TE AsylGH Erkenntnis 2011/05/30 A6 418643-1/2011

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Veröffentlicht am 30.05.2011
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Spruch

A6 418.643-1/2011/7E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Unterer als Vorsitzende und die Richterin Dr. Schrefler-König als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX, Staatsangehöriger von der Elfenbeinküste alias Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.03.2011, Zl. 11 00.702-BAI, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde vom 31.03.2011 wird der bekämpfte Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Der Beschwerdeführer reiste eigenen Angaben zufolge am 22.01.2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte an ebendiesem Tag unter der Staatsangehörigkeit der Elfenbeinküste den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen der am 23.01.2011 stattgefundenen Erstbefragung des Beschwerdeführers durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen gab er an, am XXXX in XXXX geboren worden und Staatsangehöriger der Elfenbeinküste zu sein. Er spräche Englisch sowie Ibo und hätte von 1995 bis 2004 in Enugu, Nigeria, die Schule besucht sowie dort anschließend als Motorradtaxifahrer gearbeitet. Seine Eltern befänden sich in Buna City. Zu den Gründen seiner Asylantragstellung befragt, führte er aus, dass er geflüchtet sei, weil es Kämpfe, im Zuge derer Menschen gestorben wären, gegeben hätte. Dabei sei auch sein Vater von ihm unbekannten Leuten mitgenommen worden. Viele Bewohner seiner Stadt seien geflohen, so auch er. Befragt gab der Beschwerdeführer weiters zu Protokoll, dass er von seiner Mutter im Alter von 1,5 Jahren nach Nigeria gebracht worden wäre, wo er bei seiner Großmutter gelebt habe. In Nigeria habe er um einen Reisepass angesucht, einen solchen jedoch nicht erhalten, da er kein gebürtiger Nigerianer wäre. Die Leute hätten ihn als Bastard beschimpft, weshalb er in der letzten Novemberwoche des Jahre 2010 in die Elfenbeinküste zurückgekehrt sei. Im Dezember 2010 habe er per PKW die Elfenbeinküste von Buna City aus in ein ihm unbekanntes Land verlassen. Nach einer Schiffsreise und einer Zugfahrt sei er schließlich nach Österreich gelangt. Diese Reise habe er mit Hilfe eines weißen Mannes namens "XXXX", den er in einer Kirche in Buna City getroffen hätte, organisiert. Bei einer Rückkehr befürchtete er, von den Leuten, die seinen Vater mitgenommen hätten, getötet zu werden.

 

I.2. Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Innsbruck, am 28.02.2011 wurde der Beschwerdeführer zunächst zu seinen Personaldaten befragt. Hiezu führte er an, dass sein Vater in Buna City lebte. Seine Mutter sei bereits verstorben, wäre aber zuletzt in Nigeria wohnhaft gewesen. In Nigeria lebten noch seine Großmutter sowie Onkeln und Tanten mütterlicherseits. In den Jahren 1995 bis 2002 hätte er in XXXX, Nigeria, die Grundschule sowie von 2003 bis 2006 die Hauptschule in XXXX besucht. Anschließend habe er bis September 2009 als Motorradtaxifahrer gearbeitet. Der Beschwerdeführer berief sich neuerlich darauf, in Buna City, Elfenbeinküste geboren worden und im Alter von eineinhalb Jahren mit seiner Mutter, die nigerianische Staatsbürgerin gewesen wäre, nach Nigeria gezogen zu sein, da seine Mutter Probleme mit seinem Vater gehabt hätte. Seine Eltern seien traditionell verheiratet gewesen und hätten sich vor der Rückkehr seiner Mutter nach Nigeria scheiden lassen. In Nigeria habe seine Mutter neuerlich geheiratet, wobei aus dieser Ehe der Halbbruder des Beschwerdeführers entstammte, der derzeit in Lagos wohnte. In Nigeria habe der Beschwerdeführer bei seiner Großmutter gelebt und hätten sie keine finanziellen Schwierigkeiten gehabt. Sein Vater, der Staatsangehöriger der Elfenbeinküste sei, hätte ihn nie besucht und auch der Beschwerdeführer habe diesen nicht aufgesucht.

