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19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des N M in W, vertreten durch Dr. Georg Uitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Doblhoffgasse 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Oktober 2007, Zl. SD 1714/06, betreffend Erlassung eines unbefristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein unbefristetes Rückkehrverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei laut seinen Angaben im September 2002 illegal in das Bundesgebiet gelangt, wo er zunächst unangemeldet wohnhaft gewesen sei. Auf Grund eines Haftbefehles sei er festgenommen worden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Februar 2004 sei über ihn gemäß § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall Suchtmittelgesetz - SMG, § 88 Abs. 1 StGB eine bedingte Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verhängt worden. Dieser Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer, der laut den gerichtlichen Feststellungen bereits in "J" wiederholt (u.a.) auch wegen Suchtgifthandels verurteilt worden sei, seit ca. 1995 Heroin und Kokain zum Eigenbedarf erworben und konsumiert sowie am 9. Jänner 2003 bei einem Verkehrsunfall eine andere Person verletzt habe. Vom weiteren Vorwurf, am Schmuggel von etwa 940 Gramm Kokain von "J" nach W durch zwei andere beteiligt gewesen zu sein, sei er im Zweifel freigesprochen worden. Wegen dieses Vorwurfs sei über ihn mit rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes in P eine Freiheitsstrafe von 2 1/2 Jahren rechtskräftig verhängt worden, wovon er bereits mehr als ein Jahr verbüßt habe. Einem Auslieferungsersuchen der "jugoslawischen" Behörden sei keine Folge gegeben worden.
Am 13. Dezember 2004 habe der Beschwerdeführer seine "Ex-Gattin" geheiratet, mit der er einen gemeinsamen Sohn habe.
Am 4. Jänner 2006 sei der Beschwerdeführer (sowie sein Sohn und dessen Frau) erneut wegen des Verdachtes des Suchtgifthandels festgenommen worden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. August 2006 sei über den Beschwerdeführer gemäß § 28 Abs. 2 und 3 erster Fall SMG eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verhängt worden, weil er auf nicht mehr klärbare Weise in den Besitz von großen Suchtgiftmengen gelangt sei und zwischen August und Dezember 2005 fünf Abnehmern etwa 174 Gramm Heroin verkauft sowie einem Abnehmer fünf Gramm Heroin für den Weiterverkauf übergeben habe.
Noch während seiner Haft habe der Beschwerdeführer einen Asylantrag eingebracht. Das Verfahren darüber sei zugelassen worden, und der Beschwerdeführer verfüge über eine vorläufige asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung.
Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG sei erfüllt, und es seien auch die Voraussetzungen zur Erlassung eines Rückkehrverbotes im Sinn des § 62 Abs. 1 leg. cit. gegeben. Da der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme auch aus dem Blickwinkel des § 87 iVm § 86 Abs. 1 leg. cit. zu beurteilen. Der gewerbsmäßige Handel mit großen Mengen Suchtgift stelle zweifellos eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, weshalb sich die Erlassung des Rückkehrverbotes auch im Lichte des § 87 (gemeint: iVm § 86 Abs. 1) leg. cit. als zulässig erweise. Erschwerend trete hinzu, dass über den Beschwerdeführer mit Straferkenntnis vom 3. April 2003 wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand eine hohe Geldstrafe verhängt worden sei.
Ob gegenüber seinem 27 Jahre alten Sohn Sorgepflichten bestünden, sei nicht aktenkundig. Gegen den Beschwerdeführer sei am 23. Juli 2007 ein "Rückkehrverbot" (nach Ausweis der Verwaltungsakten: sicherheitspolizeiliche Anordnung eines Betretungsverbotes) in Bezug auf die eheliche Wohnung ausgesprochen worden, nachdem ihn seine Ehegattin wegen des Verdachtes beharrlicher Verfolgung zur Anzeige gebracht habe. Sie habe angegeben, dass beide am 13. Juli 2007 einen Scheidungstermin gehabt hätten, den er jedoch nicht wahrgenommen habe.
