TE AsylGH Erkenntnis 2011/04/12 E6 306587-1/2008

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Veröffentlicht am 12.04.2011
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Spruch

E6 306.587-1/2008-25E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Habersack als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Kloibmüller als Beisitzerin über die Beschwerde der XXXX, StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. Pochieser, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.10.2006, Zl. 06 07.911-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.01.2011 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I.1. Verfahrensgang:

 

I.1.1. Die Beschwerdeführerin gab an, eine Staatsangehörige der Türkei kurdischer Abstammung zu sein und beantragte am 28.07.2006 die Gewährung von internationalen Schutz, nachdem sie am 11.07.2006 illegal in das Bundesgebiet eingereist ist. Hiezu wurde sie am 28.07.2006 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 07.08.2006 sowie am 28.09.2006 vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

Im Wesentlichen führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie die Türkei verlassen habe, weil sie als Angehörige der Volksgruppe der Kurden unterdrückt und diskriminiert worden sei und Angst vor Soldaten gehabt habe.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.10.2006, Zl. 06 07.911-BAT, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.

 

Dieser Bescheid wurde dem damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin am 10.10.2006 durch Hinterlegung zugestellt, wogegen am 18.10.2006 fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) erhoben wurde.

 

I.1.2. Am 09.05.2007 fand vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat eine mündliche Berufungsverhandlung statt.

 

Am 04.01.2008 langte das vom Unabhängigen Bundesasylsenat in Auftrag gegebene psychologische Gutachten der Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin Mag. Dr. XXXX vom 15.12.2007 beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

 

Auf Grund der Einrichtung des Asylgerichtshofes im Zusammenhang mit der Judikatur des VfGH (vgl. VfGH vom 27.04.2010, Zl. U 634/10-8) war die Neudurchführung des Verfahrens erforderlich, weshalb am 26.01.2011 vor dem Asylgerichtshof eine - mit den Verfahren der beiden Brüder der Beschwerdeführerin gemäß § 39 Abs. 2 AVG verbundene - mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt wurde. In dieser wurde der gesamte Akteninhalt verlesen und der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation darzulegen und zum psychologischen Gutachten Stellung zu nehmen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand vorliegender Länderdokumentationsunterlagen erörtert.

 

I.2. Sachverhalt:

 

I.2.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Türkei kurdischer Abstammung und moslemischen (sunnitischen) Glaubens. Geboren und aufgewachsen ist die Beschwerdeführerin in XXXX, Provinz Sanliurfa, wo sie auch die Volksschule absolvierte. Nach dem Schulabschluss war die Beschwerdeführerin in der elterlichen Landwirtschaft und im Haushalt tätig. Sie lebte bis zu ihrer Ausreise aus der Türkei im Juli 2006 im Haus ihrer Eltern.

 

Der Vater der Beschwerdeführerin verstarb im Jahr 2000 bei einem Verkehrsunfall. Die Beschwerdeführerin hat acht Geschwister. Ihre Mutter und ihr Bruder XXXX, der Sozialwissenschaften studiert hat, sowie eine Schwester der Beschwerdeführerin leben in XXXX im Haus der Familie der Beschwerdeführerin und betreiben eine eigene Landwirtschaft. Vier Schwestern der Beschwerdeführerin sind bereits verheiratet und leben in der Kreisstadt XXXX. Mit ihren in der Türkei lebenden Familienangehörigen steht die Beschwerdeführerin regelmäßig in Kontakt.

 

Zwei Brüder der Beschwerdeführerin namens XXXX und XXXX sind in Österreich als Asylwerber aufhältig.

 

Die Beschwerdeführerin hat eine Tochter, die am XXXX geboren wurde. Der Antrag auf internationalen Schutz der Tochter der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.03.2008, Zl. 08 00.864-BAT, abgewiesen und eine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei angeordnet. Mangels Einbringung einer Beschwerde erwuchs dieser Bescheid in Rechtskraft. Die Tochter der Beschwerdeführerin ist zum Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet nicht berechtigt.

 

Beim Vater der Tochter der Beschwerdeführerin handelt es sich um den türkischen Staatsangehörigen XXXX, der als Asylwerber in Österreich aufhältig war. Nach rechtskräftig negativem Abschluss seines Asylverfahrens in Österreich hat er Ende 2007 bzw. Anfang 2008 Österreich verlassen und ist freiwillig in die Türkei zurückgekehrt.

 

Die Beschwerdeführerin und XXXX haben, nachdem die Beschwerdeführerin schwanger geworden war, in Österreich vor einem Imam nach islamischen Ritus die Ehe geschlossen. Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem in der Türkei aufhältigen Ehemann regelmäßig telefonischen Kontakt.

 

Die Beschwerdeführerin lebt gemeinsam mit ihrer Tochter in einer Mietwohnung, die von ihrem Bruder XXXX angemietet wurde und wird von diesem finanziell unterstützt. Die Beschwerdeführerin verfügt über kein Einkommen und ist in Österreich noch keiner Beschäftigung nachgegangen.

 

Der Freundeskreis der Beschwerdeführerin setzt sich vornehmlich aus Personen türkischer oder kurdischer Abstammung zusammen.

 

Obwohl die Beschwerdeführerin vom 15.02.2010 bis 16.06.2010 und vom 13.09.2010 bis 15.12.2010 Deutschkurse besucht hat, ist sie der deutschen Sprache nicht mächtig. Eine Verständigung mit der Beschwerdeführerin in der deutschen Sprache ist gänzlich unmöglich.

 

Die Beschwerdeführerin ist sowohl subjektiv als auch objektiv beschwerdefrei und bei guter psychischer Befindlichkeit. Auf psychologischer Ebene ist keine Symptomatik klinischer Relevanz festzustellen. Es ist keine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung erforderlich. Es liegt keine Symptomatik vor, die einer posttraumatischen Belastungsstörung entspricht. Die Beschwerdeführerin kann nicht als "Opfer traumatisierender Vorfälle" im klinisch-psychologischen Sinn bezeichnet werden; die Wahrscheinlichkeit einer Retraumatisierung ist nicht gegeben. Auf psychologischer Ebene ist keine Symptomatik erkennbar, die hinsichtlich ihres Ausprägungsgrades ein Hindernis für eine Rückführung der Beschwerdeführerin in die Türkei darstellen würde.

