Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin J***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Nikolaus Schirnhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, wegen §§ 3, 6, 37 Abs 1 Z 2 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss (Punkt I.) und den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss (Punkt II.) des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Dezember 2010, GZ 41 R 137/10s-86, mit denen infolge der Rekurse beider Parteien der Teilsachbeschluss und Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. April 2010, GZ 48 Msch 5/06b (48 Msch 3/06h, 48 Msch 7/06x)-80, bestätigt wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen betreffend den Antrag der Antragsgegnerin auf Verfahrensunterbrechung (Punkt III. der Entscheidung des Erstgerichts und Punkt II. der Entscheidung des Rekursgerichts) werden dahin abgeändert, dass die - im Übrigen als unbekämpft bzw bestätigt unberührt bleibende - Entscheidung des Erstgerichts in ihrem Punkt III. wie folgt lautet:
„Der Antrag der Antragsgegnerin auf Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den von der Antragsgegnerin zu Zl MA 37/1-B***** 21/26978-1/2005 des Magistrats der Stadt Wien gestellten Antrag um Erteilung eines Abtragungsauftrags für das Haus *****, wird abgewiesen.“
Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin binnen 14 Tagen ihre mit 371,52 EUR (darin 61,92 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Revisionsrekurskosten zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Antragsgegnerin - deren Bezeichnung laut offenem Firmenbuch (FN *****) wie aus dem Kopf der Entscheidung ersichtlich richtig zu stellen war - ist Eigentümerin der Liegenschaft mit dem Haus *****. Die Antragstellerin ist die letzte Mieterin in diesem Haus. Sie benützt Räumlichkeiten im Erdgeschoß, im ersten Obergeschoß (Mezzanin) und einen Teil des Kellers. Der Zugang zu den Räumlichkeiten im Erdgeschoß erfolgt gesondert von der Straße aus und nicht über das (allgemeine) Haustor. Die C***** GesmbH benützt als Untermieterin der Antragstellerin Lokalräumlichkeiten im ersten Obergeschoß. Der Ausgang über das Haustor dient als Fluchtweg für den Gastronomiebetrieb. Die übrigen Bestandobjekte stehen leer.
Der Stiegenaufgang des Hauses ist ab dem ersten Obergeschoß aus Sicherheitsgründen abgesperrt. Im Stiegenhaus kann bis zum ersten Obergeschoß keine Beleuchtung angedreht werden. Nur im Halbparterre ist neben dem Hauseingang an der Wand eine Beleuchtung mit Näherungsschalter aufgehängt, die sich bei Annäherung fallweise einschaltet, fallweise nicht funktioniert. Diese Beleuchtung hat die Antragstellerin selbst montieren lassen. Eine andere Beleuchtung gibt es im Stiegenhaus nicht. Die Kosten für die Herstellung der Beleuchtung des Stiegenhauses im Bereich Hauseingang, Aufgang ins erste Halbgeschoß und Stiegenaufgang ins erste Obergeschoß betragen 2.000 EUR.
Das Fenster im Stiegenhaus im Bereich zwischen Halbparterre und erstem Obergeschoß ist vernagelt und mit Brettern sowie Plastikplatten abgedeckt. Die unteren zwei Drittel dieses großen Fensterbereichs sind daher nicht lichtdurchlässig. Das Fenster im Stiegenhaus zwischen Halbparterre und Kellergeschoß ist bei der Oberlichte zerbrochen. Die Kosten für die Sanierung beider Fenster, für das Maßherstellen von Fensterflügeln und Rahmenteilen sowie für das Neuverglasen betragen inklusive Material 4.600 EUR.
Das Haus hat keine brauchbare Aufzugsanlage mehr. Der Aufzug ist demontiert. Verblieben sind Teile der Schachtumwehrung und der Aufzugsschienen. Bei der Haltestelle des Aufzugs im ersten Obergeschoß fehlt zum Teil die Aufzugsumwehrung. Es gibt kein Aufzugsportal mehr. Auf rund 2,10 m Höhe ragt ein Holzpfosten im Ausmaß von 5 x 8 cm ungefähr 1 m in den Aufzugsschacht hinein und ca 15 cm ins Stiegenhaus.
Die Antragsgegnerin hat am 14. 6. 2005 bei der Baubehörde einen Antrag auf Erteilung eines Abtragungsauftrags für das Haus gestellt. Diesen Antrag wies der Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid vom 12. 8. 2005, MA 37/1-B***** 21/26978-1/2005, als unbegründet ab. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragsgegnerin Berufung. Das Verfahren war zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung noch nicht rechtskräftig erledigt.
