TE AsylGH Erkenntnis 2011/05/23 E2 231704-0/2008

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Veröffentlicht am 23.05.2011
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Spruch

E2 231704-0/2008/34E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Vorsitzender und die Richterin Dr. Ilse FAHRNER als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX, StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Klaudius MAY, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.09.2002, Zl. 0123.814-BAS, nach Durchführung mündlicher Verhandlung am 07.10.2009 und am 04.05.2010 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 und gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang UND sACHVERHALT:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein türkischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 16.10.2001 einen Asylantrag.

 

2. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, am 03.04.2002 gab der BF im Wesentlichen an, er sei 1999 von Deutschland in die Türkei abgeschoben worden und anschließend in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Drei Tage nach der Rückkehr sei er zur örtlichen Dienststelle der Gendarmerie (Jandarma) bestellt worden. Dort sei er drei Tage lang einvernommen und im Zuge der Einvernahme geschlagen worden. Die Entlassung sei unter der Auflage erfolgt, sich jede Woche einmal bei der Dienststelle zu melden. Immer wenn er dieser Meldepflicht nachgekommen war, habe man ihn beleidigt.

 

Im Februar 2001 sei in seinem Heimatdorf ein Büro der HADEP eröffnet worden und der BF habe sich für diese Partei engagiert sowie die Eröffnungsfeier organisiert. Bei der Eröffnungsfeier sei er wieder von Sicherheitskräften für drei Tage festgenommen, geschlagen und beleidigt worden. Ein weiteres Mal sei er am 19.03.2001 neuerlich für 3 Tage festgenommen worden. Diesmal habe man auch seine Wohnung durchsucht, eine Satellitenantenne abmontiert und ihm vorgeworfen, er würde damit kurdische Sender empfangen. Außerdem hätten sie behauptet, der würde die PKK unterstützen und den "terroristischen" Fernsehkanal MedTV empfangen.

 

Die Sicherheitskräfte hätten ihm außerdem vorgeworfen, nach Deutschland gegangen zu sein, um dort eine Ausbildung zu absolvieren, damit er in der Türkei Menschen "organisieren" könne. Am 15.08.2001 (zum Jahrestag des Beginnes des bewaffneten Kampfes der PKK) sei im Heimatdorf des BF ein Feuer entzündet und in der Schule das Bild von Atatürk beschädigt worden. Die Sicherheitskräfte hätten daraufhin die gesamte Familie des BF unter Druck gesetzt, nach dem BF und zwei seiner Verwandten gefragt. Einer davon sei festgenommen worden. Im Zuge der o. a. Vernehmungen habe man dem BF immer wieder vorgeworfen, von der PKK ausgebildet worden zu sein, damit er in der Türkei weitere Leute ausbilden könne. Der BF habe auch versucht, im Heimatdorf ein Komitee für die HADEP zu gründen.

 

Im Falle der Rückkehr befürchte er, verhaftet oder umgebracht zu werden.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.09.2002, FZ. 01 23.814-BAS, wurde der Asylantrag des BF gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete das Bundesasylamt das Vorbringen des BF als nicht glaubwürdig, da die Schilderung zu oberflächlich und ungenau wäre, so dass man annehmen müsse, der BF hat das Geschehen nicht selbst erlebt, sondern nur für die Zwecke des Asylverfahrens konstruiert.

 

Rechtlich folgerte das Bundesasylamt, dass dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei daher zulässig sei.

 

4. Gegen diesen Bescheid wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des BF am 04.10.2002 innerhalb offener Frist vollumfänglich Berufung [nunmehr: Beschwerde] erhoben.

 

5. Am 07.10.2009 und am 04.05.2010 und am führte der Asylgerichtshof in der gegenständlichen Sache jeweils eine mündliche Verhandlung durch, wobei der BF in Gegenwart seines ausgewiesenen Vertreters in der türkischen Sprache persönlich einvernommen wurde. Ein Vertreter des Bundesasylamtes hat an der Beschwerdeverhandlung entschuldigt nicht teilgenommen, jedoch den Antrag gestellt, die Beschwerde abzuweisen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Beweis wurde erhoben durch:

 

Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des BF und seiner in Österreich als Asylwerber aufhältigen Brüder; durch persönliche Befragung des BF und seines Bruder R. P. im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlungen. Auch der 2009 nach Österreich eingereiste, weitere Bruder des BF wurde in einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung befragt. Weiters wurden folgende für das gegenständliche Verfahren relevante Länderdokumentationsquellen in das Verfahren einbezogen:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 29.06.2009 sowie vom 11.09.2008

 

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Türkei, Amnestien, Strafnachlass,

 

Verjährung, Begnadigung, 01.02.2008.

 

EU-Kommission, Türkei Fortschrittsbericht 2007, 06.11.2007, Türkei Fortschrittsbericht (engl.) 2008, 5.11.2008

 

Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom, Mai 2008.

 

Home Office, Country of Origin Information Report, Turkey, Dezember 2007, September 2008, März 2009

 

USDOS: Country Reports on Human Rights Practices 2007: Turkey, 11.03.2008, dieselbe Quelle für den Berichtszeitraum 2008: 25.2.2009

 

USDOS: International Religious Freedom Report Turkey, 19.9.2008

 

APA0332 v. 2.1.2009: "Türkisches Staatsfernsehen sendet Kurdisch - "TRT-6, be xer be"

 

BAMF, Bericht über das Eurasil Meeting zur Türkei vom 24. Juni 2008, Oktober 2008

 

BAMF, Glossar islamische Länder, Band 23 Türkei, , Seite 3, Amnestiegesetze, 01.02.2009.Feber 2009

 

Erkenntnisse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Türkei vom April 2008

 

Schweizerisches Bundesamt für Migration BFM, Länderanalysen, September 2008

 

Accord, KurdInnen in der Türkei, Juni 2009

 

die im Text genannten Quellen

 

2. Festgestellt wird nachstehender Sachverhalt:

 

2.1. Zur Person des BF und seinen Fluchtgründen:

 

Die Identität des BF steht fest. Er trägt den im Spruch angeführten Namen, ist XXXX in A., Türkei geboren, Staatsangehöriger der Türkei sowie Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er hat 5 Schwestern und 4 Brüder. 2 seiner Brüder leben inzwischen in Österreich und haben ebenfalls einen Asylantrag bzw. Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die entsprechenden Asylverfahren werden ha. unter den GZ E2 237.627 (R.P.) und E2 413.189 (M.P.) geführt. Der BF hat in seinem Heimatort 5 Jahre die Volksschule besucht, in den Jahren 1986 bis 1988 den Militärdienst als einfacher Soldat abgeleistet, spricht Türkisch, Kurdisch und Deutsch.

