Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj J***** G*****, geboren am 30. Jänner 1994, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Wien (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Bezirke 3, 11, 1030 Wien, Karl-Borromäus-Platz 3), wegen Unterhaltsvorschusses, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 5. April 2011, GZ 48 R 86/11v-16, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 14. Jänner 2011, GZ 90 Pu 136/10m-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die in Ansehung der rechtskräftigen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen vom 1. 1. 2011 bis 31. 1. 2012 unberührt bleiben, werden im Übrigen dahin abgeändert, dass der Antrag der Minderjährigen auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses für die Zeit vom 1. 12. 2010 bis 31. 12. 2010 abgewiesen wird.
Text
Begründung:
Die Eltern der Minderjährigen schlossen am 1. 9. 2010 vor dem Erstgericht einen Scheidungsfolgenvergleich, nach dessen Inhalt die alleinige Obsorge für die Minderjährige der Mutter zukommt. Der Vater verpflichtete sich, zum Unterhalt seiner Tochter ab 1. 11. 2010 bis zu deren Selbsterhaltungsfähigkeit einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 200 EUR zu zahlen, und zwar die bis zum Eintritt der Wirksamkeit der Vereinbarung fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen, die weiteren im Vorhinein am ersten eines jeden Monats mit fünftägigem Respiro. Der Beschluss über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Obsorge- und der Unterhaltsvereinbarung wurde dem Vater am 25. 11. 2010 und der Mutter am 26. 11. 2010 zugestellt.
Am 6. 12. 2010 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter der Minderjährigen in Unterhaltsangelegenheiten die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe. Am 3. 12. 2010 sei Exekution nach § 294a EO beantragt worden.
Mit Beschluss vom 14. 1. 2011 gewährte das Erstgericht der Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe vom 1. 12. 2010 bis 31. 1. 2012. Der Unterhaltsschuldner habe nach der am 13. 12. 2010 eingetretenen Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze gezahlt. Am 3. 12. 2010 sei eine Forderungsexekution gemäß § 294a EO eingebracht worden.
Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss vom Bund erhobenen Rekurs, mit dem die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen für die Zeit vom 1. 12. 2010 bis 31. 12. 2010 beantragt wurde, nicht Folge. Nach seiner Rechtsansicht sei „laufender Unterhalt“ iSd § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 der für Dezember 2010 fällige Unterhaltsbeitrag, weil mit der Erteilung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung die Unterhaltsvereinbarung ex tunc voll wirksam geworden sei und daher „auch das Datum der Vollstreckbarkeit bei Vergleichen rückwirkend Wirkung“ erlange.
Das Rekursgericht sprach aus, der Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof die Frage noch nicht beantwortet habe, wie sich der Zeitpunkt der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung auf den Beginn des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss gemäß § 3 Z 2 UVG auswirke.
Der unbeantwortet gebliebene Revisionsrekurs des Bundes ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 Ob 40/10w abgewichen ist. Er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Unterhaltsvorschüsse sind zu gewähren, wenn
1. für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (§ 3 Z 1 UVG) und
2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht, einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen, kombiniert mit einer Exekution zur Sicherstellung nach § 372 EO, eingebracht zu haben (§ 3 Z 2 erster Halbsatz UVG idF FamRÄG 2009).
Da § 3 Z 2 UVG auf die nicht vollständige Leistung des laufenden Unterhaltsbeitrags nach Eintritt der Vollstreckbarkeit abstellt, ist es für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen unerheblich, ob allenfalls bestehende Unterhaltsrückstände nicht gezahlt werden (RIS-Justiz RS0126137). Nach der Neufassung des § 3 Z 2 UVG kommt es weiters nicht mehr auf eine erfolglose Exekutionsführung an, sondern es genügt, dass das Kind „taugliche“ Exekutionsmaßnahmen eingeleitet hat (10 Ob 40/10w mwN).
Im Anlassfall bedurfte die von den Eltern anlässlich der einvernehmlichen Scheidung betreffend die Minderjährige getroffene Unterhaltsvereinbarung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung (§ 154 Abs 3 ABGB; Hopf in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB³ § 140 Rz 21 mwN; Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB³ § 55a EheG Rz 8 mwN; RIS-Justiz RS0000166). Bis zur Entscheidung durch das Pflegschaftsgericht über die Genehmigung der Vereinbarung ist diese unter Bindung beider Vertragsteile schwebend unwirksam. Erteilt das Gericht die Genehmigung, wird die Vereinbarung rückwirkend voll wirksam (10 Ob 40/10w mwN).
