TE OGH 2011/8/29 9ObA82/11s

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.08.2011
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.-Prof Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Wolfgang Birbamer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** H*****, Pensionist, *****, vertreten durch die Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, wegen 11.438,44 EUR sA (Revisionsinteresse 11.015,33 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. April 2011, GZ 6 Ra 8/11k-35, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. Oktober 2010, GZ 33 Cga 87/08g-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 768,24 EUR (darin enthalten 128,04 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger (geboren am ***** 1947) war vom 1. 6. 1979 bis 31. 3. 2004 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Der Versicherungszeitraum des Klägers bei der Beklagten umfasst 298 Monate; insgesamt verfügt der Kläger über 490 Versicherungsmonate. Das Arbeitsverhältnis des Klägers unterlag dem Kollektivvertrag für die Dienstnehmer der Verkehrsbetriebe Graz AG Stadtwerke für kommunale Dienste (im Folgenden kurz KollV). Der Kläger bezieht seit 1. 4. 2004 von der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau eine Invaliditätspension. Weiters hat er aufgrund der „Pensionseinrichtung“ der Beklagten für den Fall der Invalidität Anspruch auf Gewährung einer Betriebspension („Ruhegeld“) gemäß §§ 208 bis 241 KollV. Die Betriebspension soll gemäß § 213 Abs 3 Satz 1 KollV die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung für den gleichen Zeitraum und die gleiche Art der Leistung bis zu der in §§ 220 bis 239 KollV festgesetzten Höhe ergänzen. Sind die Leistungen der Pensionseinrichtung nach §§ 220 bis 239 KollV höher als die iSd § 213 Abs 5 KollV zeitlich kongruenten Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung, dann werden gemäß § 213 Abs 3 Satz 2 KollV die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung von den Leistungen der Pensionseinrichtung abgezogen.

Zwischen den Parteien ist strittig, ob die Verminderung der Invaliditätspension um Abschläge im Höchstausmaß von 15 % gemäß § 261 Abs 4 ASVG - zufolge Inanspruchnahme der Invaliditätspension vor dem Monatsersten nach der Erreichung des Regelpensionsalters (§ 253 Abs 1 ASVG) - beim Abzug der Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung von den Leistungen der Pensionseinrichtung der Beklagten zur Gänze (Standpunkt des Klägers) oder nur anteilig (Standpunkt der Beklagten) zu erfolgen hat. Die Beklagte stützt ihre Auffassung, dass der Abzug nur in Relation zur Beschäftigungsdauer des Klägers bei der Beklagten zu berücksichtigen sei, auf § 213 Abs 5 lit a sublit aa KollV („Pensionseinrichtung und gesetzliche Sozialversicherung“). Diese Bestimmung lautet wie folgt:

„Gemäß Absatz (3) und (4) werden daher die Leistungen der Pensionseinrichtung nach §§ 220 bis 239 gekürzt um

a) jene Leistungen, die sich jeweils bei Anwendung der Vorschriften der gesetzlichen Sozialversicherung einschließlich der §§ 227 bis 229 ASVG, und unter der Annahme der Erfüllung aller gesetzlichen Voraussetzungen für deren Zuerkennung ergeben würden, wenn bei der Berechnung

aa) der Zeitraum einschließlich der neutralen Zeiten nach dem ASVG zugrundegelegt wird, der zwischen dem Tag des Eintrittes in den Dienst der Verkehrsbetriebe und dem Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses liegt, ...“

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage nach Ausdehnung des Klagebegehrens, unter Zugrundelegung seines Standpunkts bezüglich der vollständigen Berücksichtigung der Abschläge gemäß § 261 Abs 4 ASVG, die aus der Gewährung geringerer Betriebspensionsleistungen resultierende Differenz von 11.438,44 EUR sA für den Zeitraum Juli 2005 bis Dezember 2009.

Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung der Beklagten die dem Klagebegehren im Umfang von 11.015,03 EUR sA stattgebende Entscheidung des Erstgerichts. Die ordentliche Revision wurde gemäß § 502 Abs 1 ZPO zugelassen.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klageabweisung.

