Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Iris A***** und Manfred H***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 6. September 2010, GZ 22 Hv 115/10a-18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Iris A***** und Manfred H***** jeweils des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (A./I./ und II./), A***** darüber hinaus der Vergehen der Unterdrückung eines Beweismittels unter Ausnützung einer Amtsstellung nach §§ 295, 313 StGB (B./) und H***** der Vergehen der Unterdrückung eines Beweismittels unter Ausnützung einer Amtsstellung nach §§ 295, 313 StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB (C./) schuldig erkannt.
Danach haben in Innsbruck
A./ als Polizeibeamte mit dem Vorsatz, den Staat an seinem Recht auf Strafverfolgung von Offizialdelikten zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht und zwar
I./ Iris A***** zwischen 2. April und 2. Oktober 2006 dadurch, dass sie es unterließ, den gegen Mario K***** bestehenden Verdacht wegen § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG idF BGBl I 134/2002 dem Leiter ihrer Dienststelle und damit gemäß § 84 Abs 1 StPO idF BGBl I 108/2000 im Dienstweg der zuständigen Staatsanwaltschaft anzuzeigen und schließlich im elektronischen Protokoll- und Anzeigenprogramm des Bundesministeriums für Inneres („PAD“) unter derselben Geschäftszahl den Verdacht des Vergehens nach dem SMG mit dem Delikt „schwere Sachbeschädigung“ überschrieb, sodass das Grundprotokoll nicht mehr ersichtlich war;
II./ Manfred H***** zwischen 6. November 2009 und 23. November 2009 dadurch, dass er es unterließ, den gegen A***** bestehenden Verdacht des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB seinen vorgesetzten Dienststellen zu melden und damit gemäß § 78 Abs 1 StPO im Dienstweg der zuständigen Staatsanwaltschaft anzuzeigen;
B./ Iris A***** am 9. November 2009 Beweismittel, die zur Verwendung in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren oder in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung bestimmt waren und über die sie nicht oder nicht allein verfügen durfte, nämlich vier Hanfpflanzen, eine Bong und ein Plastiksäckchen mit hellgrünem Kraut mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass diese Beweismittel im Strafverfahren gegen sie wegen des Verdachts nach § 302 Abs 1 StGB gebraucht werden, wobei sie die Tat als Beamtin unter Ausnützung der ihr durch ihre Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit beging;
C./ Manfred H***** am 9. November 2009 A***** zur Ausführung der unter Punkt B./ beschriebenen Straftat bestimmt, indem er ihr zunächst anbot, selbst das Suchtgift in der Toilette zu entsorgen und sie, nachdem sie ihm mitgeteilt hatte, dies zu machen, auf den Aufbewahrungsort das Suchtgift im Büro von Erwin H***** hinwies, sie aufforderte, es nicht zu offensichtlich zu machen und ihr billigend zunickte, als sie am Weg zur Toilette war, um das Suchtgift in der Toilette hinunter zu spülen, wodurch er in ihr den Tatentschluss zu der unter Punkt B./ beschriebenen Straftat erweckte.
Dagegen richten sich die getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagten; Iris A***** macht Nichtigkeit nach Z 5, Manfred H***** nach Z 3, 5, 5a und 9 lit a jeweils des § 281 Abs 1 StPO geltend.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten A*****:
Der eine unvollständige Begründung des Schädigungsvorsatzes behauptenden Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider, hat das Erstgericht die Tatsache der Vernichtung der im Jahr 2006 sichergestellten Beweismittel (erst) am 9. November 2009 und die von der Beschwerdeführerin am 22. November 2009 erstattete Selbstanzeige nicht übergangen, sondern in den Gründen festgestellt (US 8, 12 f, 19), daraus aber nicht die von der Rechtsmittelwerberin gewünschten Schlussfolgerungen gezogen. Zu einer eingehenderen Erörterung dieser in Ansehung des zwischen 2. April und 2. Oktober 2006 begangenen Missbrauchs der Amtsgewalt (A./I./) nicht entscheidungswesentlichen Umstände waren die Tatrichter - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) entsprechend - nicht verhalten.
