Anlassfall braucht daher nicht untersucht zu werden, ob die Zufahrtsstraße zum Hof des Beklagten eine Straße mit öffentlichem Verkehr ist oder das Hofgelände durch das meist geöffnete Einfahrtstor einen öffentlich zugänglichen Ort iSd § 3b Abs 3 StLSG darstellt. Aufgrund der schon oben erwähnten Gegebenheiten (frei stehende landwirtschaftliche Liegenschaft; kein Fuß- oder Wanderweg durch das Gehöft), musste der Beklagte nämlich nicht mit einem vermehrten Kontakt von Apo mit Menschen rechnen. Eine Haftung wegen Verletzung der Schutznorm des § 3b StLSG scheidet daher aus.
Unabhängig davon sei noch darauf hingewiesen, dass sich § 3b Abs 3 StLSG ohnehin nur auf das "Führen" und gerade nicht auf das hier interessierende "Beaufsichtigen oder Verwahren" iSd Abs 1 leg.cit. bezieht, sodass unter Bedachtnahme auf die Strafbestimmung des § 4 Abs 3 StLSG und das auch im Verwaltungsstrafverfahren geltende Analogieverbot (stRsp VwGH 97/21/0748, 96/09/0149, 96/17/0488; VwSlg 13848 A/1993 uva) die Anwendbarkeit des § 3b Abs 3 StLSG mehr als fraglich erscheint (vgl 9 Ob 29/06i). Da § 3b Abs 3 StLSG aber jedenfalls nicht zur Anwendung gelangt, kann dieser Umstand im Anlassfall unentschieden bleiben.
Die Berufung des Klägers bleibt somit ohne Erfolg.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Im Anwendungsbereich des § 501 ZPO gebührt nur der einfache Einheitssatz (§ 23 Abs 10 RATG).
Die Revision gegen diese Entscheidung ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig
Landesgericht Leoben, Abteilung 1
Textnummer
ELE00035European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LG00609:2011:00100R00160.11P.0810.000Im RIS seit
14.09.2011Zuletzt aktualisiert am
14.09.2011