Index
19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des am 1. Februar 1960 geborenen H G in E, vertreten durch Dr. Martin Leys, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Michael-Gaismair-Straße 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 3. Februar 1998, Zl. III 24-2/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 3. Februar 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, (nach der Aktenlage: einen türkischen Staatsangehörigen), gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 Z. 2 und den §§ 37 bis 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von vier Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei wie folgt rechtskräftig verwaltungsbehördlich bestraft worden:
Von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel am 17. Februar 1992 wegen Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 (§ 99 Abs. 1 lit. a) StVO zu einer Geldstrafe von S 10.000,--, weil er am 4. Dezember 1991 einen Pkw in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe,
von der Bezirkshauptmannschaft Kufstein am 22. August 1995 wegen Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 (§ 99 Abs. 1 lit. a), § 18 Abs. 3, § 4 Abs. 1 lit. a (§ 99 Abs. 2 lit. a), § 4 Abs. 1 lit. c (§ 99 Abs. 2 lit. a), § 4 Abs. 5 StVO zu Geldstrafen von S 11.000,--, S 400,--, S 1.000,--, S 1.000,-- und S 1.000,--, weil er am 27. Mai 1995 einen Pkw in einem durch Alkohol beeinträchtigen Zustand gelenkt habe, weil er zu eng auf das Vorderfahrzeug aufgefahren sei, wodurch er einen Verkehrsunfall verursacht habe, weil er in weiterer Folge das Fahrzeug nicht angehalten und sich von der Unfallstelle entfernt und so die Erhebungen erschwert habe und weil er diesen Verkehrsunfall nicht unverzüglich beim nächsten Gendarmerieposten gemeldet habe,
von der Bezirkshauptmannschaft Kufstein am 25. Juni 1997 wegen Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 (§ 99 Abs. 1 lit. b), § 11 StVO zu Geldstrafen von S 11.000,-- und S 400,--, weil er sich am 12. April 1997 gegenüber einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht geweigert habe, den Alkotest durchzuführen, obwohl habe vermutet werden können, dass er am 11. April 1997 einen Pkw in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand in Betrieb genommen habe, und weil er in die J.-Straße eingefahren sei, ohne den Blinker zu betätigen.
Der Beschwerdeführer sei weiters vom Bezirksgericht Kitzbühel wie folgt rechtskräftig verurteilt worden:
Am 10. Oktober 1995 wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Z. 2) StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen, weil er am 27. Mai 1995 als Lenker eines Pkw auf Grund mangelnder Aufmerksamkeit und infolge Alkoholisierung einen Auffahrunfall verursacht und dadurch eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit dreier namentlich angeführter Personen herbeigeführt habe,
am "26. Juni 1997" wegen des Vergehens nach §§ 57 (56 Abs. 1 Z. 1), 64 (63 Abs. 1 Z. 1 und 2) Lebensmittelgesetz zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen wegen des fahrlässigen Inverkehrbringens von gesundheitsschädlichen (Ananas, Rinderschnitzel) bzw. verfälschten Lebensmitteln (Bratwürste, Fleisch für Hamburger) am "4. September 1997".
Infolge der Häufigkeit/Schwere der Übertretung/des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers komme seine deutlich negative Einstellung gegenüber Rechtsvorschriften zum Ausdruck, wodurch der Eindruck entstehe, dass er nicht gewillt sei, Rechtsvorschriften in erforderlicher Weise zu achten und sein Verhalten den Gesetzen anzupassen, woraus sich die berechtigte Folgerung ergebe, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle (§ 36 Abs. 1 Z. 1 FrG). Seine rechtskräftigen Bestrafungen wegen Übertretung der StVO gemäß § 99 Abs. 1 und 2 aus 1995 und 1997 erfüllten den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 2 erster Fall FrG.
Ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG liege vor. Dieser Eingriff mache das Aufenthaltsverbot im Grund des § 37 Abs. 1 FrG aber nicht unzulässig. Die sich im Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers manifestierende Neigung, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, mache das Aufenthaltsverbot zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der Rechte anderer (auf Leben, Gesundheit, Vermögen) dringend geboten (vgl. Art. 8 Abs. 2 MRK). Dass alkoholisierte Kraftfahrzeuglenker nicht am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, habe im Hinblick auf den Schutz des Lebens, der Gesundheit und des Vermögens anderer einen sehr großen öffentlichen Stellenwert, "sehr großes öffentliches Gewicht".
Die privaten und familiären Interessen am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet wögen schwer (vgl. den erlaubten Aufenthalt und die Berufstätigkeit seit 1989 und die dementsprechend gute Integration und intensive private Bindung des Beschwerdeführers; dasselbe gelte im Wesentlichen für seine Familie, d.h. für seine Ehegattin, die als Hilfsarbeiterin einer eigenen erlaubten Arbeitstätigkeit im Bundesgebiet nachgehe, und seine drei Kinder, die in Österreich die Schule bzw. den Kindergarten besuchten; eine intensive familiäre Bindung habe der Beschwerdeführer naturgemäß zu seiner Familie, mit der er in einem gemeinsamen Haushalt lebe); sie wögen jedoch - im Hinblick auf die Neigung des Beschwerdeführers zu schweren (Verwaltungs-)Straftaten - höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, weshalb die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.