Der im Außerstreitverfahren ergangene Genehmigungsbeschluss des Pflegschaftsgerichts wird - mangels einer Sonderregelung - mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft vollstreckbar (§ 43 Abs 1 AußStrG). Formelle Rechtskraft (§ 42 AußStrG) bedeutet Unanfechtbarkeit der Entscheidung in dem Verfahren, in dem sie ergangen ist. Sie tritt ein mit
- Zustellung der Entscheidung, wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel (mehr) zulässig ist,
- ungenützten Ablauf der Rechtsmittelfrist,
- Abgabe eines Rechtsmittelverzichts,
- Zurücknahme eines eingebrachten Rechtsmittels (10 Ob 40/10w; Fucik/Kloiber, AußStrG § 42 Rz 1). Die Rekursfrist beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung (§ 46 Abs 1 AußStrG).
Im zu entscheidenden Fall wurde der Beschluss des Erstgerichts vom 18. 11. 2010 betreffend die Genehmigung der von den Eltern anlässlich der Ehescheidung für die Minderjährige getroffenen Unterhaltsvereinbarung den Eltern am 25. bzw 26. 11. 2010 zugestellt. Die Rechtsprechung verneint eine Beteiligtenstellung der Eltern im Genehmigungsverfahren nur insoweit, als sie als Vertragspartner des Kindes anzusehen sind (RIS-Justiz RS0006210; RS0006466). Vor rechtskräftiger Zuteilung der Obsorge an die Mutter (die insoweit getroffene Vereinbarung zwischen den Eltern wäre erst mit pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung der Minderjährigen gegenüber wirksam) vertritt aber auch der Vater nicht nur eigene Interessen, sondern kann als solcher auch hinsichtlich der mit der Mutter getroffenen Unterhaltsvereinbarung über den Unterhaltsanspruch der Minderjährigen auch die Interessen der Minderjährigen wahren und ist insoweit auch nicht Vertragspartner (10 Ob 40/10w mwN). Im Anlassfall ist daher die Rechtskraft des Genehmigungsbeschlusses am 11. 12. 2010 eingetreten, weil der Beschluss den Eltern am 25. bzw 26. 11. 2010 zugestellt wurde und die vierzehntägige Rechtsmittelfrist ungenützt am 10. 12. 2010 abgelaufen ist. Mit der rechtskräftigen Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht wurde die im Scheidungsvergleich vom 1. 9. 2010 enthaltene Unterhaltsvereinbarung rückwirkend voll wirksam. Danach ist der Vater verpflichtet, der Minderjährigen ab 1. 11. 2010 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 200 EUR zu zahlen.
Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist im Unterhaltsvorschussverfahren das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS-Justiz RS0076052 [T5]). Im zu entscheidenden Fall war an diesem Tag (14. 1. 2011) zwar der Unterhaltstitel vollstreckbar. Wie der Revisionsrekurswerber jedoch zutreffend ausführt, ist für die von der Minderjährigen beantragte Vorschussgewährung nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG idF FamRÄG 2009 weiters Voraussetzung, dass der Schuldner den nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze bezahlt (10 Ob 40/10w). Da die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich sind, kann der Vorschuss frühestens ab dem Monat, der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgt, gewährt werden, wenn der Unterhaltsschuldner mit der laufenden Unterhaltsleistung säumig wird. Da die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels im Anlassfall erst am 11. 12. 2010 eingetreten ist, kommt eine Unterhaltsvorschussgewährung für den hier interessierenden Monat Dezember 2010 nicht in Betracht. Insoweit erweist sich daher das Begehren der Minderjährigen entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen als nicht berechtigt. Die Ansicht des Rekursgerichts, mit der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung der Unterhaltsvereinbarung erlange „auch das Datum der Vollstreckbarkeit bei Vergleichen rückwirkend Wirkung“ ist vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtslage unzutreffend.
Textnummer
E98392European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0100OB00080.11D.0830.000Im RIS seit
04.10.2011Zuletzt aktualisiert am
18.11.2013