TE OGH 2011/8/30 2Ob240/10y

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Veröffentlicht am 30.08.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Claudia R*****, vertreten durch Dr. Ewald Wirleitner und andere Rechtsanwälte in Steyr, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, wegen 15.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. September 2010, GZ 2 R 58/10b-42, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 20. Jänner 2010, GZ 1 Cg 212/08d-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die 1969 geborene Klägerin wurde am 14. 12. 1988 bei einem vom Lenker eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt. Sie erlitt eine Kopfprellung, eine Rissquetschwunde am linken Ellenhaken, einen Trümmerbruch des linken Oberschenkels oberhalb des Kniegelenks mit Beteiligung der Oberschenkelknorren, eine Rissquetschwunde über der linken Schienbeinrauhigkeit, eine Rissquetschwunde am rechten Kniegelenk mit oberflächlicher Verletzung des Schienbeinknochens, eine Brustkorbprellung und einen Brustbeinbruch.

Im Verfahren 5 Cg 90/89 (später 9 Cg 50/91) des Landesgerichts Linz wurde mit Teilanerkenntnisurteil vom 17. 1. 1990 die Haftung (ua) der beklagten Partei, beschränkt auf die Haftpflichtversicherungssumme des bei ihr haftpflichtversicherten Pkws, für alle künftigen Schäden der Klägerin aus dem Unfall vom 14. 12. 1988 festgestellt. Mit Endurteil vom 10. 4. 1992 wurde der Klägerin ein Schmerzengeld von 350.000 S (25.435,49 EUR) zuerkannt.

Im Verfahren 2 Cg 239/99s des Landesgerichts Linz wurde ihr mit Urteil vom 5. 2. 2002 ein weiteres Schmerzengeld von 18.894,94 EUR (260.000 S) zugesprochen. Bereits am 3. 11. 1999 hatte die beklagte Partei auf die ursprünglich geforderten 300.000 S einen Teilbetrag von 40.000 S (2.906,92 EUR) bezahlt.

Aufgrund der Verletzungen am linken Bein war mit Dauerfolgen zu rechnen, auch Spätfolgen konnten nicht ausgeschlossen werden. Wann und in welchem Ausmaß diese Spätfolgen eintreten würden, war jedoch nicht vorhersehbar. Die Klägerin hatte seit dem Unfall Beschwerden im linken Kniebereich, die weitere Entwicklung dieser Beschwerden war ebenfalls nicht vorhersehbar. Im Jahr 2003 wurden diverse Untersuchungen in einem Krankenhaus durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war zwar zu erwarten, dass die Arthrose irgendwann fortschreiten wird. Wann und in welchem Ausmaß dies der Fall sein würde, war aber auch damals noch nicht vorhersehbar.

Im Laufe des Jahres 2006 traten bei der Klägerin erneut Schmerzen im linken Knie auf. Bei einer arthroskopischen Operation des Kniegelenks und des linken Sprunggelenks am 11. 8. 2006 wurden posttraumatische Veränderungen als Unfallsfolge festgestellt. Nach komplikationslosem postoperativem Verlauf wurde die Klägerin am 13. 8. 2006 aus dem Krankenhaus entlassen. Der Klägerin wurde Physiotherapie, das Tragen von Antithrombosestrümpfen und ein zu injizierendes Medikament zur Thromboseprophylaxe verordnet.

Bei einer Zufallsbewegung beim Aufstehen aus dem Arbeitssessel verspürte die Klägerin am 15. 3. 2007 wieder stechende Schmerzen im linken Kniegelenk. Die Magnetresonanztomographie-Untersuchung ergab als Spätfolge des Unfalls einen hochgradigen Knorpelschaden im Gelenk zwischen Oberschenkelcondylen und Kniescheibe. Am 12. 4. 2007 wurde die Klägerin operiert. Nach komplikationslosem postoperativem Verlauf wurde sie am 13. 4. 2007 nach Hause entlassen.

