Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas König und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen (ua) die beklagte Partei O***** R*****, vertreten durch Mag. Alexander Atzl, Rechtsanwalt in Wörgl, wegen 279.332,24 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse Nebengebühren) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. April 2011, GZ 1 R 16/11d-109, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 10. November 2010, GZ 6 Cg 46/06k-102, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Berufung der (ursprünglich zweit-)beklagten Partei teilweise Folge gegeben und die (zweit-)beklagte Partei in Abänderung des Ersturteils schuldig erkannt wird, der klagenden Partei binnen 14 Tagen
a) 22.936,05 EUR samt Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 35.206,12 EUR vom 18. 10. 2005 bis 28. 3. 2006, aus 24.890,49 EUR vom 29. 3. 2006 bis 1. 3. 2007 und aus 22.936,05 EUR ab 2. 3. 2007 sowie
b) 256.396,19 EUR samt Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 339.555,35 EUR vom 18. 10. 2005 bis 28. 3. 2006, aus 275.254,22 EUR vom 29. 3. bis 9. 10. 2006, aus 268.578,92 EUR vom 10. 10. 2006 bis 1. 3. 2007 und aus 256.396,19 EUR ab 2. 3. 2007 zu bezahlen;
hingegen das Zinsenmehrbegehren im über den Zinssatz von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz liegenden Ausmaß und hinsichtlich vierteljährlicher Kapitalisierung abgewiesen wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.160,91 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 37,15 EUR USt und 4.938 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte gründete 2001 eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer er war und an der er selbst mit 50 % beteiligt war.
Die Klägerin gewährte der Gesellschaft als deren Hausbank zwei Kredite, und zwar am 6. November 2002 einen einmal ausnützbaren Kredit von 320.000 EUR und am 18. November 2003 einen Kontokorrentkredit über 35.000 EUR. Die Streitteile vereinbarten beim ersten Kredit 4,75 % p.a. dekursiv und netto an Sollzinsen, beim Kontokorrentkredit 4,75 % p.a. bis auf weiteres und 0,25 % per Quartal Kreditbereitstellungsentgelt vom Kreditrahmen; eine Verzugszinsenregelung findet sich in den Kreditverträgen nicht.
Neben weiteren Sicherungsgebern und weiteren Sicherheiten übernahm der Beklagte (= Zweitbeklagte) zu beiden Krediten die Haftung als Bürge und Zahler für die jeweils genannten Auszahlungsbeträge „zuzüglich allen sich ergebenden Zinsen und wie immer Namen habenden Nebengebühren, auch wenn solche bei den Rechnungsabschlüssen zum Kapital geschlagen werden und der verbürgte Betrag durch sie überschritten wird“ (Text der Bürgschaftsvereinbarung). Die Bürgschaftserklärung des Beklagten enthielt darüber hinaus die Bestimmung, dass sie sich unabhängig von den der Bank bereits gewidmeten oder in Hinkunft zu widmenden Sicherheiten versteht und sich nicht nur auf die jeweils laufenden, sondern auch auf jene Zinsen und Nebengebühren erstreckt, welche bei jedem Kontoabschluss dem Kapital hinzugeschlagen werden und um welche sich somit die jeweiligen Forderungen der Bank wider die Hauptschuldnerin erhöhen.
Die beiden Kreditverträgen von den Streitteilen zu Grunde gelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen sehen als Kündigungsgrund den Eintritt einer Verschlechterung oder Gefährdung der Vermögensverhältnisse des Kunden oder eines Mitverpflichteten vor, wenn dadurch die Erfüllung von Verbindlichkeiten gegenüber der Klägerin gefährdet ist. Mit Schreiben vom 19. September 2005 kündigte die Klägerin der Gesellschaft aus dem genannten Grund beide Kredite auf und stellte den Gesamtbetrag zur sofortigen Zahlung bis 2. November 2005 fällig. Den Beklagten verständigte die Klägerin am 2. November 2005 über die Inanspruchnahme (unter anderem) seiner Bürgschaft und forderte ihn zur Zahlung auf.
Die Klägerin begehrte (unter anderem) vom Beklagten 256.396,19 EUR sowie 22.936,05 EUR samt jeweils 12 % Zinsen bei jeweils vierteljährlicher Kapitalisierung und berief sich zur Zinsenhöhe auf die mit dem Beklagten getroffene Vereinbarung.
