TE AsylGH Erkenntnis 2011/05/20 D9 306926-1/2011

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Veröffentlicht am 20.05.2011
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Spruch

D9 306926-1/2011/19E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Vorsitzenden und den Richter Mag. STRACKER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. Oktober 2006, Zl. 05 15.642-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2011 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird in Anwendung des § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, in Verbindung mit § 61 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, stattgegeben und XXXX gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, Asyl gewährt. Gemäß § 12 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Der nunmehrige Beschwerdeführer gelangte gemeinsam mit seiner Ehegattin und einem gemeinsamen Kind (D 306925 und D9 306929) unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und ersuchte am 25. September 2005 um Gewährung von Asyl.

 

Am 4., 6. und 24. Oktober 2005 sowie 11. Oktober 2006 erfolgten niederschriftliche Einvernahmen vor der belangten Behörde, in welchen der Beschwerdeführer befragt zu seinen Fluchtgründen gegenüber der belangten Behörde gleichbleibend ausführte, er sei am XXXX von Kadyrow-Leuten von zu Hause abgeholt und in weiterer Folge verhört und geschlagen worden. Seine Freunde hätten an Kampfhandlungen teilgenommen und er sei nach deren Aufenthaltsorten befragt worden. Am nächsten Tag habe ihn ein XXXX gefunden. Es seien ihm Brüche am rechten Handgelenk und an der Nase zugezogen worden.

 

Bei der dritten Einvernahme am 24. Oktober 2005 schilderte der Beschwerdeführer seine Abholung folgendermaßen: Es sei früh am Morgen gewesen, seine Frau und er hätten noch geschlafen, als plötzlich mehrere maskierte, uniformierte Männer ins Schlafzimmer gestürmt seien, ihm einen Sack über den Kopf gestülpt und ihn in ein Auto gezerrt hätten. Als sie ihm den Sack wieder vom Kopf genommen hätten, seien sie mitten im Wald gewesen. Dort hätten sie ihn nach Verbindungen zu tschetschenischen Kämpfern ausgefragt und begonnen, ihn zu schlagen. Er habe dann das Bewusstsein verloren und seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er bereits im Krankenhaus gewesen sei. Seine Nase sei ebenso wie sein Handgelenk gebrochen gewesen. Im Zeitraum von September 2004 bis zu seiner Flucht im September 2005 habe er sich kaum zu Hause aufgehalten, sondern bei seiner Schwester bzw. bei Freunden. Er habe nicht von zu Hause fortgehen wollen und darauf gehofft, dass sich die Lage bessere.

 

Die belangte Behörde holte hinsichtlich der behaupteten Verletzungen ein Gutachten der XXXX ein, aus welchem sich zusammengefasst ergibt, dass "sich bei dem Untersuchten keine konkreten Hinweise für Verletzungsspuren fanden". Über Vorhalt dieses Ergebnisses vermeinte der nunmehrige Beschwerdeführer, er könne sich dies nicht erklären.

 

Die belangte Behörde wies den Asylantrag des nunmehrigen Berufungswerbers mit Bescheid vom 13. Oktober 2006, Zl. 05 15.642-BAG, ab und begründete ihre Entscheidung zusammengefasst damit, dass sich das Vorliegen einer Gruppenverfolgung von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe in Dagestan, insbesondere durch nicht föderale Einrichtungen, aus den vorliegenden Länderberichten nicht ergäbe. Diese Ansicht würde auch durch den Umstand verstärkt, dass sich der überwiegende Anteil der nahen Verwandten des Antragstellers nach wie vor in Dagestan aufhielten. Abgestellt auf die Glaubwürdigkeit der behaupteten individuellen Bedrohungssituation, gehe die belangte Behörde davon aus, dass die Angaben nicht den Tatsachen entsprechen könnten, zumal die behaupteten Verletzungen mittels Gutachten nicht festgestellt werden konnten und daher wohl nur zum Zwecke der Asylerlangung behauptet worden seien.

 

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Berufung eingebracht, in welcher sich der Beschwerdeführer konkret gegen die Schlüssigkeit des gerichtsmedizinischen Gutachtens wandte und auf zwei Berichte des LKH XXXX verwies.

 

Am 31. Jänner 2007 führte der Unabhängige Bundesasylsenat in der Sache des Beschwerdeführers eine mit den Berufungsverfahren seiner Ehefrau und den zum damaligen Zeitpunkt zwei minderjährigen Kindern gemäß § 39 Abs. 2 AVG verbundene öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher seitens des Beschwerdeführers das im erstinstanzlichen Verfahren fluchtkausale Vorbringen übereinstimmend vorgebracht wurde.

 

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. April 2007, 306.926-C1/4E-XV/54/06, wurde die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. Oktober 2006, Zl. 05 15.642-BAG, gemäß § 7 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 iVm § 50 des Fremdengesetzes, BGBl. 100/2005, wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation zulässig sei und er gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

Begründend hielt der Unabhängige Bundesasylsenat fest, dass die Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau betreffend die behauptete Abholung übereinstimmend gewesen seien. In der weiteren Darstellung sei es jedoch zu Widersprüchen und Ungereimtheiten gekommen. So hätte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde angegeben, ihm sei bei der Abholung ein Sack über den Kopf gezogen worden, welcher ihm erst wieder abgenommen worden sei, als er sich im Wald befunden habe. In der mündlichen Berufungsverhandlung habe er demgegenüber behauptet, er sei an einen Baum gebunden und geschlagen worden. Da er einen Sack über dem Kopf gehabt hätte, könne er nicht sagen, wie viele Personen auf ihn eingeschlagen hätten. Vor der belangten Behörde habe er den Zeitpunkt des Einsetzens seiner Erinnerung mit dem Aufenthalt im Krankenhaus bezeichnet. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer daher wissen könne, dass er einen Tag nach dem angeblichen Verhör und den Folterungen von einem XXXX in einem Erdloch gefunden worden sei. Die Berufungsbehörde teilte unter Hinweis auf das nicht widerlegte Gutachten den Standpunkt der belangten Behörde, dass die Verletzungen nur zum Zwecke der Asylgewährung behauptet wurden.

 

3. In Folge der gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhobenen Beschwerde an der Verwaltungsgerichtshof hob dieser den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. April 2007, 306.926-C1/4E-XV/54/06, mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, Zlen. 2007/20/0743-8, 2007/20/0892 bis 0894-9, betreffend den Beschwerdeführer wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

 

Die vom Beschwerdeführer im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens erstatteten Angaben stünden demnach nicht in Widerspruch zu seinen im Zuge der mündlichen Berufungsverhandlung getätigten Aussagen. Vor dem Hintergrund der dörflichen Strukturen sei es nachvollziehbar, dass er von den Umständen seines Auffindens über Erzählungen von Dritten Kenntnis erlangt habe. Das herangezogene gerichtsmedizinische Gutachten sei nicht schlüssig, da nicht hervorgehe, dass die angegebenen Verletzungen auch radiologisch untersucht worden wären.

