Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden, widerbeklagten und gefährdeten Partei Ludmilla S*****, vertreten durch Mag. Sebastian Feigl, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen die beklagte, widerklagende und gefährdende Partei Robert S*****, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Ehescheidung und einstweiligen Unterhalts, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei sowie den Revisionsrekurs der gefährdenden Partei gegen das Urteil und den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 16. Februar 2011, GZ 23 R 48/11y, 49/11w-68, mit denen das Urteil des Bezirksgerichts Scheibbs vom 23. Juni 2010, GZ 1 C 39/06z-54, und die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Scheibbs vom 8. November 2010, GZ 1 C 39/06z-55, teilweise abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1.) Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
2.) Zur weiteren Behandlung des Revisionsrekurses werden die Akten dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.) Über die Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei (im Folgenden: Klägerin) änderte das Berufungsgericht das Scheidungsurteil des Erstgerichts im Verschuldensausspruch dahin ab, dass das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe beide Ehegatten zu gleichen Teilen treffe. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei (im Folgenden: Beklagter) mit dem Antrag, insoweit die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzustellen, mit der das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen worden war.
Die außerordentliche Revision erweist sich als unzulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist. Welchem Ehepartner Eheverfehlungen zur Last fallen und welchen allenfalls ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, ist regelmäßig eine Frage des konkreten Einzelfalls, die - von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen - keine außergewöhnliche Erheblichkeit hat (vgl nur RIS-Justiz RS0118125; RS0119414). Eine krasse Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht aber entgegen der Auffassung des Revisionswerbers nicht unterlaufen.
Zu Unrecht erhebt dieser den Vorwurf, das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass die Klägerin neben anderen Verfehlungen auch eine strafrechtlich relevante „klassische Verleumdung“ des Beklagten zu verantworten habe, weil sie ihn zu Unrecht einer gefährlichen Drohung nach § 107 StGB bezichtigt habe. Auch wenn es sein möge, dass die Klägerin - wenn auch unbegründet - Angst um ihre Kinder gehabt hatte, rechtfertige dies noch lange nicht die verleumderische Behauptung von gefährlichen Drohungen wider besseren Wissens.
Bei dieser Argumentation übersieht der Revisionswerber allerdings, dass das Erstgericht einerseits aussprach, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Klägerin nur deswegen Anzeige gegen den Beklagten erstattet habe, um sich im Scheidungsverfahren eine bessere Position zu sichern, sondern - im Kontext der Beweiswürdigung - ausführlich Erörterungen über die Persönlichkeit der Klägerin angestellt und dieser insbesondere eine verzerrte Wahrnehmung der Realität attestierte. Ihre Anschuldigungen dem Beklagten gegenüber hätten teils nach Wahnvorstellungen geklungen und seien (zum Teil) logisch nicht begründbar gewesen. Ob sie, was das Zusammenleben mit dem Beklagten betreffe, absichtlich den Sachverhalt unrichtig dargestellt, oder ob sie sich in für sie als belastend erlebten Situationen so hineinsteigere, dass sie das von ihr Gesagte selbst für richtig gehalten habe, sei letztlich nicht zu klären gewesen. Damit ist aber dem Beklagten der Beweis einer subjektiv vorwerfbaren schweren Eheverfehlung nicht gelungen. Entgegen der vom Revisionswerber offenbar vorgenommenen Interpretation der von den Vorinstanzen erarbeiteten Tatsachengrundlagen betreffen die dargelegten Ausführungen des Erstgerichts nicht nur den Vorwurf von sexuell motivierten Kontakten mit den Kindern, sondern ganz allgemein das Zusammenleben mit dem Beklagten und die im Zusammenhang mit dem Auszug aus der Ehewohnung erhobenen Anschuldigungen. Wenn das Berufungsgericht nun - wenn auch in erster Linie im Zusammenhang mit den behaupteten Missbrauchshandlungen - die Auffassung vertrat, die Anzeigeerstattung für sich könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden, wenn sie sich einer allfälligen objektiven Unrichtigkeit ihrer Angaben nicht bewusst war, weshalb ein überwiegendes Verschulden auf ihrer Seite nicht festzustellen sei, kann darin keine erhebliche Fehlbeurteilung erblickt werden, die vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste.
2.) Mit einstweiliger Verfügung sprach das Erstgericht der Klägerin für die Zeit vom 11. 10. 2006 bis zum 30. 4. 2010 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 250 EUR zu und wies das Mehrbegehren von weiteren 200 EUR für diesen Zeitraum sowie von 450 EUR vom 1. 5. 2010 bis zur Beendigung des Scheidungsverfahrens ab.
Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es den Beklagten schuldig erkannte, für den Zeitraum vom 11. 10. 2006 bis 30. 4. 2010 monatlich 450 EUR sowie vom 1. 5. 2010 bis 8. 12. 2010 monatlich 150 EUR zu zahlen. Das Mehrbegehren von weiteren 50 EUR vom 1. 5. 2010 bis 8. 12. 2010 wurde abgewiesen. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für nicht zulässig erklärt.
Gemäß § 402 Abs 4 EO sind im Provisorialverfahren für das Verfahren über Rekurse und Revisionsrekurse die Bestimmungen über das Exekutionsverfahren sinngemäß anzuwenden, sofern dieser Teil der EO nicht andere Bestimmungen enthält. Nach § 78 EO sind - soweit nichts anderes angeordnet ist - auch im Exekutionsverfahren die allgemeinen Bestimmungen der ZPO, also unter anderem auch jene über das Rechtsmittel des Rekurses (und des Revisionsrekurses), anzuwenden. Mangels einschlägiger Sondervorschriften ist somit auch § 528 ZPO anzuwenden (RIS-Justiz RS0002321), nach dessen Abs 2 Z 1a der Revisionsrekurs - vorbehaltlich des Abs 2a - in familienrechtlichen Streitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 2 JN, in denen der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt, jedenfalls unzulässig ist, wenn das Gericht zweiter Instanz - wie im vorliegenden Fall - ausgesprochen hat, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig ist. Zufolge der Anfechtung der einstweiligen Verfügung durch beide Parteien war Entscheidungsgegenstand zweiter Instanz das Dreifache der begehrten Jahresleistung (§ 58 JN), also ein Betrag von 16.200 EUR. Dann kommt jedenfalls ein außerordentliches Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof nicht in Betracht. Vielmehr sind gemäß § 528 Abs 2a ZPO die Bestimmungen über einen Antrag auf Abänderung des Ausspruchs nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO verbunden mit einer ordentlichen Revision (§ 508 ZPO) sinngemäß anzuwenden.
Da im vorliegenden Verfahren der - nach § 58 Abs 1 JN zu berechnende - Wert des Entscheidungsgegenstands den Betrag von 30.000 EUR nicht übersteigt, kommt eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die als „außerordentlicher Revisionsrekurs“ bezeichnete Eingabe des Beklagten (derzeit) nicht in Betracht. Sollte das Erstgericht zur Auffassung gelangen, der Schriftsatz sei als (an das Rekursgericht gerichteter) mit einem ordentlichen Revisionsrekurs verbundener Abänderungsantrag iSd § 528 Abs 2a ZPO zu verstehen, wird es die Akten dem Rekursgericht vorzulegen haben. Andernfalls wäre dem Einschreiter ein (befristeter) Verbesserungsauftrag zu erteilen.
Schlagworte
Zivilverfahrensrecht,Unterhaltsrecht,FamilienrechtTextnummer
E97390European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00079.11S.0524.000Im RIS seit
07.06.2011Zuletzt aktualisiert am
07.06.2011