TE AsylGH Erkenntnis 2011/04/18 D14 224276-1/2011

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Veröffentlicht am 18.04.2011
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Spruch

D14 224276-1/2011/15E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Windhager als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Riepl als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX, StA. Moldawien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.09.2001, FZ. 01 14.044-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

 

Die (nunmehrige) Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Moldawiens mit russischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am 15.06.2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde am 15.06.2001 und 30.07.2001 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die russische Sprache gab die Beschwerdeführerin an, dass sie Moldawien glaublich Ende Mai 2001 verlassen habe. Sie sei auf unbekannten Wegen nach Österreich gelangt, nämlich versteckt in einem Lkw, in diesem seien insgesamt 5 Mädchen gewesen. Sie sei in Moldawien von einem Moldawier, welcher ihr Geld geborgt habe, zwei Wochen in einer Wohnung eingesperrt worden, dies in ihrem Heimatdorf. Dieser Mann habe für sie dann auch die Lkw-Fahrt nach Österreich organisiert, er habe sich während der Fahrt ebenfalls im Laderaum aufgehalten. Bei diesem Mann namens XXXX seien auch der moldawische Reisepass und der moldawische Personalausweis verblieben, sie sei ihm dann davongelaufen.

 

Der Fluchtgrund wurde von der Beschwerdeführerin dahingehend geschildert, dass sie sich von dem genannten XXXX 5.000 US-Dollar ausgeborgt habe. Ihr Freund XXXX habe ihr dazu geraten, der Freund XXXX hätte sich um dieses Geld ein Fahrzeug kaufen wollen, um dieses in weiterer Folge wieder zu verkaufen. Sie habe das Geld XXXX gegeben, dieser sei dann zwei bis drei Tage später mit diesem Geld weggefahren und sei nie mehr zurückgekommen. XXXX habe in weiterer Folge die erwähnten 5.000 US-Dollar von ihr verlangt, sie habe ihm erklärt, dass XXXX mit dem Geld verschwunden sei und sie ihm das Geld nicht zurückgeben könne. Sie habe sich in weiterer Folge - verkürzt wiedergegeben - mit dem genannten XXXX in einer Bar getroffen, gegen 3 Uhr morgens hätten sie gemeinsam die Bar verlassen und seien spazieren gegangen. Nach kurzer Zeit habe XXXX sie in eine Wohnung eingesperrt, sie habe in weiterer Folge in einen Lkw einsteigen müssen, in dem sich bereits die 4 anderen Mädchen befunden hätten. XXXX hätte ihr in der Wohnung erklärt, dass er sie in ein Land bringen würde, wo sie für ihn arbeiten müsse und zwar so lange, bis die Schulden getilgt wären. Sonst habe sie keine Probleme in Moldawien, sie sei nicht vorbestraft, mit Behörden gäbe es keine Probleme. Im Fall der Rückkehr würde XXXX sie finden und an die weiteren Folgen wolle sie gar nicht denken. Sie habe sich nicht um polizeilichen Schutz bemüht, da sie sehr große Angst gehabt habe, dass ihrer Familie etwas zustoßen könnte.

 

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 06.09.2001, Zl. 01 14.044-BAT wurde der Asylantrag vom 15.06.2001 gem. § 7 AsylG abgewiesen und zugleich die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Moldawien gem. § 8 AsylG festgestellt. Die belangte Behörde beurteilte das individuelle Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen als glaubhaft, in rechtlicher Hinsicht wurde jedoch ausgeführt, dass der Beschwerdeführerin einerseits eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stünde, andererseits würde die Verfolgung von einer Privatperson ausgehen, es liege somit keine staatliche Verfolgung vor.

 

Irgendwelche Feststellungen zur Schutzfähigkeit der moldawischen Justiz bzw. Polizeibehörden bzw. insgesamt Feststellungen zur allgemeinen Lage in Moldawien finden sich in der angefochtenen Entscheidung nicht.

 

In einer fristgerecht eingebrachten Beschwerde wurde das Fehlen irgendwelcher Feststellungen zum Heimatstaat kritisiert. Die Beschwerdeführerin führte aus, dass sie Opfer einer Menschenhandelsorganisation geworden sei, der Handel mit Frauen sei in Moldawien ein eigener Wirtschaftszweig, der zur Gänze von der Mafia beherrscht werde.

 

Die Beschwerdeführerin wurde in weiterer Folge am 09.01.2007 durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ergänzend einvernommen, wobei sie im Wesentlichen ihr Vorbringen vor der belangten Behörde wiederholte. Einzig die Volksgruppenzugehörigkeit sei nicht richtig angegeben worden, sie gehöre der Volksgruppe der Gagausen an.

 

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 10.01.2007, Zl. 224276/0-VII/43/01 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin vollinhaltlich abgewiesen.

 

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin beschränken sich im Rahmen der Feststellungen auf den Satz: "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Asylwerberin im Ausland der Prostitution zugeführt hätte werden sollen".

 

Zur allgemeinen Lage in Moldawien wurden ebenso wie im Bescheid des Bundesasylamtes keinerlei Feststellungen getroffen, es findet sich einzig auf Seite 4 des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates folgende Feststellung zum Herkunftsstaat: "nicht festgestellt werden kann, dass in Moldawien jedem Rückkehrer jedmögliche Lebensgrundlage fehlt. Nicht festgestellt werden kann weiters, dass in Moldawien jede Frau der Gefahr, Opfer von Menschenhändlern zu werden ausgesetzt ist".

 

In Folge einer eingebrachten Beschwerde wurde der genannte Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 10.01.2007 durch den Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.02.2011, Zl. 2011/23/0064-6 in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof begründete dieses Erkenntnis nach allgemeinen rechtlichen Ausführungen zur Verfolgung durch Privatpersonen bzw. zur Relevanz einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates im Wesentlichen dahingehend, dass der Unabhängige Bundesasylsenat eine Auseinandersetzung mit der Frage der Schutzfähigkeit und -willigkeit des Herkunftsstaates der Beschwerdeführerin in Bezug auf eine Verfolgung mit dem Ziel der Zuführung zur Prostitution durch Frauenhändler unterlassen habe.

 

Dieses den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenat vom 10.01.2007 aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs langte am 28.03.2011 beim Asylgerichtshof ein, zur wieder offenen Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.09.2001 wurde durch den erkennenden Senat wie folgt erwogen:

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG) nimmt der Asylgerichtshof mit 1. Juli 2008 seine Tätigkeit auf. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

1.2. Gemäß § 61 Abs. 1 Asylgesetz 2005 in der geltenden Fassung (in der Folge: AsylG) entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

1.3. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

1.4. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, "wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist."

 

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

2.3. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.04.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.06.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr sinngemäß gleichermaßen für den Asylgerichtshof als dessen Nachfolgebehörde.

 

§ 45 AVG normiert:

 

(1) Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises.

 

(2) Im Übrigen hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

 

(3) Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389).

 

Wie dargestellt, hat im gesamten bisherigen Verfahren weder das Bundesasylamt noch der vormals zuständige Unabhängige Bundesasylsenat allgemeine Länderberichte zur Frage der Schutzwilligkeit, Schutzfähigkeit des Moldawischen Staates bei Frauenhandel, Prostitution einfließen lassen. Im gesamten bisherigen Verfahren hat somit keine Auseinandersetzung mit der Frage der Schutzfähigkeit und -willigkeit des Herkunftsstaates der Beschwerdeführerin in Bezug auf eine Verfolgung mit dem Ziel der Zuführung zur Prostitution durch Frauenhändler stattgefunden, obwohl sowohl die belangte Behörde als auch der vormals zuständige Unabhängige Bundesasylsenat grundsätzlich vom Wahrheitsgehalt der Angaben der Beschwerdeführerin ausgegangen sind.

 

Angesichts des Vorbringens der Beschwerdeführerin, die Verschleppung zwecks Zuführung zur Prostitution sei kein Einzelschicksal, sondern eine vielen Frauen des Herkunftsstaates drohende Gefahr, kann die Asylrelevanz des Fluchtvorbringens nicht von vornherein ausgeschlossen werden, wie dies sowohl die belangte Behörde als auch der Unabhängige Bundesasylsenat angenommen haben (vergleiche hiezu das aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23.02.2011 sowie beispielsweise auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 31.01.2002, Zl. 99/20/0497.

 

Im fortgesetzten Verfahren wird somit die belangte Behörde erstmals ausführliche Länderfeststellungen zur Frage der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Herkunftsstaates in das Verfahren einzubringen haben, da bei mangelnder Schutzfähigkeit des Staates bzw. Fehlen einer ausreichend funktionierenden Staatsgewalt die Asylrelevanz nicht von vornherein zu verneinen wäre (vgl. VwGH vom 28.10.2009, Zl. 2006/01/0793).

 

Die belangte Behörde konnte dadurch, dass sie keine entsprechenden Feststellungen zum Herkunftsland der Beschwerdeführerin getroffen hat, den Sachverhalt nicht ausreichend ermitteln und daher die Asylrelevanz des Vorbringens der Beschwerdeführerin nicht beurteilen.

 

Insgesamt ist somit die belangte Behörde ihren in § 28 AsylG 1997, BGBl. I 76/1997, normierten Ermittlungspflichten nicht ausreichend nachgekommen. Gemäß dieser Bestimmung hätte die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellungen oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken gehabt, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Bescheid bzw. das diesem zugrunde liegende Verfahren mit so schwerer Mangelhaftigkeit belastet, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit ist wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass deren Vermeidung für den Beschwerdeführer zu einem günstigeren Ergebnis hätte führen können. Das Bundesasylamt hat es somit unterlassen, brauchbare Ermittlungsergebnisse in das Verfahren einzuführen.

 

Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen; unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten verbietet sich eine Heranziehung des § 66 Abs. 3 AVG. Das Bundesasylamt wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit den o. a. Fragen auseinanderzusetzen haben, dementsprechende Ermittlungen zu führen und diese Ergebnisse unter anderem mit der Beschwerdeführerin in einer Vernehmung zu erörtern haben, um den Sachverhalt weiter zu erhellen und schließlich die rechtliche Konsequenzen ziehen müssen.

 

Der Asylgerichtshof verkennt nicht, dass vorliegendes Verfahren bereits seit vielen Jahren bei der Beschwerdeinstanz anhängig war; aufgrund der schweren Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens ist die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG jedenfalls gerechtfertigt den o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung/Einvernahme und Erlassung eines neuen Bescheides an das BAA zurückzuverweisen, ansonsten bei Fortführung des Beschwerdeverfahrens durch den Asylgerichtshof der gesamte Sachverhalt im vorliegenden Fall erstmals im Beschwerdeverfahren ermittelt werden müsste.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
27.04.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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