TE AsylGH Erkenntnis 2011/04/11 D12 306532-1/2008

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Veröffentlicht am 11.04.2011
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Spruch

D12 306532-1/2008/27E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Auttrit als Vorsitzenden und den Richter Dr. Dajani als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX auch XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.10.2006, Zl. 04 24.940-BAL, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 15.03.2011 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des bekämpften Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass die Ausweisung von XXXX auch XXXX aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation gemäß § 10 Abs 2 iVm §10 Abs. 5 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 135/2009 auf Dauer unzulässig ist.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Sachverhalt und Verfahrensgang:

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 10.12.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 11.12.2004 einen Asylantrag. Dazu wurde er am 20.12.2004 und am 22.12.2004 vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, erstbefragt und gab an, er habe seinen Herkunftsstaat verlassen, da in seiner Heimat ständig junge Männer verschwunden seien, er sei auch einmal festgenommen worden.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 15.12.2005 vom Bundesasylamt, Außenstelle Linz im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache von einem Organwalter niederschriftlich einvernommen und gab dabei kurz zusammengefasst Folgendes an: Er habe die Widerstandskämpfer mit Lebensmitteln und Wasser unterstützt und sei im Jahr 2002 für vier Tage festgenommen und dazu befragt worden. Gegen eine Zahlung von US$ 400.- sei er wieder freigelassen worden.

 

Mit Bescheid vom 04.10.2006, Zl. 04 24.940-BAL, hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 18.10.2006 fristgerecht Beschwerde (damals Berufung) erhoben.

 

Der Asylgerichtshof erhob Beweis durch folgende Handlungen:

 

A) Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Akt, samt

Beschwerdeschrift, Ergänzungen und Beilagen

 

B) Am 15.03.2010 wurden eine öffentliche mündliche

Beschwerdeverhandlungen durchgeführt an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat (siehe Verhandlungsprotokoll). Das Bundesasylamt ist zur Verhandlungen entschuldigt nicht erschienen, die Abweisung der Beschwerde wurde beantragt. Im Zuge der mündlichen Verhandlungen wurde Beweis erhoben durch ergänzende Parteienvernehmung des Beschwerdeführers sowie eines Zeugen.

 

Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 15.03.2010 gab der Beschwerdeführer nach einer Rechtsbelehrung bekannt, dass die Beschwerde zu Spruchteil I und II zurückgezogen wird. Der Beschwerdeführer lebe schon seit mehr als sechs Jahren in Österreich, habe viele Freunde hier, habe bereits Deutschkurse besucht, beherrsche die deutsche Sprache schon recht gut und habe eine Einstellungszusage als Hilfsarbeiter in einem Gartenpflegebetrieb. Es wurde ersucht, die Ausweisung zu beheben, da der Beschwerdeführer in Österreich integriert sei.

 

Es erfolgte eine Rechtsbelehrung bezüglich der Zurückziehung der Beschwerde zu Spruchteil I und II, mit dem Inhalt, dass damit der Bescheid des BAA zu Spruchteil I und II rechtskräftig wird und daher über die Spruchteil I und II nicht mehr abzusprechen ist.

 

Am 21.03.2011 langte beim Asylgerichtshof ein Schreiben ein, aus dem hervorgeht, dass die Firma XXXX den Beschwerdeführer als Hilfsarbeiter im Gartenpflegebetrieb, falls eine Arbeitsbewilligung vorliegen würde, als Vollzeitbeschäftigten mit einem Nettogehalt von ¿ 1.000.- einstellen würde. Weiters wurden zwei Bestätigungen über den Besuch eines Deutschkurses übermittelt.

 

Der zukünftige Arbeitgeber hat diese Angaben bereits in der Verhandlung bestätigt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den erkennenden Senat erwogen:

 

1. Aufgrund des Akteninhaltes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

 

Zur Person des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:

 

Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels der Vorlage von Personenstandsdokumenten nicht fest.

 

Der Beschwerdeführer ist russische Staatsangehörige, heißt XXXX auch XXXX, reiste am 10.12.2004 in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.

 

Der Beschwerdeführer, hat einige Freunde und Bekannte im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer hat in Österreich folgende Deutschkurse besucht. Deutschkurs der Medizinischen Universität Wien für Studierende, Kursnr. 3040 aus dem Jahre 2010. Derzeit besucht der Beschwerdeführer einen Deutschkurs für "Fortgeschrittene 1" des Magistrates der Stadt Wr. Neustadt. Der Beschwerdeführer spricht angemessen gutes Deutsch. Der Beschwerdeführer ist Mitglied im Boxclub in XXXX sowie im örtlichen Fußballverein.

 

Für den Beschwerdeführer liegt eine Einstellungszusage der Firma "XXXX vor, welche den Beschwerdeführer als Hilfsarbeiter im Gartenpflegebetrieb, falls eine Arbeitsbewilligung vorliegen würde, als Vollzeitbeschäftigten mit einem Nettogehalt von ¿ 1.000.- einzustellen gedenkt.

