TE UVS Steiermark 2011/03/21 20.3-8/2010

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Veröffentlicht am 21.03.2011
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erich Kundegraber über die Beschwerde des E O, geb. am, vertreten durch K & B Rechtsanwälte GmbH in G, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß §§ 67 a Abs 2 Z 2, 67 c Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), §§ 170 Abs 1 Z 1 und 171 Abs 2 Z 1 Strafprozessordnung (StPO), § 269 Strafgesetzbuch (StGB) und Art. 1 Bundesverfassungsgesetz (BVG) über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (PersFrBVG), wie folgt entschieden:

 

Die Festnahme in  Graz, Keplerstraße , Ca-Ce, und weitere Anhaltung im PAZ Graz des Beschwerdeführers am 28. April 2010, um ca. 19:38 Uhr bis 29. April 2010, 02:00 Uhr, durch Organe der Bundespolizeidirektion Graz war rechtswidrig.

 

Gemäß § 79 a AVG iVm mit der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. Nr. 456/2008, hat der Bund (Bundesministerin für Inneres) dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens in der Höhe von ? 1.676,40 binnen zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

 

Ebenso sind die mit ? 180,20 bestimmten Barauslagen (Dolmetschergebühren) gemäß §§ 67 iVm 79 a AVG binnen zwei Wochen an den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark zu leisten.

Text

I.1. In der Beschwerde vom 09. Juni 2010 wird behauptet, dass der Beschwerdeführer am 28. April 2010, gegen 19:40 Uhr, rechtswidrig verhaftet worden sei und im Zuge dessen durch das Niederzerren, das Drücken mit dem Knie in den Rücken des BF und das in den Schwitzkasten-Nehmen des am Boden liegenden BF eine erniedrigende Behandlung in Folge des Art. 3 EMRK gegeben war. Die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes würden die Festnahme auf den behaupteten versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt stützen, wobei es sich bei der Festnahme aus Eigenmacht und exzessive sicherheitsbehördliches Einschreiten handelte, da es keine Deckung in strafprozessualen Bestimmungen findet. Der Beschwerdeführer habe weder Gewalt noch Drohung mit Gewalt die Sicherheitsbehörde an irgendeiner Amtshandlung gehindert. Das einfache Schließen der Eingangstüre zum Geschäftslokal kann nicht als solche gewertet werden, ebenso wenig die Aussage des Beschwerdeführers, die Beamten nicht in sein Lokal einlassen zu wollen. Da sich die Beschwerde hier auf die rein der Sicherheitsverwaltung zuzurechnende Verhaftung des BF stütze, sei der § 88 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz als auch subsidiär der § 88 Abs 2 leg cit heranzuziehen. Die in Art. 2 PersFrSchG in taxativer Weise aufgezählten Gründe für einen Freiheitsentzug können hier nicht angewendet werden.

Im Übrigen widerspreche die Amtshandlung auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot, da die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Betreten der Geschäftsräumlichkeiten des Beschwerdeführers nicht befugt gewesen seien. Das sicherheitsbehördliche Einschreiten stütze sich auf § 36 Abs 1 Z 3 Fremdenpolizeigesetz (FPG), wobei aber die Bestimmung des § 36 Abs 2 FPG zu beachten sei, wonach im Falle des § 36 Abs 1 Z 3 leg cit die Ermächtigung zur Anwendung von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in § 13 Abs 3 FPG nur insoweit gilt, als ein behördlicher Auftrag vorliege oder Gefahr im Verzug das sofortige Einschreiten gebiete. Es könne hiebei keinesfalls auf eine der beiden Voraussetzungen zurückgegriffen werden. Im Übrigen hätte die Sicherheitsbehörde vor Ausübung der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt diese zunächst anzudrohen gehabt, was ebenso nicht geschah. Letztendlich wurden die Identitätskontrollen an den im Lokal befindlichen Personen überhaupt nicht vorgenommen.