 

Die Beschwerdeführerin wird in Österreich weder psychiatrisch noch psychotherapeutisch behandelt. Die Beschwerdeführerin leidet an Magenbeschwerden und an Asthma. Diese Erkrankungen werden mit einem Spray und mit Tabletten behandelt.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführerin in der Türkei eine asylrelevante - oder sonstige - Verfolgung oder Strafe maßgeblicher Intensität oder die Todesstrafe droht oder der Beschwerdeführerin in der Türkei die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre. Es ergaben sich auch nach Prüfung gemäß Art. 8 EMRK im vorliegenden Fall keine gegen die vorgesehene Ausweisung bestehenden Hinderungsgründe.

 

I.2.2. Zur Lage in der Türkei wird festgestellt:

 

Überblick

 

Die Republik Türkei ist eine parlamentarische Republik und definiert sich in ihrer Verfassung (Art. 2) als demokratischen, säkularen und sozialen Rechtsstaat auf der Grundlage der Ideen des öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität und Gerechtigkeit sowie der Menschenrechte und als besonders verpflichtet den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk. Staatsoberhaupt mit weitgehend repräsentativer Funktion ist der Staatspräsident, die politischen Geschäfte führt der Premierminister. Durch Referendum vom 21.10.2007 wurde die Verfassung dahingehend geändert, dass der Staatspräsident künftig nicht mehr vom Parlament, sondern vom Volk gewählt wird. Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt. Die Regierung hat mehrfach, zuletzt während der 8. Beitrittskonferenz in Brüssel am 21. Dezember 2009 ein klares Bekenntnis zum Ziel der EU-Vollmitgliedschaft abgegeben und angekündigt, den Reformprozess zu beschleunigen.

 

Meinungsfreiheit

 

Die Meinungsfreiheit wird durch die Anwendung verschiedener Gesetze (insbesondere Strafgesetzbuch, Anti-Terror-Gesetz) eingeschränkt. Schriftliche wie mündliche Aussagen, die die PKK (z.B. Bezeichnung der PKK als "Guerrilla"), den PKK-nahen Fernsehsender ROJ-TV oder den inhaftierten Abdullah Öcalan (z.B. "Verehrter Öcalan") in ein positives Licht stellen, werden strafrechtlich verfolgt. Themen wie Militär, die Armenierfrage und die Kurdenproblematik können inzwischen überwiegend ohne rechtliche Konsequenzen im öffentlichen Raum angesprochen werden. So lehnte es die Staatsanwaltschaft Ankara Anfang 2009 ab, Unterzeichner einer Internetkampagne, die von türkischen Intellektuellen zur Entschuldigung gegenüber den armenischen Opfern von 1915 eingerichtet worden war, strafrechtlich zu verfolgen. Ein Urteil des obersten Zivilgerichts gegen den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wegen seiner Äußerung zu Morden an Armeniern und Kurden (Oktober 2009) eröffnet jedoch den zivilrechtlichen Weg des Schadensersatzes bei Aussagen, die Kläger in ihrer Eigenschaft als türkische Staatsangehörige in ihrem Ehrempfinden verletzen. Kritik, Infragestellung oder Ironisierung des Staatsgründers Kemal Atatürk läuft weiterhin Gefahr, zur Anzeige gebracht und von Staatsanwälten auch strafrechtlich verfolgt zu werden.

 

Insbesondere im Südosten kommt es vor, dass Meinungsäußerungen bzw. die Teilnahmen an einer Demonstration bei öffentlichen Stellen wie der Polizei oder dem Gemeindeamt registriert werden. Dies kann in der Folge zur Diskriminierung bei der Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen führen (z.B. Bezug von Sozialleistungen über die Grüne Karte).

 

Politische Opposition

 

Politisch Oppositionelle werden nicht systematisch verfolgt. Die Arbeit der oppositionellen prokurdischen und in Teilen PKK-nahen DTP (Demokratik Toplum Partisi) wurde jedoch seit ihrem Bestehen ebenso wie ihre Vorgängerorganisationen von Seiten der Justiz durch Verfahren behindert, die die Meinungsfreiheit oder die politische Betätigungsfreiheit der DTP-Abgeordneten oder -Mitglieder einschränken. Nach zwei vornehmlich gegen DTP-und DTP-nahe Gewerkschaftsmitglieder gerichteten Verhaftungswellen am 15.und 28.05.2009 folgten im September, Oktober, Dezember 2009 und Januar 2010 weitere Verhaftungen. Dabei wurden über 800 Personen wegen angeblich terroristischer Aktivität im Rahmen der PKK-nahen Organisation (Kurdistan-Parlament, KCK) in Gewahrsam genommen. Das 2007 gegen die Partei eingeleitete Verbotsverfahren wurde am 11.12.2009 abgeschlossen. Die Partei wurde wegen ihrer Verbindungen zur terroristischen PKK verboten, gegen 37 DTP-Mitglieder (Antrag betraf 221 Personen) wurde wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" ein politisches Betätigungsverbot ausgesprochen. Zwei der betroffenen DTP-Mitglieder sind Abgeordnete im Parlament.

 

Dem Auswärtige Amt ist kein Fall bekannt geworden, in dem die einfache Mitgliedschaft in der HADEP oder in der DEHAP - ohne besondere, z.B. strafrechtlich relevante Verdachtsmomente - zu Repressalien gegen die Betreffenden geführt hätte.

 

Exilpolitische Aktivitäten

 

Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den türkischen Staat rechnen.

 

Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Die Entwicklung der vergangenen Jahre ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt. Die türkische Regierung hat zuletzt im Rahmen des 47. Assoziationsrates der EG mit der Türkei in Brüssel am 19. Mai 2009 ein klares Bekenntnis zum Ziel der EU-Vollmitgliedschaft abgegeben und angekündigt, den Reformprozess zu beschleunigen.

 

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der Verfassung verankert (Art. 138). Für Entscheidungen u. a. über Verwarnungen, Versetzung oder den Verbleib im Beruf ist der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte unter Vorsitz des Justizministeriums zuständig (Verhandlung in geschlossenen Verfahren; ohne gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit). Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Allerdings kommt es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen.