Ein Aufenthaltsverbots-Verbotsgrund gemäß § 38 FrG komme im Fall des Beschwerdeführers nicht zum Tragen. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes entspreche § 39 Abs. 1 FrG sowie den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen (d.h. dem Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers und seiner daraus hervorleuchtenden Gefährlichkeit für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit) und jenem Zeitraum, innerhalb dessen ein allfälliger, dauerhafter, positiver Gesinnungswandel erwartet werden könne. Die belangte Behörde sei der Ansicht, dass bis zum Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbots, nämlich der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit, das Verstreichen von vier Jahren von Nöten sei.
Zum Berufungsvorbringen werde zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Ausführungen dieses Bescheides verwiesen. Allfällige erstinstanzliche Verfahrensmängel seien durch die Berufungsmöglichkeit, von der der Beschwerdeführer Gebrauch gemacht habe, und den Berufungsbescheid saniert.
Davon, dass das Aufenthaltsverbot ein schwerer Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei, gehe die belangte Behörde ohnehin aus. Ob die gesamte Familie mit dem Beschwerdeführer das Bundesgebiet verlasse oder ob seine Ehegattin, die im Bundesgebiet selbst einer erlaubten Beschäftigung nachgehe, und die Kinder im Bundesgebiet zurückblieben und sich für vier Jahre vom Beschwerdeführer trennten, sei Sache des Beschwerdeführers und seiner Familie.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde bestreitet nicht die zu den Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers getroffenen Feststellungen und wendet sich auch nicht gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG verwirklicht und angesichts des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers die im § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Auf dem Boden der unbestrittenen maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen begegnet diese Beurteilung keinem Einwand, zumal es sich bei den dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Übertretungen nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 StVO 1960 im Hinblick auf die von alkoholisierten Kfz-Lenkern ausgehende große Gefahr für die Allgemeinheit um Gefährdungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit von großem Gewicht handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 98/18/0218).
2.1. Die Beschwerde hält indes den angefochtenen Bescheid im Grund des § 37 FrG für rechtswidrig und bringt vor, dass der Beschwerdeführer mit seiner Familie bereits seit zehn Jahren in Österreich lebe. Sowohl er als auch seine Gattin gingen einer erlaubten Arbeitstätigkeit nach, die 13-jährige Tochter und der zehnjährige Sohn besuchten die Schule, der fünfjährige Sohn den Kindergarten, wobei die Kinder mehr der deutschen als der türkischen Sprache mächtig seien. Der Beschwerdeführer und seine Familie seien in Österreich gesellschaftlich und sozial voll integriert. Die gemeinsamen ehelichen Kinder benötigten zweifellos gerade im Hinblick auf ihr derzeitiges Alter den Kindesvater "mehr als dringend". Die Erlassung bzw. Durchsetzung des Aufenthaltsverbotes würde bedeuten, dass eine vollintegrierte Familie aus ihrer familiärer Bindung gerissen würde, wobei die damit verbundenen psychologischen und sozialen Negativauswirkungen auf den Beschwerdeführer und dessen Familie höchstens ansatzweise zu erahnen seien. Im Übrigen lägen den strafgerichtlichen Verurteilungen äußerst geringfügige Fehlverhalten zu Grunde und habe sich der Beschwerdeführer sowohl in straf- als auch verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht gerade in letzter Zeit, nämlich über einen Zeitraum von nunmehr einem Jahr, wohlverhalten.
2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Im angefochtenen Bescheid wird zwar zutreffend die Auffassung vertreten, dass dem Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs im Licht von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interesses (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und Schutz der Rechts anderer) großes Gewicht zukommt. Der Beschwerdeführer weist aber sehr schwer wiegende persönliche Interessen an einem Verbleib in Österreich auf: Er hält sich nach dem angefochtenen Bescheid seit 1989 erlaubt im Bundesgebiet auf. Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides verfügte er nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten über eine bis 30. August 1998 gültige Aufenthaltsbewilligung. Der Beschwerdeführer lebt unbestritten mit seiner Familie (Ehefrau und drei gemeinsamen Kindern im Pflichtschul- bzw. Kindergartenalter) zusammen und geht - ebenso wie seine Ehefrau - einer erlaubten Erwerbstätigkeit nach. Angesichts dieser privaten und familiären Interessen kann auf dem Boden des von der belangten Behörde als maßgeblich herangezogenen Fehlverhaltens - entgegen dem Ergebnis ihrer Beurteilung - nicht gesagt werden, dass das vorliegende Aufenthaltsverbot im Grund des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten und damit zulässig sei.
3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 1. März 2001
Schlagworte
Verhältnis zu anderen Normen und MaterienEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998180158.X00Im RIS seit
26.06.2001