 

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten, ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot gegen ihn wurde nicht verhängt.

 

2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zur Nationalität des Beschwerdeführers und seiner familiären bzw. privaten Situation beruhen auf seinen diesbezüglichen glaubwürdigen Angaben.

 

Die Feststellungen zu seinem persönlichen Umfeld und seinen Lebensbedingungen in Österreich sowie zur guten Integration des Beschwerdeführers ergeben sich aus den diesbezüglichen glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers sowie der vorgelegten Kursbestätigung und der Einstellungszusage, sowie der Zeugenaussage des zukünftigen Arbeitgebers.

 

Dass gegen den Beschwerdeführer keine Verurteilungen vorliegen, ergibt sich aus der vom Asylgerichtshof getätigten Strafregisteranfrage.

 

Dass gegen den Beschwerdeführer kein Aufenthaltsverbot vorliegt, ergibt sich aus der vom Asylgerichtshof getätigten Anfrage in der Fremdeninformation.

 

Da im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof der Beschwerdeführer bekannt gab, dass die Beschwerde zu Spruchteil I und II zurück gezogen wird, war daher nach erfolgter Rechtsbelehrung bezüglich der Folgen der Zurückziehung der Beschwerde zu Spruchteil I und II, mit dem Inhalt, dass damit der Bescheid des BAA zu Spruchteil I und II rechtskräftig wird, über diese nicht mehr abzusprechen. Aus dem handschriftlich unterfertigten Verhandlungsprotokoll ergibt sich, dass der Beschwerdeführer diese Willenserklärung nach Belehrung hinsichtlich der Rechtsfolgen abgegeben hat. Spruchpunkt I und II des Bescheides des Bundesasylamtes sind damit am 15.03.2011 in Rechtskraft erwachsen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Mit 1. Juli 2008 entscheidet der Asylgerichtshof gemäß Art. 129c Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, idgF, in Verbindung mit § 61 Abs. 1 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, in der geltenden Fassung in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 oder 3a leg. cit. vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Durch Einzelrichter/Einzelrichterin entscheidet der Asylgerichtshof gemäß § 61 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 ausnahmslos über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4 leg. cit.;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 leg. cit. sowie

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG.

 

Der Asylgerichtshof entscheidet weiters durch Einzelrichter über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß § 41a AsylG 2005.

 

Eine mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung fällt gemäß § 61 Abs. 3 Z 2 leg. cit. ebenfalls in die Kompetenz des/der zuständigen Einzelrichters/ Einzelrichterin.

 

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Rechtsmittelverfahren gegen einen abweisenden Bescheid. Daher ist das Verfahren des Beschwerdeführers von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 66 Abs.4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die

 

Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Mit 01.01.2006 ist das Asylgesetz 2005 in Kraft getreten. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idgF sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge, die ab dem 1.5.2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

Gemäß § 75 Abs. 8 AsylG 2005 idgF ist § 10 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2009 auf alle am oder nach dem 1. Jänner 2010 anhängigen Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine Ausweisungsentscheidung nach dem Asylgesetz 1997, die vor dem 1. Jänner 2010 erlassen wurde, als eine Ausweisungsentscheidung nach § 10, die Zurückweisung eines Asylantrages nach dem Asylgesetz 1997 als eine Zurückweisung nach § 10 Abs. 1 Z 1 und die Abweisung eines Asylantrages nach dem Asylgesetz 1997, mit der festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist, als Abweisung nach § 10 Abs. 1 Z 2 gilt.

 

Zur Ausweisungsentscheidung:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn

 

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

 

2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

 

b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

 

c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

 

d) der Grad der Integration;

 

e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

 

f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

 

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

 

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

(5) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

(6) Ausweisungen nach Abs. 1 bleiben binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegen steht:

 

die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

 

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

 

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

 

die Bindungen zum Heimatstaat,

 

die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

 

auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

 

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

 

In Ergänzung dazu verleihen weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

 

Der Beschwerdeführer lebt seit Dezember 2004 durchgehend in Österreich und hat damit bereits mehrere Jahre in Österreich verbracht.

 

Da in der gegenständlichen Rechtssache durch die in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides angeordnete Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet, ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers vorliegt, ist eine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK durchzuführen.

 

Im Lichte der o.g. Judikatur des EGMR und des VfGH ist in der gegenständlichen Rechtssache der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nicht durch die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen gerechtfertigt. Dies aus folgenden Gründen:

 

Was die Festigkeit seiner sozialen und kulturellen Bindungen in Österreich betrifft, stellt der Asylgerichtshof fest, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit Dezember 2004 in Österreich aufhält. Der Beschwerdeführer spricht und versteht die deutsche Sprache gut. Davon konnte sich der Senat des Asylgerichtshofes im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung überzeugen (siehe auch das Verhandlungsprotokolls vom 15.03.2011), zumal die Einvernahme des Beschwerdeführers großteils auf Deutsch erfolgen konnte.

