Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richeramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in der Strafsache gegen Arpad B***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 130 erster und zweiter Fall StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. März 2011, GZ 75 Hv 56/10v-85, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Arpad B***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen, im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 130 erster und zweiter Fall StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er im Zeitraum von zumindest Ende April bis 2. Juni 2010 in Ungarn als führendes Mitglied einer kriminellen Vereinigung, nämlich einer größeren, jedenfalls mehr als zwei Personen umfassenden ungarischen Personengruppe, welche sich zur gewerbsmäßigen Begehung von Motorraddiebstählen in Österreich auf längere Zeit zusammengeschlossen hatte, dadurch, dass er den Diebstahl von zumindest 32 (Leicht-)Motorrädern und Motorfahrrädern im Gesamtwert von zumindest 64.500 Euro in Wien in Auftrag gab, den unmittelbaren Tätern für jedes (Leicht-)Motorrad bzw Motorfahrrad einen Betrag von 10.000 bis 40.000 ungarischen Forint (40 Euro bis 160 Euro) als Bezahlung in Aussicht stellte und nach Lieferung auch bezahlte, die Tatzeitpunkte festlegte und den unmittelbaren Tätern jeweils Kastenwägen für die „Diebstouren“ und den Transport der Beute von Wien nach Ungarn zur Verfügung stellte, Andras S*****, Csaba Se***** und Robert St***** sowie weitere bislang unbekannte Mittäter dazu bestimmt, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung anderen fremde bewegliche Sachen in einem 3.000 Euro bzw hinsichtlich Robert St***** in einem 50.000 Euro übersteigenden Gesamtwert, nämlich die im Urteilsspruch zu 1. bis 4. angeführten (Leicht-)Motorräder und Motorfahrräder mit einem durchschnittlichen Wert von jeweils rund 2.000 Euro, mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, wegzunehmen, indem sie die auf der Straße versperrt abgestellten Motorräder in ihr jeweiliges Transportfahrzeug einluden und wegfuhren.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 3, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Diese verfehlt ihr Ziel.
Aus der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO rügt der Beschwerdeführer die Verlesung der Aussagen der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen Robert St***** und Csaba Se***** in der Hauptverhandlung am 30. März 2011 (ON 84 S 15).
Gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO dürfen die Protokolle über die Vernehmung von Zeugen (statt ihrer unmittelbaren Abhörung) verlesen werden, wenn ua ihr Aufenthalt unbekannt oder ihr persönliches Erscheinen aus anderen erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte.
Nach dem Akteninhalt wurde Robert St***** die Ladung zum ersten Hauptverhandlungstermin am 29. Dezember 2010 persönlich in der Justizanstalt Josefstadt zugestellt, während die Ladung des Zeugen Se***** mit dem Vermerk „unbekannt“ retourniert wurde. Da beide zur Hauptverhandlung nicht erschienen, wurden sie zunächst zur Aufenthaltsermittlung im Inland ausgeschrieben (ON 55, 56), die erfolglos blieb.
Die Ladungen für den Verhandlungstermin am 23. Februar 2011, die an eine Adresse in Budapest gerichtet waren, wurden sowohl von Se***** als auch von St***** eigenhändig übernommen (Rückscheine bei ON 57). Zur Hauptverhandlung kamen beide wiederum nicht (ON 70 S 6).
In der Folge teilte Robert St***** in einem Brief an das Oberlandesgericht Wien (die Berufungsverhandlung in seinem eigenen Verfahren betreffend) mit, er könne wegen Geldproblemen nicht zur Gerichtsverhandlung erscheinen. Der daraufhin unternommene Versuch, St***** und Se***** mittels einer Videokonferenz in Ungarn zu vernehmen (ON 76) verlief negativ, weil keiner der Zeugen zum Termin erschien (ON 84 S 7). Nach dem Aktenvermerk des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 28. März 2011 konnte die Ladung an Se***** zumindest ausgefolgt werden, St***** hatte sich von der angegebenen Adresse abgemeldet und ist unbekannten Aufenthalts (ON 1 S 25).