Am 16. 9. 2009 kam die Klägerin beim Aussteigen aus einem Pkw zu Sturz, weil das linke Knie „ausgelassen“ hatte. Bei diesem Sturz zog sich die Klägerin einen Bänderriss am rechten Außenknöchel und eine Prellung des linken Kniegelenks mit oberflächlichem Bluterguss und geringem Gelenkserguss zu. Im Krankenhaus wurden ein Unterschenkelspaltgips angelegt und blutverdünnende Medikamente verordnet. Nach Abnahme des Gipsverbands bestand noch eine starke Weichteilschwellung im Bereich des Außenknöchels. Es wurde ein neuerlicher Gipsverband angelegt, der aber aufgrund starker Schmerzen wieder entfernt und neuerlich angebracht werden musste. Danach erhielt die Klägerin eine Sprunggelenksschiene. Auch aus diesem Unfall resultieren geringfügige Dauerfolgen, die zu einer geringen zusätzlichen Behinderung führten. Spätfolgen aufgrund der Prellung des linken Kniegelenks sind mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen, nach dem Vorunfall vom 14. 12. 1988 aber möglich. Spätfolgen bezüglich der Sprunggelenksverletzung sind nicht auszuschließen.

Seit dem Jahr 2006 erduldete die Klägerin (bis zum Unfall vom 16. 9. 2009) zwei bis drei Tage starke, zwei bis drei Wochen mittelstarke und sieben bis acht Wochen leichte zusätzliche unfallskausale Schmerzen. Im Zusammenhang mit dem Unfall vom 16. 9. 2009 kamen weitere zwei Tage starke, sechs bis sieben Tage mittelstarke und zweieinhalb bis drei Wochen leichte unfallskausale Schmerzen dazu.

Bei den Untersuchungen der Klägerin am 28. 1. 2009 und 26. 8. 2009 vermochte der Sachverständige nur eine sehr geringe Änderung der Unfallsfolgen gegenüber dem (von ihm im zweiten Vorprozess erstatteten) Gutachten vom 8. 2. 2001 festzustellen. Es bestehen Unfallsfolgen im Sinne einer bleibenden körperlichen Behinderung. Spätfolgen sind (weiterhin) nicht auszuschließen.

Mit der vorliegenden, am 24. 9. 2008 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin zuletzt weitere 15.000 EUR sA an Schmerzengeld. Der beim Verkehrsunfall vom 14. 12. 1988 erlittene Trümmerbruch des linken Oberschenkels mit Beteiligung des Kniegelenks habe zu einer massiven Lockerung des Bandapparats und zur Instabilität des linken Knies geführt. Die seit dem Jahr 2006 aufgetretenen Verletzungen und Beschwerden seien von den „bisherigen Globalbemessungen“ des Schmerzengelds nicht umfasst. Sie rechtfertigten das nun geltend gemachte Schmerzengeld. Mit dem Zuspruch im ersten Vorprozess seien die unmittelbaren und überschaubaren Unfallfolgen sowie die aus einem Sturz vom 11. 12. 1990 als mittelbarer Unfallsfolge resultierenden Beschwerden, mit jenem im zweiten Vorprozess die Folgen einer unfallbedingten Verletzung aus dem Jahr 1996 abgegolten worden.

Die beklagte Partei wandte ein, mit ihren bisherigen Zahlungen seien alle Schmerzengeldansprüche der Klägerin auch für die Zukunft abgegolten. Die Schmerzengeldergänzung dürfe zu keinem höheren Anspruch als bei einer einmaligen Globalbemessung führen. Frühere Zahlungen seien bei endgültigem Bemessen des Schmerzengelds entsprechend der inzwischen gesunkenen Kaufkraft des Geldes aufzuwerten. Die bisherigen Zahlungen (25.439,49 EUR; 18.894,94 EUR; 2.906,92 EUR) ergäben aufgewertet insgesamt einen Betrag von 61.140,35 EUR, sodass bei einer Gesamtbetrachtung im Sinne einer Globalbemessung kein offener Schmerzengeldanspruch der Klägerin mehr bestehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Hiebei ging es vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt aus und stellte noch fest, dass die seit dem Jahr 2006 aufgetretenen Verletzungen und Schmerzen im Vorprozess noch nicht vorhersehbar gewesen seien. Eine Globalbemessung der Schmerzperioden sei schon bei den beiden vorangegangenen Urteilen nicht möglich gewesen und sei auch derzeit nicht möglich.