Zwar sei von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität - dringend geboten sei. Durch sein bisheriges Fehlverhalten habe der Beschwerdeführer seine offenbare Geringschätzung maßgeblicher, in Österreich gültiger Rechtsvorschriften zu erkennen gegeben. Der Suchtgiftkriminalität hafte nicht nur eine besonders hohe soziale Schädlichkeit, sondern auch eine überaus hohe Wiederholungsgefahr an. Auf Grund der dargestellten Umstände sei eine zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallende Verhaltensprognose nicht möglich. Die Erlassung des Rückkehrverbotes sei dringend geboten und im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG zulässig.
Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers ableitbare Integration Bedacht zu nehmen. Diese wiege keinesfalls schwer, sei doch zu bedenken, dass er seit seiner Einreise illegal im Bundesgebiet aufhältig gewesen sei und lediglich auf Grund seines Asylantrages seit etwa drei Monaten über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht verfüge. Seine familiären Bindungen seien insofern zu relativieren, als sein Sohn, ein österreichischer Staatsbürger, längst volljährig und - wie der Beschwerdeführer - mehrfach vorbestraft sei. Die aktenkundige Anzeige der Ehegattin des Beschwerdeführers und das ausgesprochene Betretungsverbot sowie die offenbar angestrebte Scheidung ließen die ehelichen Beziehungen ebenso als relativiert erscheinen. Selbst unter Berücksichtigung der aktenkundigen Voraufenthalte des Beschwerdeführers (in Österreich) von 1982 bis 1994 sei dessen Interesse an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zwar gewichtig, jedoch keinesfalls besonders ausgeprägt. Dem stehe das große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, gegenüber. Die Auswirkungen des Rückkehrverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keinesfalls schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse an seinem Fernbleiben vom Bundesgebiet. Den Kontakt zu seinen Familienangehörigen könne er - wenn auch eingeschränkt - vom Ausland aus wahrnehmen, eine Einschränkung, die er im öffentlichen Interesse zu tragen haben werde. Die Erlassung des Rückkehrverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 66 Abs. 1 (offensichtlich gemeint: Abs. 2) leg. cit. als zulässig.
Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe für die belangte Behörde keine Veranlassung bestanden, von der Erlassung des Rückkehrverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
Im Hinblick auf das dargelegte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers könne auch unter Bedachtnahme auf seine Lebenssituation nicht vorhergesehen werden, ob jemals und gegebenenfalls wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes (gemeint: Rückkehrverbotes) maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen, insoweit unbestrittenen Feststellungen zu den beiden strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG - auf welchen in § 62 Abs. 2 leg. cit. (u.a.) verwiesen wird - erfüllt sei, keinen Bedenken.
1.2. Der Verurteilung vom 4. Jänner 2006 liegt - ebenso unbestritten - zu Grunde, dass der Beschwerdeführer, der im ehemaligen J wiederholt (u.a.) wegen Suchtgifthandels verurteilt worden war und der seit ca. 1995 Suchtgifte zum Eigenbedarf erworben und konsumiert hatte sowie u.a. deshalb am 19. Februar 2004 zu einer bedingten Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden war, sein deliktisches Fehlverhalten nach dem SMG an Intensität noch steigerte, indem er zwischen August und Dezember 2005 fünf Abnehmern etwa 174 Gramm Heroin verkaufte und einem Abnehmer 5 Gramm Heroin für den Weiterverkauf übergab.