Das Erstgericht trug mit seinem (zweiten) Teilsachbeschluss (Punkt II. der Entscheidung) der Antragsgegnerin gemäß § 3 Abs 3 Z 2 lit b und c MRG
a) die Instandsetzung der Beleuchtung des Stiegenhauses bis zum ersten Obergeschoß,
b) die Reparatur der Fensterscheibe im Bereich des Stiegenhauses vom Halbparterre ins Kellergeschoß und
c) die Entfernung des im ersten Obergeschoß aus dem Aufzugsschacht herausragenden Holzpfostens
binnen drei Wochen auf.
Mit einem weiteren Beschluss (Punkt III. der Entscheidung) unterbrach das Erstgericht das Verfahren (zur Entscheidung über die Beauftragung der von der Antragstellerin darüber hinaus noch begehrten Erhaltungsarbeiten) gemäß § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG bis zur rechtskräftigen Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörden über den von der Antragsgegnerin gestellten Antrag um Erteilung eines Abtragungsauftrags.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass die aufgetragenen Maßnahmen privilegierte Erhaltungsarbeiten im Sinn des § 3 Abs 3 Z 2 MRG seien. Die Reparatur der Fensterscheibe sowie die Entfernung des aus dem Aufzugsschacht herausragenden Holzpfostens seien zur Beseitigung einer Gefährdung von Personen und Sachen erforderlich (lit b) und die Instandsetzung der Beleuchtung des Stiegenhauses diene der Aufrechterhaltung des Betriebs einer bestehenden Lichtleitungsanlage (lit c). Gegen solche Aufträge stünden dem Vermieter - abgesehen von der fehlenden Notwendigkeit oder bereits erfolgter Durchführung - praktisch keine Einwendungen zu.
Die angeordnete Verfahrensunterbrechung sei erforderlich, weil mit der Entscheidung über den Abtragungsauftrag eine für die weiteren strittigen Erhaltungsarbeiten wegen der eingewendeten technischen und wirtschaftlichen Abbruchreife des Hauses wesentliche Vorfrage beurteilt werde.
Das Rekursgericht gab den von der Antragsgegnerin gegen den (zweiten) Teilsachbeschluss und von der Antragstellerin gegen den Unterbrechungsbeschluss erhobenen Rekursen jeweils nicht Folge. Rechtlich sah das Rekursgericht in den vom Erstgericht aufgetragenen Maßnahmen ebenfalls privilegierte Erhaltungsarbeiten und erachtete auch die Verfahrensunterbrechung für keine unzumutbare Verzögerung zum Zweck der verfahrensökonomischen Lösung einer Vorfrage.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands jeweils 10.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs jeweils nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht zu lösen gewesen seien.
Gegen den den Teilsachbeschluss bestätigenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Abweisung des Antrags auf Durchführung der Erhaltungsarbeiten. Hilfsweise stellt die Antragsgegnerin auch einen Aufhebungsantrag.
Gegen den den Unterbrechungsbeschluss bestätigenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Unterbrechungsbeschluss ersatzlos aufzuheben (richtig: den Unterbrechungsantrag der Antragsgegnerin abzuweisen).
Die Antragsgegnerin erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, dem Revisionsrekurs der Antragstellerin keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig.
Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig und berechtigt, weil die Vorinstanzen die Voraussetzungen für die Verfahrensunterbrechung nach § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG unrichtig beurteilt haben.
A. Zum Teilsachbeschluss:
Die Antragsgegnerin macht in ihrem Revisionsrekurs (nur) geltend, dass die aufgetragenen Erhaltungsarbeiten nicht als Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Sinn des § 3 Abs 3 Z 2 lit b MRG gewertet werden könnten, weil der Holzpfosten über der Körpergröße von Menschen aus dem Aufzugsschacht rage und auch eine kaputte Fensterscheibe sowie eine mangelhafte Stiegenbeleuchtung keine Gefahrenquellen bildeten. Mit diesen Ausführungen macht die Antragsgegnerin jedoch keine erhebliche Rechtsfrage geltend:
1. Zu den privilegierten Erhaltungsarbeiten im Sinn des § 3 Abs 3 Z 2 MRG gehören (ua) solche, die der Behebung von Baugebrechen dienen, die die Sicherheit von Personen oder Sachen gefährden (lit b) und solche, die zur Aufrechterhaltung des Betriebs von bestehenden Lichtleitungsanlagen erforderlich sind (lit c). Ob dem konkret zu beurteilenden Baugebrechen besagte Qualität zukommt, ist eine Frage des Einzelfalls, der - von Fällen eines unvertretbaren Begriffsverständnisses abgesehen - keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zukommt. Dass eine kaputte Fensterscheibe und ein nur knapp über Kopfniveau in einen als Fluchtweg dienenden Gang ragender Holzpfosten potentielle Gefahrenquellen bilden, ist eine durchaus naheliegende, jedenfalls aber keine als unvertretbar aufzugreifende Beurteilung der Vorinstanzen.