Soweit die Beschwerde - unter spekulativen Erwägungen zum „ausgeprägten“ Unrechtsbewusstsein der Erstangeklagten und zur allgemeinen Lebenserfahrung - aus dem Zeitpunkt der (erst im November 2009) erfolgten Beseitigung der Beweismittel und aus der Selbstanzeige für die Angeklagte A***** günstigere, einen Schädigungsvorsatz ausschließende Annahmen abzuleiten versucht und damit ihrer von den Tatrichtern in diesem Umfang als Schutzbehauptung abgelehnten Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen trachtet, bekämpft sie im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung, ohne einen Begründungsmangel aufzeigen zu können.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H*****:
Mit dem einen Verstoß gegen § 260 StPO behauptenden Hinweis auf das Abweichen der schriftlichen Urteilsausfertigung vom mündlich verkündeten Urteil in Ansehung des exakten Orts, an dem sich A***** befand, als ihr der Beschwerdeführer anlässlich der Vernichtung der sichergestellten Beweismitteln aufmunternd zunickte, macht der Rechtsmittelwerber keine Nichtigkeit in der Bedeutung des § 281 Abs 1 Z 3 StPO geltend. Unklarheiten über Ort und Zeit der Tat sind nämlich - soweit diese Umstände nicht ganz ausnahmsweise eine entscheidende Tatsache darstellen, was gegenständlich nicht der Fall ist - nur insoweit beachtlich, als die Individualisierung der Tat davon betroffen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 290). Weshalb die geringfügig divergierenden Bezeichnungen des Aufenthaltsorts A*****s anlässlich des inkriminierten Zunickens für die Individualisierung der Tat von Bedeutung wären, legt der Beschwerdeführer nicht dar (vgl überdies die weiteren konstatierten Bestimmungshandlungen; US 4, 7 f).
Die Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) behauptet - ausgehend vom mündlich verkündeten Urteil - einen unlösbaren Widerspruch beim Schuldspruch C./, weil ein aufmunterndes Zunicken vom Dienstzimmer des Beschwerdeführers gegenüber der in der Damentoilette aufhältigen A***** mangels Sichtmöglichkeit ausgeschlossen wäre. Damit wird im Hinblick auf die unangefochtene, zur Tatbestandsverwirklichung ausreichende Feststellung, wonach der Beschwerdeführer vorerst selbst die Vernichtung der Beweisgegenstände angeboten hat und in der Folge A***** das Büro des Erwin Ha***** als Verwahrungsort der sichergestellten Beweisgegenstände nannte und ihr riet, „es halt nicht zu offensichtlich zu machen“, keine entscheidende Tatsache in der Bedeutung des § 281 Abs 1 Z 5 StPO geltend gemacht.
Alle zur Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der Entscheidungsgründe vorgebrachten Einwände richten sich gegen die - mit Ausnahme der den Schädigungsvorsatz leugnenden Depositionen - der Angeklagten A***** attestierte Glaubwürdigkeit, übergehen jedoch die dafür ins Treffen geführten Erwägungen ebenso wie die für die Ablehnung der leugnenden Verantwortung des Zweitangeklagten angeführten Argumente (US 12 ff).
Dem Beschwerdevorbringen zuwider hat das Erstgericht den Inhalt der Selbstanzeige der A***** sowie deren ursprünglich gegen Othmar E***** erhobene Anschuldigung, sie zum Verschwindenlassen des Suchtgifts aufgefordert zu haben, mitberücksichtigt (US 13).
Ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz durch Verlesung der Aussage des Zeugen E***** liegt aufgrund der (nach dem unwidersprochen gebliebenen Hauptverhandlungsprotokoll ausdrücklichen) Zustimmung aller Beteiligten zum Vortrag des gesamten Akteninhalts gemäß § 252 Abs 2a StPO nicht vor (ON 17 S 25).