 

4. Im Zuge des fortgesetzten Verfahrens langte beim Asylgerichtshof am 3. März 2011 das HNO-Fachärztliche Gutachten eines bestellten Sachverständigen ein. Kurz zusammengefasst kam der Sachverständige dabei zum Schluss, dass beim Beschwerdeführer ein Schiefstand der Nase nach Nasenbeinbruch besteht. Der vorgebrachte Unfallhergang war geeignet, kausal einen Nasenbeinbruch zu bewirken. Es bestanden eine Septumdeviation und eine Nasenmuschelhyperplasie, die nach erfolgter Operation behoben sind.

 

Am 5. Mai 2011 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof statt, in welcher der Beschwerdeführer und dessen Ehegattin im Beisein ihres rechtsfreundlichen Vertreters neuerlich zu ihren maßgeblichen Fluchtgründen befragt wurden. Die belangte Behörde wurde ordnungsgemäß geladen, erschien jedoch entschuldigt nicht.

 

In Rahmen der Verhandlung wurden nach ausführlicher Erörterung des Vorbringens auch die im Verfahren herangezogenen Erkenntnisquellen zur Kenntnis gebracht.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, dem Beschwerdeschriftsatz, der vor dem Asylgerichtshof durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und der in diesem Verfahren vorgelegten und eingeholten Beweismittel sowie den herangezogenen Hintergrundberichten zur Lage in der Russischen Föderation, wird seitens des Asylgerichtshofes Folgendes festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, seine Identität steht fest.

 

Er hält sich seit seiner Antragsstellung gemeinsam mit seiner Ehegattin und drei gemeinsamen Kindern ununterbrochen im österreichischen Bundesgebiet auf (D9 306925, D9 306928, D9 306929 und D9 319019).

 

Der Beschwerdeführer wurde der Unterstützung von Rebellen verdächtigt und in weiterer Folge am XXXX in seinem Haus im Morgengrauen festgenommen, in einen Wald verbracht, dort an einen Baum gebunden, gefoltert und geschlagen bis er das Bewusstsein verlor. Am nächsten Tag wurde er durch einen XXXX in einer Erdgrube aufgefunden und in sein nah gelegenes Dorf, wo er von Einwohnern erkannt und in weiterer Folge zu seinem Elternhaus gebracht wurde. Verwandte begleiteten den Beschwerdeführer in eine im Nachbarort gelegene Polyklinik, wo er schließlich wieder zu Bewusstsein gelangte. Nach zweiwöchiger stationärer Behandlung brach er diese ab, verlies aus Angst einer neuerlichen Festnahme die Polyklinik und hielt sich bis zu seiner Ausreise bei verschiedenen Verwandten, anfänglich bei seiner Schwester, welche über eine Ausbildung als Feldscher verfügte und ihn weiter medizinisch versorgte, auf.

 

Zur politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

 

Politik/Wahlen

 

Die Tschetschenische Republik ist eines der 83 Föderationssubjekte der Russischen Föderation. Ihre historisch verwurzelten Unabhängigkeitsbestrebungen führten in jüngster Geschichte zu zwei Kriegen mit dem föderalen Zentrum Russland. Nach dem Kollaps der Sowjetunion rief der kurz zuvor gewählte Präsident Dschochar Dudajew 1991 die Unabhängigkeit Tschetscheniens aus. 1994 entsandte Russland Kräfte zur Zerschlagung der Unabhängigkeitsbewegung, der erste Tschetschenienkrieg begann. Dieser endete 1996 mit einem Waffenstillstandsabkommen, und einer de facto Unabhängigkeit der Teilrepublik unter Präsident Aslan Maschadow. Im Dezember 1999 begann vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Situation in und um Tschetschenien mit dem erneuten Einmarsch russischer Truppen der zweite Tschetschenienkrieg. Im Jahr 2000 wurde Achmad Kadyrow zum Chef der russischen Verwaltungsbehörde der Republik ernannt. Eine neue, nach einem Referendum im März 2003 verabschiedete Verfassung gesteht Tschetschenien mehr Autonomie zu, die Stellung der Republik als integraler Teil Russlands wurde jedoch ausdrücklich betont. Achmad Kadyrow wurde zum Präsidenten gewählt, im Jahr darauf wurde er durch einen Bombenanschlag ermordet.

 

2006 wurde sein Sohn Ramsan Kadyrow zum Premierminister, 2007 per Dekret zum Präsidenten Republik Tschetschenien ernannt.

 

Zwischen 2005 und 2007 wurden einige hochrangige Rebellenführer, wie Aslan Maschadow, Abdul Halim Sadullajew und Schamil Bassajew zum Teil unter Mitwirken russischer Kräfte getötet.

 

(Quelle: Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010 / BBC News: Regions and territories: Chechnya, Stand 09.10.2010, http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/europe/country_profiles/2565049.stm, Zugriff 07.12.2010 / CIA World Factbook: Russia, Stand 24.11.2010, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 07.12.2010)

 

Seit Anfang September 2010 nennt sich Ramsan Kadyrow nicht mehr "Präsident", sondern "Oberhaupt" der Republik Tschetschenien.

 

(Quelle: Ria Novosti: Kadyrow ist kein Präsident mehr, 02.09.2010, http://de.rian.ru/politics/20100902/257211253.html, Zugriff 09.12.2010)

 

Das tschetschenische Parlament hatte sich im Juni 2008 selbst aufgelöst. Bei den darauffolgenden Parlamentswahlen im Oktober 2008 traten sieben Parteien an, 589.687 Wähler waren registriert. Die Kreml-Partei "Einiges Russland" erhielt rund 85 % der Wählerstimmen. Die Wahlbeteiligung lag Kadyrow zufolge bei beinahe 100 %.

 

(Quelle: Radio Free Europe/Radio Liberty: Chechnya Prepares For Pre-Term, And Pre-Determined, Parliamentary Elections, 11.10.2009, http://www.rferl.org/Content/Chechnya_Prepares_ For_PreTerm_And_PreDetermined_Parliamentary_Elections/1328987.html, Zugriff 09.12.2010 / Ria Novosti: Kremlin-backed party leads in local polls - preliminary results, 13.10.2008, http://en.rian.ru/russia/20081013/117699476.html, Zugriff 09.12.2010)

 

Am 11.10.2009 fanden in Russland Kommunalwahlen statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat russlandweit klar gewonnen, die Opposition beklagte massive Wahlfälschungen und Behinderungen. Erstmals seit Zusammenbruch der Sowjetunion fanden auch in Tschetschenien Kommunalwahlen statt, die Wahlen verliefen friedlich. In Grosny wurde der amtierende Bürgermeister Muslim Chutschijew mit 87% der Wählerstimmen wiedergewählt. Die Wahlbeteiligung soll in der Hauptstadt bei 91,48% gelegen haben, in Tschetschenien insgesamt bei 86%. Einer Korrespondentin von Gazeta.ru zufolge, die als Wahlbeobachterin für die Kommunistische Partei in Grosny tätig war, ist die tatsächliche Wahlbeteiligung in ihrem Wahllokal erheblich unter den offiziellen Angaben gelegen.

