TE AsylGH Erkenntnis 2011/04/14 E8 413501-3/2011

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Veröffentlicht am 14.04.2011
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Spruch

E8 413.501-3/2011-3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.02.2011, Zl. 10 09.713-EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG UND SACHVERHALT

 

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch kurz: "BF"), eigenen Angaben zufolge ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden, reiste am 15.10.2009 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein; am selben Tag stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz und erfolgte seine Erstbefragung (AS. 11 ff). Am 25.02.2011 wurde der BF vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Wien, niederschriftlich einvernommen (AS. 61 ff). Zu seinen Fluchtgründen gab der BF kurz zusammengefasst zum einen an, er habe in der Türkei verschiedene, pro-kurdische (Jugend)vereine besucht und habe die Polizei versucht, ihn als Spitzel zu rekrutieren, wobei er aus Angst auch zugestimmt habe; in diesem Zusammenhang schilderte der BF auch einen Vorfall, bei dem es eine Schlägerei gegeben habe, da ein alevitischer Freund auf der Straße attackiert worden sei; zunächst sei der BF im Gefolge dieser Schlägerei mit auf die Polizeistation genommen, jedoch sogleich wieder entlassen worden, da sich die Polizisten, denen er eine Spitzeltätigkeit zugesagt habe, für ihn eingesetzt hätten. Zum anderen gelte der BF in der Türkei als fahnenflüchtig; den Militärdienst wolle er nicht ableisten, da er weder töten wolle noch selbst getötet werden wolle.

 

1.2. Mit Bescheid vom 18.03.2010, Zahl: 09 12.785-BAW, wies das BAA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Ziffer 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I); gem. § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Ziffer 13 AsylG wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.); gem. § 10 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III).

 

1.3. Dieser Bescheid wurde dem Vertreter des BF am 22.03.2010 zugestellt (Zustellnachweis AS. 198).

 

1.4. Am 26.04.2010 übermittelte der Vertreter des BF dem Bundesasylamt per Fax einen Schriftsatz, in dem er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 71 AVG stellte und gleichzeitig Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhob.

 

1.5. Mit Bescheid vom 28.04.2010, FZ. 09 12.785-BAW, wies das Bundesasylamt den Antrag des BF auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Ziffer 1 AVG ab.

 

1.6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 09.05.2010 fristgerecht Beschwerde.

 

1.7. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 29.06.2010, Zahlen: E8 413.501-1/2010-3E und E8 413.501-2/2010-3E, wurde die Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG abgewiesen und gleichzeitig die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.03.2010, FZ.: 09 12.785-BAW, erhobene Beschwerde gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.

 

2.1. Am 17.10.2010 stellte der BF einen neuerlichen Asylantrag. Er wurde dazu von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen an diesem Tag erstbefragt (AS. 19 ff) und am 21.10.2010 beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, niederschriftlich einvernommen (AS. 37 ff).

 

In der Erstbefragung gab der BF als Fluchtgrund an, dass er in der Türkei unterdrückt worden sei. Er sei sowohl von Behörden, als auch von Privatpersonen, die mit dem Staat zusammenarbeiten würden, unterdrückt und verfolgt worden, er habe daher die Türkei seinerzeit verlassen müssen. In der Türkei sei gegen ihn ein Gerichtsverfahren wegen angeblicher Körperverletzung eingeleitet worden, er habe jedoch niemanden verletzt, er sei selbst angegriffen worden. Weiters werde er von der Wehrdienstbehörde gesucht. Ihm drohe ein Gerichtsverfahren beim Militärgericht und eine Freiheitsstrafe, da er nicht rechtzeitig zur Musterung gekommen sei.

 

In der niederschriftlichen Einvernahme am 21.10.2010 beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, gab der BF an, er habe vorige Woche bei der Fremdenpolizei einen Termin gehabt und sei ihm dort mitgeteilt worden, dass er Österreich verlassen müsse; um dies zu verhindern, müsse er jetzt einen Folgeantrag stellen. Österreich habe er seit seinem Erstverfahren nicht verlassen.