 

Der BF hat sich in der Zeit von 1990 bis zu seiner Abschiebung am 30.09.1999 in Deutschland aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt, der am 18.01.2000 rechtskräftig abgewiesen (abgelehnt) wurde. Am 22.10.1999 wurde der BF im Schengener Informationssystem zwecks Ausweisung/Abschiebung zur Festnahme ausgeschrieben. Am 04.07.1995 wurde der BF in Deutschland vom Amtsgericht XXXX wegen versuchter räuberischer Erpressung (Schutzgelderpressung) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf Bewährung rechtskräftig verurteilt. Der BF wurde 1999 von Deutschland in die Türkei abgeschoben.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seiner Heimat einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung unterlag oder für den Fall seiner Rückkehr dorthin, einer solchen ausgesetzt sein wird.

 

Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der BF aktuell Gefahr liefe, in der Türkei einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

 

2.2. Zur Situation in der Türkei:

 

Allgemeines

 

Die Entwicklung der vergangenen Jahre ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt. Die türkische Regierung hat zuletzt im Rahmen des 47. Assoziationsrates der EG mit der Türkei in Brüssel am 19. Mai 2009 ein klares Bekenntnis zum Ziel der EU-Vollmitgliedschaft abgegeben und angekündigt, den Reformprozess zu beschleunigen.

 

Politische Opposition

 

Die Auseinandersetzung zwischen den politischen Lagern ist geprägt von großer Härte; der Gemeinsinn über die Parteigrenzen hinweg ist wenig ausgeprägt. Immer wieder werden Konflikte bis zur versuchten Ausschaltung des politischen Gegners getrieben (Verbotsverfahren gegen die AKP). Das politische System hat diese Bewährungsprobe jedoch bestanden.

 

Politisch Oppositionelle werden in der Türkei nicht systematisch verfolgt. Die Arbeit der oppositionellen pro-kurdischen und in Teilen PKK-nahen DTP (Demokratik Toplum Partisi) wird jedoch teilweise von Seiten der Justiz durch Verfahren behindert, die die Meinungsfreiheit oder die politische Betätigungsfreiheit der DTP-Abgeordneten oder -Mitglieder einschränken.

 

Das türkische Verfassungsgericht hatte früher in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Parteien zu verbieten. Die Schließungsverfahren richteten sich entweder gegen islamistische Parteien, z.B. 1998 die "Wohlfahrts-Partei" (Refah Partisi), 2001 die "Tugend-Partei" (Fazilet Partisi), oder pro-kurdische Parteien, z. B. DEP, HADEP. Ein Verbotsantrag gegen die pro-kurdische Splitterpartei HAK-PAR wurde am 29.02.2008 vom Verfassungsgericht abgelehnt. Das Urteil ist seit dem 02.07.2008 rechtskräftig. Mit dem Reformpaket vom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen. Gleichwohl sind zur Zeit drei Parteiverbotsverfahren, u.a. gegen die regierende AKP (mit Entscheidung vom 30.07.2008 lehnte das Verfassungsgericht ein Verbot ab, verurteilte die Partei aber zu einer Finanzstrafe) sowie die pro-kurdische DTP, anhängig (letztgenannte wurde inzwischen mit Entscheid des türkischen Verfassungsgerichtshofes vom 11.12.2009 verboten). Gleichzeitig werden Mitglieder der DTP sowie Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich zu Tabuthemen äußern, verschiedentlich mit Verfahren aufgrund von Meinungsdelikten bzw. Verstößen gegen das Parteiengesetz gegängelt. Das Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, das 2003 eingeleitet wurde, hat sich erledigt. Die Partei hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK sympathisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten. Das im November 2007 eingeleitete Verbotsverfahren gegen die oppositionelle DTP wurde mit Verbot der Partei vom 11.12.2009 abgeschlossen. Von den Verfahren gegen Parteien vor dem Verfassungsgericht sind grundsätzlich die Verfahren gegen ihre Amtsträger vor Straf- oder Sicherheitsgerichten zu unterscheiden. Letztere werden in der Regel wegen Meinungsdelikten oder des Vorwurfs der Unterstützung einer illegalen Organisation geführt.

 

Dem dt. Auswärtige Amt ist kein Fall bekannt geworden, in dem die einfache Mitgliedschaft in der HADEP oder in der DEHAP - ohne besondere, z.B. strafrechtlich relevante Verdachtsmomente - zu Repressalien gegen die Betreffenden geführt hätte (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 11.09.2008).

 

Der Ländersachverständige Dr. Süleyman CEVIZ (Qualifikationsprofil liegt in Form eines Lebenslaufes zur Einsichtnahme auf) vertritt im Rechercheergebnis vom 22.1.2009 im Asylverfahren E10 225.082, sowie vom 22.1.2009 zum Aylverfahren E10 227.684 die Auffassung, dass der bloße Kontakt zur HADEP/DEHAP bzw. die bloße ehemalige Mitgliedschaft beim Fehlen eines weiteren qualifizierten Sachverhaltes zu keinen staatlichen Verfolgungshandlungen führt(e). Auch wurde nur gegen einige wenige besonders prominente (ehemalige) Mitglieder der DEP strafrechtlich vorgegangen.

 

Die HADEP war bis zum Verbot eine legale Partei, ergo waren auch ihre Veranstaltungen bis zum Zeitpunkt ihres Verbots legal.

 

Aus einer Auskunft der ÖB Ankara, basierend auf eine Auskunft eines türkischen Vertrauensanwaltes vom 14.8.2008 an das Bundesasylamt, Az.: 3000.300/77/2008 geht hervor, dass die Regierung zwar im Jahr 2000 eine relativ strenge Haltung gegenüber der HADEP einnahm, dies heute gegenüber der Nachfolgepartei DTP nicht der Fall ist. Die Haltung der Regierung gegenüber den Mitgliedern der DTP sei "sehr gemäßigt, wenn nicht gar locker."