 

(Quelle: The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 6 - Issue 187, 13.10.2009 / Die Presse: Russland Regierungspartei dominiert Regionalwahlen, 12.10.2009, http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/514362/index.do?_vl_backlink=/home/politik/aussenpolitik/index.do, Zugriff 09.12.2010)

 

Im Jänner 2010 wurde Tschetschenien mit fünf Republiken des Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Nordossetien-Alanien, Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien) und dem Gebiet Stawropol aus dem Föderationskreis Südrussland herausgelöst und administrativ in einer kleineren Einheit, dem Föderationskreis Nordkaukasus, zusammengefasst. Zum präsidentiellen Gesandten wurde Alexandr Chloponin ernannt.

 

(Quelle: RFE/RL: Chechen Legislators Target Federal Envoy, 02.04.2010,

http://www.rferl.org/content/Chechen_Legislators_Target_Federal_Envoy/2001071.html, Zugriff 09.12.2010 / The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 7 - Issue 68, 08.04.2010)

 

In Tschetschenien hat Präsident Ramsan Kadyrow ein repressives, stark auf seine Person zugeschnittenes Regime etabliert. Betätigungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft sind auf ein Minimum reduziert. Trotz deutlicher Wiederaufbauerfolge ist die ökonomische Lage in Tschetschenien desolat, es gibt wenig Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des staatlichen Sektors.

 

(Quelle: Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

 

Der Personenkult um Ramsan Kadyrow breitete sich in den letzten Jahren immer mehr aus. Seine Portraits und Transparente hängen in nahezu allen Straßen Tschetscheniens, Fanclubs wurden gegründet, es gibt zahlreiche Filme und Sendungen über ihn.

 

(Quelle: The Jamestown Foundation: North Caucasus Weekly, Volume X - Issue 10, 13.03.2009)

 

Konflikt und allgemeine Sicherheitslage

 

Präsident Medwedew erklärte am 16. April 2009 den seit zehn Jahren andauernden "Antiterrorkampf" in Tschetschenien offiziell für beendet. Seit der Regierung und Präsidentschaft Ramsan Kadyrows sind erhebliche Zeichen der Normalisierung festzustellen, jedoch finden noch weiterhin kleinere Kämpfe zwischen Rebellen und regionalen sowie föderalen Sicherheitskräften statt. Bei den aktiven Rebellen haben islamistische Kräfte die Oberhand gewonnen, die die Errichtung eines "Kaukasischen Emirates" im gesamten Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo-Tscherkessien, Gebiet Stawropol) anstreben und ihre Aktivitäten immer mehr in die Nachbarrepubliken, insbesondere Inguschetien und Dagestan, verlagert haben. Eine dauerhafte Befriedung der Lage in Tschetschenien ist noch nicht eingetreten. Im August und September 2009 kam es zu zwei Selbstmordanschlägen in Grozny. Seit 1999 forderte der Konflikt erhebliche Opfer: u. a. 10.000-20.000 getötete Zivilisten (belastbare Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial"), 5.000 bis 7.000 getötete und ca. 18.000 verletzte Angehörige der Sicherheitskräfte (Zahlen des Verteidigungsministeriums, die teilweise widersprüchlich sind).

 

Nach zwei Jahren mit deutlichen Fortschritten sowohl bei der Sicherheits- als auch bei der Menschenrechtslage hat sich die Situation in beiden Bereichen in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt wieder verschlechtert. Berichtet wird von verstärktem Zulauf zu den in der Republik aktiven Rebellengruppen und erhöhter Anschlagstätigkeit (im gesamten Nordkaukasus soll es nach Angaben des FSB 600-700 aktive Rebellen geben). Nach glaubhaften Angaben von Menschenrechts-NRO haben die Behörden in einigen Fällen mit dem Abbrennen der Wohnhäuser der Familien von Personen, die sich den Rebellen angeschlossen haben, reagiert. Wieder angestiegen sind auch die Entführungszahlen: Memorial hat für die erste Jahreshälfte 2009 74 Entführungsfälle registriert (Gesamtjahr 2008: 42). Die Entführungen werden größtenteils den (v.a. republikinternen) Sicherheitskräften zugeschrieben. Weiterhin werden zahlreiche Fälle von Folter gemeldet. Unter Anwendung von Folter erlangte Geständnisse werden nach belastbaren Erkenntnissen von Memorial - auch außerhalb Tschetscheniens - regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt.

 

(Quelle: Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

 

Die für eine Einschätzung der Situation bedeutsamen Entwicklungen in Tschetschenien betreffen vor allem den signifikanten Rückgang militärischer Aktivitäten, sowohl was deren Intensität als auch deren Umfang betrifft, sowie die allgemeine Verbesserung der Sicherheitslage. Groß angelegte Militäraktionen wurden tatsächlich beendet, die Zahl bewaffneter Auseinandersetzungen ist über die Jahre hinweg deutlich gesunken, und der allgemeine Umfang sowie die Intensität des Konfliktes sind rückläufig.

 

Dieser Umstand ermöglichte den teilweisen Rückzug russischer Truppen aus Tschetschenien. Die fortgesetzten Kämpfe beschränken sich hauptsächlich auf die spärlich bevölkerte Bergregion im Süden Tschetscheniens und können nicht mehr als wahllos bezeichnet werden. Die noch stattfindenden militärischen Aktivitäten führen zu keiner Vertreibung der Zivilbevölkerung. Die Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage verbunden mit den bereits erfolgten und laufenden föderalen und lokalen Wiederaufbauprogrammen ermöglichte die Rückkehr Binnenvertriebener in ihre Häuser. Auch wenn die Zahl der Binnenvertriebenen nach wie vor sehr hoch ist (79.000), schätzt UNHCR, dass seit dem Jahr 2002 Zehntausende nach Hause zurückkehren konnten.

 

(Quelle: UNHCR: Hinweise des UNHCR zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von Asylsuchenden aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien, 07.04.2009)

 

Einer Aussage des stellvertretenden Generalstaatsanwaltes des Föderationskreises Nordkaukasus, Iwan Sydoruk, im Oktober 2010 zufolge sind 2010 254 der insgesamt 352 extremistischen Verbrechen im Nordkaukasus in Tschetschenien begangen worden. Dies widerspricht Behauptungen von Republikschef Ramsan Kadyrow oder Premierminister Wladimir Putin. Obwohl es im August 2010 zu einem Rebellenangriff auf Kadyrows Heimatort Zenteroi, im Oktober 2010 zu einem Rebellenangriff auf das tschetschenische Parlament, sowie zu zahlreichen kleineren Anschlägen kam, gibt die tschetschenische Polizei an, dass es 2010 zu keinen Terrorakten in Tschetschenien gekommen sei.

