TE Vfgh Erkenntnis 2011/5/2 U383/11 ua

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Veröffentlicht am 02.05.2011
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durchdie verfügte Ausweisung der beiden Beschwerdeführer angesichtsmöglicher Trennung von ihrer auf Grund der Stellung einesAsylerstreckungsantrags nicht ausgewiesenen Ehefrau bzw Mutter

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidung wird im Umfang der gemäß §10 Asylgesetz 2005 erfolgten Ausweisungen aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.080,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige von Armenien, stellten am 23. Dezember 2001 einen Asylantrag. Der Erstbeschwerdeführer ist der Vater der (volljährigen) Zweitbeschwerdeführerin. Gemeinsam mit den Beschwerdeführern reiste außerdem die Ehefrau des Erstbeschwerdeführers bzw. Mutter der Zweitbeschwerdeführerin ein, die einen Asylerstreckungsantrag stellte. Das Bundesasylamt wies die Anträge der beiden Beschwerdeführer (nach zwei vorangehenden Behebungen durch den Unabhängigen Bundesasylsenat) mit Bescheiden vom 22. März 2007 gemäß §7 Asylgesetz 1997 (AsylG 1997), BGBl. I 76 idF BGBl. I 126/2002, ab; gleichzeitig wurde gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung festgestellt und gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 die Ausweisung der Beschwerdeführer nach Armenien verfügt. Der Asylerstreckungsantrag der Ehefrau des Erstbeschwerdeführers bzw. der Mutter der Zweitbeschwerdeführerin wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 11. September 2003 abgewiesen.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 4. Jänner 2011 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 6. Dezember 2010 gemäß §§7 und 8 Abs1 AsylG 1997 und §§10 Abs1 Z2 und 75 Abs8 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I 100 idF BGBl. I 135/2009, bzw. hinsichtlich des Asylerstreckungsantrages der Ehefrau bzw. Mutter gemäß §10 iVm §11 AsylG 1997 abgewiesen.

2. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen - ausdrücklich nur die Ausweisung gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 bekämpfenden - Beschwerde wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Ausweisungsaussprüche beantragt. Die Beschwerdeführer bringen im Wesentlichen Folgendes vor:

"Dem belangten Gerichtshof war bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ganz offensichtlich bewu[ss]t, da[ss] damit lediglich die Beschwerdeführer ausgewiesen werden, nicht aber auch deren Ehefrau bzw. Mutter. Dies ergibt sich einerseits aus der

... Überschrift '... Ausweisung des Erstbeschwerdeführers und der

[Zweit]beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat'. Andererseits wird über die Ehefrau bzw. Mutter der Beschwerdeführer in der gesamten folgenden Begründung auch kein Wort verloren - mit Ausnahme der Erwähnung ..., da[ss] '[d]ie BF [...] die im Spruch bezeichneten Verwandten im Bundesgebiet [haben]', womit nur die Ehefrau bzw. Mutter gemeint sein kann. Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben durch die Ausweisung wird allerdings offenbar alleine darin gesehen, da[ss] damit dem Wunsch der Familie, 'ihr künftiges Leben in Österreich zu gestalten', konterkariert wird.

Damit spart der belangte Gerichtshof jedoch eine wesentliche Rechtsfolge der hier bekämpften Ausweisungsaussprüche geflissentlich aus, nämlich die mögliche Trennung der Beschwerdeführer von ihrer Ehefrau bzw. Mutter als Folge der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit, wohingegen bezüglich der Ehefrau bzw. Mutter, deren Asylerstreckungsverfahren noch nach der Stammfassung des AsylG 1997 zu führen war, die abschlägige Asylentscheidung nicht mit einer Ausweisung verbunden werden konnte und auch noch gar kein Ausweisungsverfahren eingeleitet war (geschweige denn bis dato eingeleitet wurde).

Soweit der belangte Gerichtshof implizit davon ausgehen sollte, da[ss] die Ehefrau bzw. Mutter der Beschwerdeführer genauso 'ausweisungsfällig' sei wie seiner Meinung nach die Beschwerdeführer selbst, fallen derartige Abwägungen im gegenständlichen Anla[ss]fall überhaupt nicht in seine Kompetenz.

