TE Vfgh Erkenntnis 2011/5/2 U2559/10

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Veröffentlicht am 02.05.2011
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §60, §67

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinanderdurch Abweisung eines Asylantrages und Ausweisung mangels einesordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens bzw mangels eigener Begründungim Urteil des Asylgerichtshofes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer, eine Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 26. Mai 2004 einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Juni 2003 (richtig wohl: 2004) gemäß §7 Asylgesetz 1997 (AsylG 1997) ab; gleichzeitig wurde gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung festgestellt und gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 die Ausweisung nach Nigeria verfügt.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 23. September 2010 gemäß §§7 und 8 Abs1 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen. Gemäß §10 Abs1 Z2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

1.2. In der Begründung der Entscheidung des Asylgerichtshofes wird einleitend der Verfahrensablauf dargestellt und zur Beweiswürdigung hinsichtlich des Fluchtvorbringens Folgendes ausgeführt:

"Der Asylwerber brachte - zu seinen Fluchtgründen befragt - im Wesentlichen vor, es sei im Mai 2004 in seinem Heimatdorf 'Wasse' in Plateau State zu Kämpfen zwischen Muslimen und Christen gekommen, wobei er - als Christ - auch in diese Kämpfe involviert gewesen sei. Als in weiterer Folge auch sein Elternhaus niedergebrannt worden sei, habe er die Flucht angetreten.

Der Asylwerber konnte sein Nationale mit keinem nigerianischen Lichtbildausweis belegen. Er war im Übrigen nicht einmal in der Lage, ein nigerianisches Dokument, das auf sein Nationale ausgestellt ist, hg. vorzuweisen.

Das vom Asylwerber erstattete Vorbringen ist jedoch mit mangelnder Glaubwürdigkeit behaftet. So wird die Glaubwürdigkeit des Asylwerbers dadurch schwerstens erschüttert, dass ihm jeglicher tiefere Bezug zu seinen im Verfahren vorgebrachten persönlichen Verhältnissen fehlt. Der Asylwerber führte nämlich im Rahmen der vor dem Asylgerichtshof vorgenommenen Verhandlung aus, dass er in 'Benin City in Edo State' geboren worden sei (vgl. S. 3 der Verhandlungsschrift), wogegen er vor dem Bundesasylamt zu Protokoll gab, dass 'Wasse' sein Geburtsort sei (vgl. S. 41 des Verwaltungsaktes des Bundesasylamtes). Vor dem Bundesasylamt erklärte er weiters, dass er der Volksgruppe der Haussa angehöre (vgl. ebenfalls S. 41 des Verwaltungaktes des Bundesasylamtes) und seine Muttersprache 'Haussa' sei (vgl. S. 43 des Verwaltungsaktes des Bundesasylamtes). Vor dem Asylgerichtshof gab er jedoch nunmehr diesbezüglich an, dass er den 'Benin' angehöre (vgl. S. 3 der Verhandlungsschrift) und seine Muttersprache 'Benin' sei (vgl. S. 6 der Verhandlungsschrift). Die völlige Bezugslosigkeit des Beschwerdeführers zu seinem Vorbringen wird noch dadurch verstärkt, dass er anlässlich der Antragstellung 'Jukun' als seine Volksgruppe anführte (vgl. S. 3 des Verwaltungsaktes des Bundesasylamtes). Weiters fällt auf, dass der Beschwerdeführer auf die in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof vorgenommene Aufforderung, seine Fluchtgeschichte ohne Unterbrechung möglichst detailliert vorzutragen, ein Vorbringen erstattete, das zu seinem Fluchtgrund bloß sechs Zeilen in der diesbezüglichen Niederschrift einnimmt (vgl. S. 4 der Verhandlungsschrift). Auch dies zeigt deutlich, dass sein Vorbringen nicht aus eigenem Erleben geschöpft und bloß eine konstruierte Fluchtgeschichte präsentiert wurde. Abrundend wird noch darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer vor dem Asylgerichtshof erklärte, dass er trotz eines fünf Jahre währenden Schulbesuchs des Schreibens und des Lesens nicht mächtig sei (vgl. S. 2 und 3 der Verhandlungsschrift), wodurch sein Vorbringen auch nicht an Glaubwürdigkeit gewinnen konnte.