2. Den Auftrag zur Instandsetzung der Beleuchtung hat das Erstgericht nicht auf § 3 Abs 3 Z 2 lit b MRG, sondern auf lit c leg cit gestützt (S 9 in ON 80). Zu dieser rechtlichen Beurteilung und warum diese unrichtig sein soll, enthält der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin keine Ausführungen.
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG ist daher der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin unzulässig und zurückzuweisen.
B. Zum Unterbrechungsbeschluss:
Die Antragstellerin macht in ihrem Revisionsrekurs zu Recht geltend, dass die von den Vorinstanzen angenommenen Voraussetzungen für eine Verfahrensunterbrechung tatsächlich nicht vorliegen:
1.1. Nach § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG kann ein Verfahren ganz oder zum Teil von Amts wegen oder auf Antrag unterbrochen werden, wenn eine Vorfrage über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses den Gegenstand eines anderen anhängigen oder eines von Amts wegen einzuleitenden Verfahrens vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde bildet, die Lösung der Vorfrage im anhängigen Verfahren nicht ohne einen erheblichen Verfahrensaufwand möglich und mit der Unterbrechung keine unzumutbare Verzögerung verbunden ist.
1.2. Nach § 129 Abs 4 Bauordnung für Wien (BO für Wien) ist die Räumung oder der Abbruch von Bauwerken oder Bauwerksteilen anzuordnen, wenn die Instandsetzung der Baulichkeit einer Substanzveränderung mindestens der Hälfte der vorhandenen Bausubstanz des Bauwerks gleichkäme; eine solche Substanzveränderung ist jedenfalls dann gegeben, wenn mindestens die Hälfte der wesentlichen raumbildenden Elemente durch neue Bauteile ersetzt werden müsste. Die Räumung oder der Abbruch von Bauwerken oder Bauwerksteilen ist weiters auch dann anzuordnen, wenn durch die Art, die Vielfalt und das Ausmaß der bestehenden Baugebrechen sich die Bauwerke oder Bauwerksteile in einem solchen gefährlichen Bauzustand befinden, dass die Sicherheit der Bewohner und Benützer des Gebäudes bedroht ist und auch durch einfache Sicherungsmaßnahmen auf längere Zeit nicht hergestellt und gewährleistet werden kann. In allen Fällen steht dem Eigentümer (Miteigentümer) des Bauwerks oder der Bauwerksteile die Möglichkeit offen, innerhalb der Erfüllungsfrist den der Baubewilligung und den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechenden Zustand wiederherzustellen.
2. Die als Unterbrechungsvoraussetzung notwendige Präjudizialität der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erlassung eines Abbruchauftrags ist im vorliegenden Fall nicht gegeben:
Die Frage, ob die Behebung von Baugebrechen unwirtschaftlich ist, haben die Gerichte selbstständig zu beurteilen (3 Ob 37/94 SZ 67/64). Auch sonst ist ein Abbruchauftrag nur und erst dann endgültig und bindend, wenn entweder die Baugebrechen, die zur Bescheiderlassung geführt haben, aus technischen Gründen nicht behoben werden können oder wenn der Bestandgeber diese nicht behebt und dazu auch nicht verpflichtet ist (5 Ob 192/07g immolex 2008/48, 113 [Prader] = wobl 2008/99, 295; RIS-Justiz RS0027764; RS0020732). Diese Beurteilung obliegt ebenfalls den Gerichten, sind doch die zuvor genannten Anforderungen nicht Voraussetzungen für die Erlassung eines Abbruchauftrags nach dem zuvor wiedergegebenen Inhalt des § 129 Abs 4 BO für Wien, welche Bestimmung überdies dem Eigentümer des Bauwerks auch die Möglichkeit offen lässt, innerhalb der Erfüllungsfrist den der Baubewilligung und den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechenden Zustand wiederherzustellen.
Mangels Präjudizialität der verwaltungsbehördlichen Entscheidung liegt daher ein Unterbrechungsgrund nach § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG nicht vor, weshalb in Stattgebung des Revisionsrekurses der Antragstellerin der Unterbrechungsbeschluss ersatzlos zu beheben war.
C. Zur Kostenentscheidung:
Das Rechtsmittelverfahren über die von der Antragsgegnerin beantragte Verfahrensunterbrechung (S 7 in ON 16 = AS 107; S 2 in ON 74 = AS 346) ist ein Zwischenstreit, in dem die Antragstellerin erfolgreich war, weshalb ihr gemäß § 37 Abs 3 Z 17 MRG die Revisionsrekurskosten (Bemessungsgrundlage 2.500 EUR; § 10 Z 3 lit b sublit bb RATG) zu ersetzen sind. Rekurskosten hat die Antragstellerin nicht verzeichnet (ON 81).
Schlagworte
8 außerstreitige Wohnrechtssachen,ZivilverfahrensrechtTextnummer
E98139European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00031.11M.0825.000Im RIS seit
07.09.2011Zuletzt aktualisiert am
20.10.2014