 

(Quelle: The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 7, Issue 219, 08.12.2010 / The Moscow Times: Chechnya Is More Violent Than Reported, 29.10.2010, http://www.themoscowtimes.com/columns//article/chechnya-is-more-violent-than-reported/421363.html, Zugriff 09.12.2010)

 

Die Sicherheitslage im gesamten Nordkaukasus hat sich über den Sommer 2009 verschlechtert, darunter auch in Tschetschenien. In Tschetschenien kam es zu einem Anstieg an Selbstmordattentaten, die sich primär gegen staatliche Einrichtungen und deren Vertreter richteten. Auch gemäßigte islamische Würdenträger werden gezielt Opfer von Mordanschlägen. Inwieweit die derzeitige Widerstandsbewegung von der lokalen Bevölkerung unterstützt wird kann nicht gesagt werden.

 

(Quelle: The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 6, Issue 204, 05.11.2009 / NZZ: Der Nordkaukasus driftet von Moskau weg, 28.9.2009; http://www.nzz.ch/nachrichten/international/ der_nordkaukasus_driftet_von_moskau_weg_1.3692101.html?printview=true, Zugriff 09.12.2010)

 

Entführungen laut Memorial: 2005: 325; 2006: 187; 2007: 35; 2008:

42; 2009:93. Die NRO weist bei diesen Zahlen darauf hin, dass sie lediglich rund ein Drittel des tschetschenischen Territoriums beobachtet.

 

(Quelle: Länderanalysen.de: Russian Analytical Digest 70/09 - Chechnya After the Cancellation of Counter-Terrorist Operations, 21.12.2009 / Memorial Human Rights Center: Entführungen, spurloses Verschwinden, Tschetschenen im Strafvollzug, sabotierte Verbrechensaufklärung, die Wohnsituation der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, 2010)

 

Die Anzahl an extralegalen Tötungen und Fällen von Verschwundenen stieg 2009 merklich an, ebenso wie die Anzahl an Angriffen auf Exekutivbedienstete. Die Anzahl an durch Rebellen getötete Zivilisten und Soldaten stieg 2009 an. Trotz des Endes der ATO kam es über den Sommer 2009 zu einem Anstieg an Gewalt. Sowohl föderale Kräfte als auch ihre Opponenten verwenden weiterhin Antipersonenminen. Die Sicherheitskräfte unter dem Kommando Ramsan Kadyrows spielten eine zunehmende Rolle bei Entführungen, zum Teil in gemeinsamen Operationen mit den föderalen Kräften. Die Sicherheitskräfte sind Menschenrechtsorganisationen zufolge auch in Fälle von "Verschwinden" involviert.

 

(Quelle: U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Russia, 11.03.2010)

 

Im September 2008 begannen Menschenrechtsorganisationen und internationale Medien über eine Brandstiftungs-Kampagne der tschetschenischen Regierung in einigen Dörfern, um die Familien vermeintlicher Rebellen zu bestrafen. In vielen Fällen wurde erklärt, dass die Heime zur Bestrafung zerstört worden wären. Ramsan Kadyrow und der Bürgermeister von Grosny, Muslim Chutschijew sprachen explizit Drohungen aus. 2009 gab es zahlreiche Berichte über solche Fälle von Brandstiftung, jedoch ist über deren Ausmaß nichts Genaues bekannt.

 

Föderale und lokale Sicherheitskräfte, sowie die Privatmiliz von Ramsan Kadyrow, setzten Familien vermeintlicher Rebellen Repressalien aus, und begingen auch andere Missbräuche. Föderale und tschetschenische Kräfte waren Berichten zufolge in die Entführung von Verwandten von Rebellen involviert.

 

(Quelle: U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Russia, 11.03.2010 / Caucasian Knot: Week in the Caucasus: review of main events of April 5-11, 12.04.2010, http://chechnya.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/13071/, Zugriff 09.12.2010 / Human Rights Watch: What Your Children Do Will Touch Upon You, Juli 2009 / BBC News: Chechen Problem Far from Over, 16.04.2009, http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/7974652.stm, Zugriff 09.12.2010 / Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor Volume 6, Issue 191, 19.10.2009)

 

Zwischen Juli 2008 und Juli 2009 kam es zu rund 30 Fällen von Haus-Niederbrennungen, vermutlich durch tschetschenische Exekutivbehörden. Für gewöhnlich handelt es sich um Familien, deren Söhne oder Neffen vermeintlich in der Rebellenbewegung aktiv sind. Vor der Brandstiftung wurden die Familien meist von Behörden oder der Exekutive unter Druck gesetzt und bedroht, um ihre Familienangehörigen zur Aufgabe zu überreden. Bislang wurde niemand für die Brandstiftungen zur Rechenschaft gezogen. Seit Sommer 2009 erhielt Human Rights Watch weitere Berichte über Haus-Niederbrennungen, zuletzt im März 2010 in Schali.

 

(Quelle: Human Rights Watch: Human Rights in Russia Hearing May 6, 2010, 06.05.2010)

 

Memorial berichtet regelmäßig über Fälle, in denen Eltern und Verwandte vermeintlicher Rebellen in Tschetschenien ungesetzlich festgenommen würden, und von Sicherheitskräften bedroht und dazu angehalten, ihre Kinder zu einer Heimkehr zu bewegen, bzw. ihre Unterstützung für die Rebellenbewegung zuzugeben.

 

(Quelle: Caucasian Knot: HRC "Memorial": Chechen power agents use militants' relatives as "live shield", 09.09.2010, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/14373/, Zugriff 15.12.2010 / Caucasian Knot: Power agents forced resident of Chechnya to confess of links with liquidated militant, rights defenders say, 27.08.2010, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/14267/, Zugriff 15.12.2010)

 

In den ersten sechs Monaten 2010 wurden in Tschetschenien über 100 Personen festgenommen, die wegen der Mithilfe der Extremisten angeklagt werden.

 

(Quelle: Ria Novosti: Kämpfe im Kaukasus: Putin bietet Terroristen Amnestie an - "Nesawissimaja Gaseta", 15.07.2010, http://de.rian.ru/safety/20100715/127115044.html, Zugriff 09.12.2010)

 

Es gibt Fälle, in denen Familienmitglieder erfolgreich in andere Teile der Russischen Föderation zogen. Eine besondere Bedrohung gilt des Weiteren für Personen, die durch Opposition zur Regierung von Kadyrow die Aufmerksamkeit der lokalen Behörden auf sich ziehen.

