Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kunst als Schriftführer in der Strafsache gegen Olof B***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 20. Dezember 2010, GZ 20 Hv 54/10g-150, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten Olof B***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Olof B***** - richtig, wie angesichts dessen, dass sich zu einer Subsumtionseinheit nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG nur gleichartige Verbrechen zusammenfassen lassen, nicht aber ungleichartige, wie zB hier Aus- und Einfuhr einerseits und Überlassen andererseits (vgl RIS-Justiz RS0117464; Kirchbacher/Schroll, RZ 2005, 144) klargestellt sei - eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.
Danach hat er von 1999 bis Herbst 2001 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung des hiefür rechtskräftig verurteilten Herbert R***** als „Dealer“ und anderer Mitglieder dieser Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift in einer insgesamt das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 2.000 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 45 % im Auftrag des nicht näher bekannten „C*****“ in insgesamt vier Schmuggelflügen von Bolivien aus- und nach Österreich eingeführt, wo er es in Linz an Herbert R***** übergab.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die nominell auf Z 4, Z 5 und 5a, inhaltlich auch auf Z 2 und Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Das Vorbringen, die Zeugin D***** sei im Vorverfahren massiv unter Druck gesetzt worden, ist im Hinblick auf die Verlesung von deren Angaben vor der Polizei gemäß § 252 Abs 1 Z 2 StPO in der Hauptverhandlung (ON 149 S 7) unter dem Aspekt der Verfahrensrüge nach Z 2 (§ 166 Abs 1 Z 2 und Abs 2 StPO) relevant, kann aber schon deshalb nicht erfolgreich sein, weil der Verteidiger seiner Rügeobliegenheit nicht nachgekommen ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 191).
Die weitere Verfahrensrüge (Z 4) moniert die Nichterledigung eines in der Hauptverhandlung am 15. Oktober 2010 gestellten Beweisantrags auf Vergleich der Größe der Schuhstrecker, in welchen laut erstgerichtlicher Feststellung das Suchtgift versteckt war, mit der nach dem Antragsvorbringen kleineren Schuhgröße des Angeklagten (ON 132 S 8), lässt jedoch nicht erkennen, inwieweit welcherart das vom Rechtsmittelwerber behauptete Ergebnis ausgeschlossener Täterschaft abgeleitet werden könnte.
Die Mängelrüge (Z 5 erster Fall) behauptet Undeutlichkeit der erstrichterlichen Urteilsbegründung, weil nicht erkennbar sei, warum den vom Zeugen Herbert R***** in dem gegen ihn zu AZ 21 Hv 130/02d des Landesgerichts Linz geführten Strafverfahren getätigten Angaben gefolgt wurde und mit welchen Schilderungen „genau“ dessen damalige Ausführungen übereinstimmten, ignoriert jedoch den insofern exakt auf die entsprechenden Beweisergebnisse verweisenden Urteilsinhalt (US 6 f).
Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 13 Abs 3 zweiter Satz, § 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421). Entgegen den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen hat das Erstgericht einwandfrei begründet, warum es den Angaben des Herbert R***** in dem gegen ihn geführten Strafverfahren folgte (US 5 ff), mit dessen Angaben in der Hauptverhandlung am 15. Oktober 2010 betreffend die Existenz eines - zuvor nicht erwähnten - dritten Drogenkuriers hat sich das erkennende Gericht auseinandergesetzt (US 6). Darüber hinaus war es dem Gebot zu gedrängter Darstellungen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt aller Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen, und sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen Einwand im Voraus auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0098377).
Der Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) legt nicht dar, inwieweit das Aussehen der zum Schmuggel verwendeten Holzschuhstrecker bei der Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite bezüglich Menge und Reinheitsgehalt des Suchtgifts einer näheren Erörterung bedurft hätte.
Entgegen den weiteren Ausführungen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall), das Erstgericht führe für seine Feststellungen zur subjektiven Tatseite nur eine offenbar unzureichende Begründung an, weil nicht erkennbar wäre, warum aus dem Zusammenwirken zwischen „C*****“, Herbert R***** und dem Angeklagten auf „Kenntnis der Basisdaten jeder Kurierfahrt“ zu schließen sei, können mangels eines Geständnisses Konstatierungen zum Vorhaben des Täters nur durch eine logisch und empirisch einwandfreie Beurteilung seines äußeren Verhaltens getroffen werden. Der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen ist ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar, bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0098671).