 

Zu seiner Reiseroute befragt, führte der Beschwerdeführer an, dass er in einer Kirche in XXXX einen Mann namens XXXX getroffen hätte, der ihn außer Landes gebracht habe.

 

Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er von seiner Familie in Nigeria als Bastard bezeichnet und verstoßen worden sei, nachdem seine Mutter verstorben wäre. Es sei daher in die Elfenbeinküste gegangen, wo eine Krise geherrscht und es viele Tote gegeben habe. Seinen Vater habe er in der Elfenbeinküste nicht angetroffen. An dem Tag, an dem er ihn besuchen habe wollen, sei dieser aus - dem Beschwerdeführer - unbekannten Gründen abgeholt worden, da er anscheinend politische Probleme gehabt hätte. Seitens des Bundesasylamtes danach befragt, woher er gewusst hätte, wer sein Vater sei und wo dieser wohnte, gab der Beschwerdeführer an, dass er gemeinsam mit einer Freundin seiner Mutter, die auch den Vater gekannt hätte, nach XXXX gereist sei. Dort hätten sie ihn nicht angetroffen und seien stattdessen von einem alten Mann an seine neue Adresse in Buna City verwiesen worden. Dort habe er ihn schließlich angetroffen und drei Tage mit ihm verbracht. Als er mit seinem Vater an dessen Arbeitsplatz gewesen wäre, seien vier junge bewaffnete Männer hereingekommen und hätten den Vater mitgenommen. Der Beschwerdeführer habe seinem Vater helfen wollen, sei dabei jedoch mit einem Messer verletzt worden. Nach Nigeria sei er nicht zurückgegangen, da er nicht gewusst hätte, wo er hingehen sollte. Bei einer Rückkehr in die Elfenbeinküste befürchtete er, von den Leuten, die seinen Vater entführt hätten, umgebracht zu werden.

 

Das Bundesasylamt hielt fest, dass es offensichtlich sei, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Personaldaten Staatsangehöriger von Nigeria sei und brachte ihm deshalb Feststellungen zur Lage in Nigeria zur Kenntnis. Hinsichtlich seiner Unterschrift gab der Beschwerdeführer an, dass er hiezu nicht seinen Namen oder bestimmte Buchstaben verwendete.

 

Zu seiner privaten Lebenssituation in Österreich befragt, führte der Beschwerdeführer an, über keinen gültigen Aufenthaltstitel zu verfügen und aus den finanziellen Mitteln der Grundversorgung zu leben. Seinen Alltag verbrächte er hauptsächlich im Heim und besuchte er einen Deutschkurs. Verwandte oder nahe Angehörige habe er in Österreich keine. Nach dem Wohnsitz seines Halbbruders befragt, verneinte der Beschwerdeführer die Existenz eines solchen Bruders.

 