Weitere Ausführungen behaupten die Misshandlungen im Zuge der Amtshandlung der Verhaftung, da der Beschwerdeführer mit massiver Körperkraft auf den Boden gedrückt worden war und einer der Beamten ihn mit dem Knie auf den Rückenbereich drückte, während der andere ihm in den Schwitzkasten nahm und damit massive körperliche Gewalt auf ihn ausübte. In den Schwitzkasten-Nehmen komme von vornherein erniedrigender Charakter zu, wenn eine betroffene Person bereits am Boden liege. Gleiches gelte für das Drücken des Knies des Polizeibeamten in den Rücken des Beschwerdeführers. Somit erweise sich diese Form der Gewaltanwendung als völlig überzogen und unverhältnismäßig.

Es wurde der Antrag gestellt, die Amtshandlung infolge der Verhaftung des Beschwerdeführers, als auch seiner erniedrigenden Behandlung für rechtswidrig zu erklären und die belangte Behörde zum Ersatz der Kosten des Verfahrens zu verhalten.

Als Beilage wurde im weiteren Verfahren ein Befund von Dr. Gt Ke, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 29. April 2010, auf Grund einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 29. April 2010, um 08:20 Uhr, vorgelegt.

 

2. Die Bundespolizeidirektion Graz erstattete am 02. August 2010 eine Gegenäußerung, in der sie im Wesentlichen ausführt, dass der Beschwerdeführer auf Grund des Verdachtes nach § 269 StGB nach Bestimmung der StPO festgenommen wurde. Das Einschreiten der Polizeibeamten gründe sich nicht auf das Sicherheitspolizeigesetz und liegt auch ein Festnahmegrund nach § 35 Abs 1 VStG nicht vor. Daher sei die Bestimmung des § 106 Abs 1 Z 2 StPO heranzuziehen und ein Einspruch an das Gericht betreffend der Amtshandlung zu richten. Auf Grund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 01. März 2003 sei die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates dann nicht gegeben, wenn eine alternative Instanz dazu vorgesehen sei (VfSlg. 16.815/2003). Einer Maßnahmenbeschwerde komme nur subsidiärer Charakter zu und wäre daher diese Beschwerde wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen bzw. in eventu, abzuweisen. Es wurde zudem die Zuerkennung des Kostenersatzes beantragt.

Als Beilage wurde der Abschlussbericht vom 29. April 2010, GZ.: B6/32647/2010, ein Aktenvermerk vom 28. April 2010, GZ.: B6/32647/2010, und der Einsatzbericht vom 28. April 2010, GZ.: B6/32647/2010, vorgelegt.

 

3. In weiterer Folge holte der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark das polizeiamtsärztliche Gutachten betreffend des Beschwerdeführers vom 28. April 2010 ein. Zudem wurde der Strafakt, Zl. 27St96/10f, bei der Staatsanwaltschaft Graz zwecks Einsichtnahme eingeholt. Daraus geht hervor, dass am 05. Mai 2010 das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 15, 269 StGB gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt wurde, da das angezeigte Verhalten weder den Tatbestand des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt noch einer anderen strafbaren Handlung erfüllt. Die versuchte Hinderung an einer Amtshandlung iSd § 269 Abs 1 StGB setzt ebenso wie eine Nötigung zu einer Unterlassung iSd § 105 Abs 1 StGB voraus, dass die beabsichtigte (Amts-) Handlung dadurch in ihrem Ablauf ?ins Gewicht fallend unterbrochen (DANEK in WK-StGB2 § 269 Rz 66), das heißt? nicht bloß geringfügig verzögert (SCHWAIGHOFER in WK-StGB2 § 105 Rz 66) wird. Das Schließen einer Türe ist zu einer ins Gewicht fallenden Verzögerung der Amtshandlung nicht geeignet, sodass die Tatbestände der angeführten strafbaren Handlungen nicht erfüllt sind. Auch könne dem Beschwerdeführer kein Verletzungsvorsatz (§§ 15, 83 Abs 1 StGB) nachgewiesen werden, da dieser weitere Widerstand des Beschuldigten, der in einem Losreißen durch eine geschickte Drehbewegung bestand keinen Straftatbestand erfüllt. Es fehle bereits hiebei am Tatbestandsmerkmal der Gewalt. Auch die Verfolgung der einschreitenden Beamten wegen § 88 Abs 1 StGB sei nicht indiziert, da der Beschwerdeführer zwar von Schwellung und leichten Schmerzen im Bereich des Brustkorbes, die er bei der Festnahme erlitten habe gesprochen habe, jedoch eine ärztliche Versorgung ablehnte. Eine Verletzung sei nicht nachweisbar und ebenso sei auch ein nur bedingter Verletzungsvorsatz der einschreitenden Beamten gleichfalls nicht erweislich.

