TE Vfgh Erkenntnis 2011/5/2 B941/10

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Veröffentlicht am 02.05.2011
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/01 Strafprozeß

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
VfGG §88

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind hinsichtlich des Spruchpunktes II des angefochtenen Bescheides wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird hinsichtlich des Spruchpunktes II aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.860,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich wurde den Maßnahmenbeschwerden der nunmehrigen Beschwerdeführer insoweit stattgegeben, als die Beschwerdeführer von Exekutivbeamten der Bundespolizeidirektion Linz daran gehindert wurden, an einer Versammlung in der von ihnen beabsichtigten Weise teilzunehmen (Spruchpunkt I). Im Übrigen wurden die Maßnahmenbeschwerden zurückgewiesen (Spruchpunkt II). Die Zurückweisung begründete der Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich damit, dass sich die Maßnahmenbeschwerden insoweit auf Zwangsmaßnahmen beziehen würden, die im Zusammenhang mit der Begehung der Straftat gemäß §269 StGB gesetzt worden seien; hinsichtlich dieser Zwangsmaßnahmen sehe §106 Abs1 der Strafprozessordnung 1975, BGBl. 631 idF des Strafprozessreformgesetzes BGBl. I 19/2004, (im Folgenden: StPO) einen Einspruch an das Gericht vor.

2. Gegen den die Maßnahmenbeschwerden zurückweisenden Teil des Bescheides (Spruchpunkt II) richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der u.a. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich §106 Abs1 StPO, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides im angefochtenen Umfang beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Über Antrag u.a. des Verwaltungsgerichtshofes prüfte der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des §106 Abs1 StPO. Mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, G259/09 ua., hat er ausgesprochen, dass die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des §106 Abs1 StPO als verfassungswidrig aufgehoben wird.

2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G259/09 ua. begann am 22. September 2010. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 14. Juli 2010 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des Bescheides hinsichtlich des Spruchpunktes II die als verfassungswidrig aufgehobene Wortfolge der Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid war daher hinsichtlich des Spruchpunktes II aufzuheben.

2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, war der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen (s. VfGH 26.6.1998, B259/96). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,-

sowie Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-

enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2011:B941.2010

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2011
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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