Der Beklagte wendete (unter anderem) ein, das Zinsenbegehren sei im Hinblick auf die im Kreditvertrag vereinbarte Verzinsung von jährlich 4,75 % nicht nachvollziehbar.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es der Klägerin unter Abweisung des Zinsenmehrbegehrens nur 4 % Verzugszinsen zusprach. Die Klägerin habe sich auf eine Vereinbarung der von ihr begehrten Verzinsung berufen; in den Kreditverträgen finde sich aber keine Verzugszinsenvereinbarung. Der Klägerin stünden daher nur gesetzliche Verzugszinsen von 4 % p.a. zu. Der höhere Verzugszinssatz nach § 352 UGB gebühre der Klägerin nicht, weil der Beklagte zwar nicht Verbraucher iSd § 1 Abs 1 KSchG, aber auch nicht Unternehmer iSd § 1 Abs 1 UGB sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin, mit der sie die Erhöhung des Zinsenzuspruchs auf 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz anstrebt, ist zulässig und berechtigt.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind ausschließlich die vom Beklagten zu leistenden Verzugszinsen - vom Berufungsgericht im Ausmaß von 4 % p.a. zugesprochen, von der Klägerin angestrebt 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz -, darüber hinausgehende Zinsen vom aushaftenden Kapital, etwa im Ausmaß der im Kreditvertrag seinerzeit vereinbarten Sollzinsen, begehrt die Klägerin nach ihrem insoweit eindeutigen Revisionsantrag nicht mehr. Ob der Beklagte als Bürge daher auch noch vereinbarte Kreditzinsen (4,75 % p.a. bei vierteljährlicher Kapitalisierung) zu leisten hat und damit die Frage, ob in diesem Fall nach Fälligstellung sowohl vereinbarte Kreditzinsen als auch gesetzliche Verzugszinsen zu leisten wären, braucht daher nicht untersucht zu werden.
Nach § 914 ABGB ist bei der Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RIS-Justiz RS0017797). Dies gilt auch für Bürgschaftsverträge (1 Ob 326/98b; 6 Ob 142/10s). Im vorliegenden Fall führt aber bereits die Wortauslegung im Hinblick auf die offensichtlich umfassend zu verstehende Wendung „zuzüglich allen sich ergebenden Zinsen und wie immer Namen habenden Nebengebühren, auch wenn solche bei den Rechnungsabschlüssen zum Kapital geschlagen werden und der verbürgte Betrag durch sie überschritten wird“ sowie die weitere Bestimmung, wonach sich die Bürgschaft nicht nur auf die jeweils laufenden, sondern auch auf jene Zinsen und Nebengebühren erstreckt, welche bei jedem Kontoabschluss dem Kapital hinzugeschlagen werden und um welche sich somit die jeweiligen Forderungen der Bank wider die Hauptschuldnerin erhöhen, dazu, dass sich der Beklagte auch zur Zahlung der von der Hauptschuldnerin geschuldeten gesetzlichen Verzugszinsen verpflichtete. Ein von diesem eindeutigen Wortlaut abweichender Parteiwille wurde nicht behauptet und kam im Verfahren auch nicht hervor. Für die Anwendung der Zweifelsregel des § 915 erster Fall ABGB (im Zweifel die geringere Last) bleibt kein Raum (RIS-Justiz RS0017752, RS0017957, RS0017951, RS0109295). Dies gilt auch für die Auslegungsregel des § 1353 erster Satz ABGB, wonach die Bürgschaft nicht weiter ausgedehnt werden kann, als sich der Bürge ausdrücklich erklärt hat (RIS-Justiz RS0017945). Aus der zuletzt genannten Bestimmung wird von der Rechtsprechung abgeleitet, dass der Bürge mangels ausdrücklicher Übernahme nicht für die Verzugsfolgen des Schuldners haftet (RIS-Justiz RS0032184). „Ausdrücklich“ iSd § 1353 ABGB bedeutet aber nicht mehr als „deutlich erkennbar“ oder „hinreichend deutlich“ (RIS-Justiz RS0032159; 1 Ob 163/00w; P. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger³ § 1353 ABGB Rz 1 mwN).
Nach der vom Beklagten übernommenen Bürgschaft haftet er daher auch für die Verzugszinsen, die die Hauptschuldnerin der Klägerin schuldet (so auch schon zutreffend das Berufungsgericht).
Die Höhe der gesetzlichen Verzugszinsen richtet sich aber nach dem von der Bürgschaft gesicherten Grundgeschäft, also dem von der Klägerin mit der Hauptschuldnerin geschlossenen Vertrag. Da letztere Kaufmann bzw Unternehmer kraft Rechtsform war, schuldet sie nach § 1333 Abs 2 ABGB idF ZinsRÄG (BGBl I 2002/118) - die Kreditverträge wurden vor Inkrafttreten des HaRÄG und damit des § 352 UGB geschlossen - Verzugszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Darauf, ob die Übernahme der Bürgschaft ein Verbrauchergeschäft war oder nicht, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Da sich das von der Klägerin in dritter Instanz aufrecht erhaltene Zinsenbegehren sohin als berechtigt erweist, ist das Berufungsurteil in Stattgebung der Revision abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.
Textnummer
E98276European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00117.11V.0824.000Im RIS seit
22.09.2011Zuletzt aktualisiert am
05.09.2012