I.3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 3 AsylG 2005, BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, abgewiesen und ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsland Nigeria nicht zuerkannt. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen und einer Beschwerde gegen den Bescheid gemäß § 38 Abs. 1 leg. cit. die aufschiebende Wirkung aberkannt. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Personalangaben des Beschwerdeführers nicht mit seiner Unterschrift in Einklang zu bringen seien. Bezüglich seiner Nationalität sei davon auszugehen, dass er aufgrund seiner Angaben und seiner Ortskenntnisse Staatsangehöriger von Nigeria sei. Der Beschwerdeführer habe auch keine nachvollziehbare Erklärung darlegen können, weshalb er Staatsbürger der Elfenbeinküste sein sollte. Weiters verwies das Bundesasylamt auf seine unterschiedlichen Angaben in Bezug auf das Antreffen seines Vaters bzw. dessen Entführung sowie die angeblichen Beschimpfungen. Auch hinsichtlich der Kontaktaufnahme mit dem Schlepper und seiner Ausreise habe er sich widersprochen. Der Beschwerdeführer habe zudem sein Vorbringen insofern gesteigert, als er erst sehr spät seine angebliche Schnittverletzung ins Treffen geführt hätte. Schließlich habe der Beschwerdeführer aber auch in Bezug auf seine Familienangehörigen und deren Wohnsitze divergierende Angaben getätigt. Insgesamt sei seinem Vorbringen daher die Glaubwürdigkeit zu versagen. In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Bundesasylamt darauf, dass keine staatliche Verfolgung im Sinne der GFK vorläge, zumal er Staatsangehöriger von Nigeria sei, er jedoch seinen Fluchtgrund auf die Elfenbeinküste bezogen hätte. Bei einer tatsächlichen Verfolgung in einem Drittstaat hätte er sich zunächst an sein Heimatland Nigeria wenden müssen. Hinsichtlich seines Herkunftsstaates Nigeria hätte er keinerlei Verfolgung vorgebracht. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesasylamt aus, dass sich für den Beschwerdeführer gegenwärtig kein Abschiebungshindernis nach Nigeria ergäbe. Bezug nehmend auf Spruchpunkt III. verwies die belangte Behörde auf den Umstand, dass im konkreten Fall die öffentlichen Interessen die privaten Interessen überwiegen würden. Zu Spruchpunkt IV. führte das Bundesasylamt aus, dass der Beschwerdeführer die Behörde wissentlich über seine Identität sowie Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht und er keinerlei Verfolgungsgründe in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria vorgebracht hätte. Da er die Behörde auch über seine Bedrohungssituation offensichtlich zu täuschen versucht habe, seien die Ziffern 3, 4 sowie 5 des § 38 Abs. 1 AsylG erfüllt.

 

I.4. Gegen diese, dem Beschwerdeführer am 29.03.2011 im Wege der persönlichen Übernahme zugestellte Entscheidung, erhob dieser am 31.03.2011 fristgerecht Formalbeschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verfahrensmängel. Darin betonte er, dass die behaupteten Widersprüche in seinem Vorbringen vor allem auf Übersetzungsfehler zurückzuführen seien. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Beigabe eines Rechtsberaters gemäß § 66 AsylG iVm Art. 15f VerfahrensRl.

 

I.5. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 07.04.2011, Zahl A6 418.643-1/2011/4Z, wurde der nunmehr verfahrensgegenständlichen Beschwerde des Beschwerdeführers vom 31.03.2011 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.03.2011 gemäß § 38 Abs. 2 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

I.6. In weiterer Folge bestellte der Asylgerichtshof mit Beschluss vom 07.04.2011, Zahl A6 418.643-1/2011/3Z, gemäß § 66 Abs. 2 AsylG 2005 idgF Mag. XXXX zur Rechtsberaterin für das Verfahren in der gegenständlichen Beschwerdesache. In seiner Begründung führte der Asylgerichtshof aus, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Rechtsberater auch in den konkreten Asylverfahren zu bestellen seien.

 

I.7. Mit Schriftsatz vom 08.04.2011 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Darin betonte er, dass sein längerfristiger Aufenthalt in Nigeria und die Staatsangehörigkeit seiner Mutter nicht zwangsläufig bedeuteten, dass auch er nigerianischer Staatsbürger sei. Der Asylgerichtshof würde zum Beweis seiner Staatsangehörigkeit der Elfenbeinküste ersucht, ihm einen angemessenen Zeitraum zur Vorlage seiner Geburtsurkunde, die sich bei einem Freund in Nigeria befände, den er allerdings nichts erreichen könnte, einzuräumen. Weiters bemängelte der Beschwerdeführer, dass Spruchpunkt IV. der belangten Behörde nicht nachvollziehbar sei. Seine Unterschrift müsste nicht zwangsläufig dasselbe "Aussehen" wie sein Name haben.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Gemäß § 28 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 2008/4, nimmt der Asylgerichtshof mit 1.7.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 1.7.2008 außer Kraft.