Das Erstgericht erörterte rechtlich, die im gegenständlichen Verfahren zu beurteilenden Schmerzen hätten in den Vorprozessen mangels Vorhersehbarkeit nicht berücksichtigt werden können, weshalb die beklagte Partei zur Abgeltung auch dieser Schmerzen verpflichtet sei. Ein Schmerzengeld von 15.000 EUR sei - auch unter Berücksichtigung der arthrotischen Veränderungen - angemessen. Eine Globalbemessung des Schmerzengeldes sei auch derzeit noch nicht möglich, da die von der Klägerin künftig zu erduldenden Schmerzen ungeklärt seien. Eine Globalbemessung werde erst bei Überschaubarkeit der Unfallsfolgen möglich sein. Erst dann könnten unter Berücksichtigung der Geldentwertung die bisherigen Zahlungen in Abzug gebracht werden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es führte aus, dass die auf die Verletzung vom 14. 12. 1988 zurückzuführenden Auswirkungen der Geschehnisse seit dem Jahr 2006 bei der Schmerzengeldbemessung in den Vorprozessen in ihrem Umfang nicht einmal annähernd erfassbar gewesen seien. Aus dem Urteil des ersten Vorprozesses gehe zwar hervor, dass die Klägerin am 11. 12. 1990 beim Aufstehen mit dem linken Knie eingeknickt sei und dass ähnliche Spätfolgen befürchtet werden müssten. In welchem Ausmaß und wie oft diese Spätfolgen eintreten würden, sei jedoch nicht absehbar gewesen. Der Klägerin sei es daher gelungen zu beweisen, dass die Voraussetzungen für eine ergänzende Bemessung des Schmerzengeldes gegeben seien. Die neuerliche Teilbemessung sei zulässig, weil Zeitpunkt und Umfang der Spätfolgen (auch derzeit) noch nicht vorhersehbar seien. In diesem Sinne seien jedenfalls die Feststellungen des Erstgerichts im Zusammenhalt mit den von ihm zitierten Belegstellen aus dem Gutachten des Sachverständigen zu verstehen. Auch gegen die Höhe des Teilschmerzengeldes bestünden keine Bedenken. Der ausgemittelte Betrag liege zwar an der Obergrenze, stelle aber gerade noch keine Ermessensüberschreitung dar. Da frühere Teilzahlungen erst bei der endgültigen Bemessung des Schmerzengeldes aufzuwerten seien, müsse auf die diesbezüglichen Berufungsausführungen nicht eingegangen werden.

Über Antrag der beklagten Partei erklärte das Berufungsgericht die ordentliche Revision doch für zulässig. Während nach der Entscheidung 2 Ob 233/06p frühere Teilzahlungen erst bei der endgültigen Bemessung des Schmerzengeldes aufzuwerten seien, habe dies nach den Entscheidungen 2 Ob 255/01s und 2 Ob 150/06g bereits bei einer weiteren Teilbemessung zu geschehen. Eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liege daher zu dieser Frage nicht vor.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der (einheitlichen) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Grundsätzen der ergänzenden Bemessung des Schmerzengeldes abgewichen ist; sie ist auch im Sinne des Eventualantrags berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, der Oberste Gerichtshof habe die formelhafte Formulierung, geleistete Teilzahlungen seien bei der endgültigen Bemessung des Schmerzengeldes aufzuwerten, offensichtlich nur fallbezogen verwendet, wenn also tatsächlich mit abschließender Globalbemessung vorgegangen worden sei. Es existiere aber auch Rechtsprechung, nach der bei weiterer Teilbemessung Teilzahlungen aufgewertet werden müssten, und von welcher das Berufungsgericht mit seiner Auffassung abgewichen sei. Schon die Summe der bisherigen Zahlungen (44.340,42 EUR) lasse für einen weiteren Zuspruch keinen Raum; dies gelte umso eher bei Berücksichtigung der gebotenen Aufwertung. Im Übrigen seien in den Vorentscheidungen künftige Beschwerden bereits mitberücksichtigt worden, weshalb eine Nachforderung nicht zulässig sei. Jedenfalls aber sei nunmehr mit abschließender Globalbemessung vorzugehen.

Hiezu wurde erwogen:

1. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global, dh als Gesamtentschädigung festzusetzen (2 Ob 232/07t; 6 Ob 185/09p; 2 Ob 103/10a; RIS-Justiz RS0031191, RS0031055, RS0031307). In die Globalbemessung sind auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende Unfallsfolgen miteinzubeziehen. Diese sind daher grundsätzlich mit der Globalbemessung abgegolten (vgl 2 Ob 8/05y; 6 Ob 185/09p; RIS-Justiz RS0031300 [T1 und T2], RS0031307 [T3, T4, T9 und T26]).