Mag sich auch die Situation der Ehefrau bzw. Mutter hinsichtlich der integrationsrelevanten Merkmale kaum von derjenigen der Beschwerdeführer unterscheiden, so ist es dennoch keineswegs ausgeschlossen, da[ss] die nach Abschlu[ss] des Asylverfahrens für eine Aufenthaltsbeendigung oder auch für die Erteilung eines Bleiberechtstitels zuständige Bezirkshauptmannschaft Baden zu einem gänzlich anders lautenden Ergebnis kommt als der belangte Gerichtshof hinsichtlich der Beschwerdeführer; bei näherer Auseinandersetzung mit

der ... Begründung für die 'Ausweisungsfälligkeit' der

Beschwerdeführer ... liegt dies sogar ausgesprochen nahe.

Allerdings torpediert der belangte Gerichtshof mit der Ausweisung der Beschwerdeführer auch den Bleiberechtsanspruch der Ehefrau bzw. Mutter, zumal diese zwar auch selbst über Deutschkenntnisse auf A2-Niveau verfügt und somit eine - den freien Arbeitsmarktzugang einschließende - Niederlassungsbewilligung-unbeschränkt gemäß §43 Abs2 NAG erteilt erhalten könnte; jedoch legt eine Gesamtschau der aktuellen Situation der Familie nahe, da[ss] primär der bereits über eine Einstellungszusage verfügende Erstbeschwerdeführer und nach Abschlu[ss] der Nostrifikation auch die Zweitbeschwerdeführerin für das Haushaltseinkommen zuständig sein werden.

Möglicherweise geht der belangte Gerichtshof unausgesprochen davon aus, da[ss] die Ehefrau bzw. Mutter ohnehin nicht alleine im Bundesgebiet verbleiben, sondern den Beschwerdeführern freiwillig nach Armenien folgen werde.

Wie auch immer - alleine schon die vorstehenden Überlegungen zeigen, da[ss] über das aufenthaltsrechtliche Schicksal einer Asylwerberfamilie ausschließlich in einer Gesamtschau ein im Hinblick auf Artikel 8 EMRK sachgerechtes Ergebnis erzielbar ist. Eine solche Gesamtschau ist aber nicht möglich, wenn ein Familienmitglied - so wie hier eben die Ehefrau bzw. Mutter der Beschwerdeführer - diesbezüglich der Jurisdiktion des belangten Gerichtshofes entzogen ist. Denn entweder könnte in einem solchen Fall nur über die 'Ausweisungsfälligkeit' eines Teils der Familie erwogen werden, was die gebotene Gesamtschau vernachlässigt, oder aber würde bei einer Miteinbeziehung aller Familienmitglieder in die Erwägungen der Bleiberechtsanspruch des anderen Teils der Familie torpediert, wenn nicht sogar zumindest faktisch im negativen Sinn präjudiziert; immerhin mü[ss]te ja auch die für eine fremdenpolizeiliche Aufenthaltsbeendigung und für ein Bleiberechtsverfahren zuständige Behörde ihren Entscheidungen die Rechtskraft der bereits gegen einen Teil der Familie vorliegenden Ausweisungen zugrunde legen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits beginnend mit seinem Erkenntnis vom 12.12.2007, 2007/19/1054, mit der Problematik beschäftigt, da[ss] Mitglieder einer Asylwerberfamilie unterschiedlichen Verfahrensregimen unterliegen - was ja angesichts der inzwischen jährlich erfolgenden Asylrechtsnovellierungen alleine schon durch die Geburt von Kindern während eines Asylverfahrens alles andere als eine Seltenheit ist. Er hat seither in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, da[ss] im Hinblick auf das Konzept des asylrechtlichen Familienverfahrens alleine schon die Möglichkeit einer Trennung von Eheleuten bzw. auch Eltern und Kindern durch die Vollstreckung von Ausweisungen die nur Teile der Familie betreffen, massive Bedenken im Hinblick auf Artikel 8 EMRK erwachsen (vgl. zB auch VwGH vom 29.02.2008, 2007/20/0086), und umso mehr noch unter Mitberücksichtigung der durch eine Rückkehr bloß einzelner Familienmitglieder in den Heimatstaat hervorgerufenen Erschwernisse (vgl. zB VwGH vom 09.04.2008, 2008/19/0205).

Um das vom Gesetzgeber intendierte und verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis zu erzielen, habe eine Ausweisung durch die Asylbehörden daher in einem solchen Fall zu unterbleiben und seien demnach erstinstanzlich bloß gegen einzelne Familienmitglieder verfügte Ausweisungen ersatzlos zu beheben.

Soweit ersichtlich, hat sich auch der belangte Gerichtshof dieser Judikaturlinie angeschlossen (vgl. die im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlichten Leitsätze zu AsylGH vom 30.12.2008, C5 258327-0/2008, und vom 16.04.2009, Dl 266640-0/2008; nebst 432 per heutigem Tag auffindbarer Volltexte nahezu aller anderen Senate des belangten Gerichtshofs).

Der belangte Gerichtshof hat somit dem Gesetz einen denkunmöglichen und mit Artikel 8 EMRK unvereinbaren Inhalt unterstellt, indem er die Ausweisungen der Beschwerdeführer bestätigte, obwohl deren Ehefrau bzw. Mutter aufgrund des auf deren Asylerstreckungsverfahren anwendbaren Rechts in punkto Aufenthaltsbeendigung seiner Jurisdiktion entzogen war. Dies mu[ss] im Hinblick auf die feststellbare gefestigte Rechtsprechung sowohl des Verwaltungsgerichtshofes als auch der meisten anderen Senate des belangten Gerichtshofs selbst als besonderer Akt der Willkür gesehen werden, und zwar umso mehr noch als das angefochtene Erkenntnis mit keinem Wort auf die Folgen der alleine schon wegen der Rechtskraft der Ausweisungen der Beschwerdeführer möglichen Trennung von deren Ehefrau bzw. Mutter eingeht, geschweige denn darauf, warum dies im öffentlichen Interesse dringend geboten sein sollte.

Hieran verschlägt auch die Volljährigkeit der Zweitbeschwerdeführerin nichts, zumal diese ihr gesamtes bisheriges Leben im elterlichen Haushalt verbracht hat und infolge ihrer gegenwärtig erst kurz vor dem Abschlu[ss] stehenden akademischen Ausbildung bislang noch nicht selbsterhaltungsfähig war (vgl. die ...

- wenn auch ohne jeden Fallbezug - referierte Rechtsprechung und Literatur zur Rücksichtswürdigkeit auch noch des Familienlebens zwischen Eltern und volljährigen Kindern im Lichte des Artikels 8 EMRK). Es kann auch davon ausgegangen werden, da[ss] die Zweitbeschwerdeführerin nach Abschlu[ss] der Nostrifikation ihres Rechtswissenschaftsstudiums einen erheblichen Beitrag zum Haushaltseinkommen der Familie leisten wird."

3. Der belangte Asylgerichtshof hat die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie seine Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen, auf die Begründung im angefochtenen Erkenntnis verwiesen und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

1.2. Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Rechtsvorschriften werden nicht vorgebracht und sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde auch nicht entstanden.

1.3. Dem Asylgerichtshof ist allerdings ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen:

Im vorliegenden Fall hat der belangte Asylgerichtshof die durch das Bundesasylamt verfügten Ausweisungen der beiden Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 bestätigt. Gleichzeitig wurde der Asylerstreckungsantrag der Ehefrau bzw. Mutter der Beschwerdeführer abgewiesen, ohne dass eine Ausweisung ausgesprochen wurde (eine solche ist nach der geltenden Rechtslage auch nicht möglich, sodass für diese Ausweisung die Fremdenpolizei zuständig wäre). Auf Grund der vom Asylgerichtshof ausgesprochenen Ausweisungen erscheint es möglich, dass die Beschwerdeführer das Bundesgebiet ohne ihre Ehefrau bzw. Mutter, die asylrechtlich auf Grund der Stellung eines Asylerstreckungsantrages nicht ausgewiesen wurde, zu verlassen haben. Die Ausweisungen stellen somit einen Eingriff in das durch Art8 EMRK geschützte Familienleben der Beschwerdeführer mit ihrer Ehefrau bzw. Mutter dar, welcher einer Rechtfertigung bedürfte (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beginnend mit VwGH 12.12.2007, 2007/19/1054; jüngst auch VwGH 17.11.2010, 2008/23/0255 mwN). Da der Asylgerichtshof die Ausweisung der Beschwerdeführer ausgesprochen hat, ohne sich mit der möglichen Trennung der Familie auseinanderzusetzen, hat er eine dem Art8 EMRK widersprechende Entscheidung getroffen.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung war daher im Umfang der gemäß §10 Asylgesetz 2005 erfolgten Ausweisungen aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,-- sowie zwei Eingabegebühren gemäß §17a VfGG in der Höhe von je € 220,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2011:U383.2011

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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