 

II.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff " Beschwerde" tritt.

 

II.3. Gemäß § 9 leg.cit. entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

II.4. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Gemäß Abs. 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4, wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie über die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

II.5. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

II.6. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315 und 21.11.2002, 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde (hier: der Asylgerichtshof) hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH 14.3.2001, 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).

 

II.7. Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof) eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt gemäß § 37 AVG den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Diese Anordnung des Gesetzgebers würde aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens wesentlicher Sachverhaltsermittlungen in erster Instanz zu einer Verlagerung des Verfahrens vor den Asylgerichtshof käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn der Asylgerichtshof, statt seine (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, eigentlich jene Stelle darstellt, die in einer Gesamtbetrachtung erstmals den für das Verfahren sowie für eine Entscheidung wesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dieser Gesichtspunkt ist auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - immer unter ausreichender Berücksichtigung des Parteieninteresses an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG einzubeziehen.

 

II.8. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389).

 

II.9. Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, unter anderem in seinem Erkenntnis vom 24.02.2009, Zl. U 179/08-14, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer- Acht - Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 15.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

 

II.10. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich erscheint.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass sich tatsächlich Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Beschwerdeführers ergeben haben. Dies vor allem im Hinblick auf die im bekämpften Bescheid dargelegten Widersprüche. Soweit der Beschwerdeführer diese auf Übersetzungsfehler zurückführt, so ist anzumerken, dass sich nach Durchsicht der Einvernahmeprotokolle keine Hinweise auf Verständigungsschwierigkeiten mit dem beigezogenen Dolmetscher ergeben haben. Dem Beschwerdeführer wurden die Niederschriften zudem rückübersetzt, jedoch wurden von ihm keinerlei Korrekturen vorgenommen, weshalb dieser Einwand ins Leere geht. Allerdings kann der belangten Behörde in ihren Ausführungen zur festgestellten nigerianischen Staatsangehörigkeit nicht in dieser Form gefolgt werden:

 

Der Beschwerdeführer hat sowohl im Rahmen der Erstbefragung als auch im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesasylamt gleichlautend angegeben, in Buna City, Elfenbeinküste, geboren worden und Staatsangehöriger der Elfenbeinküste zu sein. Er führte hiezu weiters aus, dass seine Mutter nigerianische Staatsangehörige (gewesen) wäre, wohingegen sein Vater die Staatsangehörigkeit der Elfenbeinküste besäße. Seine Eltern seien traditionell verheiratet gewesen, hätten sich dann aber scheiden lassen, wobei in weiterer Folge der Beschwerdeführer im Alter von eineinhalb Jahren nach Nigeria gebracht worden und dort bei seiner Großmutter aufgewachsen sei. Er hätte dort die Schule besucht und wäre dort auch seinem Beruf nachgegangen. Weshalb die belangte Behörde nunmehr alleine aufgrund dieser Angaben von seiner nigerianischen Staatsangehörigkeit ausgeht, erscheint nicht plausibel nachvollziehbar. Vielmehr wäre das Bundesasylamt dazu gehalten gewesen, in diesem Bezug weitere Ermittlungen zu tätigen und etwa bei der Staatendokumentation anzufragen, welche Staatsangehörigkeit(en) einer Person mit einem solchen familiären Hintergrund wie jenem des Beschwerdeführers (Geburt in der Elfenbeinküste, Vater ist Staatsbürger der Elfenbeinküste, Mutter ist nigerianische Staatsangehörige) zukommt(en). Die Einholung eines Sprachgutachtens erscheint hingegen im konkreten Fall des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund seiner Aussagen nicht zielführend, zumal ohnehin außer Frage steht, dass seine Hauptsozialisierung in Nigeria erfolgt ist. Da jedoch zum jetzigen Zeitpunkt seine mögliche Staatsangehörigkeit der Elfenbeinküste nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, erweist sich die festgestellte nigerianische Staatsangehörigkeit und in Folge die Prüfung der subsidiären Schutzgründe sowie der Ausweisung in Bezug auf Nigeria durch die belangte Behörde als voreilig.