 

Dem Auswärtigen Amt sind in jüngster Zeit keine Gerichtsurteile auf Grundlage von durch die Strafprozessordnung verbotenen, erpressten Geständnissen bekannt geworden. Anwälte berichten, dass Festgenommene in einigen Fällen durch psychischen Druck verleitet werden, Aussagen zu machen. Bekannt ist auch, dass Erkenntnisse aus unzulässigen Telefonüberwachungen in Strafverfahren Eingang finden. Human Rights Watch weist in diesem Zusammenhang auf den nachlässigen Umgang mit Beweismitteln hin. 2008 sei es wiederholt zu Vertuschungsversuchen, Zerstörung und Unterdrückung von Beweisen bzw. Behinderung der staatsanwaltlichen Ermittlungen gekommen. Ähnliche Erkenntnisse ergeben sich aus der Beobachtung von Gerichtsverfahren durch die Botschaft Ankara.

 

Reformierte Strafrechtsnormen werden von den Gerichten auch in Fällen mit Terrorbezug und Separatismusvorwürfen grundsätzlich rechtsstaatskonform angewandt. Im Mai 2009 wurden vier Anwälte des Menschenrechtsvereins IHD kurzfristig aufgrund von Terrorismusvorwürfen verhaftet. Dabei wurden auch Unterlagen von Klienten beschlagnahmt. Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist grundsätzlich gewährleistet. Das Recht auf kostenlose Rechtsberatung bei Schuldvorwürfen mit einem Strafrahmen bis 5 Jahre wurde 2006 (mit Blick auf den Mangel an dafür geeigneten Rechtsberatern) eingeschränkt. Seit Dezember 2006 kann die kostenlose Rechtsberatung nur derjenige in Anspruch nehmen, der einem Tatvorwurf mit Strafandrohung von mindestens fünf Jahren ausgesetzt ist.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt in der Türkei eine wichtige Rolle: Zum einen, weil er als Ersatz für die im türkischen Recht fehlende Verfassungsbeschwerde angesehen und daher in vielen Fällen nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges angerufen wird; zum anderen ist die EMRK aufgrund einer entsprechenden Verfassungsbestimmung nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar.

 

Die Zahl der Beschwerden, die im Zusammenhang mit mutmaßlichen Folterfällen stehen, ist nach Angaben von Menschenrechtsverbänden 2009 landesweit zurückgegangen. Aus den vorliegenden Statistiken lassen sich jedoch keine Rückschlüsse ziehen, da längst nicht alle potentiellen Hinweise auf Folter durch die Menschenrechtsorganisationen überprüft und bestätigt werden konnten und die Erfassung in unterschiedlicher, teils sehr stark voneinander abweichender Weise gehandhabt wird. Bei einem statistischen Vergleich muss zudem berücksichtigt werden, dass gerade durch die "Null-Toleranz-Politik" die Sensibilität für das Thema erheblich zugenommen hat. Die aus Sicht des Auswärtigen Amtes verlässlichsten Zahlen stammen von der Menschenrechtsstiftung der Türkei, TIHV. In der Gesamtzahl berichtet TIHV von einer leichten Abnahme der bei ihnen behandelten Fälle von Folter und Misshandlung. Bis Ende November 2009 wurden insgesamt 252 Personen registriert, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden (2008: 269, 2007: 320; 2006: 222).

 

Sippenhaft

 

In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Werden Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.

 

Dem Auswärtigen Amt liegen keine Anhaltspunkte vor, dass Personen, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben und die zB eine strafrechtliche Verfolgung oder Gefährdung durch "Sippenhaft" in der Türkei behaupten, bei Rückkehr in die Türkei einer Gefährdung durch Folter oder Misshandlungen allein aufgrund der Tatsache droht, dass ein Asylantrag gestellt wurde.

 

Staatliche Repressionen

 

Es gibt keine Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder allein wegen ihrer politischen Überzeugung. Es kommt jedoch zu staatlichen repressiven Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen.

 

Repressionen Dritter

 

In der Türkei gibt es zahlreiche militante religiöse Gruppierungen wie die türkische Hizbullah, die "Front der Vorkämpfer des Großen Ostens" (IBDA-C) und linksradikale, terroristische Gruppierungen wie die DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi - "Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front") bzw. die TKP-ML (Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist) oder die linksterroristische MLKP (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei). Trotz der andauernden Bedrohung der nationalen Sicherheit durch Teile dieser Gruppierungen kann davon ausgegangen werden, dass sie keine Repressionen gegenüber einer bestimmten Personengruppe wegen ihrer Rasse, Nationalität, Religion oder politischen Überzeugung ausüben.

 

Kurden

 

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio, davon 90% Tscherkessen), Roma (ca. 2 Mio.), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken und Albaner). Türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit sind aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden). Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.

 

Der private Gebrauch des Kurdischen, d.h. der beiden in der Türkei vorwiegend gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmanci und Zaza, ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings noch eingeschränkt. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen sind nicht erlaubt. Durch die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als der einzigen Nationalsprache und dem damit einhergehenden Verbot für Behörden und Parteien, eine andere Sprache als Türkisch zu verwenden, wird die politische Betätigung von Kurden, aber auch anderer ethnischer Gruppen, eingeschränkt und ihnen die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen erschwert. Eine positive Entwicklung ist der neu geschaffene staatliche TV-Sender TRT 6, der seit Anfang 2009 ein 24-Stunden-Programm in kurdischer Sprache sendet. Zudem hob im November die staatliche Fernseh- und Rundfunkanstalt die bisher geltenden Beschränkungen für Privatfernsehen in "Sprachen und Dialekten, die traditionell von türkischen Bürgern im Alltag gesprochen werden" auf. Seit 2004 war es möglich wöchentlich vier Stunden im Privatfernsehen und sechs Stunden im Privatradio zu senden.

 

An der privaten Istanbuler Bilgi Universität wurde ab dem WS 2009 Kurdischunterricht als Wahlfach eingerichtet. An der Universität in Mardin wurde die Einrichtung eines "Instituts für lebende Sprachen" (u.a. für Kurdisch) durch den Hochschulrat beschlossen; für weitere Universitäten (Ankara; Istanbul) wird dies diskutiert.