 

Ehemalige Kämpfer und deren Familienmitglieder sind im Allgemeinen nicht einer besonderen Bedrohung ausgesetzt, vor allem weil ein überwiegender Teil von ihnen heute für Kadyrow arbeitet. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Personen die Rebellen während des ersten Tschetschenienkrieges nicht-militärisch/logistisch unterstützt haben verfolgt werden. Bei Personen, die die Rebellen während des zweiten Krieges oder aktuell unterstützt haben, könnte es sein, dass sie in einer gefährdeten Lage sind. Dies müsste im Einzelfall untersucht werden.

 

(Quelle: Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009 / Dr. Mikhail Roshchin - Institute for Eastern Studies, Vortrag für AsylGH am BMI, 26.03.2009)

 

Personen, die eine Klage beim EGMR in Strassburg eingebracht haben, können in Gefahr sein, viele der Personen leben aber trotz einer eingebrachten Klage unbehelligt in Tschetschenien oder anderen Teilen Russlands.

 

Der Moskau Helsinki Gruppe zufolge könne auch Muslime, die für Wahhabiten gehalten werden oder solche sind, gefährdet sein. Zudem geht die Gruppe davon aus, dass jene Personen, die Probleme mit Kadyrov haben, auch in anderen Teilen der Russischen Föderation gefährdet sind.

 

(Quelle: Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

 

Menschenrechtsaktivisten, die sich aktiv mit vergangenen und aktuellen Problemen in Tschetschenien auseinandersetzen bzw. diese aufzeigen zu versuchen, sind ebenfalls einer Bedrohung ausgesetzt. Es kam in den letzten Jahren zu mehreren Todesfällen.

 

(Quelle: UNHCR: Hinweise des UNHCR zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von Asylsuchenden aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien, 07.04.2009 / Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009 / Amnesty International: Rule without law:

Human rights violations in the North Caucasus, 30.06.2009 / U.S.

Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Russia, 11.03.2010)

 

Grundversorgung/Wirtschaft

 

Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in den Jahren seit 2007 deutlich verbessert. Einige Indizien hierfür liefern die offiziellen, belastbaren Statistiken: Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Das laufende föderale Hilfsprogramm zum Aufbau Tschetscheniens sieht 111 Mrd. Rubel (2,5 Mrd. ¿) für die Jahre 2008-2011 vor. Damit sind die Staatsausgaben in Tschetschenien pro Einwohner doppelt so hoch wie im Durchschnitt des Südlichen Föderalen Bezirks.

 

Wichtigstes soziales Problem ist die Arbeitslosigkeit und große Armut weiter Teile der Bevölkerung. Nach Schätzungen der UN waren 2008 ca. 80% der tschetschenischen Bevölkerung arbeitslos und verfügen über Einkünfte unterhalb der Armutsgrenze (in Höhe von 2,25 USD/Tag). Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Minen verhindern die Entwicklung landwirtschaftlicher Aktivitäten. Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt.

 

(Quelle: Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

 

Im Jänner 2010 galten 43% der tschetschenischen Bevölkerung nach Definition der ILO als arbeitslos.

 

(Quelle: Universität Bremen - Forschungsstelle Osteuropa: Russlandanalysen Nr. 200, 07.05.2010)

 

Die Methoden der Russischen Föderation, die Arbeitslosigkeit zu berechnen, entsprechen nicht den Standards der ILO. In Russland werden nur offiziell gemeldete Personen auch als arbeitslos gezählt. Die tatsächliche Arbeitslosenrate dürfte höher als 60% liegen.

 

Im November 2010 kam es zu Massenprotesten von Arbeitern der staatlichen Baufirma Spetsstroi, nachdem sie ihre Löhne vier Monate nicht ausbezahlt bekommen hatten.

 

Sogar Gegner Kadyrows geben zu, dass der Wiederaufbau von Grosny, Gudermes und anderen Städten voranschreitet. Der Großteil des Geldes hierfür kam aus Moskau. Die zunehmenden Schwierigkeiten in der eigenen Wirtschaft und den Budgets, und vermutlich auch aufgrund politischer Überlegungen, wurde die ursprünglich geplante Finanzhilfe für Tschetschenien für 2010 um 5 % (100 Millionen US$) gekürzt. Das Budget Tschetscheniens lag 2010 bei offiziell 1,3 Millionen Einwohnern bei über 18 Milliarden US$ (zum Vergleich:

jenes von Dagestan lag bei offiziell 2,7 Millionen Einwohnern bei weniger als 1,6 Milliarden US$). Bis November waren in Tschetschenien 2010 19.500 m2 Wohnfläche gebaut worden (Dagestan: 154.800 m2).

 

(Quelle: The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 7, Issue 202, 08.11.2010)

 

Die Chancengleichheit ist durch die Korruption und die Zerstörung der Wirtschaft während des Krieges eingeschränkt. Bewohner die Arbeit finden arbeiten zumeist bei der lokalen Polizei, in der Verwaltung, dem Öl- oder Bausektor, oder in kleinen Unternehmen. Trotz der zahlreichen Probleme hat sich die wirtschaftliche Situation durch die Wiederaufbaumaßnahmen von Kadyrow verbessert, lokale Geschäftsaktivitäten erholen sich. Die meisten der ethnischen Tschetschenen, die während des Krieges geflüchtet sind, sind bereits wieder nach Hause zurückgekehrt, obwohl viele von ihnen unter schlechten Wohnbedingungen leben.

 

(Quelle: Freedom House, Freedom in the World 2009: Chechnya (Russia), 16.07.2009)

 

In Tschetschenien ist ein im Verhältnis zu anderen Regionen der Russischen Föderation übermäßig hoher Anteil der Bevölkerung im semi-formalen und informellen Sektor tätig. Im Zeitraum zwischen 2006 und 2008 ist jedoch bereits ein Anstieg an legalen Kleinunternehmen zu beobachten. Dem föderalen Statistikamt zufolge waren zwischen Februar und November 2002 49,2 % der Bevölkerung im informellen Sektor tätig, und bezogen einen Großteil ihres Einkommens aus diesen Tätigkeiten. Des Weiteren sind die so genannten "Arbeiten im Haushalt" - Produktion entweder für den Eigenverbrauch oder zum Verkauf auf dem Markt - weit verbreitet. Diese Art der Beschäftigung steht den föderalen Statistiken zufolge in Tschetschenien an dritter Stelle.

 

(Quelle: IOM - International Organistion for Migration: Study on the Situation and Status of Russian Nationals from the Chechen Republic receiving Basic Welfare Support in Austria, 2009)

 

Obwohl sich die humanitäre Situation in den letzten Jahren schrittweise verbessert hat und es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kam, bleibt die Realität für viele Menschen hart. Jedoch handelt es sich im Nordkaukasus derzeit trotz dem Anstieg an Gewalt um keinen umfangreichen [Anm.: im Original large-scale] humanitären Notfall.