Der Kläger beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Begründung des Berufungsgerichts ist zutreffend, sodass gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO auf sie verwiesen werden kann.

Während die Beklagte in einem Vorprozess mit einem anderen Betriebspensionisten (9 ObA 129/08y) und auch noch zu Beginn des vorliegenden Verfahrens bei der Berechnung der Betriebspension jedes „Durchschlagen“ der Minderung der Pension durch Abschläge gemäß § 261 Abs 4 ASVG verneinte, räumte sie schließlich vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ein, dass sie nunmehr die Berücksichtigung der Abschläge gemäß § 261 ASVG gegen sich gelten lasse (ON 23). Die Abschläge könnten jedoch nur kongruent auf jene Zeiten bezogen werden, die der Kläger bei der Beklagten verbracht habe. Nur so werde dem Gebot der zeitraumbezogenen Berechnung gemäß § 213 Abs 5 lit a KollV (arg „jeweils“) Rechnung getragen.

Der Senat wies zu 9 ObA 129/08y darauf hin, dass die Abschläge für die frühere Inanspruchnahme einer Pension (dh vor dem Monatsersten nach der Erreichung des Regelpensionsalters) - entgegen der ursprünglichen Auffassung der Beklagten - gemäß § 213 Abs 5 lit a KollV zu berücksichtigen sind (arg „jeweils bei Anwendung der Vorschriften der gesetzlichen Sozialversicherung“). Die den vorliegenden Prozess beherrschende Frage, ob die Abschläge vollständig oder bloß anteilig zu berücksichtigen sind, konnte allerdings im Vorprozess offen gelassen werden.

Das Erstgericht führte in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass die strittigen Abschläge nichts mit der Dauer des Dienstverhältnisses des Klägers zur Beklagten zu tun haben. Das von der Beklagten gewünschte Ergebnis der bloß anteiligen Berücksichtigung der Abschläge lasse sich § 213 Abs 5 lit a sublit aa KollV nicht entnehmen. Die Abschläge werden von der ASVG-Pension des Klägers im Höchstausmaß von 15 % vorgenommen. Ziehe man von der fiktiven Pension nach § 213 KollV, wie von der Beklagten verlangt, nur anteilige Abschläge von 9,141 % ab, dann müsste der Kläger den Rest der Abschläge auf 15 % selbst tragen.

Das Berufungsgericht schloss sich der Auffassung des Erstgerichts an und verwies darauf, dass der normative Teil eines Kollektivvertrags gemäß §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen sei. Maßgeblich sei, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen könne. Dabei sei im Zweifel davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchzuführende Regelung treffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollen. Aus dem Wortlaut des § 213 Abs 3 und 5 lit a sublit aa KollV lasse sich zwar ableiten, dass die zu berechnende fiktive Pension zeitlich kongruent sei, also dem Zeitraum zwischen dem Tag des Eintritts in den Dienst der Beklagten und der Beendigung des Dienstverhältnisses entsprechen solle. Dies korrespondiere auch mit § 225 KollV, wonach sich das Ausmaß des Ruhegeldes im Wesentlichen nach der Dauer des Dienstverhältnisses bestimme. Die Dauer des Dienstverhältnisses wirke sich sowohl auf das Ruhegeld als auch auf die fiktiv zu berechnende Sozialversicherungsleistung aus. Jedoch stehe der 15 %ige Abschlag gemäß § 261 Abs 4 ASVG in keinem Zusammenhang mit der Dauer des Dienstverhältnisses, sondern resultiere ausschließlich aus der vorzeitigen Inanspruchnahme der Pensionsleistung.