 

Das Auswärtige Amt Berlin geht auch davon aus, dass gegenwärtig prokurdische Demonstrationen, so lange sie friedliche verlaufen von den Sicherheitskräften grundsätzlich nicht aufgelöst werden (Punkt

1.2. des Bericht des AA Berlin zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei vom 11.9.2008)

 

Meinungs- und Pressefreiheit:

 

2008 hat es positive Entwicklungen im Bereich der Meinungsfreiheit gegeben. Nach der Reform des Artikel 301 StrafG im April 2008 (in Kraft getreten am 08.05.2008) können Ermittlungen nur noch nach Zustimmung des Justizministers aufgenommen werden. Zudem ist der Tatbestand "Beleidigung des Türkentums" durch die Formulierung "Beleidigung der Türkischen Nation" abgeändert, der Strafrahmen von drei auf zwei Jahre heruntergesetzt sowie für im Ausland begangene Taten an das Inlandsstrafmaß angepasst worden. Wiederholt wurde es von Seiten der Justiz seither abgelehnt, Verfahren einzuleiten. Nach Auskunft des Justizministeriums wurden dort von den Staatsanwaltschaften bis Anfang Februar 2009 insgesamt 618 Fälle (Mischung aus Alt- und Neufällen) zur Bewilligung der Strafverfolgung vorgelegt. In 87 % der Fälle erging keine Bewilligung, in 13 % wurde es der Staatsanwaltschaft überlassen, Ermittlungen einzuleiten.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Die

 

Unabhängigkeit der Justiz ist in der Verfassung verankert (Art. 138). Für Entscheidungen u. a. über Verwarnungen, Versetzung oder den Verbleib im Beruf ist der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte unter Vorsitz des Justizministeriums zuständig (Verhandlung in geschlossenen Verfahren; ohne gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit).

 

Im Jahr 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Immer noch kommt es aber nur in wenigen Einzelfällen zu Verurteilungen bei diesen Personen. In Bezug auf die Verfolgung und den Schutz bei Gewaltdelikten gegen Frauen hat der EGMR den türkischen Staat am 09.06.2009 in der Rechtssache Opuz zu einer Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 30.000 ¿ verurteilt. Der türkische Staat war trotz einer offensichtlichen Bedrohungssituation im Jahr 2002 nicht zum Schutz einer Frau und ihrer Mutter vor ihrem ehemaligen Ehemann eingeschritten. Der Gerichtshof stellte ein allgemeines Klima staatlicher Toleranz gegenüberhäuslicher Gewalt gegen Frauen, insb. eine diesbezügliche Teilnahmslosigkeit der Verfolgungsbehörden und der Justiz fest. Die Türkei reagierte nach 2002 bereits mit Gesetzesänderungen, es bestehen jedoch weiter Defizite.

 

Polizeiliche Gewahrsame/Haftanstalten

 

Die Null-Toleranz-Politik gilt weiterhin grundsätzlich als Richtschnur der Bekämpfung von

 

Folter und unmenschlicher Behandlung durch staatliche Organe. Insgesamt werden jedoch Personen, die verdächtigt werden, Misshandlungen oder Folter begangen zu haben, noch

 

nicht in ausreichendem Maße verfolgt.

 

In der Türkei gibt es zur Zeit 422 Gefängnisse (2006: 382), darunter 13 sog. F-Typ-Gefängnisse für Häftlinge, die wegen Terror- oder organisierten Verbrechens einsitzen (je 2 in Ankara, Izmir, Tekirdag und Kocaeli, je 1 in Adana, Bolu, Edirne, Van und Kirikkale), und sechs Jugendhaft- bzw. Erziehungsanstalten. Bei einer Kapazität der Gefängnisse für 98.238 Personen waren im November 2008 nach offiziellen Angaben 98.755 Personen inhaftiert (2007: 70.477).

 

Die Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen älterer Bauart mit Zellen für bis zu 100 Personen entsprechen weiterhin nicht EU-Standards. Auch das beim Ministerpräsidentenamt angegliederte Präsidium für Menschenrechte räumt hier Nachholbedarf ein. Laut einer Presseerklärung des Präsidenten des Präsidiums erfüllen darüber hinaus 33 % von 987 untersuchten Haftanstalten (Gefängnisse sowie Einrichtungen zur vorübergehenden Gewahrsamnahme) nicht die internationalen Standards (Überbelegung, Raummangel, Mangel an Toiletten und Hygiene, Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten für Frauen und Mangel an Polizistinnen). Die seit 2001 neu eingeführten F-Typ-Gefängnisse können hingegen in vielerlei Hinsicht als vorbildlich bezeichnet werden (Zellengröße, Hygiene, Betätigungs-möglichkeiten für Gefangene, ärztliche Betreuung). Am 22.01.2007 hat das Justizministerium die von Menschenrechtsorganisationen kritisierten Isolierungsvorschriften gelockert. Die Freizeit der Häftlinge in Gemeinschaft (Gruppen von maximal 10 Personen) wurde auf 10 Stunden pro Woche erhöht (Ausnahme: Schwerverbrecher oder besonders gefährliche Häftlinge). Nach einer Studie des "Çagdas Hukucular Dernegi" (Verein Moderner Anwälte), die Ende 2007/Anfang 2008 mit 120 Untersuchungshäftlingen in sechs Haftanstalten durchgeführt wurde, wird dieses Recht auf Freizeit in Gemeinschaft nicht vollständig respektiert. Der Ausschuss des Europarats für die Verhütung von Folter hat nach seinem Besuch des Hochsicherheitsgefängnisses Imrali im Mai 2007 die türkische Regierung aufgefordert, die Isolationshaft von Abdullah Öcalan zu beenden. Laut Pressemeldungen vom November 2008 kündigte Justizminister Sahin an, dort Räumlichkeiten für weitere Häftlinge zu schaffen und Mitte 2009 zu prüfen, ob künftig fünf bis sechs weitere Insassen dort untergebracht werden könnten.

 

Sippenhaft

 

In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden.

 

Staatliche Repressionen

 

Es gibt in der Türkei keine Personen oder Personengruppen, die alleine wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder alleine wegen ihrer politischen Überzeugung staatlichen Repressionen ausgesetzt sind.

 

Kurden

 

Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.