Der weiteren Beschwerdekritik (Z 5 vierter Fall) zuwider hat das Schöffengericht seine Konstatierungen zur Suchtgiftmenge nicht bloß „aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse“ (US 7) - ohne diese konkret zu bezeichnen - getroffen, sondern ausdrücklich angeführt, auf welche (Zeugen-)Aussagen es sich stützte (US 6 f).
Inwieweit das Referat der Angaben der Zeugin D*****, sie habe bei der polizeilichen Vernehmung „einfach unterschrieben“ (US 5 unten; vgl ON 132 S 15) wegen Unterlassens der Wiedergabe, ihr sei es nur darum gegangen, das Sorgerecht für ihre Kinder zu behalten, alles andere sei ihr egal gewesen, aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall) sein sollte, lässt die Beschwerde offen.
Die Urteilsbegründung, die Zeugin D***** habe ihre seinerzeitigen, den Angeklagten belastenden Angaben vor den Sicherheitsbehörden und im gegen sie zu AZ 21 Hv 130/02d des Landesgerichts Linz geführten Strafverfahren in der Hauptverhandlung nicht widerrufen (US 5 unten), betrifft kein Aussagezitat. Schon deswegen geht der Vorwurf einer Aktenwidrigkeit ins Leere.
Mit der Beschwerdekritik, wesentliche Feststellungen gründe das Erstgericht auf Aussagen des Zeugen R*****, welcher - folgte man seinen letzten Angaben - „über lange Zeit nahezu tödliche Dosen Drogen“ zu sich genommen habe, sowie auf die Zeugen D***** und B*****, welche nur vom Hörensagen (vgl dazu RIS-Justiz RS0118778) wüssten, dass der Angeklagte Drogenlieferant des Herbert R***** war, wird in unzulässiger Weise lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter bekämpft.
Den weiteren Ausführungen in der Mängelrüge (inhaltlich Z 5 vierter Fall), aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen Telefonüberwachungsprotokoll vom 20. Oktober 2001 ergäbe sich nicht mit der notwendigen Sicherheit, dass es sich bei der mit „O*****“ bezeichneten Person um den Angeklagten handelte, ist zu entgegnen, dass die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, aus Z 5 nicht bekämpft werden kann (RIS-Justiz RS0116737). Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird keine Nichtigkeit aus Z 5 oder Z 5a aufgezeigt, sondern wiederum nur die dem Schöffensenat obliegende Beweiswürdigung bekämpft (RIS-Justiz RS0102162).
Gegenstand der Tatsachenrüge (Z 5a) sind Feststellungen, angesichts derer - gemessen an allgemeinen Erfahrung- und Vernunftsätzen - eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert naheliegt, wogegen unterhalb dieser (besonderen) Erheblichkeitsschwelle die Beweiswürdigung allein den Tatrichtern vorbehalten bleibt (RIS-Justiz RS0119583). Mit dem Vorbringen, dem Zeugen R***** wäre in seinem eigenen Strafverfahren daran gelegen, „das Bild eines kooperativen Angeklagten“ abzugeben, der Zeugin D***** sei es bei der Aussage in ihrem Strafverfahren lediglich darum gegangen, das Sorgerecht für ihre Kinder zu behalten, gelingt es nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen zu lassen.
Soweit die Tatsachenrüge mit der Bezugnahme auf nicht näher bezeichnete „Videoaufnahmen des Angeklagten“ auf Beweismaterial rekurriert, das in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sei, unterlässt sie die gebotene Darlegung, weshalb der Beschwerdefüher an einer darauf abzielenden Antragstellung (Z 4) gehindert war (RIS-Justiz RS0115823).
Die weitere Kritik (inhaltlich Z 9 lit b), der Rechtsmittelwerber habe sich vom 7. Juli 2005 bis 19. April 2006 unrechtmäßig in Auslieferungshaft in Bolivien befunden, die Auslieferung habe mangels eines rechtzeitig durch die österreichischen Behörden gestellten Auslieferungsersuchens nicht stattgefunden, seine zweite Inhaftierung in Spanien habe gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen, lässt nicht erkennen, inwiefern durch diese Umstände die Strafbarkeit der Taten aufgehoben oder deren Verfolgung ausgeschlossen sein sollte. Fehlende Strafbarkeit, weil das erstgerichtliche Urteil nicht innerhalb eines Jahres nach der ersten Verhaftung ergangen ist, wird behauptet, aber nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz abgeleitet (RIS-Justiz RS0116569; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E96844European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00027.11D.0329.000Im RIS seit
18.04.2011Zuletzt aktualisiert am
18.04.2011