Index
25 Strafprozeß, StrafvollzugNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlassfallSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark wurde die Maßnahmenbeschwerde des nunmehrigen Beschwerdeführers gegen die Durchsuchung am Körper und seines Rucksacks durch Beamte der Bundespolizeidirektion Graz - gestützt auf §106 Abs1 der Strafprozessordnung 1975, BGBl. 631 idF des Strafprozessreformgesetzes BGBl. I 19/2004, (im Folgenden: StPO) - zurückgewiesen, da nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark das Vorgehen der Beamten ausschließlich der Aufklärung einer Straftat gedient habe.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der u.a. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich §106 StPO, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
4. Auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes erstattete das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst eine Stellungnahme.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Über Antrag ua. des Verwaltungsgerichtshofes prüfte der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des §106 Abs1 StPO. Mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, G259/09 ua., hat er ausgesprochen, dass die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des §106 Abs1 StPO als verfassungswidrig aufgehoben wird.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988). Im - hier allerdings nicht gegebenen - Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg. 17.687/2005).
3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G259/09 ua. begann am 22. September 2010. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 23. September 2008 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Wortfolge der Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlassfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2011:B1625.2008Zuletzt aktualisiert am
21.05.2012