 

4. Mit Schriftsatz vom 25. Jänner 2011 legte der Beschwerdeführer einen Arztbericht von Dr. Gt Ke, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 11. Jänner 2011, einschließlich neun Lichtbilder, die die Verletzungen des Beschwerdeführers dokumentieren sollen, vor.

 

II.1. Nach Durchführung von Verhandlungen am 21. Dezember 2010 und 11. Februar 2011, wobei der Beschwerdeführer, und die Zeugen RI C Be, Insp. N M, Insp. Ed Er, RI H W, Insp. Ch S und Dr. F R einvernommen wurden, sowie unter Heranziehung des Akteninhaltes als auch zweier weiterer vorgelegten Lichtbilder (Beilage A und B), sowie einem Videoclip, der eine dreieinhalbminütige Aufnahme der Amtshandlung beinhaltet, wurde nachstehender entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer betreibt seit dem Jahre 2005 ein Ca-Ce in G, Ks. Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsbürger. Im Außenbereich des Geschäftes wurden seit Beginn des Jahres 2008 mehrmals wöchentlich Schwerpunktkontrollen nach dem Suchtmittelgesetz durchgeführt. Insbesondere wurde seit dem Zeitraum 01. März 2010 bis 30. April 2010 als polizeiliche Maßnahme zur Bekämpfung der Drogenkriminalität die Aktion BLOD (Bezirk Lend ohne Drogen) durchgeführt, wobei täglich von 14:00 Uhr bis 23:00 Uhr von Polizeiorganen Überwachungen und Kontrollen durchgeführt wurden.

Auch am 28. April 2010, um ca. 19:00 Uhr, wurden derartige Kontrollen von zwei Polizistinnen vor dem Geschäft des Beschwerdeführers durchgeführt. Da vorerst der Verdacht einer Lärmerregung bestand, wurden via Funk zwei weitere Streifen, nämlich die Funkstreife Lendplatz 1 (Besatzung RI Be und Insp. Sch) und die Funkstreife Sektor 1 (Besatzung RI W und Insp. S) von der Streife Lendplatz BLOD (Frau Insp. Er und Insp. M) zur Unterstützung herbeigeholt. Als die Funkstreifen um ca. 19:30 Uhr am Vorfallsort eintrafen, hatte sich die Situation bezüglich der Lärmerregung bereits beruhigt. RI Be äußerte sodann die Worte fremdenpolizeiliche Kontrolle, da sich mehrere Schwarzafrikaner vor Ort aufhielten. Im Zuge dessen gingen drei der zu kontrollierenden Personen in das Geschäftslokal des Beschwerdeführers, der dies mit einer Aufforderung gestattete. Dieser stellte sich sodann im Bereich des Türrahmens und fragte RI Be was für ein Problem sie hätte. Die Polizistin antwortete darauf eine fremdenrechtliche Kontrolle. In weiterer Folge kam es zu einer Diskussion zwischen dem Beschwerdeführer und den dort anwesenden Polizistinnen, wobei das Gespräch von Seiten des Beschwerdeführers auf Grund der in englischer Sprache geführten Diskussion mit Gestikulationen unterstrichen wurde. Trotz der zweiminütigen Diskussion beharrte der Beschwerdeführer vehement auf seinen Standpunkt die Polizei nicht in das Lokal zu lassen, obwohl ihn von Seiten der Polizistinnen mitgeteilt wurde, dass sie die Räumlichkeiten zwecks einer fremdenpolizeilichen Kontrolle betreten dürften. Hiebei hat der Beschwerdeführer weder Drohungen noch Beschimpfungen geäußert. Als RI Be zu den anderen Polizistinnen sagte, dass sie nun reingehen werde, machte der Beschwerdeführer, der außerhalb der Geschäftsräumlichkeit stand, die Eingangstüre zu, sodass vorerst ein Betreten des Geschäftslokales, insbesondere für RI Be, nicht möglich war. Sofort danach wurde der Beschwerdeführer von RI W am Unterarm genommen, da für ihn der Verdacht des Widerstandes gegen die Staatsgewalt auf Grund der Vereitelung der Amtshandlung gegeben war. In weiterer Folge konnte auch der dort anwesende Insp. S auf den Beschwerdeführer zugreifen und wurde dieser sodann zu dem ca. 20 Meter entfernten Streifenfahrzeug geführt. Hiebei wurde der Beschwerdeführer teilweise gezerrt, da er seinen Körper versteifte. Es wurde hiebei die Technik des Armstreckhebels angewandt, nämlich, dass man das Handgelenk mit einer Hand erfasst und mit der anderen den Arm oberhalb des Ellbogens.