 

Vorerst bestätigte der BF die Angaben aus der Erstbefragung (AS 41). Vor einigen Monaten habe er erfahren, dass eine Klage gegen ihn eröffnet worden sei. Seine Familie habe ihm geraten, nicht zurückzukommen. Er habe bereits angegeben, dass ihn radikalgläubige, rassistische Gruppen angegriffen hätten und er ins Ausland flüchten habe müssen. Zuvor sei ihm vorgeschlagen worden, als Spitzel für den Geheimdienst bzw. Gendarmeriegeheimdienst zu arbeiten. Als er bereits in Österreich gewesen sei, habe er von diesem Strafverfahren erfahren. Der Übergriff auf ihn sei Anfang August 2009 gewesen, das habe er bereits in seinem ersten Asylantrag angegeben. Er und drei seiner Freunde seien von ungefähr zehn Personen angegriffen worden. Schließlich sei die Polizei gekommen und die gegnerische Gruppe sei davongelaufen. Sie selbst seien von der Polizei festgenommen und einige Stunden angehalten worden. Er wisse nicht, wer ihn wegen Körperverletzung angezeigt habe, vermute aber die Polizei oder die Leute, mit denen sie Streit gehabt hätten. Die Polizei habe wegen dieser Körperverletzungsklage bei seinen Eltern nach ihm gefragt. Gleichzeitig würden seine Leute von den Personen bedroht, mit denen sie gestritten hatten.

 

Im Übrigen werde er seit 2009 auch von der Wehrdienstbehörde gesucht, seit er den Musterungsbefehl nicht befolgt habe. Er sei nicht zur Musterung gegangen, da er seinen Militärdienst nicht ableisten möchte; er könne die Waffe nicht gegen sein eigenes kurdisches Volk richten und gegen sie kämpfen.

 

Als Beweismittel legte der BF ein Formular (Briefumschlag) mit einer Vorladung zur ersten Strafkammer des Gerichts in E. für den 16.03.2010 (AS 27, Übersetzung AS 197), ein Schreiben des Wehrbezirksamtes vom 11.11.2009 (AS 29, Übersetzung AS 199), Zeitungsartikel aus 2009 (AS 53 - 57), einen Ausweis der Human Rights Association of Turkey betreffend seinen Vater (AS 59, 61), ein Beitrittsformular zur demokratischen Jugendbewegung in Europa vom 18.07.2010 (AS 63), Flugblätter, worauf u.a. sein Vater abgebildet ist (AS 65, 67 bzw. ident AS 69, 71) sowie Internetausdrucke (AS 75, 77 und 73, Übersetzungen 107 - 113 und 115 - 119) jeweils in Kopie vor.

 

Am 04.11.2010 erfolgte eine weitere Einvernahme des BF beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost. Dabei führte er aus, dass in der Türkei für ihn Lebensgefahr bestehe. Er sei von den MHP-Anhängern angegriffen worden, es sei zu einem Streit gekommen, man habe das Ganze umgedreht und ihn beschuldigt, dass er jemanden verletzt habe. Er sei wegen versuchten Mordes angeklagt worden (AS 183). Diesbezüglich verwies der BF auf die vorgelegte Ladung; es stehe zwar nirgends, nach welchem Delikt er angeklagt sei, jedoch habe die Polizei gesagt, dass er wegen versuchten Mordes angeklagt werde. Es sei auch eine Hausdurchsuchung (bei seinen Eltern) durchgeführt worden, die Polizei habe auch ein Passfoto von ihm mitgenommen (AS 185).

 

Zum Beweis dafür, dass er in der politischen Szene aktiv gewesen sei, legte der BF eine CD vor. Diese zeige eine Wahlveranstaltung vom 29.03.2009. Der BF legte weiters einen Internetausdruck (Foto mit Text) vor (Datum 24.11.2009), darauf sei sein Hauptschullehrer zu sehen. Gemäß dem Text handelt es sich um eine Konfrontation zwischen DTP-Anhängern und "Grauwölflern" (AS 187, 193, 195).

 

Zur politischen Tätigkeit seines Vaters gab der BF an, dass dieser sich gemeinsam mit dem Verein für die Menschenrechte der Bürger einsetze; er nehme an Demonstrationen teil (AS 189).

 

Vom BF wurde weiters eine Bestätigung der EMEK-Partei vom 10.11.2010 vorgelegt, wonach er kein Mitglied, sondern nur Sympathisant sei (AS 207, 209). Weiters wurde eine Bestätigung vom 06.12.2010 vorgelegt, gemäß welcher der Vater des BF Mitglied des dortigen Menschenrechtsvereins und als Vorstandsmitglied tätig sei und der BF selbst Tätigkeiten für diese Organisation durchgeführt habe und deswegen unter verschiedenem Druck leide (AS 211, 213).