Den vorstehenden Ausführungen ist zuzustimmen. Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten:

Wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, lässt sich aus dem Wortlaut des hier anzuwendenden KollV der allgemeine Ansatz ableiten, dass der Berechnung der Betriebspension der Zeitraum des Dienstverhältnisses zugrunde zu legen ist (§ 213 Abs 5 lit a KollV). Dieser Ansatz ist auch bei jenen Normen des ASVG, die zur Berechnung der Pension an entsprechende zeitraumbezogene Angaben bezüglich der Anzahl der Versicherungsmonate anknüpfen (zB § 261 Abs 2 ASVG beim Steigerungsbetrag), möglich, werden doch von den bei verschiedenen Dienstgebern erworbenen Versicherungszeiten gemäß § 213 Abs 3 Satz 1 KollV nur jene berücksichtigt, die der betreffende Dienstnehmer bei jenem Dienstgeber verbracht hat, von dem er eine Betriebspension begehrt. Dies ist hier nicht anders erfolgt. Die Beklagte legte in ihrem vorbereitenden Schriftsatz ON 5 die Berechnung der Betriebspension des Klägers offen. Danach ermittelte die Beklagte sowohl das Ruhegeld als auch die gemäß § 213 Abs 5 KollV vom Ruhegeld abzuziehende fiktive Invaliditätspension nach den vom Kläger bei der Beklagten erworbenen Versicherungsmonaten.

Auch die Revisionswerberin räumt ein, dass der Verweis des § 213 Abs 5 KollV auf die „Vorschriften der gesetzlichen Sozialversicherung“ dazu führt, dass bei der Berechnung der Leistung der Beklagten § 261 ASVG, der das Ausmaß der Alters- und Invaliditätspension regelt, anzuwenden ist. § 261 ASVG enthält nun aber nicht nur die zeitraumbezogene Ermittlung des Steigerungsbetrags (Abs 2), die auch die Beklagte ihrer Berechnung der Betriebspension des Klägers zugrunde legte, sondern auch Abschläge, die weder auf die erworbenen Versicherungsmonate noch auf die Dauer des Dienstverhältnisses abstellen und von der Beklagten zunächst zur Gänze unberücksichtigt blieben. § 261 Abs 4 ASVG knüpft an den Umstand der Inanspruchnahme der Invaliditätspension vor dem Monatsersten nach der Erreichung des Regelpensionsalters an (§ 253 Abs 1 ASVG). Liegt ein derartiger Fall vor, dann ist die Leistung zu vermindern. Das Ausmaß der Verminderung beträgt für je zwölf Monate der früheren Inanspruchnahme 4,2 % der Leistung. Bleibt ein Rest von weniger als zwölf Monaten, so beträgt das Ausmaß der Verminderung für jeden Restmonat 0,35 % dieser Leistung. Das Höchstausmaß der Verminderung beträgt 15 % der genannten Leistung. § 261 Abs 4 ASVG enthält keine zeitlichen Faktoren, nach denen es unmittelbar auf die Dauer des Dienstverhältnisses ankommt. Nach dieser Bestimmung kommt es auf die Inanspruchnahme der Invaliditätspension vor der Erreichung des Regelpensionsalters an.

Die Beklagte argumentiert, dass der anzuwendende KollV nur jene Zeiten berücksichtigen wolle, die ein Dienstnehmer bei einem bestimmten Dienstgeber verbracht habe. Durch das Abstellen auf die zeitliche Kongruenz solle vermieden werden, dass das „Vorleben“ eines Dienstnehmers, der sich bereits bei einer vor der Tätigkeit für die Beklagte liegenden Tätigkeit körperlich „vorgeschädigt“ habe, zu Lasten des Dienstgebers gehe. Dies wäre aber der Fall, wenn die Abschläge nach § 261 Abs 4 ASVG zur Gänze ausgeglichen würden, obwohl die Ursache für die Invalidität des Klägers und damit für die Abschläge nur zum Teil in der Tätigkeit des Klägers für die Beklagte gelegen sei.