 

Da beim Streifenwagen die Technik des Handstreckhebels nicht mehr zielführend war, hat Insp. S den Beschwerdeführer mittels der Einsatztechnik Halsklammer (Arm um den Hals, wobei der Kehlkopf in der Armbeuge des Beamten zum Liegen kommt, sodass noch seitlich auf die Halsmuskulatur Druck ausgeübt wird) zu Boden gebracht. Es war beabsichtigt dem Beschwerdeführer Handfessel anzulegen, wobei dies vorerst, in der Art und Weise geschehen sollte, dass man den Beschwerdeführer an die dort befindliche Plakatwand lehnte. Dies war nicht möglich. Auch am Boden hielt der Beschwerdeführer die Arme vor den Brustkorb verschränkt und wurde er von Insp. S aufgefordert - sowohl in Deutsch als auch in englischer Sprache -, dass er sich beruhigen solle. Nachdem der Beschwerdeführer sodann ca. eine halbe Minute am Boden lag, teilte er Insp. S mit, dass er seinen Widerstand aufgebe und somit konnte er ohne Handfessel mit dem Dienstfahrzeug zur PAZ Graz gebracht werden.

 

Im PAZ wurde der Beschwerdeführer dem Polizeiarzt Dr. R vorgeführt, der feststellte, dass der Beschwerdeführer am rechten Jochbogen eine Schwellung aufwies, die mit der Beschreibung von Dr. Ke vom 29. April 2010  1. Rechte Wange: Hämatom und leichte Schwellung mit Längsdurchmesser 5 cm übereinstimmt. Ansonsten wurden keine Schürfspuren im Gesicht vorgefunden. Der Beschwerdeführer beklagte sich über Schmerzen im Halsbereich, jedoch konnte Dr. R dies nicht verifizieren, da objektiv keine Verletzung feststellbar war. Er konnte auch keine Rötung im Halsbereich feststellen. Dr. R gab an, dass ihn der Beschwerdeführer nicht auf Verletzungen im rechten Unterarm und am rechten Kniegelenk bei der Untersuchung aufmerksam gemacht hat.

Der Beschwerdeführer wurde sodann nach seiner Vernehmung am 29. April 2010, um 02:00 Uhr aus der Haft entlassen, da die Staatsanwaltschaft keine Anordnung auf Einlieferung in die JA Graz-Jakomini anordnete.

