Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vetter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Florian H***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142, 143 zweiter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Daniel K***** und Ricarda G***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 7. Dezember 2010, GZ 33 Hv 92/10s-44, und weiters über die Beschwerden der Angeklagten Ricarda G***** gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Verlängerung von Probezeiten und der Staatsanwaltschaft gegen das unter einem erfolgte Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Den Angeklagten K***** und G***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
G r ü n d e :
Mit dem angefochtenen - auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch der Angeklagten vom Vorwurf eines weiteren Raubüberfalls enthaltenden - Urteil wurden Daniel K***** und Ricarda G***** jeweils dreier Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A/1, 2 und 3), zu A/2 und 3 auch nach § 15 StGB, sowie mehrerer Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B), eines Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (C), Daniel K***** zudem des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (D) und Ricarda G***** des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (E) schuldig erkannt.
Danach haben - soweit für das Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren von Bedeutung -
(A) Daniel K*****, Ricarda G***** und der unter einem rechtskräftig verurteilte Florian H***** am 15. Oktober 2010 in T***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Nachgenannten mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen
1) weggenommen, und zwar Franziska W***** eine Handtasche, eine Ledergeldtasche, Bargeld, zwei Schlüssel und ein Mobiltelefon im Wert von insgesamt etwa 235 Euro, indem Ricarda G***** dem Daniel K***** einen Strumpf zur Maskierung seines Gesichts zur Verfügung stellte, Florian H***** eine Gaspistole gegen Franziska W***** richtete und Daniel K***** ihr einen Stoß versetzte, wodurch sie zu Sturz kam;
wegzunehmen versucht, und zwar
2) Hermine R***** Gegenstände unbekannten Wertes, indem Ricarda G***** dem Daniel K***** einen Strumpf zur Maskierung seines Gesichts zur Verfügung stellte, Florian H***** aufforderte, sich die Handtasche der Genannten zu schnappen und dieser eine Gaspistole gegen Hermine R***** richtete;
3) Verfügungsberechtigten der Bäckerei Ri***** Bargeld in unbekannter Höhe, indem Florian H***** eine Gaspistole gegen die Opfer richten und Daniel K***** und Ricarda G***** Aufpasserdienste leisten sollten, wobei die Tat aufgrund erhöhten Kundenaufkommens beim Versuch blieb;
Die dagegen von Daniel K***** aus den Gründen der Z 5a und 10, von Ricarda G***** aus jenen der Z 4 und 8 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Daniel K*****:
Soweit die ohne Einschränkung erhobene Beschwerde auch die Schuldsprüche B, C und D umfasst, war sie mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen bei ihrer Anmeldung oder Ausführung zurückzuweisen (§ 285d StPO).
Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) zu den Schuldsprüchen A/1, 2 und 3 aus einzelnen - im Übrigen nicht durch den Hinweis auf konkrete Aktenstellen bezeichneten (13 Os 183/08y) - Passagen aus den im Urteil ausführlich gewürdigten (zu A/3: US 10 bis 12; zu A/1 und 2: US 12 bis 19) Aussagen der Angeklagten anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstigere Schlüsse zieht als das Erstgericht, zielt sie in Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bloß auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung außerhalb der von Z 5a erfassten Sonderfälle ab, ohne damit sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583, RS0119424).
Die die Schuldsprüche 1 und 2 betreffende Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt den in den Urteilsannahmen bestehenden Bezugspunkt dieses materiellen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0099810), weil sie ihre Forderung nach einer Verurteilung wegen Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB nicht an die Feststellungen der Tatrichter zu einem vom Vorsatz des Beschwerdeführers umfassten Einsatz von Gewalt und Drohung unter Verwendung einer Waffe als Nötigungsmittel beim Raub (US 9) knüpft, sondern diese unter teilweiser Wiederholung der Argumente der Tatsachenrüge auf Basis eigener Schlussfolgerungen aus dem „äußeren Tatgeschehen“ und der Verantwortung der Angeklagten Ricarda G***** in Abrede stellt.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Ricarda G*****:
An sich zutreffend remonstriert die Beschwerde aus Z 4 gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung unmittelbar nach Ausdehnung der Anklage auf die vom Schuldspruch A/3 und vom Freispruch umfassten Taten (ON 43 S 30) gestellten Antrags auf Vertagung der Hauptverhandlung, „weil diese heute in der Anklageschrift ausgedehnten Vorwürfe für die Verteidigung noch einer gesonderten sorgfältigen Vorbereitung und näheren Ermittlung des Tatortes bedürfen“ (ON 43 S 31).