 

International Medical Corps führt im Kaukasus seit vier Jahren Aktivitäten zur Einkommensförderung [income-generating activities] durch. Teilnehmer müssen einen Geschäftsplan aufstellen, der dann mithilfe der NRO (gefördert durch Gelder der Europäischen Kommission/ ECHO) umgesetzt wird. Bislang konnten so 370 kleine Unternehmen starten. Für 2010 ist geplant 160 Projekte zu unterstützen. In anderen Projekten werden Familien etwa durch den Ankauf von Geräten beim Aufbau kleiner Unternehmen unterstützt.

 

(Quelle: International Medical Corps: Stitching Broken Dreams, 31.12.2009, http://www.imcworldwide.org/Page.aspx?pid=1014, Zugriff 14.12.2010 / International Medical Corps: International Medical Corps Helps Small Business in Chechnya, Stimulates Local Economy, 08.06.2010,

http://www.internationalmedicalcorps.org/Page.aspx?pid=1412, Zugriff 14.12.2010 / International Medical Corps: Empowering Rural Populations in North Caucasus to Foster Self Reliance, 18.08.2010, http://www.internationalmedicalcorps.org/Page.aspx?pid=1696, Zugriff 14.12.2010)

 

Pensionen und andere sozialstaatliche Leistungen werden ausbezahlt, es besteht jedoch das System des "otkat", was bedeutet, dass auf jeder erdenklichen Ebene Geld "verschwindet", weshalb der Empfänger im Endeffekt immer viel weniger bekommt als ihm zustünde.

 

(Quelle: Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

 

Es gibt Probleme mit dem Sozialversicherungssystem. Diese bestehen nicht nur für Menschen aus dem Nordkaukasus, sondern für alle Bewohner der Russischen Föderation.

 

(Quelle: Dr. Mikhail Roshchin - Insitute for Eastern Studies, Vortrag für AsylGH am BMI, 26.03.2009)

 

Laut IOM stellen sozialstaatliche Leistungen einen beträchtlichen Teil des Einkommens eines durchschnittlichen tschetschenischen Haushaltes, insbesondere bei den schwächsten sozialen Gruppen, dar. Abhängig von der Lage der Familie machten 2008 staatliche Unterstützungsleistungen bis zu einem Drittel der Haushaltseinkommen aus. Das Subsistenzminimum lag im ersten Quartal 2009 bei 4.630 Rubel.

 

Während das Sozialversicherungssystem (Pensionen, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit) föderal reguliert wird, werden die meisten der beitragsfreien Leistungen ("leistungsabhängige" Beihilfen beispielsweise für Invalide, Jugendliche, Obdachlose, Kindergeld) regional umgesetzt. Die durchschnittliche Höhe dieser Unterstützungsleistungen belief sich 2008 auf 300 Rubel.

 

Leistungsabhängige Beihilfen wurden 2008 an insgesamt 134.647 Personen ausgezahlt, die drei größten Gruppen waren die folgenden:

68.200 Invalide, 33.350 behinderte/kranke Kinder, 28.605 Kriegsveteranen.

 

Dem russischen Pensionsfonds zufolge betrug in den ersten drei Monaten des Jahres 2009 die Höhe einer durchschnittlichen monatlichen Pension in Tschetschenien 4.159 Rubel. Insgesamt waren 2008 in Tschetschenien 268.000 Personen als Pensionisten gemeldet.

 

Arbeitslosengeld wurde Ende 2008 von 298.000 Personen beantragt. Zu dieser Zeit kamen beinahe 3.500 Arbeitssuchende auf eine freie Stelle im Staatsdienst. Beinahe die Hälfte der registrierten Arbeitslosen erhielt Arbeitslosengeld. Die Untergrenze des Arbeitslosengeldes liegt bei 850 Rubel, die Obergrenze bei 4.900.

 

(Quelle: IOM - International Organistion for Migration: Study on the Situation and Status of Russian Nationals from the Chechen Republic receiving Basic Welfare Support in Austria, 2009)

 

Seit ihrer Einführung im Jänner 2007 wurden bis Oktober 2010 in Tschetschenien 63.412 Zertifikate für das "Mutterschaftskapital" ausgestellt. Anspruch auf ein Zertifikat haben Familien, die ein zweites Kind bekommen (bzw. ein drittes oder weiteres Kind, wenn der Anspruch auf das Geld noch nicht eingelöst wurde). Das Recht auf eine solche Unterstützung wird, unabhängig von der Anzahl der Kinder, nur einmal gewährt. Inhaber solcher Zertifikate erhalten, unabhängig vom Geburtstag des Kindes, einen Pauschalbetrag von 12.000 Rubel. Das weitere "Mutterschaftskapital", dessen Höhe 2010

343.378 Rubel betrug, wird nicht bar ausbezahlt, sondern kann in drei Hauptgebieten investiert werden: Verbesserung der Wohnbedingungen, Bildung des Kindes, oder Anlegen einer staatlichen Frauenpension. Die Geldsumme kann erst verwendet werden, wenn das Kind drei Jahre alt wird. Seit Jänner 2009 kann das Geld unabhängig vom Alter des Kindes auch zur Hypothekenrückzahlung verwendet werden. Einige Zertifikatsinhaber gaben an, dass sie diese aber lieber verkaufen würden. Der Durchschnittspreis für ein Mutterschaftskapital-Zertifikat beträgt rund 100.000 Rubel.

 

(Quelle: Caucasian Knot: In Chechnya, over 63,000 families received maternity capital certificates, 01.10.2010, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/14679/, Zugriff 15.12.2010 / IOM: Information on Return and Reintegration in the Countries of Origin - IRRICO II; Russian Federation, 13.11.2009 / Ria Novosti:

Use of maternity capital to pay mortgages must become norm - Medvedev, 30.11.2010,

http://en.rian.ru/russia/20101130/161559607.html, Zugriff 15.12.2010)

 

Medizinische Versorgung

 

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Durch die Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - waren medizinische Einrichtungen weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Nach Angaben von UNDP entspricht die Dichte der Polikliniken in einigen Bezirken nur 20 % des russischen Durchschnitts. Dabei treten einige stressbedingte Krankheiten laut tschetschenischem Gesundheitsministerium 10 - 15mal häufiger auf als vor dem Krieg. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung dank internationaler Hilfe inzwischen aber ein Niveau erreicht haben, das dem durchschnittlichen Standard in der Russischen Föderation entspricht. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben.

 

(Quelle: Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

 

Das medizinische Versorgungssystem in Tschetschenien wurde weitgehend zerstört. In Anbetracht dessen ist der derzeitige Stand der medizinischen Versorgung aber mittlerweile wieder besser. Es gibt Krankenhäuser, aber es fehlt aufgrund der Auswanderung der Intelligenzija an qualifiziertem Personal.

 

Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist sehr einfach. Aufgrund des Krieges gibt es viele behinderte Menschen. Viele von ihnen reisen für eine gute Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation, insbesondere nach Vladikavkaz. Die Kosten hierfür sind selbst zu übernehmen, da die medizinische Versorgung (mit Ausnahme der Ersten Hilfe) nur in jener Region kostenlos ist, in der man registriert ist.