 

2.2. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 21.02.2011 wies das BAA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gem. § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I) und wies den BF gem. § 10 Abs 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei aus (Spruchpunkt II).

 

Begründend führte das BAA zu Spruchpunkt I im Wesentlichen aus, dass weder in der maßgeblichen Sachlage noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages möglich erscheinen ließe; somit stehe die Rechtskraft des Vorverfahrens (Zl. 09 12.785-BAW) dem neuerlichen Antrag entgegen, weswegen die Asylbehörde zur Zurückweisung verpflichtet sei.

 

Die beim zweiten (gegenständlichen) Asylantrag vorgebrachten Gründe, die der BF nunmehr als fluchtauslösend bzw. als für die Entscheidung des Bundesasylamtes relevant erachte, hätten schon zum Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftsstaates bestanden und habe der BF diese auch gekannt.

 

Die nunmehr vorgebrachten Gründe (Spitzeltätigkeit, Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes) würden auf einem Sachverhalt beruhen, dessen Ursprung bereits im ersten asylrechtlichen Rechtsgang geprüft und als nicht glaubhaft bzw. asylrelevant bewertet worden sei. Werde die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und beziehe sich der Asylwerber auf sie, so liege nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es werde der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden sei. Mit dem zweiten Asylantrag werde daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt. Die Rückkehrbefürchtungen des BF würden sich auf die damaligen Fluchtgründe stützen.

 

Zu Spruchpunkt II. führte das BAA im Wesentlichen aus, dass bereits im Vorverfahren festgestellt werden habe können, dass kein vom Schutz des Art. 8 EMRK umfassender intensiver Familienbezug vorliege, der eine Ausweisung iS des Art. 8 EMRK unzulässig machen könnte. Eine besondere, neu entstandene Beziehungsintensität, welche nicht bereits im Erstverfahren vorgelegen habe, habe nicht festgestellt werden können. Die Ausweisung stelle daher unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen keinen unzulässigen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

 

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sei festzustellen, dass den privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung ein wesentlich geringerer Stellenwert zukomme als den öffentlichen Interessen an einer Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet. Die Ausweisung stelle auch insoweit keine Verletzung von Art. 8 EMRK dar.

 

Die Zustellung dieses Bescheides an den bevollmächtigten Vertreter erfolgte am 11.03.2011 (AS 351).

 

2.3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 17.03.2010 fristgerecht Beschwerde (AS 385 ff). Beantragt wurde die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens aufgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, ihn zum inhaltlichen Verfahren zuzulassen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Der Bescheid werde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts bekämpft.

 

Die Behörde habe entsprechende weiterführende Ermittlungen nicht durchgeführt, wozu sie aber verpflichtet gewesen wäre. Er selbst habe durch Vorlage von Beweismitteln alles in seiner Macht stehende getan, um sein Vorbringen zu beweisen. Die Behebung des Bescheides nach § 41 Abs. 3 AsylG sei daher unumgänglich.

 

Im Verfahren habe er Beweismittel vorlegen können, welche einerseits seine Aktivitäten in der Türkei im Zusammenhang mit der EMEP belegen würden und habe er andererseits Nachfluchtgründe gesetzt, da er an einer dieser Gesinnung entsprechenden Demonstration teilgenommen habe. Dies sei auch im Internet bekannt, wo Videos von der Demonstration veröffentlicht worden seien, auf denen er deutlich erkennbar sei.

 

2.4. Das gegenständliche Beschwerdeverfahren wurde der zuständigen Abteilung des AsylGH mit 25.03.2011 zugeteilt.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

1. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG idgF entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Im vorliegenden Verfahren liegt eine Beschwerde gegen eine Entscheidung nach § 68 AVG vor, sodass der erkennende Richter als zur Entscheidung zuständig ist.

 

2.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gem. § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH v. 30.09.1994, Zl. 94/08/0183; VwGH v. 30.05.1995, Zl. 93/08/0207; VwGH v. 09.09.1999, Zl. 97/21/0913; VwGH v. 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).

 

"Entschiedene Sache" iSd. § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH v. 09.09.1999, Zl. 97/21/0913; VwGH v. 27.09.2000, Zl. 98/12/0057; VwGH v. 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH v. 10.06.1998, Zl. 96/20/0266).