Wenn auch die in § 263 Abs 1 StPO normierten formalen Voraussetzungen für eine Ausdehnung der Verhandlung und des Urteils auf diese Taten ohne Zustimmung der Angeklagten gegenständlich vorlagen, worauf das Erstgericht die Ablehnung des in Rede stehenden Begehrens ausschließlich stützte (ON 43 S 31), ist ein Antrag auf Vertagung der Hauptverhandlung zwecks besserer Vorbereitung stets im Licht des Art 6 Abs 3 lit b MRK zu prüfen (RIS-Justiz RS0098367 [T1 und T2]).
In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass grundrechtskonformes Verständnis der Verfahrensordnung Gewährleistung des dem Angeklagten durch die MRK garantierten Rechts auf Verteidigung (auch) bei Ausdehnung der Anklage in der Hauptverhandlung über den auf Fälle der Anwendbarkeit eines strengeren Strafgesetzes abstellenden Wortlaut des § 263 Abs 1 zweiter Satz StPO („... nur dann ...“) hinaus ermöglicht, um der von Lewisch (WK-StPO § 263 Rz 77) aufgezeigten und in der Beschwerde unter Berufung auf diese Kommentarstelle angesprochenen Grundrechtsproblematik verfassungskonform zu begegnen.
Das Recht des Angeklagten, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen (Art 6 Abs 3 lit b MRK), kann nämlich - übrigens gleich, ob die Ausdehnung der Anklage zur Anwendbarkeit eines im dargelegten Sinn strengeren Strafgesetzes führt oder nicht - durch entsprechende Antragstellung in der Hauptverhandlung effektuiert und bei Antragsabweisung zum Gegenstand einer Urteilsanfechtung aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO gemacht werden, und zwar - weil der reklamierte Schutzzweck eines auf das angesprochene Grundrecht bezogenen Begehrens deutlich erkennbar ist - ohne dass es im Rahmen der Antragstellung vor dem Erstgericht einer Ableitung der rechtlichen Behauptung aus dem Gesetz oder weitergehenden Vorbringens, inwiefern die Verteidigung im Lichte des neuen Anklagevorwurfs eine andere gewesen wäre, bedürfen würde (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 334). Denn dieser Nichtigkeitsgrund rekurriert - vom Erstgericht übersehen - seit dem StrafprozeßänderungsG 1993, BGBl 1993/526, direkt auf Art 6 MRK, womit auch ohne Rückgriff auf eine einfachgesetzliche Bestimmung der StPO ein subjektives Recht des Angeklagten auf Vertagung bloß zur Vorbereitung auf die Verteidigung gegen die neue Beschuldigung bejaht werden kann (vgl erneut RIS-Justiz RS0098367 [T1 und T2], dort vor allem 13 Os 54/10f mwN).