 

2. Die getroffenen Feststellungen gründen sich im Wesentlichen auf die übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers, als auch - soweit sie bei der Amtshandlung anwesend waren - der Polizistinnen RI Be, Insp. M, RI W, Insp. Er und Insp. S. Soweit der Beschwerdeführer den Befund von Dr. Gt Ke vom 29. April 2010 vorlegt und dort auf Verletzungen am rechten Unterarm und rechten Kniegelenk verwiesen wird, gibt der Zeuge Dr. R an, dass er im Zuge der Untersuchung des Beschwerdeführers von diesem hierauf nicht aufmerksam gemacht worden wäre. Zur Feststellung des Sachverhaltes wurde auch der von Seiten des Beschwerdeführers vorgelegte Videoclip (ca. eine dreieinhalb-minütige Aufnahme) berücksichtigt, wobei hiebei insbesondere die Handlung für den Festnahmegrund (Widerstand gegen die Staatsgewalt) ersichtlich ist. Für den Unabhängigen Verwaltungssenat steht jedenfalls fest, dass beim Schließen der Geschäftstüre keinesfalls RI Be mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung am Betreten der Geschäftsräumlichkeiten gehindert wurde. Mag auch RI Be zutreffend angeben, dass sie zurückweichen musste, so resultiert dies daraus, dass sie zum Zeitpunkt des Schließens der Geschäftstüre im Begriffe war in das Geschäft zu gehen und offensichtlich nicht damit rechnete, dass der Beschwerdeführer die Geschäftstüre zumachte. Selbst der sodann ohne Aufforderung von anderen Beamten einschreitende RI W gab an, dass er nicht genau sagen könne wie weit RI Be ausweichen musste. Vielmehr gab RI W an, dass die Handlung des Beschwerdeführers, nämlich das Zumachen der Tür, die Amtshandlung vereitelte und daher für ihn einen Widerstand gegen die Staatsgewalt darstellte, weswegen er den Beschwerdeführer festnahm.

 

III. Die Rechtsbeurteilung ergibt Folgendes:

 

1. Die Beschwerde über die Amtshandlung am 28. April 2010 langte am 14. Juni 2010 (Postaufgabestempel 09. Juni 2010) beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark ein, wodurch die sechswöchige Beschwerdefrist gemäß § 67 c Abs 1 AVG gewahrt wurde. Auch ist die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark gegeben, da die von Beamten der Bundespolizeidirektion Graz vorgenommene Handlung im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark durchgeführt wurde.

 

2. Vorerst wird festgehalten, dass die Handlung der Kriminalpolizei ohne staatsanwaltlichen Auftrag oder gerichtliche Ermächtigung erfolgte. Zum Zeitpunkt der Entscheidung ist jedoch der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark auf Grund des Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses vom 16. Dezember 2010, G 259/09 (kundgemacht im BGBl. I. 1/2011), zuständig, da die Wortfolge oder Kriminalpolizei im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen wurde, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist. Somit war zum Zeitpunkt der Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark die Handlung (§ 172 Abs 2 iVm § 170 Abs 1 Z 1 StPO) der Polizei als Verwaltungsakt im Sinne des Art. 20 Abs 1 B-VG anzusehen. Somit war die Maßnahme der Polizei im Sinne des Art. 129 a Abs 1 Z 2 B-VG bzw. § 67 a Z 2 iVm § 67 c AVG als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt betreffend der Beurteilung der Rechtmäßigkeit dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark zuzurechnen. Erst durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (siehe oben) hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit erhalten seine Ansprüche in einem rechtsstaatlichen Verfahren prüfen zu lassen. Vor dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes wäre kein Verfahren eingeleitet worden, da nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens ein Einspruch nicht mehr zulässig ist (§ 107 Abs 1 StPO). Die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft  erfolgte am 05. Mai 2010 und langte die Beschwerde erst zu einem späteren Zeitpunkt ein.

 

Gemäß Art. 1 Abs 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 1988/684, hat Jedermann das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).

 

Gemäß Abs 2 darf niemand aus anderen als den in diesem Bundes-Verfassungsgesetz genannten Gründen, oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.