 

Kurdische Arbeiterpartei (PKK)

 

Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckt sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen. Die Stärke der PKK in der Türkei/Nordirak wird aktuell auf noch 5.000 - 5.500 Kämpfer geschätzt, davon ca. zwei Drittel im Nordirak. Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL). Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten. Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara Meer. Kurdischen Quellen zufolge soll sich die PKK wieder verstärkt der Anwerbung "junger Kämpfer" widmen. Nach Berichten PKK nahe stehender Medien sind zahlreiche neue Guerillakämpfer in die Reihen der "Volksverteidigungskräfte" HPG aufgenommen und danach in ihre Einsatzgebiete entsandt worden.

 

Weiterhin sind Spannungen in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes zu verzeichnen. Die türkischen Militäroperationen gegen PKK-Einrichtungen im Nordirak dauern an; sie stützen sich inzwischen auf eine Kooperation mit den USA und Irak. Türkische Streitkräfte und die Regierung weisen häufiger darauf hin, dass die PKK Rekrutierungsschwierigkeiten habe und den Rückhalt in der Bevölkerung verliere. Beides lässt sich bisher jedoch nicht mit konkreten Zahlen belegen. PKK-interne Opposition (Ungehorsam, Befehlsverweigerung etc.) und Abfall (Desertion) von der PKK werden von dieser konsequent sanktioniert. Es gibt Hinweise auf Zwangsrekrutierungen durch die PKK, die allerdings nicht nachzuweisen sind.

 

Allerdings sehen Regierung und Militär, dass die Probleme im Südosten nicht allein mit militärischen Mitteln zu überwinden sind. Auf wirtschaftlichem und kulturpolitischem Gebiet hat die Regierung zahlreiche Anstrengungen zur Verbesserung der Lage der Kurden unternommen. Neben der Einführung kurdischsprachiger Sendungen im staatlichen Fernsehen ist die von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Erdogan im Mai 2009 angekündigte "Demokratische Öffnung" (zuvor "Kurdische Öffnung") von besonderer Bedeutung. Diese zielt insbesondere auf eine Lösung der Probleme des Südostens und beinhaltet politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Maßnahmen. Die volle Umsetzung der von der Regierung angestrebten Öffnungspolitik gegenüber den Kurden hängt stark davon ab, ob die mächtigen Beharrungskräfte im Oppositionslager sowie in den Bereichen Militär, Justiz und Polizei letztlich mitziehen oder gegensteuern.

 

Frauen

 

Zum Thema Zwangsverheiratungen gibt es in der Türkei bislang keine repräsentativen Untersuchungen. Das Amt für den Frauenstatus gibt in seinem Aktionsplan 2008-2013 lediglich den Prozentsatz der Zwangsverheiratungen von 2006 mit 37 % an. Grundsätzlich betrachten sowohl Nichtregierungsorganisationen als auch die Vereinten Nationen die Problematik der Zwangsheiraten nicht gesondert, sondern immer in Verbindung mit Früh- bzw. Kindesheiraten. Hierzu hat die lokale Frauen-NRO "Urfa Yasam Evi Kadin Dayanisma Dernegi" in ihrer Statistik aus dem Jahre 2008 angegeben, dass in Urfa und Umfeld 67 % der Frauen zwangs- bzw. frühverheiratet sind. Der Verein "Van Kadin Dernegi" stellt in einer Umfrage an 776 Frauen innerhalb der Provinz Van dar, dass 33,4 % dieser Frauen im Alter von 11-17 Jahren verheiratet und davon 29,5 % staatlich getraut sind. Das Heiratsalter der Ehemänner dieser Frauen liegt mit 33,9 % zwischen 15-24 Jahren. 53,4 % der Frauen sind Opfer von Gewalt in der Familie (2006). Das Heiratsalter ist mit dem neuen Zivilrecht (Gesetznr. 4721) im Jahr 2002 gesetzlich auf 17 Jahre für beide Geschlechter festgelegt worden (mit richterlichem Beschluss und Zustimmung der Eltern 16 Jahre). Diese Vorschrift wird allerdings häufig durch eine von einem Imam vollzogene, amtlich jedoch nicht anerkannte Trauung umgangen. Das durchschnittliche Heiratsalter (bei durch die Behörden vollzogenen Trauungen) in der Türkei liegt bei 23 Jahren für Frauen und 26 Jahren für Männer (Staatl. Statistikamt TÜIK, 2007).

 

In Bezug auf die Verfolgung und den Schutz bei Gewaltdelikten gegen Frauen hat der EGMR den türkischen Staat am 09.06.2009 in der Rechtssache Opuz zu einer Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 30.000 ¿ verurteilt. Der türkische Staat war trotz einer offensichtlichen Bedrohungssituation im Jahr 2002 nicht zum Schutz einer Frau und ihrer Mutter vor ihrem ehemaligen Ehemann eingeschritten. Der Gerichtshof stellte ein allgemeines Klima staatlicher Toleranz gegenüber häuslicher Gewalt gegen Frauen, insb. eine diesbezügliche Teilnahmslosigkeit der Verfolgungsbehörden und der Justiz fest. Die Türkei reagierte nach 2002 bereits mit Gesetzesänderungen, es bestehen jedoch weiter Defizite.

 

In der Türkei kommt es immer noch zu so genannten "Ehrenmorden", d. h. insbesondere der Ermordung von Frauen oder Mädchen, die sog. "schamlosen Verhaltens" aufgrund einer (sexuellen) Beziehung vor der Eheschließung bzw. Verbrechen in der Ehe verdächtigt werden; dies schließt auch vergewaltigte Frauen ein. Auch Männer werden - vor allem im Rahmen von Familienfehden (Blutrache) - Opfer von "Ehrenmorden". Dabei kommt es teilweise auch zu "Ehrenmorden" an Männern, die "schamlose Beziehungen" zu Frauen eingehen bzw. sich weigern, die Ehre der Familie wiederherzustellen. In Einzelfällen kommt es auch zu "Ehrenmorden" wegen Homosexualität.

