TE AsylGH Erkenntnis 2011/05/23 E2 419249-1/2011

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.05.2011
beobachten
merken
Spruch

E2 419249-1/2011/3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. HUBER-HUBER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. FAHRNER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.04.2011, Zl. 10 05.991-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) erschien am 08.07.2010 in der Polizeiinspektion XXXX in Wien und stellte den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Am 09.07.2010 erfolgte die Erstbefragung des BF durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Als Grund für die Ausreise gab er zunächst an, dass im Iran die Menschenrechte mit Füßen getreten werden und ein Leben dort schwer sei. Man dürfe keinen Alkohol trinken und sich nicht mit seiner Freundin öffentlich zeigen. Sonst habe er keine Probleme.

 

3. Am 08.04.2010 wurde der BF asylbehördlich angehört. Dabei wiederholte er im Wesentlichen seine Angaben von der Erstbefragung, bemerkte aber ergänzend, er sei im vergangenen Jahr (2009) einen Tag im Gefängnis gewesen, weil er beim Trinken von Alkohol betreten worden sei. Außerdem sei ein Strafverfahren gegen ihn geführt worden, weil er mit einem Mädchen auf eine Reise gegangen sei. In einer weiteren asylbehördlichen Vernehmung am 15.11.2010 ergänzte der BF nun sein Vorbringen mit der Behauptung, er habe bisher nicht alles erzählt: Er besuche in O. "ein Haus", wo er sich mit jemanden treffe, mit dem er in der Bibel lese, um sich über die christliche Religion zu informieren. Er bete auch, sei aber noch nicht beigetreten. Seit drei Monaten besuche er jeden Sonntag den Gottesdienst. Es handle sich dabei um die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Auch im Iran habe er sich bereits für die christliche Religion interessiert und sich mit einem Katholiken unterhalten. In eine Kirche oder zu einem christlichen Treffen sehr er jedoch nicht gegangen. Er sei bis zur Ausreise auch keiner konkreten Verfolgung wegen seiner Rasse, Volksgruppenzugehörigkeit, Nationalität oder aus sonstigen Gründen ausgesetzt gewesen. Im Falle der Rückkehr befürchte er, "deprimiert" zu sein, da er die Hoffnung gehabt habe, im Ausland in Frieden und Freiheit leben könne und hier die Menschrechte respektiert werden.

 

4. Mit Eingabe vom 28.02.2011 wurde eine Bestätigung über den "christlichen Lebensweg/ Zeugen Jehovas" eingebracht. Darin wird dem BF von D. A. bestätigt, dass der BF seit August 2010 mit ihm die Bibel studiere, versichert, gerne den christlichen Lebensweg gehen zu wollen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit über seinen christlichen Glauben spreche. Bis zur Taufe erfordere es aber noch etwas Zeit. Der BF besuche seit 7 Monaten regelmäßig die christlichen Zusammenkünfte, zuerst in O. und monatlich auch regelmäßig in W. und nach Wohnsitzänderung auch in Oberp. Am 15.03.2011 lange beim Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, ein weiteres Empfehlungsschreiben eines Mitgliedes der Zeugen Jehovas ein, das von einer weiteren Person bestätigt ist.

 

5. Das Bundesasylamt hat den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 20.04.2011, Zl. 10 05.991-BAE, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF abgewiesen (Spruchteil I); gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchteil II); sowie den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran ausgewiesen.

 

6. Gegen diesen Bescheid hat der BF durch seinen ausgewiesenen Vertreter rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht und inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Beweis wurde erhoben durch:

 

Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt.

 

2. Festgestellter Sachverhalt:

 

2.1. Der BF reiste am 08.07.2010 illegal in das Bundesgebiet von Österreich ein und stellte an diesem Tag den ersten Antrag auf internationalen Schutz.