 

Der Beschwerdeführer ist bestrebt eine eigene Wohnung zu erhalten, dies scheiterte bisher an den finanziellen Möglichkeiten, mangels eines Arbeitsplatzes. Der Beschwerdeführer spricht relativ gut Deutsch, hat einige Freunde und Bekannte im Bundesgebiet. Weiters hat der Beschwerdeführer Deutschkurse absolviert und ist derzeit wiederum in einen Deutschkurs für Fortgeschrittene, dies ergibt sich aus den vorgelegten Urkunden.

 

Für den Beschwerdeführer liegt eine Einstellungszusage der Firma "XXXX vor, welche den Beschwerdeführer als Hilfsarbeiter im Gartenpflegebetrieb, falls eine Arbeitsbewilligung vorliegen würde, als Vollzeitbeschäftigten mit einem Nettogehalt von ¿ 1.000.- einzustellen gedenkt.

 

Die Fremdenbehörde hat einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 43 Abs. 2 oder 44 Abs. 3 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Ausweisung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 10 AsylG 2005 oder gemäß § 66 FPG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.

 

Mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels wird der Beschwerdeführerin auch rechtlich die Aufnahme einer Beschäftigung - mit Bewilligung durch das AMS - möglich sein.

 

Da der Beschwerdeführer nach einer Beschäftigungsbewilligung durch das AMS ein regelmäßiges Einkommen als Vollzeitbeschäftigter erlangen wird, wäre somit auch seine Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben.

 

Der Beschwerdeführer verfügt bereits über eine fortgeschrittene Integration in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Seine gelungene Integration wird auch durch mehrere Unterstützungsschreiben aus der Wohngemeinde, aus denen kurz zusammengefasst hervorgeht, dass der Beschwerdeführer in Österreich integriert sei, belegt.

 

Es liegt kein fremdenpolizeiliches Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Dies ergibt sich aus der im Akt inliegenden Strafregisteranfrage, sowie der ebenfalls einliegenden Anfrage in der Fremdeninformation.

 

Dem Bundesasylamt ist zwar zuzustimmen, dass dem öffentlichen Interesse, eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt; im vorliegenden Fall überwiegen jedoch die privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung. Der Beschwerdeführer hat u. a. durch seine Verhalten gezeigt, dass er gewillt ist, sich in Österreich zu integrieren und ist daher davon auszugehen, dass er auch weiterhin bestrebt ist, sich in Österreich zu integrieren, den Unterhalt für sein Leben selbst zu erwirtschaften und ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu werden. Es bestehen für den erkennenden Senat keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer nach Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung durch das AMS selbsterhaltungsfähig sein wird. Auch wenn sich der Beschwerdeführer nicht darauf verlassen konnte, sein Leben auch nach Beendigung seines Asylverfahrens in Österreich fortzuführen, hat er sich in der österreichischen Gesellschaft nachhaltig integriert. Bedenkt man, dass der Beschwerdeführer mit seinem sechseinhalbjährigen legalem Aufenthalt seine Integrationswilligkeit nicht zuletzt auch dadurch bewiesen hat, dass er die österreichische Rechtsordnung - soweit ersichtlich - während des gesamten Aufenthaltes geachtet hat und zu keinem Zeitpunkt straffällig geworden ist und gute Deutschkenntnisse erworben hat, sowie sich aktiv um einen Arbeitsplatz bemüht hat, dann überwiegen seine privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet den (unbestreitbar) öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf.

 

Siehe zur Interessenabwägung auch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2010, Zl. B950-954/10-8, indem dieser unterscheidet - ob die Aufenthaltsdauer auf eine schuldhafte Verzögerung des Beschwerdeführers zurückzuführen ist - oder nicht. Im Falle des Beschwerdeführers - ist die lange Dauer des Verfahrens - nicht auf sein Verschulden zurückzuführen.

 

Da somit zum Entscheidungszeitpunkt das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privatlebens des Beschwerdeführers im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt, erweist sich die im angefochtenen Bescheid angeordnete Ausweisung des Beschwerdeführers aus Österreich als unzulässig.

 

Wie sich bereits aus dem oben Ausgeführten ergibt, beruht die durch eine Ausweisung des Beschwerdeführers drohende Verletzung seines Privat- und Familienlebens auf Umständen, die ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, sodass die Ausweisung zu beheben und auf Dauer für unzulässig zu erklären war.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung dauernd unzulässig, Deutschkenntnisse, Integration, Interessensabwägung, Privatleben
Zuletzt aktualisiert am
29.04.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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