 

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH v. 30.05.1995, Zl. 93/08/0207).

 

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der BF auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH v. 20.03.2003, Zl. 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit dem zweiten Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH v. 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).

 

Maßgeblich für die Frage, ob "eine entschiedene" Sache im Sinne des § 68 Abs 1 AVG vorliegt, ist nicht der Umstand, dass das Folgeverfahren auf eine abweichende neue Antragsbegründung gestützt wird. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob das neue Sachverhaltsvorbringen von der Rechtskraft des das Erstverfahren beendenden Bescheides umfasst ist; mit anderen Worten: ob dieser "historische" Sachverhalt bereits vor Erlassung des rechtskräftigen Erstbescheides vorgelegen war. Ist dies zu bejahen, handelt es sich bestenfalls um "neu hervorgekommene Tatsachen" (sog. "novareperta"), die angesichts der zeitlichen Rückwirkung einer rechtskräftigen Entscheidung unter den engen Voraussetzungen einer Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs 1 Z 2 AVG in dieses bereits abgeschlossene Verfahren als nachträgliche Tatsachenverbreiterung einfließen könnten. Nicht hingegen rechtfertigen solche neu hervorgekommene Tatsachen ein neues, rechtlich selbständiges, materielles Verfahren. Dem steht das dem § 68 Abs 1 AVG inhärente Wiederholungsverbot entgegen. Zur Durchführung eines neuen inhaltlichen Folgeverfahrens könnten lediglich solche Tatsachen verpflichten, die erst nach der Erlassung des rechtskräftigen Erstbescheides "neu entstanden" sind (sog. "nova producta").

 

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in VwGH 21.11.2002, Zahl 2002/20/0315, könne nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages dürfe nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Darüber hinaus müsse die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde habe sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Würden die Ermittlungen der Behörde ergeben, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eintrete, so sei der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. das E 19.7.2001, Zl. 99/20/0418, mwN; siehe dazu auch die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, E 73 ff zu § 68 AVG wiedergegebene Rechtsprechung).

 

2.2. Für das Vorbringen des BF im Folgeverfahren bedeutet dies:

 

2.2.1. Im nunmehrigen Asylverfahren brachte der BF vorerst vor, dass er in der Türkei unterdrückt worden sei. Er sei sowohl von Behörden, als auch von Privatpersonen, die mit dem Staat zusammenarbeiten würden, unterdrückt und verfolgt worden, er habe daher die Türkei seinerzeit verlassen müssen. In der Türkei sei gegen ihn ein Gerichtsverfahren wegen angeblicher Körperverletzung eingeleitet worden, er habe jedoch niemanden verletzt, er sei selbst angegriffen worden. Weiters werde er von der Wehrdienstbehörde gesucht; ihm drohe ein Gerichtsverfahren beim Militärgericht und eine Freiheitsstrafe, da er nicht rechtzeitig zur Musterung gekommen sei. In der Einvernahme am 21.10.2010 führte der BF näher aus, dass ihn radikalgläubige, rassistische Gruppen angegriffen hätten; er und drei seiner Freunde seien von ungefähr 10 Personen angegriffen worden. Die Polizei habe wegen dieser Körperverletzungsanklage bei seinen Eltern nach ihm gefragt. In der Einvernahme am 04.11.2010 gab der BF schließlich näher an, dass in der Türkei für ihn Lebensgefahr bestehe; er sei von den MHP-Anhängern angegriffen worden, es sei zu einem Streit gekommen, man habe das Ganze umgedreht und ihn beschuldigt, dass er jemanden verletzt habe. Er sei wegen versuchten Mordes angeklagt worden. Diesbezüglich verweise er auf die vorgelegte "Ladung" (bei der es sich tatsächlich lediglich um eine Kopie eines Kuverts handelt); es stehe zwar nicht darauf, nach welchem Delikt er angeklagt sei, jedoch habe die Polizei dies gesagt. Es sei auch eine Hausdurchsuchung bei seinen Eltern durchgeführt worden, die Polizei habe auch ein Passfoto von ihm mitgenommen.

 

2.2.2. Treffend hat das BAA zunächst darauf hingewiesen, dass bereits das Vorbringen des BF im ersten Verfahrensgang als nicht glaubwürdig erkannt wurde (vgl. die dortigen AS 173 - 179). Weiters ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der BF bei seiner Erstbefragung vor der EAST Ost noch ganz offen angab, er sei nunmehr gezwungen gewesen, den Folgeantrag zu stellen, da er zuvor einen Termin bei der Fremdenpolizei gehabt habe und ihm dort mitgeteilt worden sei, er müsse Österreich verlassen (AS. 39).