 

Zu den so genannten. "Ehrenmorden" gibt es keine verlässliche Statistik. Dies liegt zum einen an der fehlenden Definition im tStGB und zum anderem an der Schwierigkeit, "Ehrenmorde" genau zu ermitteln. Laut dem Amt für Menschenrechte sind allein 2007 183 "Ehrenmorde" an

 

Frauen registriert worden. Dazu kommen "Ehrenmorde", die als Selbstmorde getarnt werden. Der 2006 erstellte und Anfang 2007 veröffentlichte Bericht einer "Ehrenmord"-Kommission des türkischen Parlaments zählt 1.190 Ehrenmorde und Blutrachedelikte in den Jahren 2001 bis 2006. Während die überwiegende Zahl der Täter eindeutig Männer seien (1.413 Männer, 180 Frauen), habe es 710 männliche und 480 weibliche Opfer gegeben. Die Statistik bezieht neben klassischen Ehrenmorddelikten und Vergewaltigung, sexuelle Belästigung auch Familienfehden mit ein; dies erklärt die hohe Zahl männlicher Opfer. Neuere Zahlen zu diesem Thema liegen nicht vor.

 

Mädchen, die aufgrund einer Vergewaltigung ihre Jungfräulichkeit verloren haben, sind oft unmittelbar bedroht. Nach dem neuen tStGB sind "Jungfräulichkeitstests" gegen den Willen der Betroffenen nur noch auf richterliche Anordnung zulässig. Die bisher bestehende Rechtsunsicherheit wird dadurch beseitigt. Die Strafandrohung bei illegaler Anwendung beträgt drei Monate bis ein Jahr Haft, vgl. Art. 287 tStGB. Verurteilungen auf dieser Grundlage sind bisher nicht bekannt.

 

Kommunen mit mehr als 50.000 Einwohnern sind per Kommunalgesetz verpflichtet, Frauenhäuser einzurichten. Laut dem Generaldirektorat für Soziale Hilfe und Kinderschutz gibt es landesweit derzeit 49 Frauenhäuser (davon 23 dem Generaldirektorat unterstellt) sowie 3 privat betriebene Frauenhäuser mit einem vergleichbaren Aufgabenbereich wie in Deutschland. Das Gesetz sieht vor, dass Frauen dort bis zu sechs Monaten Schutz finden können. Ferner besteht ein auf privater Initiative beruhendes Männerhaus in Konya. Es bestehen nach wie vor erhebliche Defizite bei der Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen durch Untätigkeit der Behörden und Strafverfolgungsorgane. Nach Aussage staatlicher Stellen stehen diese Einrichtungen auch Rückkehrern zur Verfügung.

 

Grundversorgung

 

Die Türkei kennt bisher keine staatliche Sozialhilfe die mit dem EU-Standard vergleichbar ist. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanismayi Tesvik Kanunu) und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Genel Müdürlügü Teskilat ve Görevleri Hakkinda Kanun) gewährt. Die Sozialhilfeprogramme werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen Stiftungen für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt und sind den Gouverneuren unterstellt.

Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der Sozialsicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die durch eine kleine Unterstützung oder durch Gewährleistung einer Ausbildungsmöglichkeit gemeinnützig und produktiv werden können.

 

Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung werden von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Hilfen für die Ausbildung (Schülerbedarfsartikel, Unterkunft), Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. In einem im Jahr 2008 begonnenen Projekt sollen erstmals Bedürftigkeitskriterien für die einzelnen Leistungsarten entwickelt werden. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt; in Einzelfällen entscheidet der Vorstand der Stiftung. In der Türkei existieren darüber hinaus weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben.

 

Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standards entsprechen. Auch das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert. Versorgungsdefizite - vor allem in den ländlichen Provinzen - bestehen aber noch bei der medizinischen Ausstattung, bei Ärzten und Krankenpflegern. In diesen Fällen besteht die Möglichkeit, die Patienten in Behandlungszentren der nächstgelegenen größeren Städte zu überweisen.

 

Das am 1. Oktober 2008 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Sozialversicherungsreform (Gesetz Nr. 5510) dehnt die gesetzliche Krankenversicherung auf alle Personengruppen, einschließlich der unter 18-Jährigen, aus. Ziel ist die Sicherstellung einer einheitlichen gesundheitlichen Versorgung aller Bürger mit im Wesentlichen gleichen Bezugsvoraussetzungen und Leistungsansprüchen für Angestellte, Rentner und Selbständige. Nach einer Übergangszeit von zwei Jahren (bis 30.09.2010) werden auch bisher unversicherte Mittellose, die die sog. "Grüne Karte" (Yesil Kart) für eine kostenlose medizinische Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem nutzen, sowie bisher durch die Maschen des Systems fallende Personen, einbezogen.

 

Eine medizinische Versorgung sowie die Behandlungsmöglichkeit psychischer Erkrankungen ist grundsätzlich landesweit gegeben. In ländlichen Regionen müssen Patienten unter Umständen in Behandlungszentren größerer Städte überwiesen werden. Das Gesundheitswesen garantiert psychisch kranken Menschen umfassenden Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beratungsstellen. Dauereinrichtungen für psychisch Kranke wie offene oder geschlossene Psychiatrien oder betreute Wohnheime gibt es jedoch nur in begrenzter Kapazität für chronische Fälle, in denen familiäre Unterstützung nicht gewährleistet ist oder die eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Auch bei der Behandlung psychischer Erkrankungen ist ein ständig steigender Standard festzustellen. Die Behandlung psychischer Erkrankungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) ist in allen Krankenhäusern der Türkei möglich, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) werden in der Türkei die international anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV angewandt. Zu Behandlungskonzepten zählen u.a. Psychotherapie mit Entspannungstraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. Eine Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ist grundsätzlich auch über die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) möglich.

 

Behandlung von Rückkehrern

 

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. In Fällen von Rückführungen gestatten die türkischen Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier.

 

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Ein Eintrag besteht nicht, wenn zuvor anhängige Ermittlungsverfahren oder eingeleitete Strafverfahren wegen Verjährung oder Amnestiebestimmungen eingestellt wurden oder die Person freigesprochen und ein Fahndungs- bzw. Haftbefehl aufgehoben wurde.

