TE Vfgh Erkenntnis 2011/5/3 U2659/10

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Veröffentlicht am 03.05.2011
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §10
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinanderdurch Ausweisung einer mongolischen Staatsangehörigen mangelsErmittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Verfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine mongolische Staatsbürgerin, reiste am 17. Mai 2005, damals noch minderjährig, nach Österreich ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 25. Jänner 2006 gemäß §7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 "idgF" (gemeint wohl: idF BGBl. I 101/2003; im Folgenden: AsylG 1997), ab, gleichzeitig wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 für zulässig befunden und die Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Mongolei ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 abgewiesen, eine Behandlung der Beschwerde dagegen vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. September 2007 abgelehnt.

2. Am 13. November 2007 brachte die minderjährige Beschwerdeführerin einen erneuten Antrag auf internationalen Schutz ein. Ihre Eltern seien verstorben, sie habe nicht bei ihrer Tante bleiben können, da diese sie schlecht behandelt habe und der Mann ihrer Tante sie vergewaltigt habe. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 16. Dezember 2007 gemäß §68 AVG zurückgewiesen und die Beschwerdeführerin gemäß §10 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005, aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Mongolei ausgewiesen. Der Unabhängige Bundesasylsenat bestätigte die Zurückweisung des Antrags mit Bescheid vom 15. Jänner 2008, behob die Ausweisung und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück. In weiterer Folge wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 31. Juli 2008 erneut aus Österreich in die Mongolei ausgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der gesetzliche Vertreter der Beschwerdeführerin eine ausführliche Beschwerde, in welcher er die Verletzung von Art3 EMRK rügte, sich wiederholt gegen den beigezogenen Ländersachverständigen aussprach und Bescheinigungsmittel wie Schulbesuchsbestätigungen, Arztbriefe sowie ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie vorlegte.

3. Diese Beschwerde hat der Asylgerichtshof mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. Oktober 2010 gemäß "§10 Asylgesetz 2005" als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerdeführerin habe in einer Einvernahme im Mai 2008 angegeben, dass sie gesund sei, zudem würden die Probleme nicht in den Schutzbereich des Art3 EMRK fallen, auch habe sie in der Stellungnahme zur Verfahrensanordnung keine Angaben zu ihrer Gesundheit gemacht. Die nunmehr volljährige Beschwerdeführerin sei ihre Lebensgemeinschaft erst zu einem Zeitpunkt eingegangen, als ihr zweiter Antrag bereits vom Bundesasylamt negativ erledigt worden sei und sie verfüge über keine weiteren Familienangehörigen in Österreich.

4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie gemäß Art3 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Es sei dem Erkenntnis nicht zu entnehmen, auf Basis welcher Länderfeststellungen der Asylgerichtshof entscheide, zudem habe er sich mit dem Gesundheitszustand nicht in einer Art3 EMRK entsprechenden Weise auseinandergesetzt.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie VfGH 7.11.2008, U67/08).

1.3. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.1. Bei der Entscheidung über die Ausweisung hat der Asylgerichtshof §10 Abs3 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, zu beachten:

"(3) Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben."

2.2. Der Asylgerichtshof lässt aber das Beschwerdevorbringen zum gesundheitlichen Zustand der Beschwerdeführerin völlig außer Acht. Entgegen den Angaben im Erkenntnis kann der Verfahrensanordnung vom 17. Juni 2010 - trotz des expliziten Beschwerdevorbringens gegen die Bescheide des Bundesasylamts (eine elaborierte Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamts ist den Verwaltungsakten des Bundesasylamts zu entnehmen) - weder eine explizite Frage nach dem Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin entnommen werden noch eine allgemeine Frage mit einer Aufforderung von Angaben zur aktuellen Situation der eigenen Person. Angesichts des in den Verwaltungsakten aufliegenden Gutachtens aus dem Obsorgeverfahren vor dem Bezirksgericht Linz und der zahlreichen Arztbriefe zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin in den Jahren 2007 und 2008 und der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin unvertreten war, wäre der Asylgerichtshof aber verpflichtet gewesen, von sich aus Ermittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zu tätigen. Somit unterlässt es der Asylgerichtshof, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin eine Ausweisung zulässt. Aktuelle Ermittlungen zu entscheidungsrelevanten Sachverhalten hinsichtlich der Ausweisung fehlen zur Gänze (vgl. VfSlg. 18.646/2008).

2.3. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

III. Ergebnis

1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte §19 Abs4 erster Satz leg.cit. ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2011:U2659.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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