Eine zeitliche Begrenzung des Schmerzengeldes oder die Geltendmachung bloß eines Teilbetrags hievon ist daher nur aus besonderen Gründen zulässig, die der Kläger darzutun hat (2 Ob 232/07t; 2 Ob 103/10a; RIS-Justiz RS0031051). Eine mehrmalige (ergänzende) Schmerzengeldbemessung wird demnach nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände für zulässig erachtet. In diesem Sinne ist eine Globalbemessung lediglich dann nicht vorzunehmen, wenn noch gar kein Dauer-(End-)Zustand vorliegt, weshalb die Verletzungsfolgen noch nicht oder noch nicht in vollem Umfang und mit hinreichender Sicherheit überblickt werden können; wenn Schmerzen in ihren Auswirkungen für den Verletzten zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch gar nicht oder nicht endgültig überschaubar erschienen; wenn der Kläger nachweist, dass ihm gegenüber dem Vorprozess und der dort vorgenommenen Globalbemessung weitere, aus der damaligen Sicht nicht abschätzbare Schmerzbeeinträchtigungen entstanden seien (2 Ob 150/06g; 6 Ob 185/09p; 2 Ob 242/09s; 3 Ob 241/10b uva).

2. Ob eine Globalbemessung im Vorprozess möglich war, hängt im vorliegenden Fall davon ab, ob damals die künftigen Schmerzen im Sinne einer endgültigen Überschaubarkeit ihrer Auswirkungen für die Klägerin schon abschätzbar gewesen sind (vgl 2 Ob 8/05y mwN; 2 Ob 259/06m; auch 9 Ob 38/07i).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war die weitere Entwicklung der Kniebeschwerden von Anfang an nicht vorhersehbar. Dies gilt auch für die Frage, wann und in welchem Ausmaß es zu Spätfolgen - zu denen auch die Folgen des Sturzes vom 16. 9. 2009 zu zählen sind - kommen wird. Bei den im Jahr 2003, also nach der rechtskräftigen Beendigung des zweiten Vorprozesses, durchgeführten Untersuchungen war ferner noch (immer) nicht vorhersehbar, wann und in welchem Ausmaß die Arthrose fortschreiten wird.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen sind die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin im zweiten Vorprozess eine verlässliche Abschätzung ihrer künftigen Schmerzen noch nicht möglich war. Sie war daher befugt, in diesem Vorprozess lediglich einen Teilbetrag geltend zu machen, ohne den Anspruch auf weiteres Schmerzengeld zu verwirken (vgl 2 Ob 8/05y). Auch wenn sie damals aber von einer Globalabgeltung ausgegangen sein sollte, würde dies einer Nachbemessung nicht entgegenstehen, solange sie nicht auf die Geltendmachung weiteren Schmerzengeldes verzichtet hat. Die Frage der Zulässigkeit einer ergänzenden Schmerzengeldbemessung ist nicht im früheren, sondern - nach den genannten Kriterien - im Folgeprozess zu beurteilen (3 Ob 241/10b). Für einen Verzicht der Klägerin besteht jedenfalls kein Anhaltspunkt.

3. Im nunmehrigen Folgeprozess strebt die Klägerin erneut eine Teilbemessung des Schmerzengeldes an, die von den Vorinstanzen auch als zulässig erachtet wurde. Der beklagten Partei ist zwar grundsätzlich darin zuzustimmen, dass die Frage, ob eine Globalbemessung derzeit schon möglich sei, nicht Tatsachen-, sondern Rechtsfrage ist (vgl 9 Ob 38/07i). Die dem Gutachten des unfallchirurgischen Sachverständigen folgende diesbezügliche „Feststellung“ des Erstgerichts ist aber im Zusammenhang mit der weiteren gutachterlichen - ebenfalls (wenngleich unpräzise) festgestellten - Äußerung des Sachverständigen zu sehen, wonach die Spätfolgen auch derzeit noch nicht vorhersehbar sind (AS 123).