 

Wenn auf Grund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Ein Anwalt wird zur Durchführung des Verhörs, bei welchem der Festgenommene zu den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen gehört wird, hinzugezogen. Der Festgenommene wird ärztlich untersucht. Das Verhör wird durch den Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten im Namen der Staatsanwaltschaft vorgenommen. Der Festgenommene darf zunächst 24 Stunden festgehalten werden. Eine Verlängerung dieser Frist auf 48 Stunden ist möglich. Danach findet erneut eine ärztliche Untersuchung statt. Nach der ärztlichen Untersuchung wird der Festgenommene mit dem Bericht des Arztes dem Staatsanwalt vorgeführt, der nochmals eine Befragung im Beisein eines Anwaltes durchführt. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter mit dem Antrag auf Ausstellung eines Haftbefehls. Bei der Befragung durch den Richter ist ebenfalls der Anwalt anwesend. Wenn auf Grund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Ein Anwalt wird hinzugezogen und eine ärztliche Untersuchung vorgenommen.

 

Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den Amnestiebestimmungen des 1991 in Kraft getretenen Antiterrorgesetzes Nr. 3713 oder des im Dezember 2000 in Kraft getretenen Gesetzes Nr. 4616 (Gesetz über die bedingte Entlassung, Verfahrenseinstellung und Strafaussetzung zur Bewährung bei Straftaten, die vor dem 23. April 1999 begangen worden sind) profitieren kann oder ob gemäß Art. 102 StGB a. F. (jetzt Art. 66 StGB n. F.) Verjährung eingetreten ist. Sollte das Verfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmungen ausgesetzt oder eingestellt sein, wird der Festgenommene freigelassen.

 

Andernfalls fordert der Staatsanwalt von dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, einen Haftbeschluss an. Der Verhaftete wird verhört und mit einem Haftbefehl - der durch den örtlich zuständigen Richter erlassen wird - dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, überstellt. Während der Verhöre - sowohl im Ermittlungs- als auch im Strafverfahren - sind grundsätzlich Kameras eingeschaltet.

 

Dem Auswärtigen Amt ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen wurde kein Fall genannt, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt war. Nach Auskunft von EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie Norwegen, der Schweiz und den USA ist auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer menschenrechtswidriger Behandlung ausgesetzt waren.

 

Zum Wehrdienst:

 

Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige ab dem 1. Jänner jenes Jahres, in dem ein Staatsbürger 19 Jahre alt wird unabhängig von seiner Volkszugehörigkeit, sofern eine gesundheitliche Eignung gegeben ist. Der fünfzehnmonatige (für Universitätsabsolventen sechs- bzw. zwölfmonatige) Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Das Höchstalter für die Ableistung des Wehrdienstes liegt bei 40 Jahren. Das wehrdienstpflichtige Alter erstreckt sich damit über eine Zeitspanne von 21 Jahren, kann aber bei hinreichend dargelegter Notwendigkeit durch Generalstab und Verteidigungsministerium vom Nationalrat um fünf Jahre erhöht oder reduziert werden. Das wehrpflichtige Alter teilt sich in drei Phasen: die Einberufungsphase, den aktiven Dienst und die Reserve.

 

Gem. Art. 63 des Militärstrafgesetzes beträgt die Strafe für Wehrdienstverweigerung, wenn die Person dem Musterungsbefehl nicht folgt und drei Monate nach Zustellung desselben gefasst wird, zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahre, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist.

 

Obwohl im türkischen Militärgesetz § 63 die Verweigerung des Wehrdienstes mit schwerer Strafe bedroht wird, wird diese in den meisten Fällen nicht verhängt, es sei denn, es liegt ein weiterer qualifizierter Sachverhalt vor. Auch die Ländersachverständige Sedef Dearing geht davon aus, dass sich die Bestrafungen im unteren bzw. untersten Bereich des Strafrahmens bewegen.

 

In der Türkei gibt es keine gesetzliche Möglichkeit, einen Wehrersatzdienst zu leisten. Bei der Behandlung des Problems "Kriegsdienstverweigerung" schien sich auf offizieller Ebene eine Tendenz durchzusetzen, diese Personen als "untauglich" zu erklären, um wiederholte Inhaftierung und entsprechende internationale Proteste zu vermeiden. Dennoch kam es auch im Jahr 2008 zu Strafverfolgung von Wehrdienstverweigerern.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass kurdischstämmige Wehrdienstleistende während des Militärdienstes generell relevanten Nachteilen auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt wären. Vereinzelte Vorfälle können aber nicht ausgeschlossen werden.

 

Die Zuteilung der Wehrpflichtigen zu den Einheiten des Militärs erfolgt durch ein Computerprogramm (Zufallsprinzip). Vom Computersystem abweichende Zuteilungen - etwa über Intervention - sind im Einzelfall nicht gänzlich ausgeschlossen. Das GIGA geht in der genannten Anfragebeantwortung davon aus, dass Wehrpflichtige idR in der Nähe ihrer Wohnsitze einberufen werden, was jedoch nicht für Kurden aus dem Südosten der Türkei gilt, welche in der Regel im Norden und Westen eingesetzt werden, um Loyalitätskonflikte zu vermeiden. Der Zuweisungsort erfolgt grundsätzlich durch ein Computersystem, das gewisse Parameter berücksichtigt. So erfolgt kein Einsatz in der Region, in der ein Wehrdienstpflichtiger gemeldet ist und auch nicht in jener, aus der die betreffende Person ursprünglich stammte (in der er geboren ist).

 

Für türkische Staatsbürger, die aus dem Ausland zurückkämen, gibt es keine gesonderte Vorgangsweise - auch ihre Zuteilung zu bestimmten Regionen würde von der Wehrdienstbehörde per Computer entschieden.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass es hinsichtlich des militärischen Einsatzes der Türkei gegen die PKK in der Türkei bzw. im Nordirak von der Völkerrechtsgemeinschaft bzw. dem UN-Sicherheitsrat zu einer Verurteilung gekommen wäre, weil dieser etwa den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend wäre. Kritische Äußerungen von Staaten gibt es und die Türkei wird von Staaten aufgefordert von unverhältnismäßigen Militäraktionen abzusehen. Die Türkei stützt ihre militärische Aktion gegen die PKK im Nordirak auf Art 51 der UN-Charta, wonach Selbstverteidigungsmaßnahmen des Landes grundsätzlich erlaubt sind, wenn es bewaffneten Angriffen ausgesetzt ist, was für gegeben erachtet wird, weil die PKK vom Nordirak aus immer wieder Terroranschläge auf türkischem Gebiet verübt. Nach einer UN-Resolution aus dem Jahr 1974 (3314) kann eine solche Aggression nicht nur von einem Staat sondern auch von bewaffneten Banden ausgehen.