 

(Quelle: Dr. Mikhail Roshchin - Insitute for Eastern Studies, Vortrag für AsylGH am BMI, 26.03.2009 / Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium)/Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

 

Insbesondere seit 2006 zeigen sich im Gesundheitssektor erste Anzeichen einer Erholung. Diese Erholung ist an verschiedenen Kennzahlen ersichtlich: Auf 10.000 Einwohner kamen im Jahr 2007 73,2 Krankenhausbetten, 22,5 Ärzte, sowie 66,7 weiteres medizinisches Personal. 2007 gab es insgesamt 62 Krankenhäuser, 79 ambulant behandelnde Polykliniken, 185 Stellen für ärztliche Betreuung/Geburtshilfe, und fünf Zentren für ansteckende Krankheiten.

 

Trotz dieser bedeutenden Fortschritte zeigt der regionale und landesweite Vergleich, dass Tschetschenien lediglich mit den anderen nordkaukasischen Republiken gleichauf ist, sich im Bereich dieser Kennzahlen aber stark unter dem landesweiten Durchschnitt bewegt. Die medizinische Grundversorgung - hierzu gehören u. a. Notfallhilfe, Dienste der Polykliniken und Kinderimpfungen - sind wieder auf dem Vorkriegsniveau. Bei fachlichen, hochtechnologischen Behandlungen und hochqualifizierter medizinischer Versorgung gibt es einen deutlichen Mangel an moderner Ausrüstung und hochqualifiziertem Personal. Der Wertverlust bei medizinischen hochtechnologischen Geräten beträgt laut Gesundheitsministerium 80 %, in Krankenhäusern fehlt es an 50 % des benötigten höheren medizinischen Personals.

 

(Quelle: IOM - International Organistion for Migration: Study on the Situation and Status of Russian Nationals from the Chechen Republic receiving Basic Welfare Support in Austria, 2009)

 

Politische Maßnahmen, um die Situation zu bessern, wurden insofern getroffen, als dass die Quoten für Studenten in medizinischen Instituten erhöht wurden, außerdem wurde die fachspezifische Gesundheitsversorgung weiter saniert.

 

Die Gesundheitsversorgung stellt einen der Schwerpunkte des "Zielprogramms für den sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau 2008-2011" dar. Dieses Programm umfasste: - direkte finanzielle Unterstützung für medizinisches Personal; - zur Verfügung stellen von diagnostischen Geräten für Ambulanzen, andere ambulante Dienste und Polykliniken; - Impfprogramme mit besonderem Schwerpunkt auf Kinderimpfungen; - medizinische Versorgung in der Schwangerschaft und Zulieferungen. Größere Teile der Geldmittel werden für - Notfallmaßnahmen für Tuberkulosebehandlungen, - insulare Diabetesdiagnose, -behandlung und -prävention, - den Wiederaufbau und der Entwicklung der Onkologie, - Notfallmaßnahmen für HIV/AIDS Prävention, - Impfung und Prävention von Infektionskrankheiten, sowie für komplexe Maßnahmen gegen Drogenmissbrauch aufgewendet.

 

Bereits 2002 bis 2006 waren im Rahmen zweier Programme föderale und lokale Mittel in das Gesundheitswesen investiert worden: Hier wurde zum einen besonderes Augenmerk auf den Wiederaufbau der Infrastruktur für medizinische Grundversorgung gelegt. Zum anderen wurde die Mutter-Kind-Gesundheit unterstützt: öffentliche Impfaktionen wurden durchgeführt, 70 Ärzte und Kinderärzte besuchten Schulungen. Ein dritter Schwerpunkt lag auf der psychosozialen Rehabilitierung und medizinischen Unterstützung von Opfern des Konflikts. Für ein Programm zur sozialen Unterstützung von Invaliden wurden etwas mehr als 310 Mio. Rubel zur Verfügung gestellt. Besonderes Gewicht wurde auf die Zielgruppe der Kinder und jungen Invalide gelegt.

 

(Quelle: IOM - International Organistion for Migration: Study on the Situation and Status of Russian Nationals from the Chechen Republic receiving Basic Welfare Support in Austria, 2009)

 

Apotheken befinden sich unter anderem in Nadtrechnoe, Lenina Straße 33; in Urus-Martan, Sojetskaja Straße 65; in Shetkovskaja, Sowjetskaja Straße 35; in Kurtschaloj, Sowjetskaja Straße 2; in Noschaj-Jurt, Kadyrova Straße 10; in Grosny, Bezirk 12.

 

Ärztliche - auch fachärztliche - Versorgung ist in den flächendeckend vorhandenen Polykliniken, also auch in Grosny, kostenlos möglich.

 

(Quelle: Anfragebeantwortung durch den VB für die Russische Föderation, per Email an AGH am 25.09.2009)

 

Der Nichtregierungsorganisation Vesta zufolge können psychische Erkrankungen beispielsweise in dem Republiksambulatorium für Neuropsychologie (Grosny), in dem Republikskrankenhaus "Samaschkin" (Zakan-Jurt im Bezirk Atschchoi-Martan) und im Darbachin-Republikskrankenhaus (Braguny im Bezirk Gudermes) behandelt werden. Auch Internationale Organisationen und NGOs sind im Bereich der psychiatrischen Versorgung tätig: UNICEF entwickelte in Tschetschenien Ende 2005 ein neues Programm, um Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und ihren Familien zu behandeln.

 

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, medizinische Versorgung vom 30.11.2009, Seite 9)

 

Behandlung nach Rückkehr

 

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Ebenso liegen dem Auswärtigen Amt keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst ist, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

 

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen hat etwas abgenommen, wenngleich russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit berichten. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen (Ausweis, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden statt, haben aber an Intensität abgenommen. Kontrollen von kaukasisch aussehenden oder aus Zentralasien stammenden Personen erfolgen seit Jahresbeginn 2007 zumeist im Rahmen des verstärkten Kampfes der Behörden gegen illegale Migration und Schwarzarbeit.

 

(Quelle: Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

 

Die Anzahl freiwilliger tschetschenischer Rückkehrer aus Europa in die Russische Föderation ist 2008 signifikant angestiegen: 2008 kehrten in den ersten zehn Monaten 1.196 Personen zurück (Hiervon 173 aus Österreich), während es zwischen 2003 und 2007 insgesamt

1.485 Personen waren. Hierbei handelt es sich allerdings nur um mit der Unterstützung der IOM (International Organisation for Migration) zurückgekehrte Personen, die tatsächliche Gesamtzahl ist vermutlich viel höher. 75 % der Rückkehrer 2008 kehrten nach Tschetschenien zurück 17 % gingen nach Dagestan, 3 % nach Inguschetien. Laut IOM hätten die Rückkehrer keine Bedenken in Bezug auf die Sicherheitslage, andererseits würden sie nicht zurückkehren. Jedoch müsste hier eine individuelle Prüfung vorgenommen werden, da eine mögliche Gefährdung von individuellen Gegebenheiten abhängt. IOM unterstützt Rückkehrer etwa durch berufsbildende Maßnahmen, beim Aufbau kleiner Unternehmen, medizinische Versorgung und Wohnbedürfnissen.