 

Was das vom BF erstmals im Folgeverfahren erstattete Vorbringen hinsichtlich einer Anklage anbelangt, so ist Folgendes auszuführen:

Wenn er nunmehr zuletzt in seiner Einvernahme vom 04.11.2010 ausführt, dass er wegen versuchten Mordes angeklagt werde und bei seinen Eltern eine Hausdurchsuchung stattgefunden habe, so stellt dies (innerhalb des Folgeverfahrens) eine eklatante Steigerung seines Vorbringens dar. An keiner Stelle hatte er zuvor dargelegt, dass eine Hausdurchsuchung stattgefunden habe und hatte er zuvor immer nur von einer Anzeige bzw. Anklage wegen Körperverletzung gesprochen; auf einen diesbezüglichen Vorhalt gab der BF etwa - wenig überzeugend - an, es sei ihm zuvor nicht die Gelegenheit gegeben worden, dies anzugeben; es sei ihm gesagt worden, er solle nicht seine ganze Lebensgeschichte erzählen (AS. 185), was in Anbetracht der Schwere des behaupten Vorwurfs doch sehr unplausibel erscheint.

 

Der BF führte weiters aus, dass das Delikt, wonach er angeklagt werde (versuchter Mord) nicht auf der vorgelegten "Ladung" aufscheine, die Polizisten hätten dies aber seinen Eltern mitgeteilt. Dem ist entgegenzuhalten, dass das betreffende Schriftstück folgenden Passus enthält: "In diesem Kuvert befindet sich die Anklageschrift - (Beschuldigter A. C. A. - 16.12.2009)", vgl. AS 197. Eine Anklageschrift wurde vom BF aber nicht vorgelegt, sondern nur das betreffende Kuvert in Kopie. Sehr unplausibel wäre in diesem Zusammenhang, dass eine Anklageschrift keine Auskunft darüber enthielte, weswegen der BF angeklagt werde und dass lediglich Polizisten den Eltern des BF mitgeteilt hätten, dass er wegen versuchten Mordes angeklagt werde. Insofern ist das diesbezügliche Vorbringen des BF als äußerst fraglich anzusehen, wobei nochmals zu betonen ist, dass er selbst in dieser Hinsicht lediglich vage Angaben machte bzw. sich auf Vermutungen oder angebliche Aussagen seiner Eltern stützte; dem vom BF in Kopie vorgelegte Kuvert, in dem sich die Anklageschrift befunden haben soll, sind keinerlei konkrete Angaben zu entnehmen.

 

2.2.3. Ungeachtet dieser Überlegungen ist jedoch der gesamte Sachverhalt rund um die angebliche Schlägerei und die daraus angeblich resultierende Anklage wegen Körperverletzung bzw. versuchten Mordes von der Rechtskraft des Erstbescheides umfasst:

 

So hat der BF von der Schlägerei, bei der er mit seinen Freunden von mehreren mit Messern bewaffneten Männern attackiert worden sei, bereits im Erstverfahren berichtet (Erstakt S. 73) und hat sich diese somit unzweifelhaft vor rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens ereignet. Das Datum der nunmehr vorgelegten "Ladung" (Kuvert) zu einer Gerichtsverhandlung (AS 27, Übersetzung AS 197) geht aus dem Akteninhalt zwar nicht hervor; es handelt sich aber um eine Ladung für den 16.03.2010. Gemäß den Angaben des BF wurde diese Ladung an die Adresse seiner Eltern zugestellt; es ist somit davon auszugehen, dass dies einige Zeit vor dem 16.03.2010 geschehen ist. Das Erstverfahren des BF wurde nach ungenütztem Ablauf der Beschwerdefrist am 09.04.2010 rechtskräftig abgeschlossen. Die Zustellung einer Ladung für den 16.03.2010 liegt daher vor Eintritt der Rechtskraft (am 09.04.2010). Dieser historische Sachverhalt (Zustellung der Ladung für den 16.03.2010) liegt auch noch vor der Fertigung des damaligen erstinstanzlichen abweisenden Bescheides am 18.03.2010, welcher am 22.03.2010 zugestellt und damit erlassen wurde (vgl. AS 195, 198 des Erstverfahrens). Es muss dieses Vorbringen daher als von der Rechtskraft des Erstbescheides erfasst angesehen werden und kann somit nicht zu einem neuerlichen inhaltlichen Verfahren führen. Es handelt sich dabei um keinen seit Abschluss des Erstverfahrens neu entstandenen Sachverhalt.