 

Für den Kampf gegen die PKK werden in der Türkei sowohl Armee, die Gendarmerie, die Polizei und Spezialeinheiten eingesetzt. Bei Gendarmerie, Polizei und Spezialeinheiten erfolgt kein Einsatz gegen den Willen des Betroffenen im eigentlichen Sinne, da diese Personen sich aus freiem Willen zu diesem Beruf entschlossen haben und ihn auch aufgeben könnten. Zudem kommen bei größeren Operationen gegen die PKK Personen/Einheiten zum Einsatz, welche eine Spezialsausbildung im Antiterrorkampf besitzen. Auch bei der gezielten Terrorbekämpfung gegen die PKK durch die Armee werden spezielle ausgebildete Kommandoeinheiten eingesetzt. Seit 2008 werden in diesen Kommandoeinheiten keine Reserveoffiziere mehr eingesetzt. Ab 2009 sollen die bisher eingesetzten Wehrpflichtigen, welche ebenfalls eine Spezialausbildung im Antiterrorkampf absolviert haben, durch Berufsoldaten ersetzt werden.

 

Es gibt in der türkischen Armee Spezialeinheiten, welche sich aus hoch spezialisierten und qualifizierten Leuten zusammensetzt, die als "politisch zuverlässig" und daher nicht nur über eine sehr spezielle Ausbildung, sondern auch über eine hohe Loyalität verfügen. Seit 2008 werden den dafür zuständigen Kommandobrigaden keine neuen Grundwehrdiener mehr zugeteilt. Es ist daher nicht wahrscheinlich, dass derzeit solche noch zu diesen Einheiten zur Bekämpfung des Terrorismus zugewiesen werden. Bis Ende 2009 sollen diese nach Beendigung der Umstrukturierung nur mehr aus hauptberuflichem Militärpersonal bestehen.

 

Eine Auswertung der Herkunftsorte gefallener Soldaten zeigt, dass eine Mehrzahl aus der Schwarzmeerregion und aus Zentralanatolien stammt.

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Akt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt, den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz, die vorgelegten Dokumente und übermittelten Schriftsätze sowie durch öffentlich mündliche Verhandlung der Beschwerdesache und durch Berücksichtigung nachstehender Länderdokumentationsunterlagen:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 11.04.2010, 29.06.2009 und 11.09.2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Glossar Islamische Länder, Band 23, Februar 2009

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Erkenntnisse, Juni 2009

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Türkei, November 2009

 

EU-Kommission, Türkei Fortschrittsbericht 2010, 09.11.2010

 

Home Office, Country of Origin Information Report, Turkey, 09.08.2010

 

USDOS: Country Reports on Human Rights Practices 2009: Turkey, 11.03.2010

 

USDOS: International Religious Freedom Report Turkey 2010, 17.11.2010

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, Verbot der DTP, 14.12.2009 und 21.12.2009

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010

 

Zum Wehrdienst in der Türkei:

 

Bericht des deutschen auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 11.04.2010

 

Anfragebeantwortung des deutschen auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Hannover vom 27.05.2010

 

GIGA, Anfragebeantwortung an den Unabhängigen Bundesasylsenat vom 10.9.2007

 

www.focus.de , Der türkische Einmarsch und das Völkerrecht, 22.2.2008;

 

Generalversammlung der Vereinten Nationen, 3314.-Definition der Aggression, 14.12.1974, Art 51 der UN-Charta

 

www.allaboutturkey.com/index.htm

 

BAMF/Informationszentrum für Asyl und Migration (Oktober 2008):

Vortrag Eurasil-Workshop vom 24.6.2008 in Nürnberg, Bericht von Michael Bittner, BAMF

 

ACCORD: Wehrdienstverweigerung in der Türkei, März 2009

 

Workshop AsylGH Türkei vom 24.4.2009: Vortragende Ländersachverständige Sedef Dearing

 

I.3. Beweiswürdigend wird ausgeführt:

 

I.3.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität der Beschwerdeführerin sowie hinsichtlich ihrer illegalen Einreise in das Bundesgebiet und des Datums ihrer Asylantragstellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt sowie den diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin und den in Vorlage gebrachten türkischen Personalausweis, ausgestellt am XXXX.

 

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den familiären und privaten Verhältnissen der Beschwerdeführerin, insbesondere zum Aufenthaltsstatus ihrer Tochter, gründen sich auf deren in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren und auf die diesbezüglich in Vorlage gebrachten Unterlagen.

 

Die festgestellten Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin gründen sich auf die Wahrnehmungen des entscheidenden Senates während der Beschwerdeverhandlung und auf die in Vorlage gebrachte Bestätigung hinsichtlich der Besuche von Deutschkursen.

 

I.3.2. Was hingegen die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Fluchtgründe betrifft, so ist Folgendes auszuführen:

 

Das zentrale Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Begründung ihres Asylantrages war, dass sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe in der Türkei unterdrückt und diskriminiert worden sei. Diesbezüglich führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie immer Angstzustände bekommen habe, sobald sie Soldaten gesehen habe. Sie habe immer Angst davor gehabt von Soldaten, die sich in XXXX aufgehalten hätte, belästigt oder sogar vergewaltigt zu werden. Wenn sie an Soldaten vorbeigegangen sei, hätten diese miteinander gesprochen und hätten ihr mit den Händen Küsse zugeworfen. Auch sei das Heimatdorf der Beschwerdeführerin immer wieder von Soldaten gestürmt worden und habe man die Dorfbewohner belästigt und bedroht. Auf Grund dieser Unterdrückungen und Diskriminierungen habe sich die Beschwerdeführerin in der Türkei zwei Mal in psychologischer Behandlung befunden. Sie sei sowohl in Sanliurfa als auch in Gaziantep mittels Gesprächstherapien behandelt worden.