Während in Ansehung des Freispruchsfaktums sowie der Schuldsprüche A/1 und 2, B, C und E eine aus der Ablehnung des Vertagungsantrags entstandene Benachteiligung der Beschwerdeführerin von vorneherein ausgeschlossen ist, ist indes - aus der für deren Beurteilung relevanten Sicht des Obersten Gerichtshofs (§ 281 Abs 3 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 740) - nach Lage des Falles unzweifelhaft erkennbar, dass der dem Erstgericht nach dem Vorgesagten unterlaufene Verfahrensfehler auch bezüglich des Schuldspruchs A/3 keinen der Rechtsmittelwerberin nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO; RIS-Justiz RS0099821). Denn die Ausdehnung der Anklageschrift folgte bloß der (insoweit umfassend geständigen) Verantwortung der Beschwerdeführerin bereits im Ermittlungsverfahren (ON 3 S 99 ff), die sie in der Hauptverhandlung sowohl vor der Anklageausdehnung als auch im Zuge der danach erfolgten Befragung zu den neuen Vorwürfen aufrecht hielt (ON 43 S 21 f, 26, 31; US 11 f), und die zudem in den entscheidungswesentlichen Punkten im Einklang mit den Aussagen der beiden Mitangeklagten stand (Florian H***** ON 3 S 75; ON 43 S 6 f, 10 f, 31; Daniel K***** ON 3 S 89; ON 43 S 14, 16 ff, 31; US 11 f). Zu einer (nach dem Rechtsmittelvorbringen angestrebten) anderen Lösung der - bei (mangels Anhaltspunkten für das Vorhandensein weiterer Zeugen oder Beweismittel) solcherart umfassend geklärter Sachverhaltsgrundlage einzig verbleibenden - Rechtsfrage (nämlich zur Beurteilung des zugestandenen Täterverhaltens bloß als straflose Vorbereitungshandlung) aber hätte eine bessere Vorbereitung der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin ebenso unzweifelhaft nicht führen können. Gegenteilige Hinweise sind auch der Beschwerde, die sich insoweit auf die nicht nachvollziehbare Behauptung beschränkt, es wäre eine „nähere Abklärung der Tatmodalitäten, insbesonders der örtlichen Gegebenheiten“ erforderlich gewesen, nicht zu entnehmen (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 743 sowie § 282 Rz 11).
Nur der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass das Erstgericht - wie die Rüge selbst einräumt - der Beschwerdeführerin - durch eine über eine Stunde dauernde Verhandlungsunterbrechung - vor Schluss des Beweisverfahrens Gelegenheit bot, sich ungestört (vgl Grabenwarter, EMRK³ § 24 Rz 101) mit ihrem Verteidiger zu besprechen und diese im Anschluss daran keine weiteren Erklärungen abgab (ON 43 S 32 f).
Soweit das Vorbringen auch auf Z 8 gestützt wird, wird ein Verstoß gegen die hier relevanten Bestimmungen der §§ 262, 263 oder 267 StPO (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 543) nicht mit Bestimmtheit behauptet (zu der in der Beschwerde zitierten, von Lewisch im Zusammenhang mit § 263 StPO aufgezeigten Grundrechtsproblematik vgl oben).
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Bleibt anzumerken, dass unmittelbarer (Mit-)Täter nur derjenige sein kann, welcher eine dem Tatbild entsprechende Ausführungshandlung setzt, wozu das Erstgericht zum Schuldspruch A/3 in Ansehung der Angeklagten Ricarda G***** und Daniel K***** und zu den Schuldsprüchen A/1 und 2 hinsichtlich der Erstgenannten keine Feststellungen getroffen hat. Nach den entsprechenden Urteilsannahmen sollten die Genannten vielmehr bei dem nach dem Tatplan von Florian H***** durchzuführenden Raub zum Nachteil der Bäckerei Ri***** (A/3) Aufpasserdienste leisten (US 2, 7 f); zu den den Schuldsprüchen A/1 und 2 zugrunde liegenden Taten der beiden Mitangeklagten trug Ricarda G***** hinwieder bei, indem sie Daniel K***** einen Strumpf zur Maskierung seines Gesichts zur Verfügung stellte und Florian H***** aufforderte, „sich die Tasche der Hermine R***** zu schnappen“ (A/2; US 2, 8 f). Dem - in den Beschwerden nicht aufgegriffenen - Umstand, dass diese Angeklagten demnach insoweit als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) und nicht als unmittelbare Täter zu verurteilen gewesen wären, kommt jedoch angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen keine Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0090648; § 290 Abs 1 StPO).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E97428European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0140OS00033.11A.0524.000Im RIS seit
09.06.2011Zuletzt aktualisiert am
14.02.2012