 

2.2.4. Soweit der BF auf Zeitungsartikel aus 2009, einen Ausweis der Human Rights Association of Turkey betreffend seinen Vater und Flugblätter, worauf u.a. sein Vater abgebildet sei, verwies und damit eine politische Tätigkeit seines Vaters vorbrachte, so ist dem einerseits entgegenzuhalten, dass der BF nicht etwa vorbrachte, sein Vater sei in der Türkei asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt und andererseits die Sachverhalte zum einen vor dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Erstbescheids datieren und zum anderen (soweit sie nach diesem Datum gelegen sind) nicht erkennbar ist, inwieweit der BF in diesem Zusammenhang asylrelevant verfolgt werde, wenn schon für seinen Vater keine asylrelevante Verfolgung behauptet wurde.

 

2.2.5. Soweit der BF im Zweitverfahren vorbringt, er werde von der Wehrdienstbehörde gesucht, ihm drohe ein Gerichtsverfahren beim Militärgericht und eine Freiheitsstrafe, macht er jedoch auch damit keinen neu entstandenen Sachverhalt geltend: So war die Wehrdienstverweigerung des BF bereits Gegenstand des ersten Asylverfahrens; der BF gab an, er möchte keinen Militärdienst leisten, er möchte keine Menschen töten und nicht selbst getötet werden, die Politik des türkischen Staates sei so, dass man kurdische Soldaten gegen kurdische Aufständische einsetze, damit sie sich gegenseitig umbringen (Erstakt Seite 73). Daraus ergibt sich unstrittig, dass die Wehrdienstverweigerung des BF im Erstverfahren bereits vorlag und auch thematisiert wurde, sodass die vorgelegte Bestätigung, dass der BF als fahnenflüchtig gelte, nur ein Fortwirken eines bereits im Erstverfahren rechtskräftig abgehandelten Fluchtgrundes darstellt. Auch insofern liegt somit kein neu entstandener Sachverhalt vor, der zu einem neuen inhaltlichen Verfahren führen könnte.

 

2.2.6. Wenn der BF im Folgeverfahren behauptet, Polizisten vom Geheimdienst bzw. Gendarmeriegeheimdienst hätten versucht, ihn als Spitzel anzuwerben, er werde unter Druck gesetzt, um mit ihnen zusammenzuarbeiten, so hatte er auch dies bereits im ersten Verfahren vorgebracht.

 

2.2.7. Im Erstverfahren hatte der BF angegeben, er sei Sozialist und habe in der Türkei das Parteilokal der EMEP in E., den IHD (Verein für Menschenrechte) in E. und die demokratische Jugendbewegung DGH in T. besucht. Er habe diese Vereine nur besucht und habe Freunde dort gehabt, Funktionen habe er nicht ausgeübt (AS 75 Erstverfahren). Im zweiten Asylverfahren bringt er vor, dass sowohl er, als auch seine Familie in linksdenkenden Kreisen verkehre. Er sei in der politischen Szene aktiv gewesen, diesbezüglich lege er eine CD vor. Darauf sei eine Wahlveranstaltung vor der Wahl am 29.03.2009 zu sehen; er selbst sei auf dieser Wahlveranstaltung ebenso zu sehen.

 

Der BF legte weiters noch Bestätigungen der Partei EMEP - demnach sei er Sympathisant und nehme an den Aktivitäten der Partei teil - und des IHD - demnach habe er einige Tätigkeiten für diese Organisation durchgeführt und leide deswegen unter verschiedenem Druck (AS 207 - 213; Bestätigungen jeweils mit Übersetzungen). Bei der letztangeführten Bestätigung des IHD dürfte es sich zudem um eine Gefälligkeitsbestätigung handeln, zumal dort angeführt ist, der BF sei einmal beim Aufhängen von Plakaten festgenommen worden (AS 211), der BF selbst einen solchen Vorfall aber weder im ersten Verfahren noch beim zweiten Asylantrag jemals erwähnt hat.