 

Zu den Angaben der Beschwerdeführerin ist auszuführen, dass das gesamte Vorbringen sowohl vor dem Bundesasylamt als auch vor dem Asylgerichtshof ausschließlich allgemein gehalten war und sich nur auf die allgemeine Situation von Kurden in der Türkei - die vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen keineswegs den Schilderungen oder Behauptungen der Beschwerdeführerin entspricht - bezieht. Die Beschwerdeführerin vermochte es nicht, im Laufe des gesamten Verfahrens ein individuelles, ihre Person betreffendes Vorbringen zu erstatten, das auf eine individuelle Verfolgung ihrer Person hinweisen würde.

 

Sofern sich die Beschwerdeführerin darauf beruft, dass sie durch die allgemein vorherrschende Situation in ihrem Heimatdorf (zB Anwesenheit von Soldaten, Kontrollen und Befragungen sowie allgemeine Diskriminierungen von denen alle Dorfbewohner betroffen sind, etc.) auf Grund von Angstzuständen psychische Probleme bekommen habe, so ist ihr zu entgegnen, dass sie es damit nicht vermochte, eine Verfolgung ihrer Person iSd GFK glaubhaft zu machen.

 

Dazu muss in diesem Zusammenhang ganz allgemein festgehalten werden, dass unter dem Aspekt, dass Voraussetzung für die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling ein Eingriff ist, der eine solche Intensität erreicht, dass es dem Beschwerdeführer unzumutbar ist, weiter im Heimatstaat zu verbleiben, gerade in Anbetracht der behaupteten allgemeinen Diskriminierungen - die überaus allgemein gehalten sind und die Beschwerdeführerin es nicht vermochte, konkrete Angaben darüber zu machen - die Verfolgung zu verneinen ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Beschwerdeführers zu verstehen. Je schwerer der drohende Eingriff, desto geringer ist die erforderliche Gefahrenneigung. Bei schwersten Eingriffen, etwa bei drohenden Eingriffen in Leben, Gesundheit oder Freiheit, ist darauf abzustellen, ob die Verfolgungsgefahr mit erforderlicher Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Die behaupteten Eingriffe in die Privatsphäre der Beschwerdeführerin waren von geringer Intensität. Eine Beschimpfung und Bedrohung mag wohl unangenehm sein, ist aber ein Vorgehen, das nicht das von der Genfer Flüchtlingskonvention geforderte Ausmaß - vor allem ohne Kumulation mehrerer Vorfälle - einer Verfolgung erreicht. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass aufgrund der geringen Intensität der behaupteten Verfolgungshandlungen der Maßstab der erforderlichen Gefahrenneigung extrem hoch anzusetzen ist. Die Gefahrenneigung bzw. die Annahme, dass es bei einer Rückkehr der Beschwerdeführerin nochmals zu solchen Vorfällen kommt, ist jedoch aufgrund der mangelnden Aktualität der Vorfälle als nicht besonders groß anzusehen. Eine Verfolgungsgefahr wäre aber nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).

 

Soweit die Beschwerdeführerin ihren Ausreisegrund auf ihre kurdische Abstammung - sie werden in der Türkei als Kurdin diskriminiert und unterdrückt - stützt, obwohl sie konkrete und individuelle Schwierigkeiten wegen ihrer kurdischen Abstammung nicht behauptet hat, ist auszuführen, dass die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft für sich allein nicht geeignet ist, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun. Die bloße Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden bildet daher noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung (vgl. VwGH vom 31.01.2002, 2000/20/0358).

 

Hinsichtlich der etwaigen kurdischen Abstammung der Beschwerdeführerin ist weiters auszuführen, dass sich entsprechend der Länderberichte die Situation für Kurden derart gestaltet, dass momentan keine aktuellen Berichte über die Lage der Kurden in der Türkei und damit keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten - sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden - Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse an der Person der Beschwerdeführerin haben sollten, wurden von ihr nicht glaubhaft vorgebracht.

 

Weiters können allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, 95/20/0080; 23.05.1995, 94/20/0808), sind hinzunehmen.

 

Mit dem Vorbringen, die Beschwerdeführerin habe in der Türkei keine Arbeit gefunden, weil sie Kurdin sei, ist es ihr ebenso nicht gelungen, eine Verfolgung iSd GFK glaubhaft zu machen. Dass Kurden in der Türkei generell wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen seien, entspricht nicht den tatsächlichen Verhältnissen in der Türkei. Die Beschwerdeführerin vermochte diesbezüglich, lediglich wirtschaftliche Gründe oder Probleme zu nennen. Sofern die Beschwerdeführerin wirtschaftliche Gründe für das Verlassen der Türkei ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass alleine in allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen keine Verfolgung gesehen werden kann (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 unter Bezugnahme auf VwGH 24.10.1996, Zl. 95/20/0321, 0322) und eine der Beschwerdeführerin diesbezüglich aus Gründen der GFK drohende Verfolgung nicht ersichtlich ist.

 

Der Vollständigkeit halber ist noch zu erwähnen, dass auf den Inhalt der schriftlichen Stellungnahme vom 08.02.2011 nicht näher einzugehen war, weil diesbezüglich kein Bezug zum Vorbringen der Beschwerdeführerin hergestellt wurde. Beim Inhalt dieser Stellungnahme handelt es sich lediglich um eine Aufzählung von Medienberichten, in denen Einzelschicksale beschrieben werden, die aber nicht den Schluss zulassen, dass solche Vorfälle regelmäßig an der Tagesordnung stehen oder vom türkischen Militär systematisch provoziert werden würden.

 

Da die Beschwerdeführerin mittlerweile Mutter einer Tochter ist, wurde während der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 26.01.2011 versucht, die Begründung für gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz dahingehend "auszutauschen", dass es sich bei der Beschwerdeführerin nunmehr um eine alleinstehende Frau handeln würde, die zudem ein uneheliches Kind geboren habe. Aus diesem Grund wurde vorerst von der Beschwerdeführerin vorgebracht, dass sie keinen Kontakt zum Vater ihrer Tochter, der sich mittlerweile wieder in der Türkei aufhalten würde, habe, und dass sie ihrer in der Türkei lebenden Mutter und ihrem älteren Bruder von der Geburt ihrer Tochter nichts erzählt habe. Auch wurde von der Beschwerdeführerin vorerst geleugnet, dass sie mit dem Vater ihrer Tochter verheiratet sei. Im Laufe der mündlichen Beschwerdeverhandlung gestand die Beschwerdeführerin allmählich zu, dass sie mit dem Vater ihrer Tocht

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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