Der reklamierten Auseinandersetzung mit den Motiven der Zeugen Ha***** und E*****, einen von ihnen als Missbrauch der Amtsgewalt erkannten und angesprochenen Sachverhalt zu vertuschen, obwohl der Beschwerdeführer die Erstangeklagte bereits im Mai 2005 wegen der Nichtbearbeitung von Akten angezeigt hatte (US 15), ferner mit von A***** erwähnten, Beamten der Polizeiinspektion P***** angelasteten Missständen anlässlich der Vernehmung von Marokkanern sowie mit der Aneignung einer A***** angeblich von einem Verdächtigen geschenkten Sonnenbrille bedurfte es mangels Entscheidungswesentlichkeit nicht. Soweit der Beschwerdeführer in der Verantwortung der Angeklagten A***** den Versuch erblickt, durch Erheben von Anschuldigungen von eigenem strafrechtlich relevanten Verhalten abzulenken und unter Anstellen eigener Beweiserwägungen für sich günstigere Schlussfolgerungen anstrebt, bekämpft er bloß unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung.
Entgegen der die Beweiswürdigung als „widersprüchlich und damit denkgesetzwidrig und rechtsfehlerhaft“ bezeichnenden Tatsachenrüge (Z 5a) erachteten die Tatrichter die den Beschwerdeführer belastende, mit den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens übereinstimmende (US 10) Verantwortung der Angeklagten A***** zur objektiven Tatseite für überzeugend, leiteten die Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs aus dem objektiven Vorgehen ab und begründeten die Annahme des Schädigungsvorsatzes formell einwandfrei (US 10 f, 17 f); aus dem Akt ableitbare Hinweise, die die behaupteten Widersprüche oder Verstöße gegen die Kriterien logischen Denkens begründen könnten, führt der Beschwerdeführer nicht an. Die der Sache nach auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Einwände werden so nicht prozessförmig zur Darstellung gebracht und es gelingt der Tatsachenrüge damit auch nicht, sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken.
Unter dem Aspekt der Aufklärungsrüge (Z 5a) reklamiert der Beschwerdeführer das Unterbleiben eines Lokalaugenscheins oder sonstiger Erhebungen zu den Sichtverhältnissen zwecks Klärung der Frage, ob dem Zweitangeklagten ein aufmunterndes Zunicken gegenüber A***** auf dem Weg zur oder in der Toilette überhaupt möglich gewesen sei. Mit dem Hinweis, er habe nicht mit einer Verurteilung auf Grundlage der von ihm als widersprüchlich bezeichneten Depositionen der Erstangeklagten gerechnet, legt der Beschwerdeführer jedoch nicht dar, warum er an einer entsprechenden Antragstellung gehindert war (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).
Ausgehend von dem im Nichtigkeitsverfahren geltenden (auch vom Beschwerdeführer zugestandenen) Neuerungsverbot erübrigt sich ein Eingehen auf die mit der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde vorgelegte eidesstattliche Erklärung der Petra R*****.
Die Feststellungen zum auf Schädigung des Staats an einem konkreten Recht gerichteten Vorsatz des Zweitangeklagten vermissende Rechtsrüge (Z 9 lit a) übergeht die diesbezüglichen Konstatierungen auf US 9 dritter Absatz. Das eine solche Schädigung und einen darauf gerichteten Vorsatz mit Blick auf die Verantwortung des Beschwerdeführers, er habe Verjährung des Mario K***** angelasteten Suchtmitteldelikts angenommen, bestreitende Vorbringen verkennt, dass dem Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts des Staats auf Strafverfolgung der Angeklagten A***** wegen Verdachts nach § 302 Abs 1 StGB angelastet wird.
Die zum Schuldspruchfaktum C./ vermissten Feststellungen, wonach es sich bei den von A***** entsorgten Gegenständen um im Tatzeitpunkt zur Verwendung in einem Ermittlungsverfahren nach der StPO bestimmte Beweismittel iSd § 295 StGB gehandelt hat, finden sich auf US 8 und US 17 jeweils vorletzter Absatz.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E97450European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0150OS00007.11K.0525.000Im RIS seit
10.06.2011Zuletzt aktualisiert am
10.06.2011