 

Auch ist dies kein neues Vorbringen: Der BF hatte bereits im Erstverfahren auf sein politisches Engagement verwiesen und haben diese Ereignisse vor rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens stattgefunden.

 

2.2.8. In seiner Beschwerde vom 17.03.2011 gegen den zurückweisenden Bescheid des BAA bringt der BF schließlich vor, er habe zudem Nachfluchtgründe gesetzt, da er (in Österreich) an seiner Gesinnung entsprechenden Demonstrationen teilgenommen habe; dies sei auch im Internet bekannt, wo Demonstrationsvideos veröffentlicht worden seien, auf denen er deutlich erkennbar sei; er verweise diesbezüglich auf beigelegte Fotos und einen "Link zum Video in Anlage". Der Beschwerde wurden 2 Fotos in Kopie und ein Internetausdruck mit Foto und Text angeschlossen (vgl. AS 391 - 395). Dazu ist anzuführen, dass die übermittelten Kopien der Fotos allesamt von einer dermaßen schlechten Qualität sind, dass lediglich auf einem Foto ein Plakat mit Text lesbar ist. Anwesende Personen sind nur schemenhaft erkennbar; dass der BF erkennbar ist, kann nicht festgestellt werden. Ein vollständiger Link ist ebenso wenig ersichtlich. Die vorgelegten Beweismittel sind daher zur Glaubhaftmachung einer exilpolitischen Tätigkeit des BF nicht geeignet. Darüber hinaus wurde in der Beschwerde lediglich behauptet, dass sich der BF weiter für die Sache der EMEP einsetze und an Demonstrationen teilgenommen habe. Dass sich der BF in hervorgehobener oder führender Stellung exilpolitisch betätigt hätte, wurde in der Beschwerde nicht behauptet. Eine solche Betätigung geht auch aus dem vorgelegten Beitrittsformular zur Demokratischen Jugendbewegung in Europa (AS 63) nicht hervor. Insoweit lassen diese vorgebrachten Umstände kein anderes Ergebnis zu.

 

Dessen ungeachtet kann das vom BF erstmals in seiner Beschwerdeschrift erstattete Vorbringen zu einer allfälligen exilpolitischen Betätigung in Österreich schon im Grunde zu keiner Behebung des den Folgeantrag zurückweisenden Bescheids des BAA führen: "Sache" des gegenständlichen Rechtsmittelverfahrens ist nämlich nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung; der AsylGH darf demnach nur darüber entscheiden, ob das BAA den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Das erstmals in der Beschwerde gegen den zurückweisenden Bescheid erstattete Vorbringen hinsichtlich Demonstrationsteilnahmen des BF in Österreich könnte insofern auch keine Berücksichtigung mehr finden.

 

2.2.9. Schließlich ist noch anzumerken, dass keine Hinweise darauf bestehen, dass sich die allgemeine Lage in der Türkei zwischen dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens im April 2010 und der Erlassung des verfahrensgegenständlichen Bescheides im Februar 2011 in asylrelevanter Weise dermaßen geändert hätte, dass von einem neuen Sachverhalt auszugehen gewesen wäre. Eine wesentliche Sachverhaltsänderung ist auch aus den vorgelegten weiteren Schriftstücken nicht zu erkennen.

 

2.2.10. Aus den dargelegten Gründen liegt somit keine Änderung des Sachverhalts vor, weshalb das Bundesasylamt zu Recht den Folgeasylantrag wegen entschiedener Sache iSd. § 68 Abs. 1 AVG als unzulässig zurückgewiesen hat. Die Beschwerde gegen den bekämpften Bescheid ist folglich abzuweisen.

 

3. Zur Entscheidung über die Ausweisung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegt.

 

Nach Abs. 2 leg. cit. sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn

 

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dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

 

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diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würde. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

 

b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

 

c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

 

d) der Grad der Integration;

 

e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

 

f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

 

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

 

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Nach Abs. 3 leg. cit. ist dann, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Nach Abs. 4 dieser Bestimmung gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gem. Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Nach Abs. 5 dieser Bestimmung ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach Abs 6 dieser Bestimmung bleiben Ausweisungen nach Abs 1 binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht.

 

3.2. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), zwischen Eltern und erwachsenen Kindern und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Es kann eben nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK - Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8 EMRK; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423, vgl. auch VwGH vom 8.6.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder VwGH vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, wo der VwGH im letztgenannten Erkenntnis feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammen leben. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marcks, EGMR 23.04.1997, 10 ua).