Aus der Gesamtschau der obigen Ausführungen ergibt sich, dass das Vorbringen des Asylwerbers hinsichtlich seiner Fluchtgründe somit als unglaubwürdig zu bewerten ist."

1.3. Die rechtlichen Erwägungen des Asylgerichtshofes dazu lauten wie folgt:

"Gemäß §1 Z4 AsylG 1997 ist der Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

Gemäß §7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art1 Abschnitt A Z2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, iVm Art1 Abs2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974[,] ist Flüchtling, wer sich (infolge von vor dem 1. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen/diese Worte in Art1 Abschnitt A Z2 der Konvention sind gemäß Art1 Abs2 des oben genannten Protokolls als nicht enthalten anzusehen) aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich (infolge obiger Umstände/ diese Worte in Art1 Abschnitt A Z2 der Konvention sind ebenfalls gemäß Art1 Abs2 des oben genannten Protokolls als nicht enthalten anzusehen) außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die 'begründete Furcht vor Verfolgung'. Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiverweise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine 'Verfolgungsgefahr', wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorherigen Aufenthalts zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende bzw. pro futuro zu erwartende Verfolgungsgefahr dar.

Rechtlich folgt aus dem Umstand, dass dem Vorbringen des Asylwerbers zu seinen Fluchtgründen die Glaubwürdigkeit versagt werden musste, dass ihm kein Asyl zu gewähren ist."

2. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie gemäß Art3 und 6 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

3. Der belangte Asylgerichtshof hat die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie seine Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen, auf die Begründung im angefochtenen Erkenntnis verwiesen und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen \bereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie VfGH 7.11.2008, U67/08).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen:

Gemäß §23 Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG, BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008, sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof u.a. die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach §60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Hinsichtlich der Anwendung des §60 AVG im Asylverfahren hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen (VfSlg. 18.614/2008 und 18.632/2008), dass die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen, auf Entscheidungen des Asylgerichtshofes, wegen der Einrichtung des Asylgerichtshofes als Gericht, welches keiner Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt, nicht übertragbar ist. Wenn sich aus der Entscheidung des Asylgerichtshofes nicht der Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung entnehmen lassen, sondern sich diese erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung des Bescheides ergibt, widerspricht dies sowohl den Anforderungen des §60 AVG als auch rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006).

In der angefochtenen Entscheidung hat der belangte Asylgerichtshof nicht selbst den Anforderungen des §60 AVG entsprochen: Aus der angefochtenen Entscheidung des Asylgerichtshofes selbst ist nicht erkennbar, warum das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Fluchtgrundes nicht glaubhaft sei. Der Asylgerichtshof setzt sich zwar beweiswürdigend mit Einzelaspekten der Angaben des Beschwerdeführers auseinander, doch lassen sich aus den beweiswürdigenden Ausführungen zur Herkunft des Beschwerdeführers nur lückenhafte Schlüsse auf den Fluchtsachverhalt und die vom Asylgerichtshof angenommene Unglaubwürdigkeit ziehen. Mit dem konkreten Fluchtgrund - nämlich der Auseinandersetzung zwischen Moslems und Christen - setzt sich der Asylgerichtshof im Kern nur insoweit auseinander, als er feststellt, dass dieser "bloß sechs Zeilen in der diesbezüglichen Niederschrift einnimmt". Damit entspricht der Asylgerichtshof dem oben erwähnten Erfordernis nicht.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Damit hat der Asylgerichtshof gegen das Willkürverbot des Gebots der Gleichbehandlung von Fremden untereinander verstoßen und das rechtsstaatliche Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen verletzt.

Die angefochtene Entscheidung war daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2011:U2559.2010

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2011
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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