In Anbetracht dieses Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers und des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Voraussetzungen zur Erlassung eines Rückkehrverbotes im Sinn des § 62 Abs. 1 FPG erfüllt seien, keinem Einwand, handelt es sich doch bei der Suchtgiftkriminalität um eine besonders gefährliche Art der Kriminalität, bei der die Wiederholungsgefahr - wie sich im Beschwerdefall gezeigt hat - besonders groß ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 15. September 2010, Zl. 2010/18/0293, mwN). Aus der Bescheidbegründung, dass die Voraussetzungen zur Erlassung dieser Maßnahme im Sinn des § 62 Abs. 1 leg. cit. gegeben seien, geht hervor, dass die belangte Behörde (neben der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 87 und § 86 Abs. 1 leg. cit.) beide in § 62 Abs. 1 (Z. 1 und 2) leg. cit. normierten Tatbestände als verwirklicht angesehen hat, welche Beurteilung unbedenklich erscheint. Der Beschwerdeeinwand, die belangte Behörde habe die beiden Tatbestände "vermengt" und ihre Beurteilung im Grunde des § 62 Abs. 1 leg. cit. nicht ausreichend begründet, ist daher bereits aus diesem Grund nicht zielführend. Ebenso verkennt die Beschwerde mit ihrem weiteren Vorbringen, es bleibe offen, ob spezialpräventive oder generalpräventive Gründe für das im angefochtenen Bescheid genannte öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen maßgeblich seien, das Wesen eines Rückkehrverbotes. Denn dabei handelt es sich nicht um die Verhängung einer Strafe, sondern um eine administrativrechtliche Maßnahme (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2009, Zl. 2009/18/0131, mwN), für die spezial- oder generalpräventive Gründe keine Rolle spielen.
Ferner ist die weitere Beurteilung der belangten Behörde nicht zu beanstanden, dass auf Grund des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers - des Ehegatten einer österreichischen Staatsbürgerin (§ 87 FPG) - die in § 86 Abs. 1 (erster und zweiter Satz) FPG umschriebene Gefährdungsannahme berechtigt sei, resultiert diese doch aus dem von ihm in einschlägiger Weise verübten Verbrechen des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels.
Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Parteiengehörs (§ 45 Abs. 3 AVG) rügt, dass die belangte Behörde den Beschwerdeführer nicht vernommen und sich daher nicht "persönlich" ein Bild vom Beschwerdeführer gemacht habe, was für eine Verhaltensprognose unabdingbar sei, so ist nicht ersichtlich, inwieweit dem behaupteten Verfahrensmangel Relevanz zukommen soll, legt doch die Beschwerde nicht dar, welche konkreten Feststellungen auf Grund dieser Vernehmung noch zu treffen gewesen wären. Abgesehen davon besteht im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. nochmals das vorzitierte Erkenntnis, Zl. 2009/18/0131, mwN).
2. Auch gegen die Auffassung der belangten Behörde, die Erlassung des Rückkehrverbotes sei zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität) dringend geboten (§ 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers - dieser stellt nicht in Abrede, dass sein Sohn bereits 27 Jahre alt und daher längst volljährig ist, er (der Beschwerdeführer) einen für 13. Juli 2007 anberaumten Scheidungstermin nicht wahrgenommen hat und auf Grund einer Anzeige seiner Ehegattin gegen ihn ein (polizeiliches) Betretungsverbot ausgesprochen worden ist - wögen jedenfalls nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs. 2 FPG), bestehen aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides keine Bedenken.
3. Ferner kann es nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde in Anbetracht des gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers, der in einschlägiger Weise neuerlich straffällig geworden ist, die Auffassung vertreten hat, dass ein Wegfall der für die Erlassung des Rückkehrverbotes maßgeblichen Gründe derzeit nicht vorhergesehen werden könne. Die Beschwerde zeigt keine Umstände auf, die die Festsetzung einer bestimmten Gültigkeitsdauer dieser Maßnahme geboten hätten.
4. Schließlich kann der Verwaltungsgerichtshof auch nicht finden, dass der belangten Behörde ein (materieller) Ermessensfehler unterlaufen sei, und es sind keine Umstände ersichtlich, die eine Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbotes im Rahmen des der belangten Behörde zustehenden Ermessens geboten hätten. Eine auf einer Ermessensübung beruhende Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme wäre überdies im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers vom 10. August 2006 wegen einer Straftat im Sinne des § 55 Abs. 3 FPG nicht im Sinne des Gesetzes gelegen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2009, Zl. 2009/18/0109, mwN).
5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 12. April 2011
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2011:2007180882.X00Im RIS seit
28.04.2011Zuletzt aktualisiert am
09.11.2011