 

2.2. Zunächst hat der BF keine konkreten Angaben zu seinen Fluchtgründen gemacht, sondern sich lediglich auf die allgemeine Lage der Menschenrechte und Lebensumstände im Iran berufen. Auch in der ersten asylbehördlichen Vernehmung nahm der BF nur eine vage Konkretisierung seiner Fluchtgründe vor, um sich schließlich in der zweiten asylbehördlichen Vernehmung auf eine in Österreich erfolgte Konversion vom islamischen zum christlichen Glauben zu berufen und im weiteren Verlauf des Verfahrens Bestätigungsschreiben einzelner Mitglieder der Zeugen Jehovas vorzulegen.

 

3. Rechtlich ist auszuführen:

 

3.1. Gemäß § 23 Absatz 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idF BGBL. I Nr. 147/2008, sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Im vorliegenden Fall ist das Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100 in geltender Fassung anzuwenden.

 

3.2. Gemäß § 18 AsylG 2005 haben die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm stellt eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung einer Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, dar.

 

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002). Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten der Asylgerichtshof das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062).

 

3.3. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof, es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen), so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

 

Das Bundesasylamt hat die negative Entscheidung damit begründet, der BF habe ein Interesse am christlichen Glauben einzig und allein in der Absicht bekundet, eine Asylgewährung in Österreich quasi zu erzwingen bzw. zu erschleichen. Der BF sei somit nicht glaubwürdig. Er habe sein Interesse am christlichen Glauben erst sehr spät geäußert. Der BF habe nur wenig Kenntnisse und Erfahrungen von und mit der christlichen Religion. Es sei davon auszugehen, dass den zeitlich näher zur Flucht getätigten Äußerungen mehr Glaubwürdigkeit zukomme, mit denen der BF noch keine Konversion geltend gemacht hat. Bei den vorgelegten Schreiben handle es sich um Privatmeinungen und Gefälligkeitsschreiben und diese würden nur zum Ausdruck bringen, dass der BF Bibelstunden und Messen besuchte, aber eine innere Umkehr und Lebenswandel könne darin nicht erblickt werden. Eine echte Konversion zum christlichen Glauben sei daher nicht glaubhaft.

 

Das Bundesasylamt hat die Empfehlungen von Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft, welcher sich der BF angeschlossen haben will, als bloße Privatmeinungen und Gefälligkeitsschreiben bezeichnet, ohne eine schlüssige Begründung dafür anzuführen, wie es zu einer solchen Schlussfolgerung kommt. Jedenfalls ergibt sich zweifellos das Erfordernis, die Verfasser der Schreiben als Zeugen zu vernehmen, kann doch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass diese Personen, die den BF offensichtlich persönlich kennen, für die Entscheidung erhebliche Angaben machen können, wobei vor allem die Motivation für ihre Erklärungen und die persönlichen Wahrnehmungen der Zeugen vom Lebenswandel des BF im Mittelpunkt des Interesses stehen werden.

 

5. Wie oben dargestellt, kann es nicht Sache der Beschwerdeinstanz sein, die im gegenständlichen Fall dazu erforderlichen - jedoch im Verfahren vor dem Bundesasylamt wesentlich mangelhaft gebliebenen - Ermittlungen nachzuholen, um dadurch erst zu den erforderlichen Entscheidungsgrundlagen zu gelangen und würde es darüber hinaus, sofern der Asylgerichtshof diese Vorgangsweise wählen würde, (mindestens) einer mündlichen Verhandlung nur zur Erörterung der Ermittlungsergebnisse bedürfen. Dem Bundesasylamt obliegt es letztlich in einem neuerlich zu erlassenden Bescheid auch, auf die jüngste Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vergl. U 1863/09-12 vom 20.09.2010 mit Vereis auf EGMR, Fall R. C. v. Sweden vom 09.03.2010, Appl. 41.827/07) zur Rückverbringung von iranischen Staatangehörigen in ihr Heimatland Bedacht zu nehmen

 

Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Asylgerichtshof gem. § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Beschwerdeführers gegen eine Kassation des Bescheides des Bundesasylamtes sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

 

6. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an das Bundesasylamt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Bundesasylamt wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
10.06.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten