Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §32 Abs2 idF 1999/I/004;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Oktober 1999, Zl. 210.218/16-II/04/99, betreffend § 4 AsylG (mitbeteiligte Partei: NF in W, geboren am 14. August 1973, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, reiste am 26. April 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 29. April 1999 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 14. Mai 1999 beschrieb er u.a., wie er von seinem Heimatort aus über Bulgarien und Rumänien nach Ungarn und von dort aus nach Österreich gelangt sei.
Mit Bescheid vom 19. Mai 1999 sprach das Bundesasylamt aus, der Asylantrag des Mitbeteiligten werde, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 4 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. In der sehr ausführlichen Begründung dieser Entscheidung legte das Bundesasylamt dar, beim Mitbeteiligten werde in kein materielles Asylverfahren eingetreten, weil bezüglich seiner Person "bereits Verfolgungssicherheit in Ungarn gem. § 4 Asylgesetz 1997 vorgelegen" sei. Der Mitbeteiligte habe auch hinkünftig die Möglichkeit, bei den ungarischen Behörden einen Asylantrag einzubringen.
In den näheren Ausführungen dazu hob das Bundesasylamt u. a. hervor, der Mitbeteiligte müsse nicht mit der Anwendung der ungarischen Drittlandsklausel in Bezug auf Österreich als sicheren Drittstaat rechnen. Die diesbezüglichen Ermittlungen hätten unmissverständlich ergeben, dass die erwähnte Klausel in Ungarn nur Anwendung finde, wenn "gewährleistet" sei, dass dem asylsuchenden Fremden im Drittstaat "ein Verfahren mit Prüfung seiner Flüchtlingseigenschaft" offen stehe. Habe Österreich einen Asylantrag in Anwendung des § 4 AsylG als unzulässig zurückgewiesen, so könne der Mitbeteiligte (gemeint: in Bezug auf Österreich als sicheren Drittstaat) "niemals der ungarischen Drittlandsklausel unterfallen ... , da es an der Grundvoraussetzung, nämlich der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft des Betreffenden in Österreich, fehlt". Nach ungarischem Recht sei die Anwendung der Drittlandsklausel in einem solchen Fall "juristisch unmöglich" (S. 4 f des erstinstanzlichen Bescheides). Die Prüfung eines Asylantrages nach den Kriterien des § 4 AsylG sei in Österreich "eine bloße Zuständigkeitsentscheidung, welche ganz bewusst einer Einleitung des Verfahrens zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vorgeschaltet" sei. Die Zuständigkeitsentscheidung in einem auf § 4 AsylG gestützten Bescheid werde getroffen, "bevor in die Sache (d.h. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft) materiell eingetreten" werde. Das zu einer solchen Entscheidung führende Verfahren sei "mithin kein inhaltliches Asylverfahren mit Anwendung der GFK". Die (ungarische) Drittstaatsklausel könne im Fall des Mitbeteiligten daher nicht im Sinne einer "Rückverweisung" zur Anwendung kommen, woraus sich eindeutig ergebe, dass dem Mitbeteiligten im Falle seiner Einreise nach Ungarn "dort ein meritorisches Asylverfahren offen" stehe (S. 6 des Bescheides). Die einschlägige Bestimmung des Art. 2 lit. e des ungarischen Asylgesetzes stelle auf "ein meritorisches Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft iSd GFK" ab. Bei einer auf § 4 AsylG gestützten Entscheidung in Österreich handle es sich aber um eine bloße Zuständigkeitsentscheidung, die "ganz bewusst einer Einleitung des Verfahrens zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vorgeschaltet" sei. Die ungarische Drittstaatsregelung lasse daher nach ihrem klaren Wortlaut nur die rechtliche Schlussfolgerung zu, dass sie (gemeint: in Bezug auf Österreich als Drittstaat) nach der Antragszurückweisung gemäß § 4 AsylG nicht zur Anwendung gelangen könne. Sohin ergebe sich, dass dem Mitbeteiligten im Falle seiner Rückkehr nach Ungarn "dort ein Asylverfahren nicht wegen (seines) nunmehrigen Aufenthaltes in Österreich verweigert wird" (S. 12 des Bescheides).
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Mitbeteiligte u.a. geltend, ihm drohe im Falle seiner Zurückstellung nach Ungarn die Anwendung der dort geltenden Drittstaatenregelung in Bezug auf den - nach Ansicht des Mitbeteiligten nicht sicheren - Drittstaat Rumänien. Im konkreten Fall könne daher nicht davon gesprochen werden, dass der Mitbeteiligte "Schutz in Ungarn gem. § 4 Abs. 2 finden" könne.
Die belangte Behörde führte hierüber ein Ermittlungsverfahren durch, in dessen Verlauf in insgesamt vier Tagsatzungen zur mündlichen Berufungsverhandlung Beweise darüber aufgenommen wurden, ob im Falle des Mitbeteiligten mit der Anwendung der ungarischen Drittstaatenregelung in Bezug auf Rumänien oder Bulgarien als für den Mitbeteiligten sichere Drittstaaten zu rechnen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten gemäß § 32 Abs. 2 AsylG statt. Sie behob den erstinstanzlichen Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück.
In der Begründung dieser Entscheidung befasste sich die belangte Behörde - nach einer Darstellung der Ermittlungsergebnisse und der maßgeblichen österreichischen und ungarischen Rechtsvorschriften - zunächst mit der Frage, ob sie im Rahmen der von ihr zu treffenden Entscheidung nur den vom Bundesasylamt herangezogenen Drittstaat, also Ungarn, oder "sämtliche mögliche sichere Drittstaaten der Welt" als sichere Drittstaaten in Betracht zu ziehen habe. Hiezu vertrat die belangte Behörde die Auffassung, aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Stellung als Kontrollorgan, der ihr aufgetragenen Entscheidung in einem abgekürzten Berufungsverfahren und des Umstandes, dass dem Mitbeteiligten sonst während eines "nach Jahren zu bemessenden Zeitraumes" der Zugang zu einem meritorischen Asylverfahren in Österreich versperrt sein könnte, sei nur auf Ungarn einzugehen. Das Bundesasylamt habe durch den im erstinstanzlichen Bescheid "konkret betrachteten Drittstaat" den Gegenstand des Berufungsverfahrens "bestimmt".
Zur Frage, ob der Beschwerdeführer im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG in Ungarn Schutz vor Verfolgung finden könne, stellte die belangte Behörde mit näherer Begründung fest, es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die ungarische Drittstaatsklausel entgegen ihrem Wortlaut im Falle des Mitbeteiligten hinsichtlich der von ihm durchreisten Staaten Rumänien und Bulgarien nicht angewendet werden würde. Es sei daher nicht gewährleistet, dass dem Mitbeteiligten in Ungarn das in § 4 Abs. 2 AsylG vorausgesetzte "Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention", worunter nach Ansicht der belangten Behörde ein "meritorisches Asylverfahren" zu verstehen sei, offen stehe. Die Feststellung des Bundesasylamtes, die österreichischen Asylbehörden seien unzuständig, weil der Mitbeteiligte in Ungarn Schutz vor Verfolgung finden könne, treffe daher nicht zu.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde bezieht sich nicht auf Einzelheiten des vorliegenden Falles und stellt auch den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt nicht in Frage. Sie wirft in allgemein gehaltener Form zwei Rechtsfragen auf, von denen auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift meint, diese bedürften einer höchstgerichtlichen Klärung. Nach Ansicht des beschwerdeführenden Bundesministers habe die belangte Behörde zu Unrecht angenommen, der Asylwerber müsse im Drittstaat "Zugang zu einem meritorischen Asylverfahren" haben. Der Vollständigkeit halber und im Interesse der Rechtssicherheit tritt der beschwerdeführende Bundesminister aber auch der Ansicht der belangten Behörde, sie habe nur auf Ungarn als möglichen sicheren Drittstaat eingehen müssen, entgegen.
§ 4 Abs. 1 bis 3a und Abs. 5 AsylG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999 lauten:
"Unzulässige Asylanträge wegen Drittstaatsicherheit
§ 4. (1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn der oder die Fremde in einem Staat, mit dem kein Vertrag über die Bestimmung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).
(2) Schutz im sicheren Drittstaat besteht für Fremde, wenn ihnen in einem Staat, in dem sie nicht gemäß § 57 Abs. 1 oder" (ergänze: "2") "FrG bedroht sind, ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offensteht, sie während dieses Verfahrens in diesem Staat zum Aufenthalt berechtigt sind und wenn sie dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat - auch im Wege über andere Staaten - haben, sofern sie in diesem gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sind. Dasselbe gilt bei gleichem Schutz vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für Staaten, die in einem Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention bereits eine Entscheidung getroffen haben.
(3) Die Voraussetzungen des Abs. 2 sind in einem Staat regelmäßig darin" (gemeint wohl: "dann") "gegeben, wenn er die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und gesetzlich ein Asylverfahren eingerichtet hat, das die Grundsätze dieser Konvention umsetzt, sowie die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, und das Protokoll Nr. 11 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus samt Anhang, BGBl. III Nr. 30/1998, ratifiziert hat.
(3a) Der Bundesminister für Inneres kann mit Verordnung Staaten bezeichnen, die Asylwerbern regelmäßig effektiven Schutz vor Verfolgung gewähren (Abs. 2), weil
1. ihre Behörden aus Österreich zurückgewiesenen, zurückgeschobenen oder abgeschobenen Fremden, die im Drittstaat Schutz vor Verfolgung suchen, uneingeschränkt Zugang zum Asylverfahren gewähren und solche Fremde - auch im Wege über andere Staaten - nicht in den Herkunftsstaat abschieben, sofern sie in diesem gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sind;
2. die Verfahren zur Prüfung von Asylanträgen einzelfallbezogen geführt, insbesondere die Asylwerber persönlich einvernommen werden, erforderlichenfalls Dolmetscher beigezogen werden und die Entscheidung (Spruch) den Asylwerbern in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt wird;
3. die Entscheidung der zur Prüfung von Asylanträgen zuständigen Behörde vor eine Überprüfungsinstanz gebracht werden kann;
4. die Asylwerber im Hoheitsgebiet des Staates bleiben können, bis die Entscheidung der Überprüfungsinstanz getroffen oder die Entscheidung der Behörde endgültig geworden ist.
...
(5) Können Fremde, deren Asylantrag nach Abs. 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, nicht in einen sicheren Drittstaat zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden, so tritt der Bescheid, mit dem der Asylantrag zurückgewiesen wurde, mit dem Zeitpunkt des Einlangens der Mitteilung nach § 57 Abs. 7 FrG außer Kraft. Mit diesem Zeitpunkt beginnt die Entscheidungsfrist nach § 73 Abs. 1 AVG von neuem zu laufen; ein anhängiges Berufungsverfahren ist als gegenstandslos einzustellen."
Gemäß § 32 Abs. 2 erster Satz AsylG hat die belangte Behörde der Berufung gegen eine auf § 4 AsylG gestützte Entscheidung des Bundesasylamtes stattzugeben, wenn dessen Feststellung, es bestehe aus den Gründen des § 4 AsylG Unzuständigkeit, nicht zutrifft.
1. Nach der im vorliegenden Fall strittigen, schon in der Stammfassung des Gesetzes enthaltenen Wendung setzt der Schutz im sicheren Drittstaat u.a. voraus, dass dem Asylwerber dort "ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offensteht". Um diese Voraussetzung ging es unter dem Gesichtspunkt einer im slowakischen Recht vorgesehenen Antragsfrist, von der nicht feststand, ob sie im Falle einer Zurückverbringung des Asylwerbers in die Slowakische Republik neu zu laufen beginnen würde, schon in dem hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175. Der Verwaltungsgerichtshof maß der Frage, ob die Frist neu zu laufen beginnen würde, entscheidungserhebliche Bedeutung bei und hob - im Zuge von Ausführungen zum Verhältnis des § 4 Abs. 3 AsylG (in der damaligen Fassung) zu den ersten beiden Absätzen der Bestimmung - hervor, aus § 4 Abs. 3 AsylG lasse sich nicht die Vermutung ableiten, dass "die Bedingungen, an die die Rechtsordnung des Drittstaates die Schutzgewährung knüpft," im Einzelfall erfüllt seien. Ob dies (im Sinne der Zulassung zu einem Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention) der Fall sei, müsse unter Umständen auch von Amts wegen ermittelt werden.
Diese Ausführungen galten der Frage, ob der Asylwerber den in der Rechtsordnung des Drittstaates vorgesehenen Schutz, wie in § 4 Abs. 1 AsylG vorausgesetzt, "finden kann", weil ihm in diesem Drittstaat ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht nur unter bestimmten Voraussetzungen offen stehen könnte, sondern - aufgrund der Erfüllbarkeit dieser Voraussetzungen im konkreten Fall - auch tatsächlich offen steht (vgl. in diesem Zusammenhang das verwandte Problem der Einreise in den Drittstaat und die Ausführungen dazu in dem nachfolgend zitierten Erkenntnis vom 11. November 1998).
Im Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284, ging es vorrangig um das Bleiberecht einer Asylwerberin während des ihr im Drittstaat offen stehenden Verfahrens. Die belangte Behörde hatte sich damals aber auch mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Asylwerberin bei einer Asylantragstellung in Ungarn damit rechnen müsse, dass die ungarische Drittstaatsklausel (gemeint wieder: in Bezug auf Österreich als Drittstaat) zur Anwendung komme. Hiezu hatte die belangte Behörde - ähnlich den Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid des vorliegenden Verfahrens - ausgeführt, die ungarische Drittstaatsklausel gelange in Bezug auf ein Land, in dem der Asylantrag a limine zurückgewiesen und nur über eine Prozessvoraussetzung abgesprochen worden sei, nicht zur Anwendung. Das bedeute, dass der Asylwerberin im Falle ihrer Rückkehr nach Ungarn nicht wegen ihres Aufenthaltes in Österreich "ein Asylverfahren verweigert" würde. Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, er finde keine Anhaltspunkte dafür, dass die belangte Behörde die ungarische Rechtslage in der Frage der darin enthaltenen Drittstaatsklausel unrichtig beurteilt hätte.
Mit der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999 hat der Gesetzgeber - im Zusammenhang mit der Regelung der Voraussetzungen für eine Verordnung gemäß § 4 Abs. 3a AsylG - u.a. klargestellt, dass der Asylwerber im Drittstaat "uneingeschränkt Zugang zum Asylverfahren" haben müsse (vgl. zur Bedeutung dieses Absatzes der Bestimmung für deren Gesamtverständnis das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 99/20/0246, und zuletzt das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 20. Oktober 2000, Zl. 99/20/0406).
Schon aus dem bisher Gesagten wird nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes deutlich, dass das Offenstehen eines Verfahrens, in dem erst darüber entschieden wird, ob es - mit der Folge der Einräumung der einem Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention zustehenden Rechtsstellung bei Bejahung der Flüchtlingseigenschaft - überhaupt zu einer Prüfung des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft kommt, nicht selbst schon - unabhängig von seinem möglichen Ausgang - die Voraussetzung, dem Asylwerber müsse im Drittstaat ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offen stehen, erfüllt. Davon gehen - für den Fall einer versäumten Antragsfrist oder einer auf Österreich zurückverweisenden Drittstaatenregelung - bereits die erwähnten, noch zur Stammfassung des Gesetzes ergangenen Vorerkenntnisse aus.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretene Auffassung, dass schon der Wortlaut der Vorschrift ("Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention") so zu verstehen ist, und pflichtet auch der in der Gegenschrift des Mitbeteiligten vertretenen Auffassung bei, dass das in § 4 AsylG verwirklichte Konzept auf die inhaltliche Prüfung des Asylantrages im Drittstaat abstellt und kein "Einfallstor für Kettenabschiebungen" sein soll. Die Anwendung einer Drittstaatenregelung in Bezug auf einen "Viertstaat" - als mögliches weiteres Glied in einer unter Umständen längeren Kette - unterscheidet sich unter dem Gesichtspunkt ihres Verständnisses als Verweigerung des Zuganges zu einem "Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention" im Drittstaat auch nicht von der Rückverweisung auf Österreich als "sicheren Drittstaat". Die von Davy (ecolex 1997, 823 in FN 82) schon zur Stammfassung des § 4 AsylG vertretene Ansicht, der Drittstaat dürfe das Asylbegehren nicht seinerseits auf der Grundlage einer Drittstaatsklausel erledigen, deckt sich überdies mit dem, was zumindest nach Teilen der Fachliteratur auch völkerrechtlich geboten ist (vgl. dazu Marx, Handbuch zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, § 39.9 und 10 sowie § 40.3).
Den Argumenten, mit denen sich der beschwerdeführende Bundesminister gegen dieses Ergebnis wendet, ist entgegenzuhalten, dass es nicht darum geht, ob die Rechtsordnung des Drittstaates "eine Drittstaatsklausel enthält", und die hier vertretene Auslegung nicht impliziert, dass der Drittstaat in einem solchen Fall - was dann auch für Österreich gelten würde - eine mit der Flüchtlingskonvention nicht "kompatible" Rechtsordnung hätte und im Sinne des § 4 AsylG (generell) "nicht sicher" wäre. Es sind nur die Voraussetzungen der österreichischen Drittstaatenregelung - so, wie dies nach den eingangs wiedergegebenen Darstellungen im Bescheid des Bundesasylamtes auch für die ungarische Drittlandsklausel gelten soll - im Einzelfall nicht erfüllt, wenn im Drittstaat keine Prüfung der Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers stattfindet. In der Beurteilung dieser Frage ist der belangten Behörde daher keine Rechtswidrigkeit vorzuwerfen.
2. Was den Gegenstand des Berufungsverfahrens anlangt, so ist zunächst davon auszugehen, dass das Bundesasylamt alle im konkreten Fall in Betracht kommenden Drittstaaten in die Prüfung der Zulässigkeit des Antrages einbeziehen muss, bevor es den Asylantrag inhaltlich erledigt. Diese rechtlich klare Ausgangslage widerlegt das von der belangten Behörde gebrauchte und vom Mitbeteiligten gut geheißene "argumentum ad absurdum", der belangten Behörde könne eine solche Prüfungspflicht bei der ihr aufgetragenen Entscheidung u.a. deshalb nicht obliegen, weil der Asylwerber sonst unter Umständen "während eines nach Jahren zu bemessenden Zeitraumes" keinen Zugang zu einem meritorischen Asylverfahren bekomme. Wäre der Gegenstand des Berufungsverfahrens über einen (ersten) auf § 4 AsylG gestützten Zurückweisungsbescheid auf den darin genannten Drittstaat beschränkt, so könnte dies im Ergebnis so viele Rechtsgänge, wie Drittstaaten im Einzelfall in Betracht kommen, zur Folge haben, bevor mit der inhaltlichen Behandlung des Asylantrages begonnen wird. Demgegenüber ist im Sinne der vom beschwerdeführenden Bundesminister vertretenen Rechtsauffassung festzuhalten, dass Gegenstand der gemäß § 4 AsylG zu fällenden Entscheidung das Vorliegen dieses Zurückweisungsgrundes als solcher ist.
Dem Mitbeteiligten ist freilich beizupflichten, wenn er in seiner Gegenschrift hervorhebt, dass der Drittstaat oder die Drittstaaten, auf den bzw. die sich die Entscheidung bezieht, wegen der Folgewirkungen des § 75 Abs. 1 zweiter Satz FrG in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise klar zu bezeichnen ist bzw. sind (vgl. zur "Doppelgesichtigkeit" solcher Entscheidungen das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0162; § 4 AsylG ordnet, anders als § 5 AsylG, nicht ausdrücklich eine "Feststellung" des sicheren Drittstaates an; da § 75 Abs. 1 zweiter Satz FrG eine solche aber vorauszusetzen scheint und der Asylwerber im Hinblick auf die zuletzt genannte Vorschrift wohl etwa auch die Möglichkeit haben muss, sich in der Berufung gegen eine Entscheidung, die sich auf mehrere sichere Drittstaaten bezieht, nur gegen einen davon zu wenden, wäre ein gesonderter Ausspruch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes sachgerecht). Das bedeutet aber nicht, dass sich die Prüfung der Frage, ob der Asylantrag gemäß § 4 AsylG zurückzuweisen sei, zum Nachteil des Asylwerbers willkürlich zerlegen und bei gleich bleibender Sachlage auf mehrere Rechtsgänge aufteilen ließe.
Für das Berufungsverfahren folgt daraus, dass die belangte Behörde an die Annahme (und gegebenenfalls spruchmäßige Bezeichnung) eines bestimmten sicheren Drittstaates durch das Bundesasylamt nicht gebunden ist, sie den Asylantrag in Ausübung ihrer insoweit auf § 66 Abs. 4 AVG zurückzuführenden Abänderungsbefugnis - unter entsprechender Wahrung des rechtlichen Gehörs - auch deshalb zurückweisen kann, weil der Asylwerber in einem anderen Drittstaat Schutz finden könne, und es dem Bundesasylamt nach einer aufhebenden Entscheidung wie der im vorliegenden Fall getroffenen in den allgemeinen Grenzen der Rechtskraft - im Besonderen also nur bei gleich bleibendem Sachverhalt - verwehrt ist, auf einen anderen Drittstaat auszuweichen, statt den Asylantrag inhaltlich in Behandlung zu nehmen.
Die belangte Behörde kann freilich davon ausgehen, dass das Bundesasylamt sich mit den in Frage kommenden Drittstaaten bereits in einer den Umständen des Falles angemessenen Weise auseinander gesetzt und die Ergebnisse dieser Prüfung - wenn es zu einer auf § 4 AsylG gestützten erstinstanzlichen Zurückweisung des Asylantrages kommt - in der Bescheidbegründung dargestellt hat. Zur Auseinandersetzung mit Drittstaaten, die das Bundesasylamt (etwa auch vor dem Hintergrund des § 4 Abs. 5 AsylG) gar nicht in Erwägung gezogen hat und auch im Berufungsverfahren nicht in zielführender Weise zur Sprache bringt, ist die belangte Behörde daher nur dann verpflichtet, wenn ihr die Ermittlungsergebnisse oder ihr Amtswissen einen konkreten Anlass dazu geben. Dass dies im vorliegenden Fall auf Rumänien und Bulgarien zugetroffen hätte, weil diese Staaten für den Mitbeteiligten mit einer einen weiteren Ermittlungsaufwand rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit als sichere Drittstaaten in Betracht gekommen wären, ist den Ausführungen in der Amtsbeschwerde nicht zu entnehmen (vgl. zum weiteren Gang des vorliegenden Verfahrens im Übrigen das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0072). Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid somit auch in diesem Punkt nicht rechtswidrig.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 47 Abs. 3 und 4 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 6. März 2001
Schlagworte
Umfang der Abänderungsbefugnis DiversesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999010450.X00Im RIS seit
04.05.2001