 

Tschetschenen kehren derzeit aus Moskau und anderen Teilen der Russischen Föderation nach Tschetschenien zurück.

 

(Quelle: Office for Foreigners (Poland)/CEDOCA, Documentation and Research Centre - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium) / Staatendokumentation des Bundesasylamtes (Austria): FFM Moscow 2008, 10.09.2009)

 

Dagestan

 

Dagestan ist mit rund 50.300 km² und 2,7 Millionen Einwohnern die größte der Nordkaukasusrepubliken der Russischen Föderation. Die Hauptstadt ist Machatschkala. Die Sprachen mehrerer Völker sind in der Verfassung verankert. Die meisten Einwohner Dagestans sind Muslime.

 

Präsident Magomedali Magomedov, der Dagestan seit dem Ende der Sowjetunion geführt hatte, wurde im Februar 2006 von Mukhu Aliyev abgelöst. 2010 wurde Aliyev wiederum durch Magomedows Sohn Magomedsalam Magomedow als Präsident Dagestans abgelöst.

 

(Quelle: BBC News, Regions and Territories: Dagestan, Stand Dezember 2007, Dagestan, http://de.wikipedia.org/wiki/Dagestan, Zugriff 11.01.2011, Magomedsalam Magomedow, http://de.wikipedia.org/wiki/Magomedsalam_Magomedalijewitsch_Magomedow, Zugriff 11.01.2011)

 

Die Sicherheitslage im multiethnischen Dagestan hat sich 2009 deutlich verschlechtert. Der bewaffnete Konflikt schwelt seit dem Jahr 2000 vermischt mit Klan-Auseinandersetzungen, Korruption und organisierter Kriminalität. Anschläge von Rebellen richten sich gezielt gegen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen, politische Führungskader, Polizeiautos und Polizeipatrouillen, Bahnlinien, Gas- und Stromleitungen und öffentliche Gebäude. Das Vorgehen der Behörden gegen die Rebellen ist hart und ungezielt. Nach glaubwürdigen Aussagen von NROs und unabhängigen Beobachtern verüben dagestanische Sicherheitskräfte schwere Menschenrechtsverletzungen bis hin zu extralegalen Tötungen.

 

In Dagestan verschwinden regelmäßig Personen; die NRO "Mütter Dagestans für die Menschenrechte" hat für die ersten acht Monate 2009 25 Entführungsfälle dokumentiert. Von öffentlicher Seite gibt es glaubhafte Schilderungen, dass kaum Hilfe bei der Suche nach diesen Personen geleistet wurde. Diese Übergriffe sind willkürlich, nicht gegen spezielle Bevölkerungsgruppen gerichtet. Problematisch ist die Tätigkeit tschetschenischer Sicherheitsorgane in Dagestan, die dort ohne Abstimmung mit den örtlichen Behörden Festnahmen durchführen. Dies hat wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dagestanischen Sicherheitsorganen geführt. Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat ein früher in der Region nicht vertretenes fundamentalistisches Verständnis des Islams zahlreiche Anhänger gefunden. Die staatlichen Behörden setzen die Mitglieder derartiger Gemeinden mit Extremisten oder potentiellen Terroristen gleich und erfassen sie in Listen. Mitunter müssen sich diese Personen regelmäßig bei der Miliz melden und sind erheblichem Druck ausgesetzt.

 

(Quelle: Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010)

 

2. Beweis wurde erhoben durch Einsicht des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, durch Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am 5. Mai 2011, in welcher die zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gelangenden Berichte zur Kenntnis gebracht wurden sowie Einsichtnahme in die im Laufe des Verfahrens vorgelegten Beweismittel, insbesondere in das Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Hals-Nasen-Ohren Medizin vom 28. Februar 2011.

 

Die Feststellung hinsichtlich der Person (Identität) des Beschwerdeführers beruhen auf ein im Laufe des Asylverfahrens vorgelegtes Identitätsdokument, bei welchem keine Hinweise auf Verfälschungen festgestellt wurden.

 

Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde geht der zur Entscheidung berufene Senat auf Grund der Aktenlage in Bezug auf die Aussagen des Beschwerdeführers und des im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks in Zusammenhalt mit den vorgelegten Beweismitteln in seiner Beweiswürdigung von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens und dessen Asylrelevanz aus.

 

Das Bundesasylamt hat dem Vorbringen des Beschwerdeführers auf Grund der nicht feststellbaren Verletzungen keine Glaubwürdigkeit zuerkannt und stützte sich hiebei auf ein seitens des Verwaltungsgerichtshofes als nicht nachvollziehbares, unschlüssig zu wertendes Gutachten. Das nunmehr vorliegende Sachverständigengutachten, welches in seiner Schlussfolgerung die Verletzung des Beschwerdeführers im Bereich der Nase bestätigt und auch einen möglichen Kausalitätszusammenhang mit dessen Vorbringen für denkbar erachtet, berücksichtigt einerseits die seitens des Beschwerdeführers vorgelegten Arztbriefe und Befunde, enthält neben einer ausreichenden Anamnese auch eine nachvollziehbare Befunderhebung und war somit als schlüssiges und nachvollziehbares Beweismittel anzuerkennen.

 

Der Beschwerdeführer wurde in der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung neuerlich befragt und war in der Lage, durch konsistente Darstellung seiner Beweggründe für die Ausreise aus seinem Herkunftsstaat nachvollziehbar darzustellen, dass ihm eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt wird. Der Beschwerdeführer hat seine Bedrohungssituation, der er im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ausgesetzt wäre, für den erkennenden Senat in Übereinstimmung mit den Länderdokumenten und in Zusammenschau mit den Ausführungen seiner Ehegattin, die durch schlüssige und nachvollziehbare Beweismittel untermauert waren, glaubhaft dargestellt.

 

Der Asylgerichtshof kommt nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu dem Schluss, dass es dem Beschwerdeführer im gesamten Asylverfahren nach schlüssiger Darstellung seiner Situation gelungen ist, asylrelevante Verfolgung zum Ausreisezeitpunkt und die Gefahr einer erneuten Verfolgung bei seiner Rückkehr in die Russische Föderation glaubhaft zu machen. Demnach wurde und wird der Beschwerdeführer auf Grund seiner ihm unterstellten regimefeindlichen Gesinnung landesweit gesucht.

 

Die seitens des Beschwerdeführers dargelegte subjektive Furcht ist, unter Hinweis auf die oben skizzierten Umstände, objektiv nachvollziehbar.

 

Rechtlich folgt daraus:

 

3. 1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997 in der Fassung BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 As

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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