 

Weiterhin sind Spannungen in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes zu verzeichnen. Die türkischen Militäroperationen gegen PKK-Einrichtungen im Nordirak dauern an; sie stützen sich inzwischen auf eine Kooperation zwischen der Türkei, den USA und Irak. Auf wirtschaftlichem und kulturpolitischem Gebiet hat die Regierung zahlreiche Anstrengungen zur Verbesserung der Lage der Kurden unternommen. Von besonderer Bedeutung ist die Aufnahme kurdischsprachiger Sendungen im staatlichen Fernsehsender TRT seit Januar 2009.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).

 

Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.

 

In den wirtschaftlich unterentwickelten und z.T. feudalistisch strukturierten Regionen im Osten und Südosten der Türkei hat sich die Lage der Kurden seit dem Ende des Bürgerkrieges (Festnahme Öcalans 1999, bis dahin ca. 37.000 Todesopfer) und vor allem mit der Verabschiedung der Reformgesetze seit 2002 deutlich verbessert, wie auch unabhängige Menschenrechtsorganisationen feststellen. Dies schließt erste Schritte bei der Gewährung kultureller Rechte ein, wie die Zulassung privater kurdischer Sprachkurse für Erwachsene (die

 

jedoch mangels Nachfrage wieder eingestellt wurden) und die eingeschränkte Genehmigung regionaler kurdischsprachiger Radio- und Fernsehsendungen. Ökonomisch sind zudem erste, wenn auch zaghafte Entwicklungsansätze zu verzeichnen.

 

Am 27.05.2008 stellte MP Erdogan in Diyarbakir einen Aktionsplan für den Südosten der Türkei vor, der bis 2012 Investitionen von 14,5 Mrd. YTL (ca. 12 Mrd. US-D) in die wirtschaftliche Entwicklung der Region vorsieht. Das Misstrauen zwischen den Vertretern des türkischen Staates im Südosten - Justiz, Zivilverwaltung, Polizei und Militär - und der überwiegend kurdischen Bevölkerung ist zwar immer noch vorhanden, hat sich in den letzten Jahren aber verringert.

 

Der Gebrauch des Kurdischen, d.h. der beiden in der Türkei vorwiegend gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmanci und Zaza, ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der öffentliche Gebrauch ist allerdings noch eingeschränkt und im Schriftverkehr mit Behörden nicht erlaubt. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an Schulen sind nach wie vor verboten.

 

Newroz-Feierlichkeiten:

 

Die Feiern zum kurdischen Neujahrsfest Newroz am 21. März 2009 sind mit Ausnahme kleinerer Auseinandersetzungen in Istanbul friedlich verlaufen. Es habe ein massives Aufgebot an Militär und Polizei gegeben. Im Jahr davor sei es jedoch zu Ausschreitungen zwischen Newroz-TeilnehmerInnen und Sicherheitskräften gekommen, im Zuge derer zwei Personen getötet und mehrere hundert verletzt worden seien. Dass Newroz-Feiern zunehmend gewalttätig enden, sei eine relativ neue Entwicklung, die damit zusammenhänge, dass die Feierlichkeiten von einigen TeilnehmerInnen zunehmend als Bühne für ihre Unterstützung der PKK verwendet würden. Nachdem die Feiern im Jahr 1995 unter dem türkischen Namen Nevruz offiziell erlaubt worden seien (wobei weiterhin Strafverfolgung für die Verwendung des kurdischen Namens Newroz drohe), seien sie während der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre zumeist friedlich verlaufen; Tötungen und Verhaftungen seien relativ selten vorgekommen. Zuvor, während der späten 1980er und frühen 1990er-Jahre, seien Newroz-Feiern mit der Begründung, sie würden kurdischen Separatismus fördern, gänzlich verboten gewesen und üblicherweise unter Gewaltanwendung von den Sicherheitskräften aufgelöst worden.

 

Grundversorgung

 

Die Türkei kennt bisher keine staatliche Sozialhilfe nach EU-Standard. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanismayi Tesvik Kanunu) und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Genel Müdürlügü Teskilat ve Görevleri Hakkinda Kanun) gewährt.

 

Die Sozialhilfeprogramme werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen

 

Stiftungen für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt und sind den Gouverneuren unterstellt. Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der Sozialsicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die durch eine kleine Unterstützung oder durch Gewährleistung einer Ausbildungsmöglichkeit gemeinnützig und produktiv werden können. Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung werden von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Hilfen für die Ausbildung (Schülerbedarfsartikel, Unterkunft), Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. In einem im Jahr 2008 begonnenen Projekt sollen erstmals Bedürftigkeitskriterien für die einzelnen Leistungsarten entwickelt werden. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt; in Einzelfällen entscheidet der Vorstand der Stiftung. In der Türkei existieren darüber hinaus weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfe-programme haben.

 

Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitsein-richtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standards entsprechen. Auch das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert. Am 1. Oktober 2008 trat das zweite Gesetz zur Sozialversicherungsreform (Gesetz Nr. 5510) in Kraft. Danach wird die gesetzliche Krankenversicherung auf alle Personengruppen ausgedehnt. Ziel ist die Sicherstellung einer einheitlichen gesund-heitlichen Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger, indem die gleichen Voraus-setzungen und Leistungsansprüche für Angestellte, Rentner und Selbständige herstellt und auch bislang unversicherte Mittellose, die allerdings noch in einer Übergangszeit von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Reformgesetzes über die so genannte "Grüne Karte", die zur kostenlosen medizinischen Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt (s.u. in diesem Abschnitt), einbezogen werden. Rückkehrer aus dem Ausland unterliegen dem gleichen Prüfungsverfahren hinsichtlich ihrer Mittellosigkeit wie im Inland lebende türkische Staatsangehörige.

 

Eine medizinische Versorgung sowie die Behandlungsmöglichkeit psychischer Erkrankungen ist grundsätzlich landesweit gegeben. In ländlichen Regionen müssen Patienten unter Umständen in Behandlungszentren größerer Städte überwiesen werden. Das Gesundheitswesen garantiert psychisch kranken Menschen umfassenden Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beratungsstellen.

 

Rückkehr

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern.

 

Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.

 

Dem Auswärtige Amt ist in jüngster Zeit kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylwerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Für Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, liegen keine Anhaltspunkte vor.

 

Zum Verbot der politischen Partei DTP vom 11.12.2009:

 

Zusammenfassung aus den Quellen APA vom 11.12.2209-14.12.2009:

 

Das türkische Verfassungsgericht hat mit Urteil vom 11.12.2009 die kurdische Partei für eine Demokratische Gesellschaft (DTP) verboten. Das Verbot der DTP wurde mit deren Nähe zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und damit begründet, dass sie als Zentrum separatistischer Aktivitäten gilt. Zwei der 21 DTP-Abgeordneten im Parlament in Ankara, darunter Parteichef Ahmet Türk, sowie 35 weitere DTP-Vertreter wurden darüber hinaus mit politischem Betätigungsverbot belegt. 19 DTP-Abgeordnete dürften hingegen ihre Mandate in der Volksvertretung in Ankara behalten.

 

Das Verbot könnte einen erneuten Rückschlag für die Türkei auf dem Weg in die Europäische Union bedeuten. So ist es nach dem Verbot der einzigen im türkischen Parlament vertretenen Kurdenpartei erneut zu Ausschreitungen gekommen.

 

Türkische Politiker haben die DTP immer wieder bezichtigt, sie sei der politische Arm der verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" PKK. "Als Organisation haben sie sich nicht ausreichend von Gewalt distanziert", sagte Gerichtspräsident Hasim Kilic in der Begründung des Urteils. "Eine Partei mit Verbindungen zum Terror muss verboten werden."

 

Nach Ansicht vieler Beobachter steckt im Verbotsurteil gegen die DTP eine indirekte Aufforderung des Verfassungsgerichts an die kurdischen Politiker, im Parlament zu bleiben. Die Anklage hatte die Entfernung von acht DTP-Politikern aus dem Parlament verlangt, doch das Gericht beließ es bei zwei Abgeordneten.

 

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte das Verbot gefordert, weil die DTP ihrer Ansicht nach als politischer Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fungiert. Die DTP ist seit 2007 mit 21 Abgeordneten im Parlament in Ankara vertreten und bildet dort die erste kurdische Fraktion der türkischen Geschichte. Sie macht sich für eine politische Lösung des Kurdenkonflikts stark, distanzierte sich aber nie eindeutig von der PKK. Dabei ist die DTP die vierte mit den Kurden verbundene Partei, die seit 1990 von türkischen Richtern "dichtgemacht" worden ist. In der Geschichte der Türkei ist es aber alles in allem bereits das 25. Mal, dass das Verfassungsgericht eine regulär von den Wählern getragene Partei ins Abseits stellt. Im Fall der DTP trifft es eine Partei, die bei den letzten Wahlen im März an Zustimmung noch gewonnen hat."

 

Gerichtspräsident Hasim Kilic verwies bei der Urteilsverkündung darauf, dass sich das Gericht unter anderem an der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg orientiert habe. (Das Gericht hatte im Sommer das Verbot der baskischen Partei Herri Batasuna wegen Unterstützung der Terrororganisation ETA bestätigt.) Die DTP hatte sich beharrlich geweigert, sich von der PKK eindeutig zu distanzieren.

 

Den Verbotsantrag hatte der türkische Chefankläger Abdurrahman Yalcinkaya vor fast genau zwei Jahren eingereicht. Er hatte der mit 21 Abgeordneten im türkischen Parlament vertretene DTP vorgeworfen, ihre Aktivitäten richteten sich gegen den türkischen Staat und die Einheit der Nation. Der Staatsanwalt hatte eine Auflösung der DTP und ein mehrjähriges Betätigungsverbot für insgesamt 221 DTP Politiker, darunter acht Parlamentarier, gefordert.

 

Die Zeit Online:

 

Nach Auffassung der Richter unterstütze die DTP Terrorismus und politische Gewalt. "Als Organisation haben sie sich nicht ausreichend von Gewalt distanziert", sagte Kilic. "Eine Partei mit Verbindungen zum Terror muss verboten werden." Auf Parteiveranstaltungen und im Parlament hätten DTP-Politiker dem Terror das Wort geredet und ihre politischen Rechte damit missbraucht. Immer wieder wurde die DTP bezichtigt, sie sei der politische Arm der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK.

 

In den vergangenen Monaten schien es, als wäre endlich Bewegung in den schon mehr als 25 Jahre dauernden Konflikt zwischen der Türkei und der PKK gekommen. Inzwischen werden kurdische Fachbereiche an mehreren türkischen Universitäten vorbereitet. Die kurdische Sprache soll im öffentlichen Leben erlaubt werden, auch mit zweisprachigen Ortsschildern.

 

derStandard.at:

 

Tatsächlich fiel das Verdikt der Richter am Freitagabend einstimmig aus, also auch der Teil der Richter, die eher der Regierung als der nationalistischen Opposition zuneigen, stimmte für das Verbot. Wesentlich dazu beigetragen hatte die PKK mit einem blutigen Anschlag nur zwei Tage vor der Urteilsverkündung, bei dem sie einen Militärtransporter angriff und sieben Wehrpflichtige erschoss. Hatten vor einer Woche noch etliche türkische Intellektuelle in einem Aufruf ein Verbot der DTP als völlig inakzeptabel bezeichnet, blieb es an diesem Wochenende auffällig still. Nirgendwo in Istanbul oder Ankara gab es Demonstrationen demokratisch gesinnter Bürger gegen das Parteiverbot. Stattdessen schlug die Stunde der Hardliner. Während kurdische Jugendliche ihren Frust mit Molotowcocktails auslebten, feierte die ultrarechte nationalistische MHP in Ankara das Verbot der DTP. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 14.12.2009)

 

FAZ.NET:

 

Das Verbot von (kurdischen) Parteien ist keine neue Entwicklung. In keinem Mitgliedstaat des Europarats wurden in den vergangenen Jahrzehnten so viele Parteien verboten oder mit einem Verbot bedroht wie in der Türkei. Seit den frühen sechziger Jahren hat es mehr als zwei Dutzend Parteien getroffen, allerdings keineswegs nur solche der kurdischen Minderheit, sondern auch islamistische oder als islamistisch geltende Kräfte, wie etwa die "Tugendpartei" des früheren Ministerpräsidenten Erbakan im Jahr 2001.

 

Verboten worden wäre beinahe auch die regierende "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP), deren Protagonisten um Ministerpräsident Erdogan aus dem moderaten Flügel der "Tugendpartei" gekommen waren. Das Verbot der AKP scheiterte knapp, weil sich nicht die nötige Mehrheit der Richter bereit fand, dem Antrag des Generalstaatsanwalts Abdurrahman Yalçinkaya zu folgen. Yalçinkaya war es auch, der im November 2007 das Verbot der DTP beantragte, mit dem er nun Erfolg hatte. Dass der eifrige Generalstaatsanwalt, Jahrgang 1950, selbst einer kurdischen Familie entstammt und dann als besonders türkischer Türke im Justizwesen Karriere machte, ist eine bemerkenswerte Fußnote zu dem Verbotsverfahren gegen die DTP.

 

Der Unterschied zwischen dem Vorgehen der Justiz gegen frühere politische Vereinigungen der Kurden und dem Verbot der DTP liegt in den veränderten politischen Rahmenbedingungen. Zwar hat die "demokratische Initiative" der AKP, die den Kurden mehr Rechte verleihen soll, seit diesem Sommer nur sehr langsam an Fahrt gewonnen, doch erste Entscheidungen sind gefallen. Das Verbot der DTP wurde daher auch als ein Versuch der Gegner dieses Prozesses gewertet, weitere Fortschritte bei der Integration der Kurden in den türkischen Staat zu torpedieren.

 

Die Gegner sind allerdings nicht nur in den Reihen der nationalistischen Oppositionsparteien CHP und MHP zu suchen, sondern auch bei der terroristischen "Arbeiterpartei Kurdistans" PKK und in der DTP selbst. Aus unterschiedlichen Gründen haben sich diese Kräfte zumindest rhetorisch zu einer denkwürdigen Koalition gegen die sogenannte "demokratische Initiative" zusammengeschlossen. Denn sie profitieren jeweils auf ihre Weise von einem Fortdauern des Konflikts. In dieses Bild passen mehrere Ereignisse der vergangenen Wochen. Am vergangenen Montag kam es in der Provinz Tokat nach längerer Pause wieder zu einem blutigen Anschlag auf einen Militärkonvoi. Sieben Soldaten kamen dabei ums Leben. Ein Vorfall solcher Art war seit langem erwartet worden, denn er ereignet sich seit Jahren zuverlässig in Phasen politischer Annäherung. Innenminister Atalay versprach denn auch, die Regierung werde sich davon nicht beirren lassen und ihren Kurs fortsetzen. Auch Türk und die DTP haben den Vorfall ausdrücklich bedauert und sich davon distanziert. Türk sprach von einer "Provokation", die es so schnell wie möglich aufzuklären gelte.

 

Zu exilpolitischen Aktivitäten bzw. Mitgliedschaft in kurdischen Vereinen und Organisationen von türkischen Staatsangehörigen

 

Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender

 

Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden

 

und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. (Anm.: im Wesentlichen diesbezüglich kontinuierliche Berichtslage des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage und ständige Rechtsprechung und Abschiebepraxis in der BRD [Quellensichtungszeitraum 24.7.2001 bis 24.9.2008]).

 

Es liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor, dass türkische Staatsangehörige, die sich in der BRD exilpolitisch betätigt haben, bei ihrer Rückkehr in die Türkei alleine wegen dieser Betätigung Verfolgungsmaßnahmen erlitten haben (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 11.9.2008; amnesty international, Asylgutachten vom 17.12.2004).

 

Dem deutschen Auswärtigen Amt ist in jüngerer Zeit kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Für Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, liegen keine Anhaltspunkte vor (Anm.: den Berichten nach überprüft das deutsche Auswärtige Amt in der Türkei im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten stets erhobene und ihr bekannt gewordene Vorwürfe von Misshandlung oder Folter von aus der BRD in die Türkei abgeschobener Personen [vor allem abgelehnte Asylbewerber]).

 

Es ist nicht davon auszugehen, dass türkische Staatsangehörige mit kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit wegen ihrer Mitgliedschaft und Teilnahme an Vereinsaktivitäten in Österreich bei einem kurdischen Verein im Falle der Rückkehr in die Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung oder refoulementrelevanten Gefahr ausgesetzt wären. Dies trifft grds. auch dann zu, wenn sie in Österreich an Demonstrationen teilnehmen und dabei kurdische Belange vertreten. Es kann aber auch nicht generell gesagt werden, dass führende Funktionäre, zB Obmann, von kurdischen Vereinen wegen dieser Funktion, und sei es auch als Veranstalter von Demonstrationen bzw. öffentlichen Versammlungen, zwecks Eintritt für kurdische Interessen, im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asyl- oder refoulementrelevanten Gefährdung ausgesetzt wären. Viele dieser in Österreich aktiven kurdischen Mitglieder, darunter auch führende Funktionäre der Vereine, besuchen regelmäßig ihren Herkunftsstaat Türkei um Verwandte zu besuchen oder dort den Urlaub zu verbringen (Zeugenschaftliche Aussage d. ehem. Vereinsobmannes v. Kurdischen Volkshaus in Innsbruck v. 04.02.2009, Zl. E1 227.129-0/2008-29Z, mit urkundlichem Nachweis von getätigten Reisen in die Türkei; zeugenschaftliche Aussage der Vereinsobfrau des "Mesopotamia-Anatolischer Kulturverein Linz" vom 26.11.2008, Zl. 231.779 ua.; zeugenschaftliche Aussage des stv. Obmannes von der Anatolischen Kulturföderation in Wien am 09.12.2008, Zl. E7 226.138-6/2008-17Z).

 

Laut Sedef Dearing stellt die Mitgliedschaft oder das Engagement in Österreich in einem kurdischen Verein in der Türkei keinen strafrechtlich relevanten Sachverhalt dar. Ebenso existieren in der Türkei Vereine mit ähnlichem Vereinszweck wie jene in Österreich. Die Vereinsmitglieder haben in der Türkei wegen der Mitgliedschaft in diesen Vereinen keine Probleme bzw. wird ihnen deswegen kein Naheverhältnis zur PKK unterstellt.

 

Es liegen keine Erkenntnisse über Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Österreich vor (Anfragebeantwortung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismus-bekämpfung [BVT] vom 24.9.2008).

 

In einem Arbeitsgespräch mit einem Mitarbeiter des LVT OÖ im Dezember 2008 teilte dieser dem AsylGH mit, dass die LVTs die Aktivitäten der kurdischen Vereine beobachten. Sollten hierbei statutenwidrige Aktivitäten festgestellt werden, wird dies unverzüglich der Vereinsbehörde mitgeteilt.

 

3. Beweiswürdigung:

 

3.1 Die Feststellungen zur Person des BF, zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit und Herkunft, seinen Familienverhältnissen beruhen auf den im Verfahren vorgelegten Dokumenten, der Einvernahme vor dem Bundesasylamt sowie auf seinen diesbezüglich im Wesentlichen gleich lautenden und als glaubwürdig zu erachtenden Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Einklang mit dem Akteninhalt.

 

Die Feststellungen zu seinem früheren Aufenthalt in Deutschland und der rechtkräftigen Verurteilung durch ein deutsches Strafgericht ergeben sich aus der Mitteilung des Schengener Informationssystems. Der BF äußerte sich vor dem Bundesasylamt zu der rechtskräftigen Verurteilung vorerst nicht, indem er ausdrücklich erklärte, in keinem EU-Land vorbestraft zu sein. Erst nach neuerlicher Nachfrage und konkretem Vorhalt der Verurteilung, räumte er diese ein.

 

3.2. Der BF ist in seinem Asylvorbringen persönlich nicht glaubwürdig. Soweit er sich zur Begründung seiner (neuerlichen) Ausreise aus der Türkei darauf stützt, durch seinen Aufenthalt in Deutschland insofern in das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten zu sein als diese vermuteten, er habe in Deutschland eine Ausbildung genossen, um nach seiner Rückkehr selbst in der Türkei Leute für separatistische und/oder terroristische Aktivitäten anzuwerben oder auszubilden, ist ihm nicht Glauben zu schenken. Nach der Darstellung des BF habe er sich von Beginn seiner Rückkehr im Jahr 1999 bis zu seiner neuerlichen Ausreise im Oktober 2001 - somit in einem Zeitraum von über 2 Jahren (!) - regelmäßig einmal in der Woche beim Stützpunkt der Sicherheitskräfte in C. melden müssen. Dabei sei er mehrmals für 3 Tage festgehalten, geschlagen und beleidigt worden. Andererseits soll es ihm in dieser Zeit dennoch möglich gewesen sein, sich politisch zu betätigen, indem er in der Parteizentrale der HADEP in C. mitgearbeitet und sogar versucht haben soll, eine eigene Teilorganisation der Partei in seinem Heimatdorf zu gründen. Abgesehen davon, dass der BF bei der Beschreibung dieser Tätigkeiten sehr oberflächlich und widersprüchlich blieb, kann der erkennende Senat nicht nachvollziehen, dass sich jemand wie der BF, der - wie er angibt - wegen vermuteter oppositionspolitischer Aktivitäten unter strengster und dauernder Beobachtung staatlicher Organe stand, über einen derart langen Zeitraum immer wieder - und teilweise sogar offen - politisch betätigen konnte. Hätte er doch im Fall des Betretens - wenn man die Richtigkeit der Behauptung unterstellt, die türkischen Sicherheitskräfte vermuteten bei ihm eine Art Rekrutierungstätigkeit (Ausbildner) für Separatismus und Terrorismus - mit gravierenden strafgerichtlichen Maßnahmen in Form der Einleitung eines förmlichen Verfahrens und nicht bloß mit kurzfristigen Festnahmen und Befragungen zu rechnen. Dennoch hätten nach seiner Ausage aber die Sicherheitskräfte darauf mit wenig gravierenden - wenn auch ungesetzlichen - Maßnahmen reagiert. Stellt man diesen Teil des Vorbringens in den Konnex des zu der gegebenen Zeit intensiven und sicher weitreichenden Kampfes des türkischen Staates gegen Separatismus und Terrorismus und geht man in Unterstellung der Richtigkeit des Vorbringens davon aus, dass die Familie des BF mit Argwohn seitens der Sicherheitsorgane betrachtet wurde, würde wohl das kleinste Vergehen gegen die einschlägigen Vorschriften zu schwereren Verfolgungsmaßnahmen seitens des türkischen Staates führen, worunter mit Sicherheit auch förmliche Verfahren zu verstehen sind und nicht (nur) zu solchen, wie die geschilderten. Immerhin wurde auch gegen den Cousin des BF ein gerichtliches Strafverfahren geführt, dass mit einer schweren Freiheitsstrafe endete. Dieses Verfahren wird seitens des Asylgerichtshofes nicht in Abrede gestellt, zumal ein insoweit unbedenkliches Dokument vorgelegt wurde, das auf ein solches, tatsächlich stattgehabtes Gerichtsverfahrens hinweist.

 

Dadurch wird aber keineswegs glaubhaft gemacht, dass der BF in dieses Verfahren involviert war. Zunächst hat der BF den zu Grunde liegenden Sachverhalt in gesteigerter Form dargestellt. So sprach er bei der Vernehmung vor dem Bundesasylamt von einem Feuer, dass am 15.08.2001 auf einem Berg verbotener Weise zum Jahrestag des Beginns des bewaffneten Kampfes der PKK gegen den türkischen Staat angezündet worden wäre, wofür drei Leute, darunter der BF - verantwortlich gemacht worden wären. In der ergänzenden Vernehmung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat 17.06.2005 erweiterte er diesen Sachverhalt mit der Darstellung, dass im Dorf ein großes Feuer gemacht worden war und jemand in das Schulgebäude eingebrochen sei, wo man u. a. eine Statue von Atatürk beschädigt und den Text der Nationalhymne von der Wand gerissen habe.

 

Der BF hat es bis dato konsequent unterlassen, weitere gerichtliche Unterlagen, wie insbesondere das Gerichtsurteil betreffend seinen Cousin oder eine Abschrift der Verhandlungsschrift von diesem Verfahren zu beschaffen, was ihm aber unter Bedachtnahme auf den (angeblich) von den Sicherheitskräften gegen ihn erhobenen Verdacht leicht möglich sein müsste, zumal sich aus den angeführten Unterlagen der Hinweis auf eine allfällige Mittäterschaft des BF - sofern sie vom Gericht tatsächlich in Betracht gezogen wurde - mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben hätte. Die vom Cousin abgegebene schriftliche Erklärung, der BF werde als Mittäter verdächtigt, ist in Anbetracht der beschriebenen Beweislage nicht ausreichend, den Gerichtshof von der Richtigkeit der Behauptung zu überzeugen und als bloße Gefälligkeit "unter Verwandten" zu sehen.

 

Was die vom BF vorgelegte Bestätigung des Dorfvorstehers betrifft, ist ebenfalls davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine bloße Gefälligkeitsbestätigung handelt. Zum einen haben sowohl die Erhebungen des Asylgerichtshofes über einen Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft als auch die Erhebungen des Bundesasylamtes/Staatendokumentation im Asylverfahren des nachgereisten Bruders des BF, M.P. (sh. dazu das Beschwerdeverfahren GZ E2 413.189), die Behauptung des BF, er werde von den Heimatbehörden gesucht, nicht bestätigt. Zum anderen werden von Dorfvorstehern häufig Gefälligkeitsbestätigungen ausgestellt (nach Berichten des Auswärtigen Amtes vom 27.07.2006 und vom 11.01.2007 haben sich ca. 30% der vorgelegten Bestätigungen als Gefälligkeitsbestätigungen oder gefälschte Bestätigungen erwiesen). Insofern würde es untunlich erscheinen, ginge der Asylgerichtshof von einer überzeugenden Beweiskraft solcher Bestätigungsschreiben aus, wenn es einem BF in zweifelhaften Verfahrenskonstellationen zumutbar ist, wesentlich stärkere Bescheinigungsmittel zur Untermauerung seines Vorbringens zu beschaffen und vorzulegen, zumal es auch im antragsbedürftigen Asylverfahren keineswegs zu einer Umkehr der Beweislast kommt und der Antragsteller grundsätzlich verpflichtet ist, im Verfahren mitzuwirken. Im gegenständlichen Fall hat sich keine Veranlassung ergeben, von der Mitwirkungspflicht des BF zu Lasten einer weiteren amtswegigen Ermittlungspflicht, der sowohl der Asylgerichtshof als auch das Bundesasylamt ohnedies durch die Veranlassung eigener Erhebungen vor Ort nachgekommen ist, Abstand zu nehmen. Vor allem ist kein Umstand hervorgekommen, der es ihm unmöglich machen würde oder nicht zumutbar erscheinen ließe, allenfalls durch eine von ihm bzw. von seinem verurteilten Cousin bevollmächtigte Person Gerichtsunterlagen, die ihn selbst betreffen, zu beschaffen.

 

Mit der bloßen Behauptung, die Erhebungen des Vertrauensanwaltes der österreichischen Botschaft in Ankara oder des Verbindungsattachés des Bundesministeriums für Inneres seien nicht nachvollziehbar, ist der BF den diesbezüglichen Feststellungen nicht substantiiert entgegen getreten. Die Österreichische Botschaft wurde beauftragt - nachdem der BF einer solchen Erhebung zugestimmt hatte - über einen Vertrauensanwalt zu recherchieren, ob der BF in der Türkei zu einer überörtlichen Fahndung ausgeschrieben und/oder er in der Türkei verurteilt worden sei. Der Vertrauensanwalt teilte daraufhin mit, dass es ohne Kenntnis der Identifikationsnummer nicht möglich sei, eine solche Überprüfung anzustellen. Schließlich wurde in einem ergänzenden Erhebungsersuchen die Identifikationsnummer des BF übermittelt. Der Vertrauensanwalt berichtete daraufhin, dass keine Akten über den BF in der Türkei festgestellt werden konnten. Für den erkennenden Senat ergibt sich daraus eindeutig, dass der Vertrauensanwalt mit der Identifikationsnummer die erforderliche Überprüfung durchführen konnte und der BF in der Türkei eben nicht zu einer Fahndung ausgeschrieben ist. Inwieweit diese Erhebung nicht nachvollziehbar sein soll, hat der BF nicht dargestellt.

 

Aus den vom BF vorgelegten Bescheinigungsmitteln ergibt sich überdies auch ein inhaltlicher Widerspruch: Der BF spricht stets davon, dass es bezüglich des Vorfalles vom 15.08.2001 3 Verdächtige gibt, während sein Cousin in seinem Bestätigungsschreiben von lediglich 2 Verdächtigen spricht.

 

Insoweit der BF das Schreiben seiner Schwester zur Bekräftigung seiner Gefährdung vorlegen möchte (OZ 31), das eine Anzeige der Schwester des BF an die Generalstaatsanwaltschaft in C. gegen Polizeibeamte wegen Bedrohung der Schwester mit dem Tod sowie eine bestätigende Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft, dass diese Anzeige eingebracht wurde, zum Inhalt hat kommt der erkennende Senat in der Bewertung dieses Bescheinigungsmittels zu der Überzeugung: Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Mitglieder der Familie durchaus öfters von staatlichen Organen befragt werden, gibt es doch Anhaltspunkte dafür, dass die Guerilla in der Region immer wieder aktiv ist. Diese Befragung führt aber noch nicht zu dem Schluss, dass asylrelevante Verfolgungshandlungen gegen die befragten Familienmitglieder gesetzt wurden. Es erscheint auch durchaus plausibel, dass nach dem Bruder des BF, R., gefragt wurde, hat sich dieser doch dem Wehrdienst entzogen. Das Schreiben an sich beinhaltet keinerlei Hinweise auf gegen den BF beabsichtigte Verfolgungshandlungen. Dieses ist somit nicht im Zusammenhang mit der Verfolgungsbehauptung des BF zu bringen.

 

Somit geht der Asylgerichtshof in der Gesamtbeurteilung des Vorbringens davon aus, dass es nicht den Tatsachen entspricht.

 

3.3. Die Feststellungen zur Situation in der Türkei gründen sich auf den in der mündlichen Verhandlung am 04.05.2010 dargelegten aktuellen Länderdokumenten, denen der BF auch nicht substantiiert entgegentrat. Es ist allgemein zu den Feststellungen auszuführen, dass es sich bei den herangezogenen Quellen zum Teil um staatliche bzw. staatsnahe Institutionen handelt, die zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet sind. Insofern zum Entscheidungszeitpunkt bereits wieder neuere Länderberichte zur Republik Türkei vorhanden sind, ergeben sich daraus für den Fall des BF keine Änderungen, die für eine Gefährdung des BF sprechen würden.

 

4. Rechtliche Beurteilung:

 

4.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I 135/2009 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

Gemäß § 23 Absatz 1 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

4.2. Gemäß § 75 Abs 1 AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 mit der Maßgabe zu Ende zu führen, dass in Verfahren, die nach dem 31. März 2009 beim Bundesasylamt anhängig sind oder werden, § 10 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass eine Abweisung des Asylantrages, wenn unter einem festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist, oder eine Zurückweisung des Asylantrages als Entscheidung nach dem Asylgesetz 2005 gilt. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes (AsylG 2005) sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2009 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs 5 und 6 ist auf diese V

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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