Diesen Überlegungen kann nicht beigetreten werden. Hiezu führte das Berufungsgericht zutreffend aus, dass der aus dem KollV ableitbare allgemeine Grundsatz, wonach der Berechnung der Betriebspension die Zeit des Dienstverhältnisses bei einem Dienstgeber zugrunde zu legen sei, im Fall der Invalidität durchbrochen wird. § 227 Abs 1 KollV sieht eine Sonderregelung bei Invalidität vor, wonach bei einem Mitglied, das nach einer mindestens fünfjährigen, jedoch noch nicht zehnjährigen für die Bemessung des Ruhegeldes anrechenbaren und tatsächlich zurückgelegten Dienstzeit wegen Krankheit oder einer von ihm nicht absichtlich herbeigeführten körperlichen Beschädigung invalid geworden ist, zehn anrechenbare Dienstjahre berücksichtigt werden. Weitere soziale Aspekte, die nicht unmittelbar mit der Dauer des Dienstverhältnisses oder mit dem Dienstverhältnis selbst in Verbindung stehen, fließen auch bei Erblindung, Geistesstörung oder anderen schweren Erkrankungen ein (§ 227 Abs 2 und 3 KollV). Diese Maßnahmen führen also unabhängig von der tatsächlichen Dauer des Dienstverhältnisses zu einer Erhöhung der Betriebspension. Daraus ist zu erkennen, dass die Kollektivvertragsparteien bei Vorliegen von Invalidität oder bestimmten anderen Leidenszuständen besonders auf soziale Aspekte, insbesondere die Abfederung von Härten, bedacht waren. Gerade in Fällen der Invalidität, die regelmäßig mit Pensionseinbußen (sei es auch nur aufgrund der geringeren Versicherungszeiten) einhergehen, sollen gewisse Nachteile ausgeglichen werden. Insbesondere soll in diesen Fällen nicht nur die Betriebstreue des Dienstnehmers abgegolten werden.

Es kann daher den Kollektivvertragsparteien, die bei der Invalidität besonders um einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen bemüht waren, nicht das von der Beklagten gewünschte Auslegungsergebnis unterstellt werden. Die Revisionswerberin betont zwar das Bemühen der Kollektivvertragsparteien um einen „gerechten Ausgleich“, übergeht aber die besondere Schutzwürdigkeit invalider Dienstnehmer. Der Kläger war bei der Beklagten bis zu seiner Pensionierung wegen Invalidität fast 25 Jahre lang beschäftigt. Der Ansatz der Beklagten, der Kläger hätte möglicherweise gewisse „körperliche Vorschäden“ schon bei einem früheren Dienstgeber erworben, weshalb die Abschläge nach § 261 Abs 4 ASVG anteilig auf die Beschäftigungsdauer bei der Beklagten umzulegen seien, ist rein spekulativ und findet keinen erkennbaren Niederschlag im KollV. Die Abschläge nach § 261 Abs 4 ASVG sind bei der Invaliditätspension vollständig in Abzug zu bringen. Die bloß anteilige Berücksichtigung dieser Abschläge kann § 213 Abs 5 lit a sublit aa KollV nicht entnommen werden. Sie ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Ausdruck „jeweils“ oder dem Verweis auf den (bei der Berechnung des Steigerungsbetrags berücksichtigten) „Zeitraum … zwischen dem Tag des Eintritts in den Dienst der Verkehrsbetriebe und dem Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses“. Bei dieser rechtlichen Beurteilung kommt es auch nicht auf die von der Revisionswerberin vermissten Feststellungen im Zusammenhang mit der Berechnung allfälliger anteiliger Abschläge an.

Die Überlegung der Revisionswerberin, der Gesetzgeber habe „mittlerweile“ für die Kollektivvertragsparteien „nicht vorhersehbare“ Abschläge normiert, ist ebenfalls nicht zielführend. Das mehrfach angepasste System der Abschläge geht vor allem auf das Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz 1997 (ASRÄG 1997), BGBl I 1997/139, zurück (siehe zur historischen Entwicklung Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG § 261 Anm 5 ua). Die durch das das ASRÄG 1997 geänderte Fassung des § 261 ASVG trat am 1. 1. 2000, also mehr als vier Jahre vor dem Pensionsantritt des Klägers, in Kraft. Während die Kollektivvertragsparteien den hier relevanten Teil des § 213 Abs 5 lit a sublit aa KollV seit 1. 4. 1982 unverändert ließen, wurden andere Bereiche des § 213 KollV im Laufe der Zeit durchaus geändert.