 

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251, uva).

 

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190).

 

3.3. Eine Ausweisung beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Asylantragstellers dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).

 

3.4. Was das Recht des BF auf Achtung des Familienlebens anbelangt, so ist anzumerken, dass der BF auch im Folgeverfahren auf ausdrückliches Nachfragen angab, er habe in Österreich keinerlei Angehörige (AS. 41). Insofern stellt die Ausweisung des BF auch keinen Eingriff in sein Recht auf Familienleben dar.

 

3.5. Was das Recht des BF auf Achtung seines Privatlebens anbelangt, so ist anzumerken, dass der BF erst am 15.10.2009 nach Österreich einreiste und keine besonderen Bindungen des BF sozialer Natur hervorgekommen sind.

 

Der BF gab zwar an, er sei mit 25% Partner bei einem Restaurant; daraus beziehe er sein Einkommen; er wohne gemeinsam mit seinem Geschäftspartner in einer Wohnung und habe auch keine Mietkosten zu bezahlen (AS. 41). Im Zuge der Einvernahme vom 21.10.2010 wurde er aufgefordert, diesbezüglich einen Firmenbuchauszug vorzulegen; dieser Aufforderung kam der BF nicht nach.

 

Das Erstverfahren des BF wurde am 09.04.2010 rechtskräftig negativ abgeschlossen. Am 17.10.2010 stellte der BF einen weiteren Asylantrag. Für die dazwischen liegende Zeit ist ein rechtmäßiger Aufenthalt des BF im Bundesgebiet dem Akteninhalt nach nicht dokumentiert.

 

Selbst wenn man nun in Anbetracht dieser Umstände überhaupt davon ausgeht, dass ein Privatleben des BF in Österreich iSd Art 8 EMRK entstanden ist, so ist der diesbezügliche Eingriff durch die Ausweisung des BF vor dem Hintergrund der dargestellten Gesetzeslage (vgl. vor allem § 10 Abs 2 lit 2 AsylG) und insbesondere der Judikatur des EGMR zulässig: Bei der Abwägung zwischen den persönlichen Interessen der betroffenen Person einerseits und dem öffentlichen Interesse an der effektiven Durchführung der Einwanderungskontrolle spielt der Umstand eine maßgebliche Rolle, ob zumindest einmal ein Aufenthaltstitel erteilt wurde oder es sich um eine Person handelt, die lediglich einen Asylantrag gestellt hat und deren Aufenthalt somit bis zur Entscheidung im Asylverfahren unsicher ist (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi v. the United Kingdom, 21878/06). Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang auch auszuführen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251; 26.09.2007, 2006/21/0288 bis 0291). Das private Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich hingegen ist in seinem Gewicht gemildert, zumal der BF keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt in Österreich auszugehen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der (bloß) auf einem (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag beruhte (vgl. insbesondere, mit weiteren Nachweisen VwGH 31.03.2008, 2008/21/0081 bis 0084). In diesem Zeitraum ist auch sein Privatleben entstanden. Dem BF musste bei der Asylantragstellung somit klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist. Insofern geht die Interessenabwägung zu Lasten des BF aus, wobei nochmals betont sei, dass sich die Bindungen des BF zu Österreich als schwach erwiesen haben.

 

Der Eingriff in das Recht auf Privatleben des BF - so man einen solchen überhaupt bejaht - ist somit zulässig.

 

3.6. Im gegenständlichen Verfahren sind weiters keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines nicht auf dieses Bundesgesetz gestützten Aufenthaltsrechtes des BF hervorgekommen.

 

Weiters liegt im vorliegenden Fall auch kein Anhaltspunkt für die Notwendigkeit eines Aufschubs der Durchführung der Ausweisung vor.

 

Folglich war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheids abzuweisen.

 

4. Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG 2005 konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde ausreichend geklärt ist. Als "geklärt" im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Zl. 98/01/0308 v. 11.11.1998) ist der Sachverhalt dann anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Beschwerde kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet wird.

 

5. In Anbetracht der gegenständlichen Entscheidung ist auch nicht mehr auf den Antrag in der Beschwerde auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einzugehen.

 

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Prozesshindernis der entschiedenen Sache
Zuletzt aktualisiert am
27.04.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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