 

Gemäß Art. 2 Abs 1 Z 2 lit a leg cit darf die persönliche Freiheit einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden: wenn er einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehördlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist, lit a) zum Zwecke der Beendigung des Angriffes oder zur sofortigen Feststellung des Sachverhalts, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, dass er einen bestimmten Gegenstand innehat.

 

Die belangte Behörde stützte die Festnahme auf § 170 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 172 Abs 2 StPO.

 

Gemäß § 170 Abs 1 Z 1 StPO ist die Festnahme einer Person, die der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtigt ist, zulässig, wenn sie auf frischer Tat betreten oder unmittelbar danach entweder glaubwürdig der Tatbegehung beschuldigt oder mit Gegenständen betreten wird, die auf ihre Beteiligung an der Tat hinweisen.

 

Somit ist die Voraussetzung einer Festnahme das Vorliegen eines Tatverdachtes und die Betretung auf frischer Tat (§ 170 Abs 1 Z 1 StPO). Ein Tatverdacht liegt vor, wenn es auf Grund bestimmter Tatsachen wahrscheinlich ist, dass die zu verhaftende Person eine gerichtlich strafbare Handlung, also eine tatbildmäßige, rechtswidrig und schuldhafte Handlung begangen hat. Diese Wahrscheinlichkeit kann bei der Festnahme einen geringeren Grad als bei der Untersuchungshaft, demnach § 173 Abs 1 StPO einen dringenden Verdacht voraussetzt (Fabrizy, StPO § 170, Rz 2, 10. Auflage).

 

Gemäß § 269 Abs 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, im Falle einer schweren Nötigung (§ 106) jedoch mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wer eine Behörde mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt und wer einen Beamten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung hindert.

 

Aus dem Sachverhalt geht unzweifelhaft hervor, dass es sich bei der bekämpften Maßnahme um eine Festnahme des Beschwerdeführers durch die Kriminalpolizei (§ 172 Abs 2 StPO) handelt. Ein gerichtlicher Befehl bzw. eine staatsanwaltschaftliche Anordnung lag zum Zeitpunkt der Festnahme nicht vor. Begründet wird dies von Seiten der belangten Behörde auf Grund des Verdachtes nach § 269 StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt). Dem Hinweis der belangten Behörde, dass das Einschreiten der Beamten sich weder auf das Sicherheitspolizeigesetz noch auf § 35 VStG gründet, wird von Seiten des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark zugestimmt.

 

Im Zentrum der Betrachtung steht die Frage, ob der einschreitende Beamte die Handlung des Beschwerdeführers als Betretung auf frischer Tat (§ 269 Abs 1 StGB) zu werten hatte. Hiebei braucht der einschreitende Beamte sicherlich keine subtilen Erwägungen materiell-rechtlicher Art anzustellen (VfGH vom 0312.1986, B 930/85). Bei der vorliegenden frischen Tat (Widerstand gegen die Staatsgewalt) handelt es sich jedoch um ein Strafdelikt mit einer erhöhten Missbrauchsgefahr, weil für die den Verdacht begründende, vertretbare Annahme der Tatbestandsverwirklichung häufig nur Wahrnehmungen der beteiligten Beamten vorliegen (siehe auch VfGH vom 26.02.1987, B 270/85). Bemerkt wird noch, dass der Verdacht nach § 269 StGB im Berufsleben von Polizeibeamten sicherlich des Öfteren vorkommt, sodass eine gewisse Grundkenntnis des Tatbildes vorausgesetzt werden kann.

 

Aus der Sachverhaltsdarstellung geht hervor, dass die Amtshandlung im Rahmen der Hoheitsverwaltung (fremdenrechtliche Kontrolle) von den Beamten geführt wurde. Fest steht auch, dass der Beschwerdeführer mit den Beamten eine ca. zweiminütige Diskussion führte, in der er in aufgebrachter Weise den Standpunkt vertrat, dass sie nicht in das Geschäftslokal dürfen um eine fremdenpolizeiliche Kontrolle durchzuführen. Bei der Diskussion kam es jedoch zu keiner gefährlichen Drohung. Danach machte der Beschwerdeführer die Geschäftstüre von außen zu und konnten somit die Beamten ihre Absicht, das Geschäftslokal zu betreten, unmittelbar nicht verwirklichen. Ohne dass der Beschwerdeführer daraufhin aufgefordert worden wäre beiseite zu treten bzw. die Türe wieder aufzumachen, wurde er festgenommen.