Auch der von der Beklagten erhobene Verfallseinwand gemäß § 44 Abs 4 Satz 1 KollV ist nicht berechtigt. Richtig ist, dass nach dem Inhalt dieser Bestimmung „alle Ansprüche aus dem Dienstverhältnis“ bei sonstigem Verfall innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen. Es handelt sich zwar auch bei den gegenständlichen Betriebspensionsansprüchen um „Ansprüche aus dem Dienstverhältnis“. Das Berufungsgericht verwies aber zutreffend darauf, dass gegen die Anwendung dieser Verfallsbestimmung auf die eingeklagten Betriebspensionsansprüche erhebliche systematische Bedenken bestehen. Die von der Beklagten geltend gemachte Verfallsregelung des § 44 Abs 4 Satz 1 befindet sich im XIII. Abschnitt („Auszahlung von Lohn und Gehalt“) des 1. Teils des KollV, in dem die Regelungen für „Dienstnehmer im aktiven Dienstverhältnis“ getroffen werden. Erst der 2. Teil des KollV enthält die Regelungen über die „Pensionseinrichtung“, die Grundlage der Klageforderung sind. Nun verweist aber weder § 44 Abs 4 Satz 1 KollV auf den 2. Teil des KollV, noch wird im 2. Teil des KollV auf die im 1. Teil des KollV enthaltene Verfallsregelung verwiesen. Dass sich die Verfallsregelung des § 44 Abs 4 Satz 1 KollV gemäß ihrer Stellung im XIII. Abschnitt des 1. Teils des KollV nur auf Forderungen im Zusammenhang mit Lohn oder Gehalt bezieht und daher enger zu verstehen ist, als dies der Wortlaut „alle Ansprüche aus dem Dienstverhältnis“ suggeriert, wird auch dadurch unterstrichen, dass § 44 Abs 4 KollV im Anschluss an die im Satz 1 enthaltene Verfallsregelung im Satz 2 normiert, dass als Fälligkeitstag der Auszahlungstag für jene Lohn- bzw Gehaltsperiode gilt, in welcher der Anspruch entstanden ist. Damit wird durch § 44 Abs 4 Satz 2 KollV der im Satz 1 enthaltene Begriff der „Fälligkeit“ näher determiniert. Ein Verweis auf andere Fälligkeitsbestimmungen des KollV, wie etwa jene in § 217 KollV hinsichtlich des Ruhegeldes, fehlt in § 44 Abs 4 KollV.

Die Revisionswerberin pocht nur auf den „alle Ansprüche aus dem Dienstverhältnis“ erfassenden Wortlaut des § 44 Abs 4 Satz 1 KollV. Ihr Ansatz, dass sich „angesichts der klaren Regelung“ andere Interpretationsmethoden als die Wortinterpretation erübrigen, lässt unbeachtet, dass zwischen den einzelnen Auslegungsmethoden keine Rangordnung besteht, sondern eine Gesamtwürdigung vorzunehmen ist (vgl P. Bydlinski in KBB³ § 6 Rz 2; RIS-Justiz RS0008877; RS0109735 [T11] ua). Gerade bei einem Kollektivvertragswerk mit über 260 Bestimmungen können systematische Aspekte nicht vernachlässigt werden, zumal die Beklagte mit ihrem Verfallseinwand einen Zusammenhang zwischen zwei Bestimmungen herzustellen versucht, die nicht nur in verschiedenen Abschnitten, sondern in verschiedenen Teilen des KollV liegen. Auf die Überlegungen des Berufungsgerichts zur Systematik des KollV, die auch vom Senat geteilt werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO), geht die Revisionswerberin nicht weiter ein. Das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts, wonach die gegenständlichen Betriebspensionsansprüche des Klägers von der Verfallsregelung des § 44 Abs 4 Satz 1 KollV nicht erfasst werden und daher auch nicht verfallen sind, ist überzeugend begründet und nicht zu beanstanden.

Zusammenfassend erweist sich die Revision der Beklagten als unbegründet, weshalb ihr ein Erfolg zu versagen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 2 ZPO.

Schlagworte

Arbeitsrecht

Textnummer

E98341

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:009OBA00082.11S.0829.000

Im RIS seit

28.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten