TE Vfgh Beschluss 2011/5/2 G67/10

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Veröffentlicht am 02.05.2011
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Niederlassungs- und AufenthaltsG (NAG) §24 Abs1

Leitsatz

Individualantrag auf Aufhebung einer Regelung des Niederlassungs- undAufenthaltsgesetzes betreffend die bloß einmalige Ausstellung einerBestätigung über die rechtzeitige Stellung eines Antrags aufVerlängerung der Aufenthaltsbewilligung ("Notvignette") unzulässig;Zumutbarkeit des Verwaltungsrechtsweges

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.1. Die Antragstellerin, eine Staatsangehörige Georgiens, hält sich seit dem Jahr 2003 in Österreich auf und studiert ihren Angaben zufolge seit dem Jahr 2006 an der Universität Wien Romanistik und Spanisch. Anlässlich des Verfahrens zur Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung für Studierende im März 2007 kam es zu Erhebungen im Rahmen der Kontrolle illegaler Arbeitnehmerbeschäftigung, worauf gegen sie im März 2008 ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot wegen Schwarzarbeit erlassen wurde. Über die gegen diesen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien erhobene Berufung hat die Sicherheitsdirektion Wien bisher nicht entschieden; ein diesbezüglicher Devolutionsantrag der Antragstellerin wurde mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres im März 2009 mit der Begründung abgewiesen, das gegen den mutmaßlichen Arbeitgeber geführte Strafverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Die Sicherheitsdirektion Wien sei berechtigt, das Verfahren bis zur Entscheidung dieser Vorfrage auszusetzen. Gegen diesen Bescheid der Bundesministerin für Inneres erhob die Antragstellerin eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Erkenntnis vom 12. Oktober 2010 stattgegeben wurde. Der Verwaltungsgerichtshof sprach aus, dass die rechtskräftige Bestrafung einer Person nach dem AuslBG wegen Beschäftigung eines Fremden entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes keine Bindung in einem gegen diesen Fremden geführten aufenthaltsbeendenden Verfahren bewirkt, weil eine solche rechtskräftige Bestrafung keine Vorfrage für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß §36 Abs2 Z8 FrG 1997 darstellt, und hob den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Gegen den im fortgesetzten Verfahren ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres erhob die Antragstellerin am 25. März 2011 neuerlich Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

1.2. Das Verfahren zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung für Studierende ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ausgesetzt.

1.3. Gemäß §24 Abs1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I 100/2005, wurde der Antragstellerin im August 2007 eine drei Monate gültige Bestätigung über die rechtzeitige Stellung ihres Verlängerungsantrages ausgestellt. Diese Bestätigung berechtigt zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet. Zwei weitere - nach dem Antragsvorbringen "mündlich gestellte" - Anträge blieben unbehandelt, weil eine solche Bestätigung gemäß §24 Abs1 NAG nur "einmalig" ausgestellt werden dürfe.

2. Gestützt auf Art140 B-VG begehrt die Antragstellerin, "im §24 Abs1 4. Satz NAG idF BGBl. I 122/2009 das Wort 'einmalige'" als verfassungswidrig aufzuheben und ihr die Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

2.1. Die Antragstellerin begründet ihre unmittelbare Betroffenheit damit, dass ihr bereits einmal eine Notvignette ausgestellt worden sei und daher keine weitere ausgestellt werden dürfe, was dazu führe, dass sie im Falle einer Ausreise nicht mehr nach Österreich zurückkehren könne. Dadurch sei sie gehindert, ihre Familie in Georgien zu besuchen und ihr Studium in ausreichendem Umfang zu betreiben bzw. abzuschließen, zumal ihr damit auch die Möglichkeit regelmäßiger rechtmäßiger Aufenthalte in Italien bzw. Spanien fehle. Ihr stehe auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, weil sie schon zweimal mit einem weiteren Notvignettenantrag gescheitert sei und sich ein weiteres Mal zurückweisen zu lassen "unzumutbar erscheine".

2.2. Ihre Bedenken gegen die angefochtene Gesetzesbestimmung gehen dahin, der Gesetzgeber habe offenkundig nicht vorhergesehen, dass Verlängerungsverfahren mehrere Jahre dauern könnten und dass sogenannte Verlängerungswerber nach erfolgter Ausstellung der nur für drei Monate gültigen Notvignette de facto im Bundesgebiet "eingesperrt" seien.

3. Die Bundesregierung erachtet den Antrag als nicht zulässig. Der Antragstellerin stehe ein zumutbarer Weg zur Verfügung, eine amtswegige Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof anzuregen, weil die Antragstellerin eine "formale Erledigung" ihrer weiteren Anträge auf Ausstellung einer Notvignette bewirken hätte können. Sie weist daraufhin, dass sich die verfahrensrechtliche Sondernorm des §19 NAG nur auf Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln und Ausstellung von Dokumentationen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechtes beziehe und Anträge auf Ausstellung einer "Notvignette" nicht umfasse. Einer persönlichen Antragstellung bedürfe es daher in diesen Fällen nicht. Die von der Antragstellerin zur Begründung der Unzumutbarkeit eines anderes Weges zur Normenkontrolle herangezogene Gesetzesbestimmung des §25 Abs1 letzter Satz NAG betreffe nur das Verfahren zur Erteilung des Aufenthaltstitels und sei daher im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

3.1. Gegen eine negative Entscheidung über ihren Antrag auf Ausstellung einer weiteren Notvignette stehe der Antragstellerin die Berufungsmöglichkeit an den Bundesminister für Inneres und im Falle einer den erstinstanzlichen Bescheid bestätigenden Entscheidung eine Beschwerdemöglichkeit an den Verwaltungsgerichtshof bzw. den Verfassungsgerichtshof offen. Sollte nach Ansicht der Antragstellerin das Amt der Wiener Landesregierung einen mündlichen Bescheid verkündet haben, hätte sie die schriftliche Ausfertigung beantragen und dagegen ein Rechtsmittel ergreifen können.

3.2. Darüber hinaus sei der Antrag aber auch zurückzuweisen, weil die Antragstellerin nicht dargelegt habe, welcher verfassungsrechtlichen Bestimmung das angefochtene Wort "einmalige" widerspreche.

II. Rechtslage

§24 Abs1 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG), BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 122/2009, lautet (das angefochtene Wort ist in Fettdruck hervorgehoben):

"Verlängerungsanträge (§2 Abs1 Z11) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; §23 gilt. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln."

III. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

Ein solcher zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normprüfungsverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen. Wie der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit nach Art139 und 140 B-VG gestellten Individualanträgen mehrfach ausgeführt hat, ist der Partei in einem solchen Fall nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände das Recht zur Einbringung eines Verordnungs- oder Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 8890/1980, 10.251/1984, 11.344/1987, 11.823/1988).

2. Nachdem der Antragstellerin beim Amt der Wiener Landesregierung (MA 35) auf Grund mündlicher Antragstellung vom 28. August 2007 eine Bestätigung über die rechtzeitige Stellung ihres Verlängerungsantrages ("Notvignette") ausgestellt worden war, stellte sie - wie sie im Antrag vorbringt - am 25. Juni 2009 und am 14. Juni 2010 weitere "Notvignettenanträge", welche "die MA 35 gar nicht erst entgegengenommen" habe. Geht man von der im Antrag vertretenen Auffassung aus, die Zurückweisung ihrer beiden Anträge stelle die Erlassung mündlicher Bescheide dar, kommt der Antragstellerin schon deshalb keine Antragslegitimation zu, weil sie darüber eine schriftliche Ausfertigung verlangen und Rechtsmittel ergreifen hätte können. Die Antragstellerin hat nach wie vor die Möglichkeit, schriftlich einen weiteren Antrag auf Ausstellung einer Bestätigung nach §24 Abs1 NAG zu stellen und gegen die in Erledigung dieses Antrages ergangene schriftliche Entscheidung ein Rechtsmittel zu ergreifen. Damit steht ihr ein zumutbarer Weg zur Verfügung, in einem Verfahren die Verfassungswidrigkeit der von ihr angefochtenen Gesetzesbestimmung geltend zu machen.

IV. Ergebnis

Da der Antragstellerin die Legitimation zur Stellung eines Individualantrages fehlt, ist ihr Antrag schon aus diesem Grund gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

Schlagworte

Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht, VfGH / Individualantrag, Bescheidmündlicher

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2011:G67.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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