 

Somit war zu beurteilen, ob durch das Zumachen der Türe die Amtshandlung insoweit gehindert wurde, dass es dadurch zu einer zeitlich nicht ganz unbedeutenden Unterbrechung der Amtshandlung gekommen ist. Damit wurde jedoch die Amtshandlung weder völlig unmöglich gemacht und es wäre voraussichtlich bei einer verbalen Aufforderung bzw. faktischen Handlung (Aufmachen der Türe) nur zu einer sehr kurzzeitigen Unterbrechung gekommen. Eine derartige Einschätzung wäre auch den einschreitenden Beamten zumutbar gewesen. Dass es sich beim Zumachen der Türe um keine Tathandlung im Sinne des § 269 StGB gehandelt hat, wäre bei einer ex ante Betrachtung auch für einen Beamten erkennbar gewesen.

 

In Anbetracht des Umstandes, dass weder der Tatbestand des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt, noch einer anderen strafbaren Handlung (siehe Einstellung der Staatsanwaltschaft vom 05. Mai 2010) in erkennbarer Weise vorlag, fehlte eine wesentliche Prämisse des § 170 Abs 1 StPO, nämlich Begehung einer strafbaren Handlung, wodurch die Festnahme rechtswidrig war. Wenn somit ein Teilakt der Maßnahme rechtswidrig war, erübrigt sich über andere Teilakte der Festnahme bzw. Anhaltung, nämlich der behaupteten Misshandlungen abzusprechen (VwGH 15.11.2000, 99/01/0067). In dem genannten Erkenntnis führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass eine isolierte Beurteilung der zur Durchsetzung der Festnahme gesetzten tatsächlichen Handlungen von vornherein nicht in Betracht kommt, wenn sie der Erwirkung eine im Grunde unrechtmäßigen Freiheitsentziehung dienen. Ein unverhältnismäßiger Gewalteinsatz bei der Festnahme konnte vom Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark nicht festgestellt werden. Die dem Beschwerdeführer zugefügten Verletzungen (siehe polizeiärztlichen Befund) sind nachvollziehbar. Diese Verletzungen bilden, ebenso wie die nachfolgende Anhaltung, eine Einheit mit der Festnahme und können daher keinem rechtlichen Sonderschicksal unterliegen (Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde, S. 128, 1. Auflage). Der Beschwerdeführer wurde bereits durch die fälschliche Annahme er begehe eine strafbare Handlung und damit im Zusammenhang stehende Festnahme in seinem Recht auf persönliche Freiheit verletzt (Art. 1 PersFrBVG) und war daher die Maßnahme in ihrer Gesamtheit rechtswidrig.

 

IV. Als Kosten wurden gemäß § 79 a AVG iVm der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. 456/2008, dem Beschwerdeführer ein Betrag von ? 1.676,40 zugesprochen. Der Betrag setzt sich aus ? 737,60 Schriftsatzaufwand, ? 922,00 Verhandlungsaufwand und ? 16,80 als Stempelgebühr zusammen. Die verrechneten Dolmetschergebühren (Barauslagen) in der Höhe von ? 180,20 wurden den Parteien zur Kenntnis gebracht und keine Stellungnahmen abgegeben. Somit war der Bund (Bundesministerin für Inneres) gemäß § 76 iVm § 79 a AVG zur Bezahlung der Barauslagen in der Höhe von ? 180,20 an den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark zu verpflichten.

Schlagworte
Festnahme; Widerstand gegen die Staatsgewalt; Unterbrechung; Aufforderung; Erkennbarkeit; ex ante Betrachtung
Zuletzt aktualisiert am
10.06.2011
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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