Bereits das Berufungsgericht hat die erstinstanzlichen Feststellungen unter Bedachtnahme auf die dabei zitierten Belegstellen aus dem Gutachten in ihrem Gesamtzusammenhang dahin ausgelegt, dass Zeitpunkt und Ausmaß der Spätfolgen des Unfalls weiterhin nicht vorhersehbar sind. Der Senat hält diese Auslegung für unbedenklich. Ihr ist die Annahme immanent, dass für die Klägerin das Gesamtbild ihrer unfallskausalen Beeinträchtigungen weiterhin noch nicht endgültig überschaubar ist.

4. Grundlage für die demnach zulässige Teilbemessung des Schmerzengeldes ist allerdings das vorläufige Gesamtbild, das sich bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt (2 Ob 150/06g). Bereits bekannte, von der Klägerin jedenfalls zu erleidende zukünftige Schmerzen sind in diese Bemessung nicht einzubeziehen (2 Ob 155/01s mwN; 2 Ob 127/05y; 2 Ob 150/06g; 2 Ob 242/09s; RIS-Justiz RS0115721). Die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz aufgetretenen Schmerzen sind hingegen global zu bemessen (2 Ob 150/06g; 2 Ob 242/09s).

Indem sie ihrer Teilbemessung nicht das vorläufige Gesamtbild der unfallskausalen Beeinträchtigungen der Klägerin, sondern nur das Schmerzgeschehen ab dem Jahr 2006 zu Grunde legten, sind die Vorinstanzen von diesen Grundsätzen abgewichen.

5. Nach ständiger Rechtsprechung darf eine Schmerzengeldergänzung insgesamt zu keinem höheren Zuspruch als bei einer einmaligen Globalbemessung führen (RIS-Justiz RS0031055, RS0031064). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bemessung des Schmerzengeldes ist der Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz, wobei die seit dem Unfall eingetretene Geldentwertung zu berücksichtigen ist (2 Ob 128/05w mwN; RIS-Justiz RS0031402 [T2 und T4]). Frühere Teilzahlungen sind daher bei der endgültigen Bemessung des Schmerzengeldes entsprechend der inzwischen gesunkenen Kaufkraft des Geldwerts aufzuwerten und anzurechnen (2 Ob 8/05y; 2 Ob 128/05w; 2 Ob 233/06p; RIS-Justiz RS0031242).

In den Entscheidungen 2 Ob 155/01s und 2 Ob 150/06g hat der Oberste Gerichtshof diese Kriterien auch in den Fällen zulässiger Teilbemessung angewandt (vgl ferner 2 Ob 127/05y; 2 Ob 259/06m). Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass diese Vorgangsweise in jedem Fall einer Globalbemessung, also nicht nur bei der „endgültigen“, sondern auch bei der „vorläufigen“ im obigen Sinne zu beachten ist. Dies ist schon deshalb sachgerecht, weil eine Bereicherung des Geschädigten vermieden werden soll und nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, ob es je zu einer „endgültigen“ Bemessung kommt. Im Übrigen ist, wie den bisherigen Ausführungen entnommen werden kann, selbst im Falle einer „endgültigen“ Globalbemessung nicht auszuschließen, dass dennoch eine Nachbemessung des Schmerzengeldes geboten ist.

Die vom Berufungsgericht geortete Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu diesem Thema liegt nicht vor. Die Entscheidung 2 Ob 233/06p hatte - anders als hier - eine endgültige Globalbemessung zum Gegenstand.

6. Die Feststellungen der Vorinstanzen reichen für eine ergänzende Bemessung des Schmerzengeldes noch nicht aus. Aus ihnen geht neben dem Ausmaß der Verletzungen nur das Schmerzgeschehen ab dem Jahr 2006, nicht aber das vorläufige Gesamtbild der unfallskausalen physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin seit dem Unfall vom 14. 12. 1988 hervor. Diese Feststellungen werden (allenfalls nach Ergänzung des Beweisverfahrens) nachzuholen sein. Erst danach wird beurteilt werden können, ob der Klägerin nach Abzug der bisher schon geleisteten, aufgewerteten Teilzahlungen unter Heranziehung von Vergleichsfällen ähnlich gelagerter Verletzungs- und Beschwerdebilder im Rahmen einer Teilbemessung weiteres Schmerzengeld gebührt.

Die vorinstanzlichen Urteile sind daher aufzuheben und die Rechtssache ist an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Schlagworte

Gruppe: Verkehrsrecht,Verkehrsopfergesetz

Textnummer

E98463

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00240.10Y.0830.000

Im RIS seit

07.10.2011

Zuletzt aktualisiert am

03.10.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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