 

Festzuhalten ist, dass sich nähere Ausführungen hinsichtlich des Spruchpunktes IV. der belangten Behörde vor dem Hintergrund, dass der Beschwerde seitens des Asylgerichtshofes ohnehin die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden ist und mit gegenständlicher Entscheidung der gesamte Bescheid behoben wird, erübrigen. Dennoch ist am Rande anzumerken, dass dem Beschwerdeführer nur aufgrund der Tatsache, dass seine Unterschrift nicht mit seinen Personalangaben in Einklang gebracht werden konnte, noch keine Täuschungsabsicht über seine wahre Identität im Sinne des § 38 Abs. 1 Z. 3 AsylG unterstellt werden kann, vor allem, wenn man bedenkt, dass ein differenziertes "Aussehen" der Unterschrift im Vergleich zum Namen auch im Alltagsgebrauch durchaus üblich ist. Eine Unterschrift dient zwar im Rechtsverkehr grundsätzlich als Identitätsnachweis, doch ist im Asylverfahren zu berücksichtigen, dass die Identität eines Asylwerbers ohne Vorlage eines unbedenklichen Dokumentes ohnehin nicht festgestellt werden kann.

 

II.11. Aus dargestellten Erwägungen ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Das Bundesasylamt wird im fortgesetzten Verfahren in einer ergänzenden Einvernahme des Beschwerdeführers die konkreten Ermittlungsergebnisse unter Zugrundelegung aktueller Länderfeststellungen zu erörtern haben, um beurteilen zu können, ob das erstattete Vorbringen tatsächlich als nicht glaubhaft qualifiziert werden kann. Eine allfällige gleichlautende Entscheidung wird unter Berücksichtigung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse entsprechend zu begründen sein, sodass sie einer nachfolgenden Kontrolle standzuhalten vermag.

 

II.12. Von der durch § 66 Abs. 3 AVG eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, wenn "hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist", war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht Gebrauch zu machen, weil sich das Verfahren vor dem Asylgerichtshof - anders als das erstinstanzliche Asylverfahren - als Mehrparteienverfahren darstellt (vgl. § 67b Z 1 AVG), so dass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ-manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung, dies unter Berücksichtigung der §§ 51a bis d AVG und der Notwendigkeit der Ladung mehrerer Parteien, keine Kostenersparnis zu erzielen wäre. Hinzu kommt, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Asylgerichtshof zentral in Wien (mit einer Außenstelle in Linz) eingerichtet ist, sodass auch diesbezüglich eine Kostenersparnis nicht ersichtlich ist. Im Übrigen liegt eine rechtswidrige Ausübung des Ermessens durch eine auf § 66 Abs. 2 AVG gestützte Entscheidung schon dann nicht vor, wenn die beteiligten Behörden ihren Sitz am selben Ort haben (VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084, unter Verweis auf VwGH 29.01.1987, Zl. 86/08/0243).

 

II.13. Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall dem diesbezüglichen Antrag in der Beschwerde Rechnung zu tragen und das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass im Fall eines gemäß § 66 Abs. 2 AVG ergangenen aufhebenden Bescheides die Verwaltungsbehörden (lediglich) an die die Aufhebung tragenden Gründe und die für die Behebung maßgebliche Rechtsansicht gebunden sind (vgl. z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141); durch eine Zurückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befand (VwGH 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), so dass das Bundesasylamt das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen hat.

Schlagworte
Ermittlungspflicht, Herkunftsstaat, Kassation
Zuletzt aktualisiert am
15.06.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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