Die Frage, wann die Suche nach einem Zeugen aufgegeben, sein Aufenthalt damit als unbekannt angesehen und sein persönliches Erscheinen daher füglich nicht bewerkstelligt werden kann, ist nach der Lage des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Im Allgemeinen sind die Verlesungsvoraussetzungen umso restriktiver zu handhaben, je wichtiger der fragliche Zeugenbeweis für die Wahrheitsfindung ist und je schwerer der dem Angeklagten zur Last liegende Vorwurf wiegt (RIS-Justiz RS0108361).
Durch die Ausschreibung der Zeugen zur Ausforschung im Inland, die Ladung an einer bekannt gegebenen Adresse im Ausland und den Versuch einer Vernehmung mittels Videokonferenz wurden im vorliegenden Fall alle möglichen und erforderlichen Schritte unternommen, sodass die Verlesung der Vernehmungsprotokolle zulässigerweise erfolgte. Wenn die Nichtigkeitsbeschwerde meint, das Gericht hätte eine zwangsweise Vorführung der „Mitbeschuldigten“ (tatsächlich Zeugen) anordnen müssen, so übersieht sie, dass Zwangsmaßnahmen gegen einen im Ausland befindlichen Zeugen nicht gestattet sind (§ 72 Abs 1 ARHG; Art 8 EuRHÜ).
Mit Blick auf den das Strafverfahren beherrschenden Grundsatz des fairen Verfahrens (Art 6 MRK) ist hinzuzufügen, dass die Tatrichter diese Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch eingehende Befragung der an den Vernehmungen der (nunmehrigen) Zeugen beteiligten Sicherheitsbeamten, an die auch der Verteidiger Fragen richten konnte, ausgeglichen haben (ON 70 S 7 f, ON 84 S 7 ff).
Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) kritisiert, dass die Tatrichter zu den Schuldspruchpunkten 2. bis 4. „gar keine Begründung“ angegeben hätten, übergeht dabei aber, dass die Tatrichter die Konstatierungen zu den gestohlenen Motorrädern auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des Zeugen St***** stützten (US 11). Dass diese dem Beschwerdeführer nicht überzeugend erscheinen, stellt den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht dar (RIS-Justiz RS0098362 [T17]). Gleiches gilt für die im Rechtsmittel in Bezug auf die Schadenshöhe aufgestellte Behauptung, ein Schuldspruch aufgrund von Schätzungen sei nicht zulässig.
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, es sei nicht festgestellt worden, „wie viele Motorräder, welche und in welchem Wert gestohlen wurden, sowie, ob tatsächlich der Angeklagten jeden einzelnen dieser Diebstähle beauftragt hat“ (inhaltlich Z 10), übergeht er die eindeutigen Konstatierungen hiezu (US 6 f iVm US 4).
Der Tatsachenrüge (Z 5a) gelingt es mit dem Hinweis auf die Vernehmungsprotokolle der Zeugen Se***** und St*****, wonach sie den Angeklagten auf (nur) einem Lichtbild erkannt hätten (ON 8 S 97, 113), nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Tatsachen zu wecken, zumal der Polizeibeamte R***** in der Hauptverhandlung am 30. März 2011 hiezu aufklärend berichtet hat, dass den Zeugen jeweils 16 bis 18 Fotos am Computer gezeigt wurden (ON 84 S 9 f). Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang eine mangelnde Auseinandersetzung mit Beweisergebnissen moniert (inhaltlich Z 5 zweiter Fall), ist sie auf die Erwägungen US 10 zu verweisen, wo die Tatrichter zur Frage der Identifizierung des Angeklagten ausdrücklich Stellung genommen haben, dabei aber nicht der Argumentation des Angeklagten, sondern den Angaben des Zeugen R***** folgten.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E98049European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0150OS00083.11M.0817.000Im RIS seit
30.08.2011Zuletzt aktualisiert am
17.03.2014